Stangenarbeit
Und, hast du alle Aufgaben gekonnt?«, fragte mich Katha in der zweiten Pause nach dem Mathetest. Wir saßen auf unserem Lieblingsplatz, einer kleinen Mauer, von der aus wir sowohl den Pausenhof des Gymnasiums als auch den der Realschule überblicken konnten.
»Na ja, die letzten beiden hab ich ehrlich gesagt nicht so ganz verstanden. Ich glaube, ich hab sie ganz schön versiebt«, gestand ich seufzend.
»O Rike! Dabei war die Probe so einfach! Fast geschenkt!« Vorwurfsvoll sah Katha mich an.
»Vielleicht für dich, aber nicht für mich!«, fauchte ich wütend. Was sollte denn diese Ansage? Katha wusste doch ganz genau, dass ich mit Mathe auf dem Kriegsfuß stand.
»Ich dachte, du hättest mit Floh gelernt?«
»Hab ich auch, aber eben nicht alles! Woher sollte ich denn wissen, dass der doofe Dremer Aufgaben drannimmt, die wir vor keine Ahnung wann mal gemacht haben!«
Katharina biss in ihren Apfel und sagte nichts mehr. Das war auch besser so, sonst hätte sie nur eine weitere patzige Antwort von mir bekommen. Ich wusste, dass ich nicht ganz fair war, aber ich war so sauer, dass ich trotz Lernen wahrscheinlich wieder nichts Besseres als eine Vier bekommen würde. Wenn es dazu überhaupt reichte.
Wir saßen noch eine Weile schweigend auf der Mauer und hätten wahrscheinlich die ganze Pause dort verbracht und uns angeschwiegen, wenn nicht plötzlich dieser Junge aufgetaucht wäre. Ich starrte so vor mich hin und bemerkte gar nicht, wie er näher kam, bis er vor uns stand.
»Hi! Entschuldigt, könnt ihr mir sagen, wo ich hier das Sekretariat finde?«
»Na da, wo es immer ist«, brummelte ich. Was für eine blöde Frage.
»Schön, und wo ist es immer?« Der Kerl ließ nicht locker.
Ich blickte auf und sah ihn direkt an. Dass ich nicht von der Mauer fiel, war alles. Ich starrte in die zwei tiefstbraunen Augen, die ich je gesehen hatte. So ein dunkles Braun war mir noch nie begegnet. Dann wanderte mein Blick weiter und ich entdeckte ein braun gebranntes Gesicht mit vollem Mund, blitzenden weißen Zähnen und zwei niedlichen Grübchen. Das fast schwarze Haar erinnerte mich an Jimi Blue aus »Sommer«.
»Im Verwaltungsgebäude«, antwortete in diesem Moment Katha und sprang von der Mauer. »Bist du neu hier?«
»Ja, sonst wüsste ich sicherlich, wo das Sekretariat immer ist«, antwortete der Typ und grinste mich zynisch an.
Verdammt! Das hätte ich mir eigentlich gleich denken können. Schließlich hatte er einen recht deutlichen Akzent. Außerdem wäre er mir sicherlich schon vorher aufgefallen. So ein hinreißender Typ mit solchen Augen stand nicht alle Tage auf unserem Pausenhof herum.
»Komm, ich zeig’s dir«, bot Katha an, und noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, ging sie mit dem fremden Jungen davon, und ich blieb allein auf der Mauer sitzen.
Was war ich für ein Schaf! Durch meine vorschnelle, patzige Antwort hatte ich mir die Chance vertan, mit dem tollsten Jungen, der mir je begegnet war, zu reden. Verflucht!
Ich sprang von der Mauer, verfing mich dabei in den Trägern meines Rucksacks und fiel der Nase lang hin. Gott sei Dank hatten Katha und der Junge das nicht mitbekommen. Mit hochrotem Kopf raffte ich mich auf und trollte mich davon.
Erst im Klassenzimmer traf ich Katha wieder.
»Na, hast du ihm gezeigt, wo das Sekki ist?«, fragte ich neugierig.
»Klar! Nachdem du dich ja von deiner zickigen Seite präsentieren musstest«, kicherte Katharina.
»Du bist gemein! Ich war sauer wegen der blöden Mathearbeit! Ich dachte, der Kerl will mich auf den Arm nehmen. Konnte ich ja nicht wissen, dass er neu ist!«, verteidigte ich mich.
