»Klassische« Dressur
Nach den vergangenen Tagen mit Sonnenschein folgte ein Wetterumschwung und brachte Regen.
Es war Donnerstag und ich stand im Auslauf und schaufelte die Pferdeäpfel weg, wobei es leicht regnete, was mich aber nicht weiter störte. Ich trug meinen Cowboyhut und eine regendichte Jacke sowie Gummistiefel. Das Einzige, was mich nervte, war, dass Painted Diamond mir ständig in den Weg lief und immer dort stand, wo ich gerade am Misten war.
»Sag mal, machst du das mit Absicht oder was soll das?«, schimpfte ich aufgebracht und tippte ihm mit der Schaufel auf das Hinterteil, was ihn natürlich nicht die Bohne interessierte.
»Warum kannst du nicht wie Gracie und Pepper vorne am Unterstand stehen und Heu knabbern?«, grummelte ich genervt und schob Painted Diamond zur Seite. So arbeitete ich mich Meter für Meter voran, bis ich alles eingeklaubt hatte, wobei mir mein Schecke auf Schritt und Tritt gefolgt war. Ich brachte den Mist weg, und als ich zurückkam, stand Floh da, der gerade das Wasser aus Peppers Fell zog.
»Hi! Willst du ausreiten?«, erkundigte ich mich.
»Hi Rike! Ja, hast du Lust mitzukommen?«
»Hm, weiß nicht. Bei dem Schietwetter?« Stirnrunzelnd blickte ich in den wolkenverhangenen Himmel, aus dem es immer noch Bindfäden regnete.
»Na los! Sei kein Frosch! Du bist doch sonst nicht so empfindlich!«, forderte Floh mich auf.
»Ich bin gar nicht empfindlich!«, brauste ich sofort auf. »Okay, warte. Ich werde etwas länger brauchen, um meinen Dreckspatz sauber zu bekommen.« Ich drehte mich zu Painted Diamond um, wollte ihn an der Mähne packen, doch dieses Scheusal warf den Kopf hoch, wendete abrupt und galoppierte davon, dass der Dreck nur so unter seinen Hufen flog.
»Lach jetzt bloß nicht!«, knurrte ich und warf Florian einen warnenden Blick zu, der sich mühsam beherrschte. Doch schließlich konnte er nicht mehr und es platzte aus ihm heraus.
»Du solltest ihn wirklich besser erziehen!«, erklärte Floh, nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
»Vielen Dank für deinen Ratschlag!«, zischte ich. »Also los, das gleiche Spiel wie immer. Futter her!«
»Nein, diesmal versuchen wir es auf meine Weise!«, erklärte Florian und fing an, in Windeseile Red Pepper zu satteln.
»Was hast du vor?«, fragte ich gespannt und stemmte neugierig meine Arme in die Seiten.
»Pass auf«, grinste Floh und streifte seinem Schecken die Westernkandare über. Dann setzte er seinen Cowboyhut auf, schnallte sich seine Chaps an und stieg auf.
»Reich mir mal mein Lasso«, bat er.
Ich grinste breit, denn ich ahnte, was er vorhatte. Florian hatte es sich nämlich in den Kopf gesetzt, nächstes Jahr in Prüfungen zu starten, bei denen er Kälber einfangen musste.
»Den erwischst du nie!«, prophezeite ich ihm und reichte ihm das Lasso.
»Um was wetten wir?« Flohs blaue Augen funkelten vergnügt.
»Weiß nicht!«
»Um einen Kinoabend oder DVD-Abend bei mir?«
»Von mir aus«, willigte ich ein. In letzter Zeit schien Floh sehr oft Lust auf Kino zu haben.
»Gut, und nun pass auf, wie ich deinen Wildfang einfange!« Er trabte an und näherte sich ihm schräg von der Seite. Doch mein Schecke wäre nicht mein Schecke gewesen, hätte er nicht genau durchschaut, was Floh vorhatte. Im Nu hatte Painted Diamond gewendet und galoppierte in die entgegengesetzte Richtung davon, wobei er Floh und Red Pepper netterweise mit Schlamm bespritzte. Ich bog mich vor Lachen, während Florian ihm hinterhergaloppierte, den nun der Ehrgeiz gepackt hatte und der in schönster Manier sein Lasso schwang. Das Ganze erinnerte mich an eine Szene eines Westernfilms, und ich musste gestehen, dass Floh als John Wayne keine schlechte Figur machte. Trotzdem, Painted Diamond war für seine mageren Lassokünste viel zu gewandt, aber er schien Spaß an der Sache zu haben, von Floh und Red Pepper durch den Paddock gescheucht zu werden. Schließlich fand er wohl, dass es genug war, und trabte mir mit gespitzten Ohren entgegen. Schnaubend blieb er vor mir stehen und stupste mich auffordernd an, als ob ich ihn für seine Schandtaten nun auch noch loben sollte.
»Nichts da, belohnt wirst du dafür nicht auch noch«, grummelte ich, konnte mir ein Grinsen aber nicht verkneifen. Ich packte ihn an der dreckigen und nassen Mähne, streifte ihm das Halfter über und band ihn an.
»War wohl nichts mit deinen Lassokünsten!«, zog ich Floh triumphierend auf. Doch der hob nur lachend seinen Hut und fuhr sich durch das verstrubbelte Haar.
»Keine Sorge! Beim nächsten Mal klappt es bestimmt! Muss nur mehr üben!«
»Na, mein Racker gibt dir sicher mal wieder die Gelegenheit dazu«, kicherte ich.
»Hast du trotzdem Lust, am Samstag bei mir DVDs zu schauen?«, fragte Floh mich.
»Hm, mal sehen, was Katha vorhat.«
»Ich dachte, nur wir zwei«, druckste Floh herum.
Ich sah ihn etwas erstaunt an, doch bevor ich genauer darauf eingehen konnte, wurden wir von einem empörten Quietschen von Amazing Grace unterbrochen. Mein Racker hatte sich ihr auf uncharmante Art und Weise genähert und sie ins Hinterteil gezwickt.
»Auf, lass uns endlich losreiten, sonst wird das heute nichts mehr!«, rief Floh und griff energisch in Diamonds Halfter, um ihn von der Stute wegzuziehen.
In Windeseile säuberte ich notdürftig mein verdrecktes Pferd, sattelte und trenste es und saß auf. Der Regen hatte zum Glück etwas nachgelassen und mein Hut und die Chaps hielten das Schlimmste ab.
Wir ritten los, und als wir ein kleines Waldstück erreicht hatten, hörte der Regen sogar auf, und es tropfte nur noch vereinzelt durch das Blätterdach. Red Pepper und Painted Diamond schritten einträchtig nebeneinanderher und kauten zufrieden auf ihren Gebissen, während Florian und ich uns über alles Mögliche unterhielten. Nach einer Weile trabten wir an.
»Dort vorne ist der Boden etwas fester. Da können wir galoppieren!«, meinte ich, und Florian nickte.
Wir ließen unsere Pferde angaloppieren, und ich spürte, wie sehr Painted Diamond den Ritt genoss. Ich fühlte den rhythmischen Dreitakt unter mir und vor mir flatterte die schwarze Mähne. Am Ende des Waldwegs parierten wir wieder zum Schritt durch.
»Ach, war das schön!«, strahlte ich begeistert und streichelte den feuchten Hals des Pinto-Arabers.
»Wollen wir mal tauschen?«, schlug Floh plötzlich vor.
