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Seit Tekla auf den Hof gekommen war, hatte Ottos Rucksack unberührt in ihrem Zimmer gestanden. Jetzt zwang sie sich dazu, seine Sachen herauszunehmen. Ein Kleidungsstück nach dem anderen legte sie auf den Boden, wobei sie sich immer wieder ein Hemd oder einen Pullover ans Gesicht drückte und mit den Fingern darüberstrich.

Ganz zuunterst entdeckte sie einen Briefumschlag. Überrascht stellte sie fest, dass er vierhundert Mark enthielt. In den Tagen nachdem sie den Entschluss gefasst hatten, den Hof zu verlassen, hatte sie sich immer wieder Sorgen darüber gemacht, dass sie kein Geld hatte.

Als sie fertig gepackt hatte, bat sie Elsie und Jürgen zu sich. Tekla zeigte auf die Kleider, die sie getragen hatte, als sie gekommen war. Elsie hatte sie gewaschen, zusammengefaltet und auf den Tisch gelegt.

»Die kannst du behalten«, sagte sie.

Elsie protestierte, aber Tekla unterbrach sie. »Ich werde sie nie wieder tragen. Aber ich möchte dich um eine Gegenleistung bitten, hast du einen Umhang, den ich tragen könnte? Wir können tauschen.

Elsie ging nach draußen und kam mit einem dunkelblauen Cape zurück.

»Das ist alt und zerschlissen«, sagte sie. »Du machst da einen schlechten Tausch.«

»Das macht nichts.« Tekla zog an einem Faden, der aus dem Schultersaum von Ottos Pullover herausragte, machte ein kleines Loch und zog die Perlenkette hervor.

»Die sollst du haben«, sagte sie und reichte sie Elsie.

»Aber das kann ich doch nicht annehmen«, protestierte sie.

Tekla nahm einen Hundertmarkschein und reichte ihn Jürgen.

»Nein, nein«, sagte er und wehrte ab.

Wortlos legte Tekla den Schein auf den Tisch. Dann packte sie Elsies altes Cape in ihren Rucksack und schwang ihn sich auf den Rücken.

Vor der Haustür standen Anja und ihre beiden kleineren Brüder. Tekla ging zu ihnen, hockte sich vor den beiden Jungen hin und nahm sie in die Arme. Anja legte die Arme um ihren Hals. »Musst du wirklich gehen, Tekla?«

»Ja, das muss ich wohl«, sagte Tekla. »Erinnerst du dich nicht? Ich muss zum Meer.«

»Kommst du zurück und besuchst uns?«

»Natürlich tue ich das«, sagte Tekla und drückte sie an sich.

Anschließend ging sie zu Elsie, die neben dem Wagen stand, vor den sie Alarik gespannt hatten. Als sie sie umarmte, flüsterte Elsie ihr ins Ohr: »Pass auf dich auf – und auf dein Kind.«

Tekla sah sie an. »Welches Kind?«

»Ja, du bist doch schwanger, oder?«

»Nein, da musst du dich irren.«

»Aber … ich war mir sicher. Ich habe doch gehört, wie du dich in den letzten Tagen jeden Morgen erbrochen hast.«

»Ja, aber das heißt doch nicht, dass ich schwanger bin. Das ist nur, weil … du weißt schon … wenn ich an diese Sache denke.« Sie drückte Elsie noch einmal an sich. »Danke für alles, was du für mich getan hast. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft!«

»Schreib uns, sag uns, wie es dir geht«, sagte Elsie und legte die Hand an Teklas Wange. »Versprich mir das.«

»Ja, das tue ich.«