»Das hat man doch gehört!«, prustete Katha lachend heraus. »So einen bayerischen Dialekt hört man hier oben im Norden echt nicht jeden Tag.«
»Ist ja gut«, brummte ich und warf ihr einen wütenden Blick zu. Jetzt machte sie sich schon wieder über mich lustig. Zum Glück kam gerade unsere Französischlehrerin rein und unser Gespräch war vorerst beendet.
Nach der Schule hatten wir unseren kleinen Streit bereits vergessen und schmiedeten Pläne für den Nachmittag. Wir wollten weiter in unserem Trailparcours üben und Painted Diamond und Amazing Grace dazu bringen, über eine Wasserplane zu gehen. Beide waren nicht wirklich wasserscheu, aber wenn es darum ging, auf eine Plane, auf der dünn das Wasser stand, zu laufen, spielten sie verrückt.
Florian hatte heute länger Schule, deswegen würden wir ihn erst später am Stall treffen.
Wir stiegen an der Bushaltestelle aus und gingen noch ein paar Meter gemeinsam, bis sich unsere Wege trennten. Auch Philipp war im Bus gewesen und so liefen wir zusammen nach Hause.
»Nanu, was machst du denn schon hier?«, wunderte ich mich, als ich Sofia am Mittagstisch erblickte.
»Bei uns sind die letzten beiden Stunden ausgefallen. Da hat Lars mich nach Hause gefahren«, berichtete meine Schwester. Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. Lars? War das schon wieder ein neuer Verehrer?
»Wer ist denn Lars?«, fragte ich sie.
»Unser neuer Referendar«, erklärte Sofia lächelnd.
Fast hätte ich mich verschluckt. Prustend spuckte ich das Wasser aus, das ich gerade hatte trinken wollen, und starrte sie ungläubig an.
»Wie bitte? Ein Lehrer?«
»Ja, in Sport«, sagte Sofia so beiläufig wie möglich, als ob es das Natürlichste der Welt wäre, dass ihr Sportlehrer sie nach Hause brachte.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Du spinnst ja! Das ist verboten!«
»Was? Dass Lars mich nach Hause fährt? Warum denn? Schließlich wohnt er zwei Ortschaften weiter und Monika und Luisa hat er auch mitgenommen. Was können wir denn dafür, dass kein Bus fährt!«, rechtfertigte Sofia sich und funkelte mich wütend an.
»Ha! Ich will nicht wissen, was das für ein Kerl ist, der sich mit Minderjährigen einlässt!«, stichelte ich boshaft. Es würde mächtig Ärger geben, wenn Mama und Papa davon erfuhren. Endlich hatte ich mal was an meiner perfekten Schwester gefunden, was nicht so toll war.
Sofia wollte mir gerade eine Antwort entgegenschleudern, als Mama im Türrahmen mit dem Essen auftauchte. Sofia zischte mir etwas zu, was so ähnlich klang wie, ich solle ja meinen Mund halten. Tja, von mir aus gern. Nun hatte ich wenigstens was, womit ich sie bei Gelegenheit erpressen konnte.
Vergnügt setzte ich mich an den Tisch und wir fingen an zu essen.
»Und, Annrike, wie ist die Mathearbeit gelaufen?«, erkundigte Mama sich.
»Ging so«, antwortete ich gedehnt. »Der blöde Dremer hat Aufgaben drangebracht, die wir vor Ewigkeiten durchgenommen haben. Woher sollte ich denn wissen, dass wir die auch noch können sollen?«
»Annrike!«
Schon allein der Tonfall und dann auch noch dieser Name konnten mich fuchsteufelswild machen. Ich brummelte etwas vor mich hin und begegnete Sofias feixendem Blick. Hämisch grinsend flüsterte ich »Lars« und sofort verdunkelte sich Sofias Gesicht. Es hatte doch manchmal etwas Gutes, Geheimnisse seiner Schwester zu kennen.
»Gab es bei dir was Neues, Sofia?«, wandte sich Mama nun an sie.
Das tat Mama immer. Jeden Tag nach der Schule erkundigte sie sich, was bei uns in der Schule los war. Sie nannte das Interesse am Leben ihrer Kinder. Ich nannte es Neugierde und Ausgequetsche.