»Klar, warum nicht?« Ich hielt an und stieg ab. Schon oft hatten wir unsere Pferde getauscht, und mir machte es großen Spaß, Red Pepper zu reiten, auch wenn mir Diamonds Temperament im Gelände lieber war. Wie breit mir der Fuchsschecke vorkam und wie flach seine Schritte waren! Aber ansonsten war es ein Genuss, ihn zu reiten.
Wir lieferten uns später noch ein kleines Wettrennen, das Floh mit meinem Racker haushoch gewann. Als wir zum Stall zurückkehrten, waren wir genauso dreckig und mit Schlamm bespritzt wie unsere Pferde.
Gut gelaunt sattelten wir unsere Pferde ab und gaben ihnen Heu. Da sie es gewohnt waren, bei jedem Wetter draußen zu sein, hatten sie ein starkes Immunsystem entwickelt, und so machten es ihnen auch jetzt nichts aus, leicht verschwitzt im Freien zu stehen. Außerdem hatten sie immer die Möglichkeit, in den trockenen und zugfreien Stall zu gehen.
Florian und ich packten alles zusammen, dann liefen wir zu unseren Rädern und radelten nach Hause.
Vor unserer Haustür blieb Florian kurz stehen. »Wollen wir am Samstag Mathe lernen?«
Ich verzog das Gesicht. »Dann lieber DVD schauen«, meinte ich.
Florian hob drohend den Zeigefinger. »Aber Mathe müssen wir auch wieder lernen!«
»Ja, ja, ja.«
»Weißt du eigentlich, dass du im Gesicht ganz dreckig bist?« Sprach’s und fuhr mir mit seinem Dreckfinger über die rechte Wange.
»Hey!«, rief ich empört und warf mich lachend auf ihn.
Wir kabbelten uns einige Minuten und versuchten, uns gegenseitig zur Erde zu werfen, bis wir schließlich beide lachend im Gras lagen. Mit einem freundlichen Handschlag verabschiedeten wir uns schließlich voneinander und ich ging ins Haus. Grinsend musterte ich mich in unserem großen Flurspiegel. Meine durchnässten Jeans wiesen mehrere Grasflecke auf, meine Hände und mein Gesicht waren leicht mit Dreck verschmiert und die braunen Haare hingen mir nass und zerzaust auf die Schultern. Was soll’s? Ich würde unter die Dusche springen und danach sähe ich wieder menschlich aus.
Ich zog gerade meine Schuhe aus, als jemand aus der Wohnung kam. Da ich gebückt und mit dem Rücken zur Tür stand, bekam ich nicht mit, wer in den Flur hinaustrat.
»Na, wer reckt mir denn da seinen hübschen Hintern entgegen?«, erklang eine mir wohlbekannte Stimme. Vor Schreck verlor ich das Gleichgewicht und landete unglückseligerweise auf dem Bauch. Im Angesicht unserer Fliesen lag ich nun da und wünschte mir zum wiederholten Male, die Gabe zu besitzen, mich in Luft auflösen oder ganz und gar im Boden versinken zu können.
»Annrike? Bist du das?«
»Nein, nur ihre Zwillingsschwester«, knurrte ich und blieb liegen. Mein Gott, war mir das peinlich! Warum, warum musste ausgerechnet immer mir so etwas passieren? Nicht nur dass ich aussah wie ein Dreckspatz, nein, nun lag ich schon wieder vor Nico auf dem Boden. Er musste mich für einen kompletten Volltrottel halten.
»Ist es auf dem Boden so gemütlich, dass du nicht mehr aufstehen willst?«, erkundigte Nico sich leicht spöttisch.
»Ich suche meine Kontaktlinse«, brummelte ich und erhob mich.
Das war ein Fehler. Nico glotzte mich jetzt aus großen Augen an und dann fing er lauthals an zu lachen. In dem Moment wurde mir wieder bewusst, wie ich eigentlich aussah, und ich lief knallrot an. Wäre ich doch nur am Boden geblieben und hätte mich ohnmächtig gestellt. Da wäre mir immer noch die Hoffnung geblieben, dass Nico mich mit einem Kuss wiederbeleben würde, aber so?
»Sag mal, wie siehst du denn aus?«, lachte Nico amüsiert. »Bist du etwa von deinem wilden Mustang geflogen?«
»Nein, ich war ausreiten. Bei dem Wetter wird man eben etwas schmutzig«, sagte ich und versuchte, nicht allzu gereizt zu klingen.
»Also, wenn ich ausreite, ist vielleicht danach mein Pferd dreckig, aber nicht ich, und schon gleich gar nicht von Kopf bis Fuß«, meinte Nico und musterte mich argwöhnisch von oben bis unten.
Verfluchter Mist! Er hatte ja recht! Aber ich konnte ihm doch schlecht auf die Nase binden, dass ich mir gerade noch mit Floh eine Schlammschlacht geliefert hatte. Was würde er dann von mir denken? Bis jetzt hatte er sowieso nicht die beste Meinung von mir!
»Warst du mit Katharina ausreiten?«, wollte Nico wissen.
»Nein, sie hat heute Geigenunterricht.«
»Sie spielt Geige?!«
»Ja, schon ziemlich lang«, sagte ich abweisend. Was interessierte mich Kathas Geigenunterricht? Unser Gespräch geriet ins Stocken, und ich überlegte krampfhaft, wie ich es in Gang halten konnte. Ich war doch sonst nicht auf den Mund gefallen, warum fiel mir nur bei Nico nie etwas ein?
»Ja, dann noch viel Spaß beim Saubermachen«, grinste Nico und ging an mir vorbei zur Tür. Nein, er durfte nicht gehen! Diese Chance durfte ich mir nicht entgehen lassen. Aber wie sollte ich ihn aufhalten? Verflucht noch mal! Wie konnte ich ihn aufhalten?
»Ähm, was... was hast du hier eigentlich gemacht?«
»Sofia und ihre Freundin halten nächste Woche ein Referat in Physik und da habe ich ihnen etwas erklärt.«
Physik! Mathe! Nachhilfe! Das war es!
»Du bist wohl recht gut in Physik und Mathe, oder?«, fragte ich ihn und schaute ihn mit meinem verheißungsvollsten Augenaufschlag an.
»Ja, geht so. Ich kann mich nicht beklagen.«
»Meinst du, du könntest mir ein bisschen Nachhilfe geben? Ich hatte in der letzten Mathearbeit eine Fünf und Physik ist auch nicht so meine Stärke. Meine Eltern meinten, dass ich dringend Nachhilfe brauche, und außer dir kenne ich niemanden, der in Mathe und Physik gut ist«, flunkerte ich und bat Floh im Stillen um Vergebung.
»Ach, ich weiß gar nicht, ob ich dazu Zeit habe. Außerdem müsste ich mich erst mal in euren Stoff einlesen«, wehrte Nico ab.
»Das ist doch für dich gar kein Problem! Bitte! Ich muss in der nächsten Arbeit mindestens eine Drei schreiben. Wir könnten uns doch immer samstags vor der Reitstunde treffen. Du bist doch auch immer samstags im Reitstall, oder?«
»Ich bin jeden Tag dort, weil Noblesse da steht.«
»Ja, aber es wäre für dich doch kein Problem: Erst könnten wir hier lernen und dann zusammen zum Stall reiten beziehungsweise fahren.«
»Ist ein bisschen umständlich, oder nicht? Immerhin muss ich erst von der Stadt hierher, dann mit dem Rad zum Stall und von dort aus wieder nach Hause.« Nico sah nicht gerade begeistert aus und ich konnte seine Bedenken sogar verstehen. Es war schon etwas umständlich.
