KAPITEL ZEHN

Psychospielchen

Hades saß auf einem Stuhl vor seinem Kamin, trank und sah Persephone beim Schlafen zu. Das langsame Heben und Senken ihres Brustkorbs, während sie atmete, beruhigte seine Nerven. Von den Ereignissen der letzten Tage schwirrte ihm der Kopf – die Entdeckung seiner Verbindung zu der schönen Göttin, die darauf folgende Wette, ihr Zorn auf ihn, nur weil er der Gott der Toten war.

Vielleicht verabscheute sie ihn, aber heute hatte sie zugelassen, dass er ihr näherkam, und er war nicht sicher, ob er je wieder derselbe sein würde. Er hatte gehofft, ein Mindestmaß an Kontrolle über die Situation zu behalten, die die Moiren für ihn gewoben hatten, doch ihm war, als würde er diesen Kampf jedes Mal verlieren, wenn er die Frau in seinem Bett ansah.

Innerhalb einer Stunde hatte er zweimal die Fassung verloren – zuerst bei Hermes und dann bei den Toten im Fluss –, nur weil diese Göttin so neugierig war. Sie bluten zu sehen, hatte eine derart heiße Wut in ihm ausgelöst, dass er sich nicht anders abreagieren konnte, als an jenen, die sie verletzt hatten.

Vielleicht solltest du meditieren, hörte er Hekates Stimme in seinem Kopf widerhallen.

»Scheiß auf Meditation«, sagte er laut.

Da rührte sich Persephone, und er versteifte sich. Sie setzte sich hastig auf, kniff dann die Augen zusammen.

Schwindel , dachte er stirnrunzelnd.

Als sie die Augen wieder öffnete, waren sie flaschengrün und schienen zu schimmern wie blasses Licht, das durch ein getöntes Fenster strömt. Mit diesen Augen starrte sie ihn eine gefühlte Ewigkeit lang an. Sein Körper spannte sich unter ihrem Blick an, sein Griff um das Glas wurde fester, und die Finger seiner anderen Hand pressten sich in das weiche Leder seines Stuhls. Sein Schwanz wurde hart, eingeklemmt zwischen Bein und Hose.

»Wie lange bin ich schon hier?«, fragte sie. Ihre Stimme klang belegt, und er wollte am liebsten aufstöhnen. Doch stattdessen brachte er eine Ein-Wort-Antwort zustande.

»Stunden.«

Ihre Augen wurden groß. »Wie spät ist es?«

Er zuckte mit den Schultern, denn er wusste es nicht. »Spät.«

»Ich muss gehen.«

Hades hatte erwartet, dass sie wütend oder hysterisch sein würde, aber das war sie nicht. Sie saß nur da, in einem See aus schwarzer Seide und sah wunderschön, rosig und warm aus.

»Du bist den ganzen Weg hierhergekommen. Erlaube mir eine Führung durch meine Welt.«

Er stand auf und trank seinen Whiskey aus. Sie wandte den Blick nicht von ihm, als er zu ihr kam, die Decke wegzog und etwas Haut zwischen ihren Brüsten enthüllte, wo das Gewand im Schlaf aufgegangen war. Es brauchte all seine Kraft, um den Blick abzuwenden, als sie das Gewand zuhielt. Nach einem Moment streckte er die Hand aus. Ihre Hand glitt in seine, und er stellte fest, dass er sich fragte, wann ihre Bereitwilligkeit, ihn zu berühren, ihn nicht mehr überraschen würde. Er half ihr auf und wartete, bis sie zu ihm aufblickte, bevor er fragte: »Geht es dir gut?«

»Besser«, antwortete sie leise.

Er strich über ihre Wange. »Glaub mir, dass ich zutiefst erschüttert war, dass du in meinem Reich verletzt wurdest.«

Ihr Blick verriet ihm, dass seine Worte sie überraschten – oder vielleicht auch seine Aufrichtigkeit.

»Es geht mir gut«, flüsterte sie, aber gut war nicht gut genug.