»Och, war heute nicht viel los«, sagte Sofia vage, und ich fragte mich, was sie die letzten beiden Stunden gemacht beziehungsweise wo sie sie verbracht hatte. Daheim war sie sicherlich nicht gewesen.
»Doch, da fällt mir ein, wir haben einen neuen Schüler bekommen. Aus Bayern!«
Peng! Mein Messer fiel auf den Boden. Meine Mutter, Sofia und Philipp schauten mich verwundert an, und ich stammelte schnell eine Entschuldigung, bevor ich mit rotem Kopf nach dem Messer abtauchte.
»Ach, das ist doch mal interessant«, meinte Mama und wandte sich zum Glück wieder Sofia zu. »Wieso denn aus Bayern und mitten im Schuljahr?«
»Sein Vater hat hier in Hamburg einen Job bekommen und da musste er mitten im Schuljahr umziehen. Ist echt blöd für ihn, aber was will er machen? Sein Dialekt ist total lustig. Er kommt irgendwo aus Oberbayern bei München«, erzählte Sofia weiter.
Oberbayern! München! Lustiger Akzent! Mir schwirrte der Kopf. Das musste der Typ sein, der nach dem Sekretariat gefragt hatte, und nun ging er auch noch in Sofias Klasse. Ich musste unbedingt Katha fragen, ob sie das gewusst hatte.
Mir kam es so vor, als ob wir mal wieder extraviele Hausaufgaben aufhatten. Immer dann, wenn man es eilig hatte. Endlich war ich fertig, schnappte mir mein Fahrrad und fuhr zu Katha, die gerade aus dem Haus kam.
Wir radelten nebeneinander zum Stall und ich konnte meine Neugierde nicht länger im Zaum halten.
»Du, Katha, der Typ von heute Morgen. Hast du gewusst, dass der jetzt in Sofias Klasse geht?«
»Ach tatsächlich? Nein, woher denn? Ich habe ihn nur zum Sekki gebracht und das war alles. Woher weißt du das?«
»Na, Sofia hat es vorhin erzählt. Ich dachte, ihr hättet euch vielleicht ein bisschen unterhalten«, meinte ich und versuchte, ziemlich gleichgültig zu klingen.
»Das haben wir auch. Aber er wusste zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht, in welche Klasse er kommt«, erwiderte Katha. Stimmt! Auch wieder wahr! Darauf hätte ich selbst kommen können.
»Worüber habt ihr euch denn unterhalten?«, bohrte ich weiter.
»Über belanglose Sachen. Sag mal, was interessiert dich das denn? Findest du ihn etwa toll?«, fragte Katharina verwundert.
»Ich finde nur, dass er tolle Augen hat. Mehr nicht! Au ßerdem erinnert er mich an Jimi Blue aus ›Sommer‹. Vielleicht ist er auch so ein Außenseiter«, überlegte ich versonnen und malte mir bereits aus, wie ich sein armes, einsames Herz gewinnen konnte.
Katha schüttelte nur den Kopf. »Du spinnst ja!«
Sie kannte meine Schwäche für Jimi Blue und musste mit mir sogar zweimal ins Kino, um »Sommer« anzuschauen. Aber das war ja nur Schwärmerei, eigentlich interessierten mich Jungs nicht so sehr, bis … nun, bis heute! Plötzlich gab es da diesen süßen Typen aus Bayern, den ich unbedingt kennenlernen musste.
Inzwischen hatten wir den Gutshof erreicht und lehnten unsere Räder an die Stallmauer. Auf dem Hof waren einige Besitzer damit beschäftigt, ihre Pferde für einen Ausritt fertig zu machen. Nach dem wochenlangen Regen hatte der Sommer anscheinend beschlossen, blitzschnell aufzutauchen, und es herrschten angenehme Temperaturen um die 20 Grad. Genau richtig zum Ausreiten. Wenn es wärmer war, machte es auch keinen Spaß.
»Unsere Pferde sind nicht da«, stellte Katha mit einem Blick in den leeren Offenstall fest.
»Dann hat sie wohl jemand auf die Koppel gestellt«, seufzte ich.
Sicherlich hatte es dieser Jemand nur gut gemeint, aber wenn Painted Diamond erst mal auf der Koppel war, blieb er dort auch. Weder Futter noch gutes Zureden oder Bestechen konnte ihn dann dazu bringen, seine geliebte Fressstätte zu verlassen. Meistens half es nur, wenn wir die anderen Pferde mit runterholten. In diesem Fall würde uns das wohl nicht erspart bleiben. Seufzend nahmen wir alle drei Halfter und gingen zur Weide.