»Dann schlag einen anderen Tag vor!«
»Hm, das ist auch wieder ungünstig, weil wir oft nachmittags Schule haben. Außer donnerstags. Wenn wir uns da in der Bücherei treffen?«, machte Nico einen Vorschlag.
Eigentlich hätte ich nun vor Freude jubeln müssen, denn er ging tatsächlich auf meine Idee ein. Doch wie sollte ich am Donnerstagnachmittag nach Hause kommen? Da müsste ich bis zum Abend warten und darauf hatte ich wirklich keine Lust. Aber Moment, da kam mir eine Idee …
»Donnerstag ist prima! Wenn wir immer bis halb vier lernen, dann könnte ich zusammen mit Katha nach Hause fahren. Die hat donnerstags immer Geigenunterricht«, beeilte ich mich zu sagen und versuchte, nicht allzu sehr zu strahlen.
»Okay, prima! Vielleicht mag Katha ja ein bisschen mitlernen?«
»Och, glaub ich nicht. Die ist ganz gut in Mathe. Aber lernen können wir zusammen nicht. Da fangen wir immer an, über alles Mögliche zu quatschen, und kommen gar nicht voran«, sagte ich schnell.
»Also gut, dann bis Donnerstag«, sagte Nico und öffnete die Tür.
»Tja, ich würde sagen, bis Samstag, oder?«
»Stimmt, da ziehst du mit deinem Mustang wieder eine Wildwest-Show ab! Viel Spaß beim Fallen«, fügte Nico grinsend hinzu und trat ins Freie.
»Ha, ha, ha«, murmelte ich und sah ihm leise grummelnd hinterher.
 
Am nächsten Morgen konnte ich es kaum abwarten, Katha von meinem genialen Plan zu erzählen.
»Du hast Nico überredet, dass er dir Nachhilfe gibt?« Ungläubig starrte sie mich an, als wir an der Bushaltestelle auf den Bus warteten.
Heftig nickte ich und konnte es nicht verhindern, dass ich übers ganze Gesicht strahlte.
»Und was sagt Floh dazu? Oder willst du nun von beiden Nachhilfe?« Argwöhnisch zog Katha die Brauen hoch.
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, gestand ich. »Hm, na, dann sage ich Floh eben, dass es bisher nicht so viel gebracht hat und dass meine Eltern meinen, ich solle mich nach einem anderen Nachhilfelehrer umschauen.«
»Ha! Das glaubt er dir erstens nie im Leben, dazu kennt er deine Eltern schon viel zu lange, und zweitens finde ich es nicht ganz fair!«
»Hast du etwa eine bessere Idee, wie ich Nico sonst näherkommen kann?«, fuhr ich Katharina ungewohnt heftig an. Wie konnte sie mir nur meine so geniale Idee auf einmal mies machen?
Sie schwieg einen Augenblick, dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Ehrlich gesagt nicht.«
»Na siehst du!«, trumpfte ich auf. Katharina erwiderte darauf nichts, aber ich spürte, dass sie meinen Plan immer noch nicht so toll fand, auch wenn sie sich bereit erklärt hatte, mich in Zukunft immer donnerstags mit nach Hause zu nehmen.
 
 
Florian zu beichten, dass ich ab jetzt nicht mehr auf seine Hilfe in Bezug auf Mathe und Physik angewiesen wäre, war doch nicht so einfach, wie ich dachte. Tatsächlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, als ich ihn am Samstag im Stall darauf ansprach. Noch mehr jedoch ärgerte mich seine Reaktion. Er wurde stinksauer und warf mir tatsächlich vor, dass ich in Wahrheit doch überhaupt keine Nachhilfe von Nico wollte, sondern nur einen Grund suchte, um mich an ihn ranzumachen. Na ja, ganz unrecht hatte er ja damit nicht, aber ich musste ihm schließlich nicht gleich auf die Nase binden, dass ich mich in Nico verliebt hatte. Das ging Floh nun wirklich nichts an. Für den Rest des Vormittags strafte er mich mit stummer Verachtung! Meine Güte, was konnten Jungs manchmal kindisch sein! Sollte er doch froh sein, dass er seine Freizeit nicht mehr als Lehrer zubringen musste.
Am Nachmittag machten wir drei unsere Pferde für die Reitstunde fertig. Katharina würde ebenfalls mitkommen, auch wenn sie nur zusah. Ich fand es zwar ein bisschen albern, dass sie Amazing Grace wie ein rohes Ei behandelte und ihr gar nichts mehr zutraute, aber in diesem Fall hatte Katha wohl die Überbesorgtheit ihrer Mutter geerbt.
Painted Diamond spielte mit seinem Anbindestrick, den er zum Glück nicht losbekam, dann schnappte er nach Red Pepper. Der Fuchsschecke war aber gar nicht zu Scherzen aufgelegt, legte warnend die Ohren an und bleckte die Zähne. Painted Diamond schnaubte empört und biss ihm spielerisch in den Hals, was Red Pepper mit einem heftigen Ausschlagen quittierte.
»Sag mal, spinnst du?«, rief ich und machte einen Satz zur Seite. »Pass mal auf dein Pferd auf!«, motzte ich Florian an.
»Pass mal lieber selbst auf! Schließlich hat dein Spinner angefangen!«, sagte Florian ungerührt.
Ich hatte bereits eine spitze Bemerkung auf der Zunge, doch Katharina unterbrach uns: »Hört auf zu streiten! Das ist doch absolut kindisch!«
»Er hat angefangen!« - »Sie hat angefangen!«, erklang es gleichzeitig.
Florian und ich starrten uns wütend an, doch dann verzog sich Flohs Gesicht zu einem Grinsen und ich musste auch lachen.
»Na also, geht doch«, erklärte Katharina zufrieden, und wir beeilten uns, die Pferde fertig zu machen.
Auf dem Weg zum Reiterhof ritten Katharina und ich Seite an Seite. Florian hatte sich gleich zu Anfang abgesetzt und trabte in einem flachen Jog voraus.
»Ob Nico auch da sein wird?«, sinnierte ich und zog die Krempe von meinem Cowboyhut tiefer ins Gesicht, damit die Sonne mich nicht so blendete.
»Keine Ahnung. Ich denke schon, dass er da sein wird. Immerhin hat er seine Stute dort stehen.«
»Hoffentlich treibt Diamond heute nicht wieder irgendwelchen Unfug«, bangte ich und blickte skeptisch auf die schwarze Mähne vor mir.
»Dann musst du ihn eben besser erziehen«, lachte Katharina.
»Als ob ich das nicht schon oft genug versucht hätte«, seufzte ich. »Hm, ich könnte Nico doch gleich mal fragen, ob er nicht Lust hätte, morgen mit uns auszureiten.«
»Was heißt hier uns? Wenn ich mitkomme, dann reite ich nur Schritt und Trab, und ich glaube nicht, dass Floh so erpicht darauf ist, dich und Nico zu begleiten«, gab Katha kichernd zu bedenken.
»Warten wir es ab«, erwiderte ich nur und fühlte mich bereits in Hochstimmung versetzt. Nun konnte ich Nico jederzeit anquatschen, wenn ich ihn sah, und das allein war schon tausendmal besser als dieses heimliche Beobachten und Herumschleichen.
