KAPITEL VIERZEHN

Ein geistiger Wettstreit

Als Hades sich in die Unterwelt begab, lasteten ihm Schuldgefühle auf dem Herzen, so deutlich spürbar, als lägen Steine auf seinem Körper. Er dachte an Hermes’ Worte. Das hättest du besser handhaben können. Aber als er seine Handlungen bedachte, sah er keinen anderen Weg. Er hatte Hermes bitten müssen, etwas zu stehlen, und er wollte sich vor Persephone nicht erklären müssen, auch wenn er glaubte, dass seine Gründe gut waren.

Aber jetzt quälte es ihn. War dies eine Gelegenheit gewesen, bei der er hätte besser kommunizieren sollen? Hätte er ihr die ganze Geschichte hinter der Mission schildern sollen, mit der er Hermes beauftragt hatte? Dass er wollte, dass der Gott der Gaukler alle Lieferungen von Sisyphos abfing? Faktisch war Hades dabei, sein Imperium niederzureißen. Oder hätte es genügt, sie lediglich darum zu bitten, ihnen einen Augenblick der Ungestörtheit zu schenken?

Und bei diesem Gedanken verstand er plötzlich, warum er dies nicht getan hatte. Weil sie ihm im Grunde nachspioniert hatte, und er hatte mit Zorn reagiert statt mit kühler Rationalität.

Er stöhnte auf.

Es war eine verdammte Katastrophe.

Trotzdem machte er sich auf die Suche nach ihr und fand sie in der Bibliothek. Sie stand da, auf Zehenspitzen, die Hände neben einem Becken aufgestützt, das eine Karte der Unterwelt zeigte. Immer weiter neigte sie sich der wässrigen Oberfläche zu, und das besorgte Hades, denn das Becken diente auch als Portal. Eine Berührung, und sie würde an einen anderen Ort in der Unterwelt teleportiert. Normalerweise würde ihm das keine großen Sorgen machen, weil er sie schnell zurückholen konnte. Nur – er wusste bereits, wie sie tickte, und bei ihrer Neugier würde sie noch in den flammenden Wassern des Phlegethon landen.

Er wählte diesen Moment, um sich bemerkbar zu machen.

»Neugier ist eine gefährliche Eigenschaft, meine Lady.«

Gefährlich. Ärgerlich. Aufregend. Neugier hatte viele Facetten, aber ihm wäre es lieber, wenn sie neugierig auf anderes wäre – wie ihn .

Sie drehte sich zu ihm um, und ihre hübschen grünen Augen weiteten sich. Sie drückte sich die Hand aufs Herz, und Hades’ Blick fiel auf ihre perfekten Brüste. Einen Moment lang konnte er sich auf nichts konzentrieren als das Hartwerden ihrer Brustwarzen, die sich gegen ihr weißes Top abzeichneten.

»Nenn mich nicht meine Lady «, befahl sie unwirsch und warf dann einen Blick zurück in das Becken. »Ich … diese Karte deiner Welt ist nicht vollständig.«

Hades trat näher. Es gefiel ihm, wie sie den Kopf in den Nacken legen musste, um seinen Blick zu erwidern. Er blieb nur Zentimeter vor ihr stehen und wünschte sich, ihr noch näher zu kommen, wünschte sich, sie in seine Arme zu heben und sie an dieses Becken gedrückt zu lieben. Vielleicht würden sie dann hineinfallen und sich in einem Pflanzenmeer der Unterwelt wiederfinden. Götter, wie sehr er sich danach sehnte, sie unter seinem Himmel in Besitz zu nehmen.

Ihr scharfes Luftholen holte ihn aus seinen lustvollen Gedanken, und sein Blick fiel auf das Wasser. Sie drehte sich um und wandte ihm den Rücken zu. Diese Position war nicht besser. Von hier könnte er den Arm um ihre Taille legen und sie mit dem Rücken an sich ziehen, Küsse auf ihren Hals drücken, während seine andere Hand auf Wanderschaft ginge, über ihre Brüste streifte, weiter nach unten über ihren Bauch und zwischen ihre Beine.