»Hallo Jenny!«, begrüßte ich unsere Freundin, die am Weidezaun lehnte.
»Hallo ihr beiden! Ich wusste nicht, wann ihr heute kommt, deswegen habe ich eure drei auch schon mal rausgebracht«, erzählte Jenny munter.
»Das war echt nett von dir. Aber leider müssen wir jetzt alle holen, weil Painted Diamond sich so schlecht einfangen lässt«, erklärte ich und schnitt eine Grimasse.
»Dann nehme ich Galina auch gleich mit. Reitet ihr heute wieder im Trailparcours?«, fragte Jenny.
Katha nickte: »Wenn du Lust hast, kannst du mitmachen.«
»Klar, gern!«
Wir schlüpften auf die Weide und riefen nach unseren Pferden. Während Galina, die braune Holsteinerstute, Amazing Grace und selbst Red Pepper neugierig näher kamen, drehte sich Painted Diamond von uns weg und zeigte mir demonstrativ sein braun-weiß geschecktes Hinterteil mit dem schwarzen Schweif. Na warte! Wenn er erst allein wäre, käme er schon angeschlichen.
Gutmütig ließen sich die beiden Stuten das Halfter überstreifen, und ich packte Red Pepper an der zweifarbigen Mähne, da wir ja nur drei Halfter mitgebracht hatten. Der Wallach würde aber auch so mitgehen. Als wir mit den Pferden die Weide verließen und auch das Gatter hinter uns schlossen, drehte sich Painted Diamond prompt um und wieherte den Pferden sehnsüchtig hinterher. Wir beachteten ihn nicht und das war für meinen eingebildeten Pinto-Araber zu viel. Mit schwungvollen Trabschritten und hoch erhobenem Schweif kam er an den Zaun. Grinsend öffnete ich das Gatter, zog ihm das Halfter über und führte ihn zu unserem Offenstall. Katha, Jenny und ich banden unsere Pferde am Zaun an, während Red Pepper sich in den Auslauf stellte und döste.
»Gracies Bauch ist schon wieder dicker geworden«, stellte Katha strahlend fest und tätschelte liebevoll die schwarzweiße Kruppe der Stute.
»Ach was? Das Fohlen kommt doch erst in zwei Monaten«, spottete ich gutmütig.
»Bist du schon aufgeregt?«, erkundigte Jenny sich, die von einem eigenen Fohlen ihrer Stute bisher nur träumen konnte.
»Und wie! Ich hoffe nur, es geht alles glatt!«
»Bestimmt! Der Tierarzt war doch bisher sehr zufrieden und meinte, dass alles in Ordnung ist«, beruhigte ich sie. »Ich würde mir lieber Gedanken machen, was du Tom sagst.«
Tom war der Besitzer des Hengstes, der Amazing Grace gedeckt hatte. Da Flying Dutch ein wertvoller Turnierhengst war, kostete eine Bedeckung von ihm normalerweise wahrscheinlich über tausend Euro. Doch Tom hatte seinen Hengst einfach zu Amazing Grace auf die Koppel gestellt, weil keiner etwas von Gracies Rosse bemerkt hatte. Deshalb sahen Sörenssens es gar nicht ein, Tom etwas zu bezahlen, wie sie Katha erklärt hatten. Nun, so wie ich Tom kannte, würde er das Ganze mit Galgenhumor nehmen. Doch sagen musste Katha es ihm auf jeden Fall.
»Ja, ich rede mit ihm, wenn er im Mai zum Lehrgang hier ist«, meinte Katha, der bei dem Gedanken auch nicht ganz wohl war.
Wir putzten unsere Pferde, unterhielten uns dabei und legten ihnen schließlich die Sättel auf und trensten sie. Da ich erst in der Leistungsklasse 4 ritt, zäumte ich Painted Diamond mit einer normalen Wassertrense, dem sogenannten Snaffle Bit. Erst in den höheren Leistungsklassen durfte man mit Westernkandare reiten. Die Zügel waren Split Reins, die am Ende offen waren, im Gegensatz zu den klassischen englischen Zügeln. Nachdem ich meinen Schecken gezäumt hatte, legte ich ihm sein Pad auf und darauf den Reiningsattel. Dieser Sattel eignete sich besonders gut fürs Training, da er eine Art Vielseitigkeitssattel unter den Westernsätteln war. Für die Trailturniere benutzte ich einen mit Silber beschlagenen Showsattel, der echt was hermachte. Auch Katha zäumte ihre Stute mit der traditionellen Westernausrüstung, wohingegen Jenny Galina auf die englische Weise zäumte und sattelte.