Als wir auf den Hof ritten, erwartete Floh uns bereits, und wer stand neben ihm? Kein anderer als Nico mit Noblesse.
»Da kommt ihr ja endlich! Ich dachte schon, ihr seid eingeschlafen!«, empfing Florian uns.
»Es war Kathas Schuld! Sie will Gracie nicht überanstrengen!«, beeilte ich mich zu sagen. Nicht dass Nico von mir dachte, ich würde nur im Bummelschritt reiten.
»Das Fohlen kommt schließlich schon in sechs Wochen«, warf Katha ein.
»Es käme auch, wenn du einen Tick schneller reiten würdest«, witzelte Floh, und ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen. Zum Glück wusste Katha, wie Floh es meinte, und nahm ihm diese Bemerkung nicht krumm.
»Ich gebe Katharina schon recht. Bei trächtigen Stuten sollte man immer sehr vorsichtig sein«, meldete Nico sich und warf Florian einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Ja, aber man muss sie nicht wie ein rohes Ei behandeln, oder?«, erklärte ich hitzköpfig. Dieses Getue um Amazing Grace’ Geburt nervte mich langsam.
»Das mach ich auch gar nicht.« Katharina saß seelenruhig ab.
»Los, komm, Mark wartet schon auf uns«, wandte Florian sich an mich, und wir ritten zum Reitplatz hinüber, auf dem unser Unterricht stattfand.
»Katha, kommst du mit?«, rief ich ihr über die Schulter zu.
»Ja, gleich!«, erklang ihre Antwort. Als ich mich kurz umdrehte, sah ich, wie sie sich immer noch mit Nico unterhielt. Irgendwie passte mir das gar nicht.
Mark stand bereits auf dem Reitplatz und hatte mehrere Hindernisse aufgebaut, unter anderem ein Tor, eine Brücke und eine Wippe, meine geliebte Wasserplane und mehrere Stangen.
»So, ich hole euch noch ein Gatter, während ihr eure Pferde aufwärmt!«, wies Mark uns an. Wir nickten und trabten und galoppierten an. Anstatt mich jedoch auf meinen Wallach zu konzentrieren, wanderte mein Blick immer wieder zu Katha und Nico hinüber, die immer noch zusammenstanden. Meine Unaufmerksamkeit nutzte Painted Diamond sofort aus und fing an, Unsinn zu machen. Ich sammelte mich und richtete nun meine Konzentration auf meinen Schecken. Immerhin wollten wir in fünf Wochen an einem Turnier teilnehmen. Da musste ich mich zusammenreißen.
Als Mark kam, hatte ich mich gefangen und freute mich auf das Training. Wir ritten im Schritt über die Brücke und Wippe, öffneten vom Sattel aus das Gatter und das Tor, ritten hindurch, übten Schritt-, Trab- und Galoppübergänge und einige Wechsel. Mittlerweile hatten sich Katharina und Nico zusammen an den Zaun gestellt und beobachteten uns. Daher strengte ich mich besonders an, um Nico davon zu überzeugen, dass Westernreiten nichts mit wildem Rodeoreiten zu tun hatte. Glücklicherweise schien auch Painted Diamond einen guten Tag zu haben und es lief super. Souverän trabte er durch das Tor und zuckte nicht mit der Wimper, als wir über die Wippe schritten. Strahlend klopfte ich seinen Hals.
»Reitet jetzt über die Wasserplane!«, befahl uns Mark, und ich sah mit ungutem Gefühl zu der blauen Plastikplane. »Macht Painted Diamond immer noch solche Zicken?«
»Na ja, kommt drauf an«, antwortete ich schulterzuckend. »Mal geht er brav rüber, und dann wieder führt er sich auf, als ob er noch nie Wasser gesehen hätte.«
»Dann soll Pepper vornweg gehen!«
Florian ritt an und Red Pepper schritt absolut ruhig und zuverlässig über die Wasserplane.
»Annrike! Schließ dich ihm direkt an!«
»Hast du zugeschaut? So geht das!«, flüsterte ich Painted Diamond zu und ritt an. Red Pepper verließ gerade die Plane, als mein Wallach den ersten Huf daraufsetzte. Er stutzte kurz, schaute nach unten, blieb stehen und lief wieder los. Schnaubend und mit raschen Schritten setzte er über die Plane.
»Gut gemacht und jetzt lob ihn!«
Strahlend klopfte ich Painted Diamonds Hals. »Prima, mein Junge! Ganz große Klasse!«
Die Stunde war beendet und wir ritten zum Zaun.
»Das war doch richtig gut von Diamond«, lobte auch Katha und gab ihm ein Leckerli.
»Dann hat sich das Üben also gelohnt«, stellte Floh fest.
»Das kannst du wohl sagen«, meinte ich glücklich. »Nico, hättest du Lust, morgen auszureiten?«, fragte ich ganz spontan.
»Hm, wohin wollt ihr denn reiten?«
»Ja … also, eigentlich dachte ich …« Was ich dachte, dass ich nämlich mit ihm allein ausreiten wollte, erfuhr er nie, da Katharina mich in diesem Moment unterbrach.
»Es gibt einen schönen Reitweg über die Felder, der zu einem kleinen Weiher führt.«
»Das klingt doch nicht schlecht«, meinte Nico sofort. »Kann man da auch baden?«
»Nein, zu viel Schilf und voll mit Entengrütze«, sagte Florian. »Aber es gibt hier einige Seen, in denen wir mit den Pferden schwimmen können.«
»Aber dazu ist es mir im Moment sowieso noch zu frisch«, wandte ich ein. »Floh, kommst du morgen auch mit?«
»Ach, weiß nicht. Ich habe eigentlich keine Zeit«, antwortete Floh.
Erstaunt sah ich ihn an. Normalerweise hatte Floh immer Zeit zum Ausreiten. Na, dann eben nicht. Würde Katharina nicht mitkommen, hätte ich Floh sowieso nicht gefragt.
Wir verabredeten uns für drei Uhr am Reitstall und ritten anschließend nach Hause. Da Florian noch eine Weile im Stall bleiben und sich mit einigen Leuten unterhalten wollte, waren Katharina und ich allein.
»Sag mal, wie kommst du eigentlich dazu, dich so aufzudrängen? Ich wollte mit Nico allein ausreiten!«, warf ich Katha vor.
»Er hat doch ausdrücklich gefragt, wo wir hinreiten! Er ist einfach davon ausgegangen, dass wir zusammen ausreiten«, verteidigte Katha sich.
»Trotzdem«, maulte ich.
»Mensch, Rike! Du kannst ihn doch nicht zwingen, allein mit dir auszureiten! Vielleicht klappt das ja beim nächsten Mal. Außerdem hatte ich nicht gerade das Gefühl, dass er erpicht darauf wäre, allein mit dir zu sein«, wandte Katharina vorsichtig ein.
»Das werde ich ja nun auch nicht herausfinden, da du freundlicherweise mitkommst!«
»Frag doch Floh, ob er nicht doch Zeit hat, und dann hänge ich mich an Floh, und du kannst neben Nico reiten«, schlug Katha versöhnlich vor.
»Hm, ich habe keine Lust, Floh zu fragen. Der ist irgendwie komisch, seit er weiß, dass Nico mir Nachhilfe geben wird«, brummte ich.