»Es wird nicht wieder passieren. Komm.«

Er führte sie auf den Balkon seines Zimmers, vor dem sich meilenweit der Aschenwald erstreckte, bis zu der Mauer der Obsidianberge. Sie ging vor ihm her, ihre Finger mit seinen verschränkt, und spähte über den Balkon.

»Gefällt es dir?«, fragte er.

»Es ist wunderschön«, hauchte sie, und ihr Blick glitt über die Landschaft. »Hast du das alles erschaffen?«

Er nickte. »Die Unterwelt entwickelt sich, genau wie die Welt oben.«

Er zog leicht an ihrer Hand, und sie folgte ihm die Stufen hinab in den Garten nach unten. Er spürte einen Impuls der Erregung, als er sie an den Rand führte, wo lavendelfarbener Blauregen hing, tintenschwarze Rosen und pinke Pfingstrosen blühten und purpurner und roter Salbei sich schlangengleich aus der Dunkelheit emporwand. Würde sie das alles ebenso faszinierend finden?

Seine Antwort bekam er, sobald ihre Füße den dunklen Steinpfad berührten, der in den Garten führte. Sie entzog ihm ihre Hand und drehte sich zu ihm um.

»Du Bastard!«

Urplötzlich kam Hades sich völlig lächerlich vor. Sein Kiefer spannte sich an. »Keine Beschimpfungen, Persephone.«

»Fang nicht so an! Das hier – es ist wunderschön!«

Also war sie beeindruckt – aber woher dann der Zorn?

»Das ist es«, stimmte er schlicht zu.

»Warum bittest du mich dann darum, hier Leben zu erschaffen?« Sie klang … niedergeschlagen. Als habe der Anblick seines Reiches und der Pflanzenwelt, die hier wuchs, ihr alle Hoffnung geraubt. Trauerte sie um das, was zu erschaffen sie, wie sie glaubte, nicht die Macht hatte?

Mit einer Handbewegung ließ er die Illusion verschwinden. Die Wahrheit seines Reiches zu offenbaren fühlte sich an, als offenbare er damit auch die Wahrheit seiner Seele. Die Unterwelt lag vor ihnen, trostlos – ein Ödland aus Asche.

»Es ist nur eine Illusion«, erklärte er. »Wenn du einen Garten zu erschaffen wünschst, dann wird er wahrhaft das einzige Leben hier sein.«

Hades rief die Illusion zurück und ging voran. Persephone folgte ihm, und er fragte sich, was sie jetzt dachte. War sie erschrocken über das, was er ihr gezeigt hatte? Hielt sie nun weniger von der Unterwelt, weil ihre Schönheit eine Schöpfung seiner Magie war? Er hatte nicht beabsichtigt, ihr die Unterwelt zu zeigen, damit sie sich machtlos fühlte … aber er konnte ihre Zweifel und ihren Zorn auflodern fühlen. So sehr er es hasste, der Grund für diese Gefühle zu sein, wusste er doch, dass es der einzige Weg war, wie sie ihr Potenzial erreichen konnte. Eines Tages würde Persephone es satthaben, sich wehrlos zu fühlen, und seine Königin würde sich aus der Asche erheben. Als Göttin.

Hades blieb neben einer Böschungsmauer hinten in seinem Garten stehen. Auf der anderen Seite lagen die Asphodelienfelder. Die Erde zu seinen Füßen war öde und schwarz.

»Du kannst hier arbeiten«, sagte er.

Wenn Persephone einen Garten wachsen lassen wollte, wenn das ihr Weg war, Leben in der Unterwelt zu erschaffen, dann würde sie es im Ascheboden der Unterwelt tun müssen.

»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte sie. »Illusion oder nicht, du hast all diese Schönheit. Wieso verlangst du dies von mir?«

Weil es der Wille deiner Seele ist, dachte er.

»Wenn du nicht wünschst, die Bedingungen unserer Wette zu erfüllen, musst du es nur sagen, Lady Persephone. Ich kann in weniger als einer Stunde eine Suite für dich vorbereiten lassen.«

»Wir kommen nicht gut genug miteinander aus, um zusammenzuwohnen, Hades.«

Ihre Bemerkung löste einige anzügliche Bilder in ihm aus – nackte Haut und rauchiges Stöhnen.