Wir nahmen unsere Pferde am Zügel und führten sie zu unserem Übungsplatz. Dort saßen wir auf und wärmten unsere Pferde erst einmal in den Grundgangarten auf.
»Willst du auch mit uns über die Wasserplane gehen?«, fragte ich Jenny.
»Ach, lass mal. Galina ist da immer noch etwas zickig. Ich will heute nur ein paar Stangenübungen mit ihr machen«, meinte Jenny.
Auch Katha und ich trabten erst über die Stangen, bevor wir uns der Wasserplane widmeten. Dort fingen wir mit Amazing Grace an, da sie diejenige war, die das schon recht gut machte. Katha stieg ab und führte ihre Stute an die Plane heran, an der sie sie erst mal in Ruhe das Wasser beschnuppern ließ. Dann trottete die Scheckstute völlig ruhig und gelassen über die Plane und Katha klopfte ihr stolz den Hals.
»So, jetzt bist du dran. Mach das genauso wie Gracie«, befahl ich meinem Wallach und führte nun ihn zu der Plane. Painted Diamond senkte seinen Kopf, schnoberte aufgeregt mit den Nüstern an der blauen Plane und sah mich dann erwartungsvoll an.
»Braver Junge! Bist doch mein Bester«, lobte ich ihn und klopfte den gefleckten Hals. Ich lief einen Schritt voraus und zupfte leicht am Zügel. Ohne mit der Wimper zu zucken, folgte Painted Diamond mir. Ich war platt. Wow! Das hätte ich nie von ihm gedacht. Begeistert lobte ich ihn und gab ihm ein Leckerli.
»Hey, das war super! Gleich noch mal!«, rief auch Katha und ging mit ihrer Stute wieder voran. Diesmal folgten Painted Diamond und ich ihnen sofort und wieder schritt mein Wallach brav über die Wasserplane.
»So, und nun probieren wir es mit Reiten«, schlug Katha vor und saß auf. Sie lenkte Amazing Grace zur Plane und ließ die Stute erst wieder kurz daran schnuppern, bevor sie darüberritt. Strahlend lobte Katha ihr Pferd.
Ermutigt durch die vorherigen Versuche, saß auch ich auf und lenkte meinen Schecken zur Plane. Ich ließ ihn kurz schnuppern, dann trottete er ebenfalls ganz ruhig darüber. Ich konnte es nicht fassen.
»Wow! Das hätte ich echt nicht von dir gedacht! Du überraschst mich doch immer wieder!«, rief ich begeistert und strich ihm durch die schwarze Mähne.
»Spitze! Jetzt das Ganze im Trab! Und ohne dass sie vorher an der Plane riechen! Inzwischen sollten sie sie kennen!«, meinte Katha und trabte mit Amazing Grace an. Da Amazing Grace eine Paint-Horse-Stute war, hatte sie eine Veranlagung zum Jog. Das war in der Westernreitweise ein langsamer Trab, sehr flach mit raumgreifenden Schritten. Man musste schon ein gewisses Feingefühl besitzen, um ein Pferd im Jog zu halten, da er eine Gradwanderung zwischen Schritt und normalem Trab darstellte. Vor allem in der Pleasure war der Jog erwünscht, und da Amazing Grace aus einer Pleasure-Linie stammte, war es für sie ein Leichtes, diese Arbeitsgangart stundenlang zu gehen. Im Gegensatz zu meinem Halbblüter, der von den Bewegungen her einem Araber glich und daher einen recht schwungvollen und schnellen Trab besaß. Deswegen nahm ich auch ungern an Pleasure-Prüfungen teil. Nun jogte Amazing Grace problemlos über die Wasserplane und Katharina war hochzufrieden.
»Also, dann zeig mal, dass du es genauso gut kannst!«, spornte ich meinen Araber an und gab ihm die Hilfen. Painted Diamond rannte los, als ob ihn eine Tarantel gestochen hätte.