»Soll ich ihn fragen?«
»Wenn du Lust hast. Wäre schon gut, wenn er auch mitkäme.«
»Okay, dann frage ich ihn.«
»Aber sieh zu, dass er wirklich an deiner Seite bleibt!«
»Ich werde mein Bestes geben und alles versuchen, damit er, durch meine bezaubernden Augenaufschläge dazu verleitet, an meiner Seite verweilt«, versprach Katharina lachend.
 
 
Ich war am nächsten Tag ganz schön aufgeregt und freute mich tierisch, Nico zu sehen. Hoffentlich würde sich endlich eine Gelegenheit ergeben, mich mal länger mit ihm zu unterhalten. Wobei ja auch bald Donnerstag war und während der Nachhilfe hatte ich ihn dann wirklich ganz für mich allein.
Als ich mit Katha am Stall eintraf, überraschte es mich, dass Floh bereits da war und gerade Red Pepper sattelte.
»Hallo Floh! Reitest du nun doch mit?«, fragte ich erstaunt.
»Ja, ich habe es mir noch mal überlegt«, meinte dieser nur und beschäftigte sich weiter mit dem Sattel. Ich zwinkerte Katharina dankbar zu und sie lächelte. Fröhlich pfeifend machten wir unsere Pferde fertig. Da Painted Diamond sah, dass seine Stallgefährten mitkamen, machte er auch keinerlei Probleme.
Pünktlich um drei Uhr waren wir am Reitstall, wo uns Nico bereits mit Noblesse erwartete.
»Hallo Nico!«, rief ich strahlend.
»Hallo ihr drei!«, antwortete er gut gelaunt und saß auf.
Wie versprochen ritt Katharina schnell an und gesellte sich an Florians Seite. Ich reihte mich hinter den beiden ein und Nico ritt neben mir.
»Ihr seid schon ein lustiges Völkchen«, bemerkte Nico und sah uns kopfschüttelnd an.
»Warum?«
»Na ja, allein eure Kleidung. Man könnte echt meinen, ihr kommt aus dem Wilden Westen.«
»So soll es auch aussehen«, sagte ich zufrieden und lächelte ihn an. Katha, Floh und ich trugen unsere Cowboyhüte, Jeans und Chaps. Nico sah dagegen in seiner Reithose, den Stiefeln und der vorschriftsmäßigen Kappe regelrecht langweilig aus.
»Was ist das überhaupt für eine Rasse, die du da hast? Ein Mustang ist es ja wohl nicht.« Fragend blickte Nico mich an.
Darüber erfreut, dass er Interesse an Painted Diamond zeigte, sprudelte ich wie ein Wasserfall los und erzählte ihm alles, was mit ihm zusammenhing. So ritten wir eine Weile vor uns hin, bis Florian von vorne meinen Redefluss unterbrach.
»Wollen wir ein bisschen schneller reiten? Pepper hätte es mal nötig.«
»Klar! Diamond würde ein kleiner Galopp auch gefallen!«, rief ich sofort.
»Okay, dann galoppiert ein Stück, aber ich werde nur einen Jog reiten. Ein schnelleres Tempo möchte ich Gracie nicht zumuten«, sagte Katha.
»Dann bleibe ich bei dir«, bot sich Nico sofort an. »Ich weiß zwar nicht, was ein Jog ist, aber für Noblesse ist so ein wildes Gerenne auch nichts.«
»Ach was! Sicherlich hat sie Spaß am Galoppieren mit den anderen Pferden«, wischte Katharina schnell seine Bedenken weg.
»Jetzt hab dich mal nicht so! Galoppierst du nie im Gelände?«, verwundert blickte Florian ihn an.
»Schon, aber sehr ruhig. Noblesse ist immerhin ein wertvolles Dressurpferd, und ich muss aufpassen, dass sie sich nicht verletzt«, verteidigte Nico sich.
»Also, was ist jetzt? Galoppieren wir oder nicht?« Irgendwie war ich die ganze Diskussion leid.
»Natürlich! Was denkst du denn?« Florian trabte an und ließ seinen Fuchsschecken bald darauf angaloppieren. Painted Diamond und Noblesse schlossen sich ihm an, während Amazing Grace zurückblieb.
Florian, der an der Spitze ritt, galoppierte in einem ruhigen Tempo, und ich musste voller Neid zugeben, dass Nico seine Noblesse in einer astreinen Haltung am Zügel ritt. Auch Florian hatte seinen Wallach in vorbildlicher Manier unter Kontrolle, und ich nahm mir vor, mal wieder häufiger mit Painted Diamond zu trainieren.
»Achtung! Ich gebe nun etwas Gas!«, kündigte Floh an, und Red Pepper legte los. Bevor ich es verhindern konnte, folgte ihm Painted Diamond und schoss an Noblesse vorbei, die hektisch den Kopf hochwarf. Ich hörte noch, wie Nico sie mit fester Stimme beruhigte. Es war wirklich nicht die feine englische Art gewesen, einfach von hinten an ihr vorbeizupreschen, aber das musste man meinem Racker erst mal erklären. Zumindest galoppierten Florian und ich nun in einem zügigen Galopp nebeneinanderher und unsere Pferde und wir genossen das Tempo in vollen Zügen. Schließlich parierten wir zum Schritt durch und schauten uns nach den anderen beiden um. Im gemächlichen Schritt kamen Katha und Nico näher.
»Das war uns dann doch etwas zu wild«, meinte Nico und tätschelte beruhigend den Hals der Stute.
»Meine Güte, dein Pferd ist doch nicht aus Zucker!« Verwundert schüttelte Florian den Kopf.
Auch ich fand es ziemlich albern. Schließlich waren wir nur in einem zügigen Jagdgalopp geritten und von wildem Gerenne konnte keine Rede sein. Doch ich sagte lieber nichts, denn sonst glaubte Nico noch, dass ich auf so etwas stand, und dann war ich gleich bei ihm unten durch.
Stattdessen sagte ich: »Na ja, Nico hat wahrscheinlich recht. Noblesse ist wirklich ein edles Pferd, und wenn er mit ihr so erfolgreich auf Turnieren startet, dann muss er natürlich auf ihre Gesundheit achten.«
»Genau«, pflichtete Nico mir bei, und ich strahlte übers ganze Gesicht. Florian sah mich ungläubig an und schien an meinem Verstand zu zweifeln, aber das war mir egal. Hauptsache, ich konnte bei Nico punkten.
»Na los, lasst uns zu dem kleinen Weiher reiten. Weit ist es nicht mehr«, unterbrach Katha das Schweigen und trieb Amazing Grace vorwärts. Sofort schloss sich Nico ihr an und ich drängte mich an seine Seite. Sollte Florian doch vorne oder am Schluss reiten. War mir egal.
Der Weg war jedoch für drei Pferde nicht breit genug, und obwohl Katha ihre Stute zurückzuhalten versuchte, wich Noblesse nicht von ihrer Seite, und so blieb mir nichts anderes übrig, als hinter den beiden neben Florian zu reiten, der mich jedoch keines Blickes würdigte. Na klasse, genau so hatte ich mir das vorgestellt.
Wir erreichten bald den Weiher, an dem wir unsere Pferde trinken ließen. Red Pepper und Painted Diamond gingen sogar bis zu den Fesseln ins Wasser. Noblesse würdigte das Wasser keines Blickes. Sie schien eher eine panische Angst vor dem dunklen Gewässer zu haben.