Er war da anderer Meinung.

»Wie oft darf ich hierherkommen und arbeiten?«

»Sooft du wünschst«, sagte er, denn nach heute würde er dafür sorgen, dass sie nie wieder dieses Portal benutzte. »Ich weiß, dass du begierig darauf bist, deine Aufgabe zu erfüllen.«

Sie blickte zu Boden und bückte sich dann, um eine Handvoll Sand aufzuheben. Er hatte die Konsistenz gemahlener Knochen und war nicht dazu geschaffen, Leben zu nähren. Sie stand wieder auf.

»Und … wie komme ich hierher?«, fragte sie. »Ich schätze, du willst nicht, dass ich denselben Weg nehme wie vorhin.«

»Hmm.« Es war die Frage, auf die er gewartet hatte, und sein Körper spannte sich in Vorfreude auf die Antwort an. Er legte den Kopf schief, und sie erwiderte seinen Blick, und ihre Lippen öffneten sich ein wenig.

Das war Einladung genug.

Er nahm sie an den Schultern, drückte sie eng an sich und seine Lippen auf ihre. Er hätte ihr das Privileg gewähren können, ohne auch nur einen Finger an sie zu legen, doch es war ein Vorwand, um sie zu berühren. Angesichts dieser Tatsache hätte er sanfter sein sollen, doch er stellte fest, dass er alles andere als das war. Sein Körper reagierte, als stünde er in Flammen und verlange verzweifelt danach, gelöscht zu werden. Er kam sich albern vor – er hatte geküsst und gevögelt, aber nie hatte er dies gefühlt … was immer es war. Dieses brennende Sehnen, diesen drängenden Wunsch, Anspruch zu erheben, zu schützen und zu lieben .

Andererseits hatte er auch noch nie eine Frau geküsst oder gevögelt, die dazu bestimmt war, seine Geliebte zu sein. War der Schicksalsfaden der Grund, warum er sich so … unbeherrscht fühlte?

Er zwang ihre Lippen auf, und seine Zunge glitt über ihre, während seine Zähne über ihre Lippen streiften. Sie schmeckte nach Wein und Salz und duftete wie ein Rosenbeet. Sie zitterte, und er hielt sie fester, so dass es keinen Abstand mehr zwischen ihnen gab und er all ihre sanften Rundungen an den harten Muskeln seines eigenen Körpers fühlte. Sie war ebenso hingebungsvoll und küsste ihn mit unerschrockener Leidenschaft. Ihm kam das Gefühl, dass sie Sanftmut nicht begrüßt hätte, sondern sich nach Leidenschaft sehnte, rau und unverhüllt.

Ihre Arme legten sich um seinen Nacken, und er stöhnte. Der Laut kam von irgendwo tief in ihm, erwachte aus einem langen Schlummer. Er bewegte sich vor, führte sie, bis sie an die Steinmauer stieß. Seine Hände wanderten ihre Taille hinab über ihren runden Po, wo er sie umfasste und vom Boden hob. Ihre Beine legten sich um seine Taille, ihre Fersen gruben sich in seinen Rücken, und seine Erektion rieb sich an ihrer empfindsamsten Stelle, während er seine Lippen wandern ließ, über ihr Kinn, an ihrem Ohr knabberte und ihren Hals küsste. Hin und wieder hielt er inne und kostete ihre Haut, noch salzig vom Fluss. Sie bog den Rücken unter ihm durch, keuchte, bis sie die Kontrolle übernahm, die Hände in sein Haar tauchte und die Strähnen löste, bis es ihm ums Gesicht fiel. Sie nutzte sein Haar, um Kontrolle zu gewinnen, denn als seine Hände unter ihr Gewand glitten und er die heiße, zarte Haut zwischen ihren Beinen streifte, packte sie es fester, und dieses feste Ziehen brachte ihn zurück in die Realität.