»Hey, du Spinner! Mal ein bisschen langsamer!«, schimpfte ich und ließ ihn erst um den Platz traben, bevor ich ihn Richtung Plane lenkte. Painted Diamond näherte sich ihr mit großen Schritten, doch kurz bevor er den ersten Huf darauf setzte, blieb er so abrupt stehen, als hätte ich ihm den Befehl für einen Sliding Stop gegeben. Tja, und da ich mit dieser Reaktion beim besten Willen nicht gerechnet hatte, segelte ich über seinen Hals und landete unsanft mit dem Po im Wasser. Verdutzt schaute ich auf mein Pferd, das nun seelenruhig an mir vorbeischritt.
»Was für eine Vorstellung! Ihr seid reif für den Zirkus! Musst dich nur noch als Clown verkleiden!«, erklang Florians Gelächter vom Zaun.
Wütend rappelte ich mich auf und musste noch mehr Spott meiner Freunde ertragen. Ich ging auf Painted Diamond zu und wollte nach seinen Zügeln greifen, als dieses unmögliche Pferd kehrtmachte und quer über den Platz galoppierte. Zornig stampfte ich mit dem Fuß auf und rief seinen Namen, was diesen verrückten Gaul jedoch kein bisschen interessierte. Stattdessen galoppierte er unverdrossen mehrere Male über die Wasserplane, um mir zu beweisen, dass er es konnte, wenn er nur wollte. Jenny, Katha und Floh hielten sich vor Lachen die Bäuche und schließlich stimmte auch ich ein.
»Er ist und bleibt eben ein Clown«, tröstete Florian mich und ritt mit Red Pepper auf den Reitplatz.
»Ja, und er hält mich zum Narren«, knurrte ich und schnitt eine Grimasse.
»Soll ich ihn dir einfangen?«, bot sich Florian an.
Doch ich schüttelte den Kopf. Irgendwann würde er schon kommen.
»Freu dich doch! Er läuft problemlos über die Wasserplane!«, tröstete Katha mich, immer noch kichernd.
»Hm, wäre schön, wenn er auch mit mir über die Plane gehen würde«, spottete ich und sah meinem wild gewordenen Wallach nach, der immer noch munter über den Platz tobte.
Florian grinste breit und trabte mit Red Pepper an.
Anscheinend hatte Painted Diamond gemerkt, dass ich kein Interesse daran hatte, ihm hinterherzurennen, denn endlich gab er auf und kam zu mir. Grimmig ergriff ich die Zügel und schlang sie um den Zaun.
Katharina stieg ab und stellte sich neben mich, während wir beide Florian mit Red Pepper beobachteten. Im Stall und auf der Weide machte der Fuchsschecke stets den Eindruck, als ob er kein Wässerchen trüben konnte, doch auch wenn er unter dem Sattel die Zuverlässigkeit in Person war, konnte er recht temperamentvoll sein. Vor allem im Barrel Racing waren Florian und er ein unschlagbares Team und da kam es wirklich auf Schnelligkeit und Wendigkeit an.
»Könnt ihr mir bitte drei Tonnen in einem Dreieck aufbauen?«, bat Florian uns.
»Klar!«, riefen Katha und ich und liefen zur Scheune, um die drei selbst bemalten Fässer herauszuholen.
Jenny ließ unterdessen Galina um die Stangen traben und versuchte anschließend, die Stute in einem Stangenviereck mit einer offenen Seite rückwärts »einzuparken«, was ihr auch richtig gut gelang. Ich klatschte spontan Beifall, denn das hatte sie lange mit Galina geübt, wie ich wusste.
Zusammen mit Katha stellte ich die Tonnen auf, während Floh einige Schritt-Trab-Übergänge ritt. Jenny war mit ihrem Training fertig und gesellte sich zu uns an den Zaun, von wo wir Florian beim Barrel Race zuschauten. Es war beeindruckend, wie geschickt und wendig Red Pepper plötzlich war und im schnellen Trab Slalom um die Tonnen ging. Nachdem Florian das mehrere Male wiederholt hatte, galoppierte er an und ging dann in hohem Tempo ruhig um die Tonnen, wobei er darauf achtete, dass Red Pepper besonders enge Kehren machte, um daraufhin wieder schnell und flüssig zur nächsten weiterzugaloppieren. Was bei ihm so leicht und einfach aussah, darin steckte harte Arbeit, wie ich wusste, und ich freute mich riesig für Floh, dass er es schon so weit mit Red Pepper gebracht hatte.