Auf dem Heimweg schaffte ich es, wieder an Nicos Seite zu reiten, und eigentlich hätten wir dadurch genug Zeit und Gelegenheit zum Reden gehabt, wenn nicht mein Pferd mir erneut einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Aus mir unerfindlichen Gründen spielte sich mein Wallach auf wie ein junger Hengst und bedrängte die Fuchsstute im wahrsten Sinne des Wortes.
»Sag mal, kannst du deinen Burschen nicht zurückhalten? Das ist echt sehr aufdringlich von ihm«, meckerte Nico ungehalten und beruhigte die zickige Stute, die ständig die Ohren anlegte und nach Painted Diamond schnappte, sobald sich dieser ihr näherte.
»Entschuldige, ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist. Normalerweise verträgt er sich mit anderen Pferden total gut. Auch mit Stuten, das sieht man ja bei Amazing Grace«, verteidigte ich mein Pferd verwundert.
»Hm, dann scheint er an Noblesse ein besonderes Interesse zu haben«, brummelte Nico und warf Painted Diamond einen ärgerlichen Blick zu, der schon wieder in Richtung Noblesse zog. Die Fuchsstute warf den Kopf hoch, bleckte die Zähne und schlug nach meinem Schecken aus.
»Jetzt reicht’s! Entschuldige, Rike, aber so geht’s nicht. Ich setze mich wieder an Kathas Seite und Florian soll neben dir reiten«, beschloss Nico genervt.
Grummelnd trieb ich mein Pferd vorwärts und kurz darauf schritt es einträchtig und zufrieden neben Red Pepper her.
»Hat wohl nicht so geklappt, dein Plan«, grinste Florian.
»Was muss Diamond aber auch so einen Aufstand veranstalten!«, zeterte ich wütend. »Gegenüber Amazing Grace und anderen Stuten verhält er sich doch auch nicht so!«
»Er wird schon seine Gründe dafür haben«, meinte Floh, und ich konnte den zufriedenen Unterton in seiner Stimme hören.
»Idiot!«, zischte ich sauer.
»Jetzt hör mal zu!« So langsam wurde nun auch Floh wütend. »Gib deinem Pferd nicht die Schuld, nur weil du mit deinen Anmachversuchen bei Nico nicht weiterkommst. Mach dich doch nicht zum Affen!«
»Halt du dich da gefälligst raus! Das geht dich gar nichts an«, zischte ich ungehalten und trabte an.
In den nächsten Tagen schmollte ich mit Florian und er mit mir. Was mischte er sich auch in meine Angelegenheiten? Doch zum Glück dauerte dieser Zustand nicht allzu lange und bald hatten wir uns wieder versöhnt.
Meiner ersten Nachhilfestunde mit Nico fieberte ich regelrecht entgegen. Wir trafen uns nach dem Unterricht in der Bücherei, und leider gab sich Nico wirklich Mühe, mir etwas beizubringen. Irgendwie war ich jedoch komplett unkonzentriert und nahm gar nicht wahr, was er sagte, obwohl ich regelrecht an seinen Lippen hing. Nach der Stunde stellte er ernüchtert fest, dass es wohl einige Stunden dauern würde, bis ich den Stoff aufgeholt hätte - was mich natürlich äußerst freute.
Er wartete dann sogar mit mir auf Katha und auch noch so lange, bis wir von ihrer Mutter abgeholt wurden.
»Und, wie war es?«, wollte Katha im Auto wissen.
»Och, sehr nett!«, sagte ich strahlend.
»Konnte er dir was erklären?«
»Ähm, na ja, ja... Also weißt du, eigentlich habe ich ihm nicht so richtig zugehört«, gestand ich.
»Mensch, Rike! Wenn du nicht aufpasst, dann schreibst du in der nächsten Mathearbeit wieder eine Fünf! Die Nachhilfe mit Nico soll doch was bringen!«, schimpfte Katharina.
»Ja, aber in erster Linie … du weißt schon«, zischte ich mit einem Blick auf ihre Mutter, die ja nicht alles wissen musste.
»Trotzdem wäre es schön, wenn das Ganze auch einen positiven Nebeneffekt hätte«, meinte Katharina.
»Beim nächsten Mal!«, versprach ich ihr.
»Wollen wir uns heute Abend noch treffen?«
»Hm, ich habe mich schon mit Floh verabredet. Er hat die neue CD von den ›Hot Tomatoes‹, die wir uns anhören wollen. Wenn du auch willst?«
»Och nee, lass mal. Du weißt, dass die nicht so mein Geschmack sind«, wehrte Katharina ab.
»Okay«, sagte ich.
Am Abend ging ich zu Florian rüber beziehungsweise kletterte zu ihm ins Zimmer. Unsere Häuser standen sehr dicht beieinander und zwischen meinem und Florians Zimmer stand eine riesige Eiche, auf die wir als Kinder immer gern geklettert waren. Auch jetzt noch benutzten wir den direkten Weg, um uns hin und wieder gegenseitig zu besuchen, vor allem nachts, wenn unsere Eltern es nicht mitbekommen sollten.
Ich stieg gerade in sein Zimmer, als Floh sich umzog.
»Ups! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich geklopft!«, entschuldigte ich mich und spürte, wie ich leicht rot wurde, als ich ihn in Jeans und mit nacktem Oberkörper sah.
»Ist schon okay! Wenn wir zusammen baden, habe ich auch nicht mehr an, eher noch weniger«, winkte Florian ab und zog sich ein frisches T-Shirt über. Hm, da hatte er recht, trotzdem war es mir plötzlich unangenehm.
Wir setzten uns zusammen auf die Couch, futterten Chips und Erdnussflips und hörten uns dabei die CD an.
»Das siebte Lied ist wirklich klasse!«, lobte ich begeistert.
»Ja, ich finde das neunte aber auch super«, meinte Florian und tippte bis zum neunten vor.
Inzwischen war es dunkel geworden, das Fenster stand weit offen und wir konnten die Vögel ihr Abendlied singen hören. Es roch nach frisch gemähtem Heu und nach Landluft.
»Schade, dass man von hier aus nicht die Sterne sehen kann«, bedauerte ich.
»Vom Bett aus kann man es«, meinte Floh und stand auf. Ich folgte ihm und legte mich neben ihn. Tatsächlich! Von hier aus sah man durch die Äste der Eiche die Sterne. Hell funkelten sie von einem samtblauen Himmel.
»Das Lied ist wirklich schön«, sagte ich verträumt und lauschte auf die Ballade im Hintergrund. »Wie heißt es denn?«
»The girl I love«, murmelte Floh.
Ich schielte zu ihm rüber und stellte fest, dass er die Augen geschlossen hatte. Eine braune Strähne fiel ihm vorwitzig in die Stirn.
Zufrieden schloss auch ich die Augen und genoss die Vertrautheit zwischen uns. Schön war es, so nebeneinanderzuliegen, Musik zu hören und die Stille der Nacht zu genießen. Nur schade, dass es nicht Nico war, der neben mir lag. Ich malte mir aus, wie es wohl wäre, wenn Nico mich zum ersten Mal küsste. Anscheinend war ich so in diesen Wunschtraum versunken, dass ich gar nicht merkte, wie ich einschlief.