Er war zu weit gegangen. Schwer atmend löste er den Kuss und mühte sich, seine Lust im Zaum zu halten. Er hatte sie reizen wollen, um ihr Verlangen zu ermessen, doch es war mehr daraus geworden. Selbst jetzt hielt er sie noch in den Armen und kämpfte gegen den Drang an, da weiterzumachen, wo sie geendet hatten. Alles, was er tun musste, war, seine Hand ganz leicht zu bewegen, ihre feuchten Lippen mit den Fingern zu teilen, und dann wäre er in ihr.

Doch so sollte es nicht passieren. Sie hatte keinen Grund, ihm ihren Körper anzuvertrauen, keinen Grund, ihm überhaupt zu trauen. Er würde nicht zulassen, dass sie die Zeit mit ihm bereute, und wenn er sie liebte, dann nicht an eine Gartenmauer gedrückt.

Das käme später.

Er stellte sie zurück auf den Boden, ließ sie aber nicht los.

»Sobald du das Nevernight betrittst, musst du nur mit den Fingern schnippen und wirst direkt hierhergebracht.«

Er wusste, dass er etwas Falsches gesagt hatte, als ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich. Sie versuchte, ihn von sich zu schieben, und fragte: »Kannst du ein Privileg nicht auf andere Art gewähren?«

»Schien dir nichts auszumachen«, meinte er. Ihm gefiel die Röte auf ihren Wangen und ihrem eleganten Hals. Er wollte ihr sagen, dass sie nicht beschämt sein solle, aber als sie mit zitternden Fingern ihre Lippen berührte, verschwand der Gedanke.

»Ich sollte gehen«, sagte sie.

Hades nickte zustimmend. Wenn sie jetzt nicht ging, würde er seine vorherige Feststellung widerrufen.

Pfeif darauf, sie anderswo zu lieben, der Garten ist perfekt.

»Was machst du da?«, wollte sie wissen, als sein Arm um ihre Taille sich anspannte.

Er schwieg, schnippte mit den Fingern und teleportierte. Als sie in Persephones Zimmer erschienen, umklammerte sie ihn wie eine verängstigte Katze. Er wartete ab, bis sie sich orientiert hatte. Sie drehte langsam den Kopf, und als sie ihre Umgebung erkannte, löste sie ihre Finger von seinem Arm, einen nach dem anderen.

»Persephone.« Es gab noch eine Sache, die sie wissen musste, bevor er sie für heute verließ. »Bringe nie wieder einen Sterblichen in mein Reich, vor allem nicht Adonis. Halte dich von ihm fern.«

Sie machte schmale Augen, und Trotz glitzerte darin. »Woher kennst du ihn?«

»Das ist nicht wichtig.«

Er spürte ihren Versuch, sich ihm ganz zu entziehen, aber er hielt sie fest. Das hier war wichtig. Er hatte sie nicht vor den Monstern der Unterwelt gerettet, nur um sie dann von sterblichen Monstern verletzt zu sehen.

»Ich arbeite mit ihm, Hades.«

Er ignorierte die Freude, die es ihm bereitete, seinen Namen von ihren Lippen zu hören.

»Und außerdem kannst du mir keine Befehle erteilen.«

»Ich befehle dir nicht. Ich bitte dich darum.«

»Eine Bitte impliziert, dass es eine Wahl gibt.«

Sein Griff wurde stärker, und er beugte sich vor, bog sie dabei fast nach hinten, so dass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. Wieder dachte er an ihre Lippen, ihren Geschmack, ihre Berührung, und er wusste, dass sie ähnliche Gedanken hatte, denn sie schloss die Augen und schluckte.

Er brach das Schweigen zwischen ihnen.

»Du hast eine Wahl, doch wenn du ihn wählst, werde ich dich holen, und vielleicht lasse ich dann nicht mehr zu, dass du die Unterwelt verlässt.«

Sie riss die Augen auf. »Das würdest du nicht tun«, zischte sie.

Hades lachte leise, und sein Atem streichelte über ihre Lippen, als er antwortete: »Oh, Liebes. Du weißt ja gar nicht, wozu ich fähig bin.«

Damit verschwand er wie Rauch, der in den Himmel steigt.