Schließlich beendete er sein Training. »Habt ihr noch Lust auf einen kurzen Ausritt?«, fragte er.
»Gerne. Ist ja noch hell«, nickte ich begeistert. Auch Katha wollte sich uns anschließen.
»Ich kann leider nicht«, lehnte Jenny ab. »Meine Eltern sind heute Abend eingeladen, und ich habe versprochen, pünktlich zu Hause zu sein.«
»Okay, dann bis morgen!«, winkten wir ihr zu und ritten zu dritt vom Hof. Wir unterhielten uns über das Training und über Painted Diamonds Streiche.
»Eigentlich hättest du vorhin noch mal aufsteigen und erneut mit ihm über die Plane gehen sollen. Jetzt denkt er, das kann er immer machen, wenn ihm danach ist. Du musst konsequenter mit ihm sein, sonst macht der Bursche, was er will!«, tadelte Florian mich.
Ich verzog das Gesicht. Florian hatte natürlich recht, aber ich wollte es nicht zugeben.
»Jaaa, ich weiß«, brummte ich. »Er ist nun mal ein Schlingel.« Trotz seiner Streiche musste ich meinen Racker verteidigen, denn wenn es darauf ankam, konnte ich mich zu hundert Prozent auf ihn verlassen.
»Bei einem Turnier kannst du ihm so etwas nicht durchgehen lassen.«
»Ich weiß!«, wiederholte ich genervt. Was musste Floh denn immer noch auf dieser Blamage herumreiten.
»Warum bist du denn so genervt?!« Erstaunt sahen mich Floh und Katha an.
»Ich bin gar nicht genervt«, verteidigte ich mich schmollend.
»Die ist heute schon den ganzen Tag so drauf«, stichelte Katha.
»Wieso denn das?« Erstaunt blickte Floh mich an, doch noch bevor ich etwas dazu sagen konnte, fiel ihm ein: »Aha! Die Mathearbeit! Wie ist es denn gelaufen?«
»Ach na ja, ging so. Kann ich jetzt noch nicht sagen. Mal schauen«, wich ich ihm aus.
»Das heißt also, es lief schlecht«, urteilte Florian seufzend.
Ich zuckte mit den Schultern und grinste schief. Florian schüttelte nur den Kopf.
»Aber nicht nur deswegen ist sie schlecht gelaunt, sondern weil …«
O Mann, warum konnte Katha nicht ein Mal ihren Mund halten? Sie war drauf und dran, Floh von »Jimi Blue« zu erzählen, dabei ging ihn das gar nichts an! Bevor also diese dämliche Kuh weiterquasseln konnte, galoppierte ich Painted Diamond an, und die Pferde meiner Freunde folgten ihm sofort.
»Hey! Du hättest uns warnen können!«, rief Katha verärgert.
»Hättest eben besser aufpassen müssen!«
Zum Glück bemerkte Florian unsere kleinen Sticheleien nicht, sondern war darauf konzentriert, mir hinterherzujagen. Red Pepper, der auf Kurzstrecken sehr schnell war, hatte mich kurz darauf eingeholt, doch da eine längere Galoppstrecke vor uns lag, vertraute ich auf die Ausdauer meines Arabers. Katharina hatte Amazing Grace inzwischen wieder zum Schritt durchpariert, da sie sie wegen des Fohlens schonen musste. Florian und ich lieferten uns ein heißes Wettrennen, das ich schließlich gewann. Dann warteten wir auf Katha und ritten gemeinsam zum Hof zurück. Zum Glück hatte Floh vergessen, was Katha sagen wollte, und sie schien begriffen zu haben, dass es mir nicht recht war, wenn sie es Florian erzählte.
Wir versorgten unsere Pferde, brachten sie in den Offenstall und gaben ihnen Futter. Wieder ein Tag rum, und schneller, als ich dachte, aber so war das nun mal, wenn ich bei den Pferden war. Bevor ich einschlief, musste ich wieder an den fremden Jungen mit den tollen Augen denken. Irgendwie musste ich versuchen, ihn zu treffen. Die Frage war nur, wie?