Erst als ich einen kühlen Lufthauch bemerkte und zu frieren anfing, wachte ich auf. Verwirrt sah ich mich um und musste mich erst mal wieder zurechtfinden. Die Musik war inzwischen aus, und verdutzt stellte ich fest, dass sich Florian ganz eng an mich geschmiegt und einen Arm um mich gelegt hatte. Seltsamerweise fand ich das überhaupt nicht unangenehm, und am liebsten wäre ich wieder eingeschlafen, aber ich hatte Angst, dass meine Eltern mein Verschwinden bemerken würden. Mit einem Blick auf die Uhr musste ich feststellen, dass es bereits fast elf Uhr war. Vorsichtig löste ich mich aus Flohs Umarmung, der seelenruhig weiterschlief. Lächelnd stieg ich aus dem Fenster und kletterte zu meinem hinüber.
Als wir uns am nächsten Morgen an der Bushaltestelle trafen, empfing ich ihn mit einem breiten Grinsen. »Na, du Langschläfer! Alles klar?«
»Sorry, irgendwie war ich hundemüde«, sagte er, und mir fiel auf, wie unangenehm ihm die Sache war.
»Ach, halb so wild«, winkte ich unbekümmert ab, und Florian gesellte sich zu seinen Kumpels.
Katharina warf mir einen verwunderten Blick zu. »Was war denn los?«
»Ach, gar nichts. Wir haben die CD gehört und sind dabei eingepennt, bis ich irgendwann wieder aufwachte. Floh hat seelenruhig weitergeschlafen«, erzählte ich.
»Aha«, machte sie nur.
Der Tag verging schnell, und ich freute mich bereits aufs Wochenende, denn am Samstag würde ich Nico wiedersehen. Am Mittagstisch redete Sofia mal wieder ununterbrochen von dem bevorstehenden Konzert, was mich nicht die Bohne interessierte. Nun, wahrscheinlich ging es ihr genauso, wenn ich von einem Turnier erzählte.
»Ich habe für euch Karten für nächsten Freitag reservieren lassen. Also zumindest für euch zwei. Rike wird ja wohl daheimbleiben und auf Philipp aufpassen«, erklärte Sofia gerade.
»Jaja, kein Problem«, meinte ich. Auf meinen kleinen Bruder aufzupassen, war gar nicht so übel, bevor ich mich in dieses langweilige Konzert quälen musste.
»Okay, dann wäre das geklärt«, freute sich meine Mutter, die sonst Philipp hätte mitnehmen müssen, der sich aber genauso wenig für klassische Musik interessierte wie ich.
 
Am Samstag ritten wir wieder zu dritt zum Reitstall.
Als wir dort ankamen, fanden wir Nico vor, der gerade Noblesse absattelte.
»Hallo Nico! Bist du für heute schon fertig?«, erkundigte ich mich leicht enttäuscht. Ich hatte gehofft, mich nach unserer Stunde noch ein wenig mit ihm unterhalten zu können.
»Ja, wir haben heute etwas früher angefangen. Ich habe jetzt gleich noch einen Termin mit meinem Klavierlehrer!«
»Ach so, schade«, murmelte ich.
»Zu welchem Klavierlehrer gehst du denn?«, erkundigte Katha sich.
»Zu Herrn Hain. Kennst du ihn?«
»Klar! Bei dem hatte ich früher auch Unterricht, bis ich dann auf Geige umgeschwenkt bin«, erzählte Katharina.
Florian war inzwischen zu Freunden von uns geritten, und eigentlich wollte ich auch zu ihnen, denn das Gerede über Klavierunterricht interessierte mich kein bisschen, aber trotzdem wollte ich in Nicos Nähe bleiben.
Während sich Nico und Katharina über diverse Klavierstücke und Noten und Sonstiges unterhielten, saß ich auf Painted Diamond und hörte gelangweilt zu. Meinen Schecken schien die Unterhaltung genauso wenig zu interessieren. Daher knabberte er an Gracies Sattel herum, bis die Stute ihm drohend ihr Hinterteil entgegenreckte.
Ich wollte schon genervt zu Florian reiten, als Nico plötzlich fragte: »Ich könnte noch ein paar Karten für das Konzert organisieren. Falls du Lust hättest zu kommen?«
»Auf welches Konzert?«, fragte ich hellwach.
»Auf unser Schulkonzert nächsten Freitag«, antwortete Nico.
»Gern, wenn du noch an Karten rankommst. Katharina und ich kommen auf alle Fälle«, beeilte ich mich zu sagen. Katharina warf mir einen verwunderten Blick zu und auch Nico sah mich etwas seltsam an, aber das entging mir wohl.
»Ähm, klar! Ich hätte auch Lust«, sagte Katha nur.
»Gut, dann besorge ich noch zwei Karten«, versprach Nico und nickte uns zu, bevor er mit Noblesse im Stall verschwand.
»Seit wann interessiert dich denn klassische Musik?«, fragte Katha erstaunt.
»Gar nicht! Aber wenn Nico mich schon einlädt, muss ich doch zusagen, oder etwa nicht?«
»Ähm, ja... natürlich. Aber meinst du, das wird dir gefallen? Immerhin hat Nico nur einen Soloauftritt und du wirst ihn höchstens ein paar Minuten sehen«, versuchte Katha, mir klarzumachen.
»Egal! Mensch, Katha! Er möchte doch, dass ich komme!«, rief ich strahlend.
Katharina verzog die Stirn und nickte schnell. »Hm, ja, sicher.«
Zum Glück mussten wir nun zu unserer Stunde, sonst hätte ich mich über Kathas merkwürdiges Verhalten sicherlich noch aufregen müssen. Was hatte sie denn nur? Gönnte sie mir den Erfolg bei Nico nicht?
Für den Rest des Tages strahlte ich wie ein Honigkuchenpferd, und am Abend platzte ich daheim mit der Nachricht heraus, dass ich mich doch anders entschieden hätte und mit auf das Konzert gehen würde. Jedoch müsste Sofia sich nicht um die Karte kümmern, denn ich bekäme bereits eine.
»Von wem denn? Und seit wann interessierst du dich für klassische Musik?« Sofia starrte mich misstrauisch an und auch meine Eltern blickten etwas ungläubig.
Mist, wenn ich ihnen nun erzählte, dass ich in Nico verknallt war, würde ich die nächsten Wochen keine einzige ruhige Minute mehr haben. Sofia würde am laufenden Band lästern, und wer weiß, was sie Nico dann alles über mich in der Schule erzählte. Es reichte schon, dass er mir Nachhilfe gab. Und meine Eltern würden mich über ihn ausquetschen wie eine Zitrone. Ich sah jetzt schon den Blick meiner Mutter vor mir und ihren Satz: »Aber Kind! Du bist doch noch viel zu jung für einen Freund!« Blödsinn! Ich wurde dieses Jahr noch fünfzehn.
Deswegen rettete ich mich in eine, wie mir schien, sehr plausible Lüge: »Ach, Katha ist doch so ein Klassikfan und sie kennt diesen Nico vom Geigenunterricht. Der, der mir Nachhilfe gibt und in Sofias Klasse geht. Na ja, sie findet ihn wohl ziemlich nett und hat mich nun gefragt, ob ich sie nicht auf das Konzert begleiten würde. Allein traut sie sich nicht hin. Er will ihr sogar’ne Karte besorgen«, erzählte ich und hoffte, nicht allzu euphorisch zu klingen.
»Der Nico? Aus meiner Klasse? Und Katha ist in den verknallt? Ist ja witzig«, lachte Sofia.
Wusste ich es doch! Vor meiner Schwester war man nie sicher. Gut, dass ich nicht die Wahrheit gesagt hatte.
»Was tut man nicht alles für die beste Freundin«, sagte mein Vater und warf meiner Mutter einen verschmitzten Blick zu.
