»Das ist ein Wunder! Wirklich, ein Wunder! Als wäre Gott extra noch einmal in dieser verdammten Stadt aufgetaucht, um dir zu helfen«, sagte Niels, als sie zurück in den Keller kamen. »Wir müssen feiern! Hast du noch ein bisschen Geld?«
»Ein wenig.«
»Lass uns ausgehen, essen und tanzen. Du musst dich schön machen. Ich habe ein Kleid, das perfekt für dich ist.«
»Du hast ein Kleid?«
Er legte das Brennholz dicht hinter der Tür ab, öffnete seinen Koffer und holte ein dunkellila Samtkleid heraus. »Und? Was meinst du?«
Das Kleid hatte lange Puffärmel, Manschetten und einen goldgesäumten Ausschnitt. Über der Brust war der Stoff drapiert. Das Kleid war schön, eine Augenweide, die in dieser Umgebung vollkommen deplatziert wirkte. Es passte aber perfekt zu den Kleidern, die Niels trug.
»Wo um alles in der Welt hast du diese Sachen denn her?«, fragte Tekla.
»Das ist aus der Dreigroschenoper«, sagte Niels mit einem breiten Grinsen.
»Du hast als Dirigent in der Oper gearbeitet?«
»Ja, und als es auf das Ende zuging, habe ich dies und das mitgehen lassen.«
Erst jetzt begriff Tekla, welche berufliche und gesellschaftliche Stellung Niels einmal eingenommen und was er verloren hatte.
Sie drehte sich zur Wand, zog Bluse und Rock aus und streifte sich das Kleid über den Kopf. Als Niels von dem Kleid gesprochen hatte, war ihr erster Gedanke gewesen, dass es in der Taille sicher zu eng sitzen und so jeder auf den ersten Blick erkennen würde, wie es um sie stand. Sie spürte deutlich, dass ihr Bauch dicker geworden war, besonders in den letzten Wochen. Eines Nachts, als sie wach auf der Seite gelegen hatte, hatte sie zurückgerechnet und war zu dem Schluss gekommen, dass sie im fünften Monat sein musste. Wenn nicht noch weiter. Es war schwer zu sagen, sie wusste ja nicht, wann genau sie schwanger geworden war, betete aber jeden Abend, das Kind noch in Demmin empfangen zu haben.
Erleichtert stellte sie fest, dass die Rüschen des Kleides ihre Rundungen kaschierten.
»Was habe ich gesagt?«, rief Niels und klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Das ist wie für dich gemacht.«
Die junge Frau aus der Ecke kam zu ihnen. Tekla wusste, dass sie Kerstin hieß, sie hatte aber kaum mit ihr gesprochen, da sie den Keller jeden Abend verließ und tagsüber meistens schlief.
»Was für ein schönes Kleid«, sagte sie.
»Tekla hat es von mir bekommen«, sagte Niels stolz. »Wir werden ausgehen und tanzen.«
»Wenn du in dem Kleid tanzen willst, müssen wir dich schön machen«, sagte sie.
Jetzt kam auch Hilde, die Mutter der beiden Kinder, zu ihnen.
»Und vorher waschen wir dir noch die Haare.«
Sie füllten Wasser in einen Bottich und baten Tekla, sich hinzuknien. Es duftete nach Rosen, als sie sich vorbeugte. Dann spürte sie, wie eine harte, flache Seife über ihren Kopf gerieben wurde. Sie hatte keine Seife mehr gesehen, seit sie den Hof verlassen hatte, aber die hatte bei weitem nicht so gut gerochen. Hilde massierte Teklas Kopfhaut mit langsamen Bewegungen. Eine Welle des Wohlbehagens durchströmte sie.
»Wo hast du denn diese Seife her?«, fragte sie.
»Ich habe einen amerikanischen Freund«, flüsterte Hilde mit geheimnisvollem Lächeln.
Während die Haare trockneten, schminkte Kerstin sie. Tekla schloss die Augen und spürte, wie sie ihr mit einem Pinsel Lidschatten auftrug. Dann färbte sie ihre Wimpern, puderte ihr Gesicht und trug ihr Rouge auf. Zuletzt kämmte sie ihre inzwischen schon wieder langen Haare.
»Sie kann die hier ausleihen, Mama«, sagte eine Mädchenstimme. »Dann ist sie richtig schön.«
Hildes Tochter reichte ihrer Mutter eine große, dunkelrote Rose aus einem seidenartigen Stoff, die sie mit Spangen seitlich an Teklas Kopf befestigte. Dann reichte sie Tekla einen Spiegel.
Das soll ich sein?, dachte Tekla verwundert. Ihre Haut glühte, ihre Wangen waren rot, und ihre Augen hatten einen ganz anderen Glanz. Sie lächelte. Ja, doch, heute bin das ich, elegant und schön wie aus einer anderen Welt.
»Dreh dich mal im Kreis«, sagte Niels.
Tekla machte ein paar Tanzschritte, drehte eine kleine Pirouette, hob die Arme und verbeugte sich. Das weite Kleid schwang um sie herum.
Alle im Keller klatschten, und der Mann mit dem amputierten Bein pfiff. Sogar Gretchen, die am Ofen stand, lächelte.