In der Nacht zum 27. Dezember 1946 wachte Tekla von ziehenden Rückenschmerzen auf, die immer stärker in Richtung Unterleib ausstrahlten.
Für einen Moment bekam sie Panik, doch dann verschwanden die Schmerzen, und sie atmete aus. Aber das Ziehen kam zurück und wurde mit jedem Mal stärker. Es glich nichts, was sie jemals erlebt hatte. Sie richtete sich im Bett auf, hielt sich mit beiden Händen den Bauch und jammerte leise, bis es vorüber war. Sie versuchte zu zählen, wie viel Zeit zwischen den Wehen lag, vergaß das Zählen aber immer wieder, wenn die Schmerzen kamen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon so gesessen hatte, als die Fruchtblase platzte.
Sonja sprang aus dem Bett auf, als Tekla an die Tür klopfte. Sie holte mehrere Kissen, damit Tekla etwas höher liegen konnte, doch als sie sich zurücklehnte, begann bereits die nächste Wehe, und sie stöhnte laut und hielt den Atem an.
»Du musst atmen«, sagte Sonja und atmete selbst ruhig ein und aus. »Tief atmen.«
Tekla versuchte, sich Sonjas Rhythmus anzupassen, und als die nächste Wehe kam, tat sie, was ihre Freundin sagte.
»Und jetzt atme schnell, als wolltest du eine Kerze ausblasen.« Sonja spitzte die Lippen und atmete in kurzen, harten Stößen.
»Woher weißt du, dass ich so atmen soll?«, stöhnte Tekla.
»Ich habe neun Geschwister«, sagte Sonja. »Ein bisschen was habe ich da mitbekommen.«
Stephan kam herein und setzte sich auf die Bettkante. Er hörte ihren Bauch mit einem Stethoskop ab, sah auf die Uhr und überprüfte, wie viel Zeit zwischen den Wehen lag.
»Ich will nicht«, jammerte Tekla.
Sonja lächelte beruhigend und wischte ihr das Gesicht mit einem feuchten Tuch ab. »Alles wird gut. Ich werde die ganze Zeit hier sein und Stephan auch. Du bist in guten Händen. Nicht viele Gebärende haben ihren Privatarzt, weißt du«, fügte sie munter hinzu.
Aber Tekla hatte Angst. Das Gefühl, im Wasser unterzutauchen und keinen Boden unter den Füßen zu haben, kam wieder. Nicht wegen der Schmerzen – die konnte sie aushalten –, sondern wegen des Gefühls, die Kontrolle zu verlieren.
Denn jetzt sollte sie bald das Kind sehen und Gewissheit bekommen, wem es ähnlich sah.
Kurz vor sieben Uhr morgens sagte Stephan, er könne jetzt das Köpfchen sehen.
»Du musst jetzt fest pressen, Tekla«, sagte er. »Du bist stark, komm schon, pressen.«
Was sonst sollte sie tun? Nichts zu tun, war ja doch keine Option. Für einen Augenblick verschwand ihr Angstgefühl, nur um sich gleich darauf erneut zu melden.
»Gib alles, was du kannst!«, sagte Stephan. Tekla hob den Kopf, biss die Zähne zusammen und presste mit aller Kraft.
Sie spürte, wie das Kind aus ihr herausglitt, und für einen Moment erinnerte das Gefühl sie an ihre Kindheit, wenn sie am Strand mit den Quallen gespielt und sie durch die Hände in den Wassereimer hatte gleiten lassen.
»Sehr gut!«, sagte Stephan.
Tekla schloss die Augen, hielt die Luft an und wartete. Dann hörte sie das Kind schreien.
Stephan wickelte es in ein Handtuch und durchtrennte die Nabelschnur.
»Ein Mädchen.« Sonja trocknete es etwas ab und reichte es Tekla. »Sie ist perfekt«, sagte sie freudestrahlend.
Tekla sah auf das kleine, rote, faltige Gesicht. Mit einem Mal hörte das Mädchen zu weinen auf, es öffnete die Augen und bewegte die Arme, als wollte es sie nach dem Gesicht seiner Mutter ausstrecken.
An den ersten Tagen gab Tekla vor, nicht stillen zu können. »Ich bin dafür einfach zu müde«, sagte sie.
»Die Einzigen, die in diesem Land genug zu essen bekommen, sind Babys, die angelegt werden können«, erwiderte Sonja und legte den Säugling entschlossen in Teklas Arme. Danach nahm Sonja ihr das Kind gerne wieder ab, legte es sich auf die Schulter und streichelte ihm über den Rücken, bis es sein Bäuerchen gemacht hatte.
Eines Tages, als Sonja mit dem Mädchen auf und ab ging, dachte Tekla, dass Sonja eine gute Mutter sein würde. Eine bessere als sie. Viel besser. Ohne darüber nachzudenken, rutschten ihr die Worte heraus: »Willst du sie haben?«
Sonja blieb stehen und starrte Tekla an. »Wie meinst du das denn?«
»Ich meine … ob du sie haben willst? Ihr beide, Stephan und du?«
Sonja war vollkommen perplex.
»Ich …«, begann Tekla. »Es ist …«
Aber sie schaffte es nicht, es auszusprechen. Die entscheidenden Worte über ihre Lippen zu bringen.
Sonja setzte sich neben sie. »Was quält dich denn so? Gibt es irgendetwas, das du mir nicht erzählt hast?«
Tekla sehnte sich danach, ihre Seelenqualen mit jemandem zu teilen, der sie gernhatte und verstand. Sie suchte nach den richtigen Worten, öffnete den Mund, wollte sich Sonja anvertrauen und erzählen, was mit ihr geschehen war. Dass das Kind nicht Ottos Kind war, dass sie das an den schmalen Augen und den dunklen Haaren ganz sicher erkannte. Aber sie schaffte es nicht.
»Es ist nur … ich … ich habe nicht genug Kraft für ein Kind. Und ich will nach Hause nach Norwegen. Wie soll ich das mit einem Kind schaffen? Ich kann später zurückkommen und sie holen.«
»Liebes«, sagte Sonja. »Du hast eine Menge mitgemacht. Du bist jetzt nicht du selbst. Ich verstehe das gut, und du kannst hier so lange bleiben, wie du willst. Die Zeit wird dir helfen, bald wird alles anders aussehen.«
»Die Zeit ändert gar nichts«, sagte Tekla.
»Aber das Mädchen braucht seine Mutter«, sagte Sonja und reichte ihr das Kind.
Tekla sah auf das kleine, schlafende Gesicht. Dann streichelte sie mit einem Finger über die Stirn der Kleinen und sagte sich im Stillen, was sie sich schon tausend Mal gesagt hatte: Du kannst nichts dafür. Du bist unschuldig.