»Gut, dann muss Philipp eben mit«, seufzte die, und mein kleiner Bruder schaute gar nicht begeistert drein.
»Ich lass dich dafür nächste Woche ein paarmal auf Painted Diamond reiten«, tröstete ich ihn, und sofort hellte sich sein Gesicht wieder auf.
»Ach übrigens, Floh hat vorhin angerufen und gefragt, ob du später noch zu ihm rüberkommen willst. Hat irgendwas davon gefaselt, dass er eine Überraschung für dich hat. Eine Überraschung? Du hast doch gar nicht Geburtstag?« Neugierig sah mich Sofia an.
»Hm, keine Ahnung. Als wir heute Mittag bei den Pferden waren, hat er kein Wort darüber erzählt.« Verwundert zuckte ich mit den Achseln. »Kann ich noch rüber?«
»Von mir aus. Aber nicht wieder um elf durchs Fenster klettern«, schmunzelte Papa.
Ups! Hatten sie es doch gemerkt.
»Aber ich kann doch bis elf bleiben, oder? Wir haben immerhin Samstag«, bat ich.
»Von mir aus auch bis halb zwölf, aber länger nicht«, erlaubte meine Mutter.
»Das ist unfair! In ihrem Alter durfte ich nicht so lang weg und schon gleich gar nicht zu Jungs!«, begehrte Sofia sofort auf.
»Mensch, Sofia! Das ist Floh und er wohnt nebenan!«
»Richtig! Wir kennen Florian immerhin schon genauso lang wie dich und Annrike«, meinte Papa beschwichtigend.
Sofia verzog das Gesicht, sagte aber nichts, und ich jubilierte. Schön, wenn man mal etwas durfte, was der älteren Schwester früher nicht erlaubt worden war.
Nach dem Abendessen flitzte ich gleich zu Florian rüber. Diesmal nahm ich den Weg durch die Haustür.
»Hey! Du hast’ne Überraschung für mich?« Mit funkelnden Augen und erwartungsvollem Blick sah ich ihn an.
»Hat Sofia gepetzt?«, grinste Florian.
»Wieso? Sie hat mir nur ausgerichtet, dass ich rüberkommen soll, und nun bin ich da!« Ich setzte mich auf seine Couch und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln.
»Ach, dann spanne ich dich noch ein wenig auf die Folter«, meinte Florian gelassen und setzte sich mir gegenüber.
»Also hast du mir etwas zu sagen«, bohrte ich weiter.
»Hm, ja«, gab er zu.
»Jetzt mach schon! Raus mit der Sprache!«
»Nö!«
»Oh, du bist unmöglich! Warte, ich bekomme es schon aus dir raus!«, drohte ich ihm und stürzte mich auf ihn. Florian war nämlich äußerst kitzelig und das nutzte ich nun aus. Leider war auch ich kitzelig und Florian war um einiges größer und stärker als ich. So rauften wir auf seiner Couch und versuchten, uns gegenseitig zu kitzeln. Schließlich ergaben wir uns beide, völlig außer Puste.
»Also, was ist jetzt?«, schnaufte ich und rang nach Atem.
»Die ›Hot Tomatoes‹ kommen nach Hamburg!«
»WAS?? Und das sagst du mir erst jetzt???«
»Hast mir vorher ja keine Gelegenheit dazu gegeben«, stellte er grinsend fest.
»Wann? Gibt es schon Karten?« Ich war völlig aus dem Häuschen. Wir waren das letzte Mal vor einem Jahr auf einem Konzert gewesen. Seitdem hatten wir es nicht mehr geschafft, weil die Karten immer sofort weg gewesen waren.
»Tja, und das ist meine Überraschung!« Florian sprang auf, lief zu seinem Regal und wedelte schließlich mit zwei Konzertkarten.
Ich stieß einen Jubelschrei aus und stürzte mich auf ihn.
»Das ist ja irre! Woher hast du die?« Begeistert starrte ich ihn an.
»Connections«, antwortete Florian grinsend und gab mir eine.
Ich konnte mein Glück immer noch nicht fassen, bis mein Blick auf das Datum des Auftritts fiel: nächsten Freitag. Mein Gesicht erstarrte zu einer Maske, und ich wusste nicht, was ich nun tun geschweige denn sagen sollte. Nächsten Freitag, der Tag, an dem das Schulkonzert stattfand. Das durfte doch nicht wahr sein. Bitte, bitte, lieber Gott, ich musste mich versehen haben! Doch als ich ein zweites Mal auf das Datum blickte, war es immer noch der 20. Mai. O nein! Was sollte ich nur tun?
Ich liebte die »Hot Tomatoes« über alles, und wenn Floh schon mal Karten bekommen hatte, war das echt was ganz Außergewöhnliches. Wer weiß, wann sich die nächste Gelegenheit ergeben würde? Außerdem war das neue Album wirklich spitze! Auf der anderen Seite war da das Schulkonzert, auf dem ich Nico sehen würde und zu dem er mich eingeladen hatte. Was sollte ich nur tun?
»Was ist los?« Florian hatte meinen Stimmungsumschwung natürlich mitbekommen.
»Ähm, ja weißt du, das Datum«, stotterte ich verlegen und lief knallrot an. Niemals würde er mir verzeihen, wenn ich ihm absagte.
»Sag bloß, du hast da schon was vor?« Ungläubiges Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht wider. »Rike! Das kannst du mir nicht antun! Sag es ab!«
»Ähm, na ja, weißt du, da … da findet doch das Konzert von eurer Schule statt«, druckste ich herum. »Und Sofia spielt im Orchester …«
»Ja, und? Seit wann hat dich jemals ein Konzert von Sofia interessiert? Du hast doch mit klassischer Musik überhaupt nichts am Hut! Oder musst du auf Philipp aufpassen? Keine Sorge, das wird meine Mutter sicherlich gerne übernehmen.«
»Ähm, nein, also... Ich wollte mit Katha hingehen, weil... weil Nico auch mitmacht und... ja, also, er hat uns dazu eingeladen und …«
»Das ist nicht dein Ernst!« Florians Stimme klang wie Eis. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, so sehr schämte ich mich. Ich wusste, wie schwierig es gewesen sein musste, an diese Karten heranzukommen, und eigentlich würde ich auch tausendmal lieber mit ihm dorthin gehen als auf dieses Schulkonzert, wenn da nicht Nico gewesen wäre.
Ohne ein weiteres Wort nahm Floh mir die Karte aus der Hand und legte sie zurück auf das Regal. Eisiges Schweigen herrschte im Raum.
»Ich glaube, ich muss dir nicht sagen, was ich davon halte«, sagte er schließlich ruhig.
»Floh, bitte versteh mich. Es ist doch wegen Nico«, versuchte ich, ihm zu erklären.
»Wegen Nico! Sag mal, Rike, merkst du denn nicht, wie du dich zum Affen machst! Der Typ will doch gar nichts von dir!«
»Du hast doch keine Ahnung!«
»Das merkt man aber«, zischte Florian und wandte sich ab. »Es ist wohl besser, du gehst jetzt!«
Hätte er mir eine Ohrfeige verpasst, hätte es nicht schlimmer sein können. Mit gesenktem Kopf verließ ich das Haus und ging in mein Zimmer. Ich wusste, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte, aber ich konnte nicht mehr zurück. Nico ging vor, und wenn Floh das nicht verstand, dann hatte er eben Pech gehabt.