Er schüttelte diese Gedanken ab.

»Was siehst du?«

»Deinen Palast, den Asphodeliengrund, die Flüsse Styx und Lethe … das ist alles. Wo ist Elysium? Und wo Tartarus?«

Er lächelte über ihren Eifer, die Unterwelt verstehen zu wollen, auch wenn ein anderer Teil von ihm Unbehagen verspürte. Wenn es nach ihm ginge, würde sie nie die Berge und Höhlen des Tartarus erforschen. Dieser Teil seines Reiches war eine Manifestation seiner eigenen Seele – finster und grauenvoll.

»Die Karte wird sie dir zeigen, wenn du dir das Recht verdient hast, es zu wissen.«

»Was meinst du mit verdient?«

»Nur die, denen ich am meisten vertraue, dürfen diese Karte zur Gänze sehen.« Die Karte war eine wahre Waffe, und Hades gestattete nur wenigen Zugriff auf sie, darunter Thanatos und Hekate.

»Wer kann denn die ganze Karte sehen?« Dann wurde ihr Tonfall angespannt und ihre Augen misstrauisch schmal. »Kann Minthe es?«

Ihre Eifersucht interessierte ihn, und er konnte nicht anders, als sie zu reizen. »Würde dich das stören, Lady Persephone?«

»Nein«, sagte sie hastig und richtete den Blick auf ihre Hände, die auf dem Becken ruhten.

Sie log. Er konnte es an ihrem Tonfall hören und an ihrer Körpersprache sehen. Er schmeckte es in der Luft zwischen ihnen. Er sollte sie weiter herausfordern, ganz so, wie er es an dem Tag getan hatte, als sie ins Nevernight gekommen war, um Antworten einzufordern. Wirst du auch darüber berichten, wie du in meiner Gegenwart errötest, vom hübschen Kopf bis zu den Zehenspitzen, und wie ich dir den Atem raube? Er könnte es auch kommentieren, dass sie nicht auf Abstand zu ihm gegangen war, seit er sich genähert hatte, dass sie sich sogar näher zu ihm gelehnt hatte, je länger sie miteinander sprachen, und den Rücken so durchbog, dass seine Aufmerksamkeit auf ihre Rundungen gelenkt wurde.

Dadurch wollte er sie noch mehr. Er wusste, wenn er sie nun küsste, würde sie zulassen, dass er sie in Besitz nahm. Ihre Vereinigung wäre hart, schnell und drängend, und sie wäre voll Reue.

Er konnte sie nicht lieben, wenn sie log, also wandte er sich ab, und weil er Distanz brauchte, zog er sich zwischen die Regale zurück. Doch sie folgte ihm und erstickte ihn mit ihrer Hitze und ihrem Duft.

Sie mühte sich ab, mit ihm Schritt zu halten, und keuchte: »Warum hast du das Privileg widerrufen?«

»Um dir eine Lektion zu erteilen«, antwortete er, ohne sie anzusehen.

»Keinen Sterblichen in dein Reich zu bringen?«

Er fand es seltsam, dass ihre Gedanken zu Adonis schweiften, nicht zu Orpheus, und er wusste nicht, was er davon halten sollte.

»Nicht einfach zu verschwinden, wenn du wütend auf mich bist«, sagte er.

»Wie bitte?«

Sie blieb stehen und legte die Bücher, die sie trug, beiseite. Hades drehte sich zu ihr um. Sein Herz raste, und er fragte sich, ob er diese Unterhaltung jetzt führen konnte.

»Du kommst mir wie jemand vor, der eine Menge Emotionen hat und nie recht gelernt hat, wie man damit umgeht, aber ich kann dir versichern, weglaufen ist nicht die Lösung.«

Das muss ich gerade sagen, dachte er. Diese Ansprache hielt er ebenso sehr um seiner selbst willen wie für sie.

»Ich hatte dir nichts mehr zu sagen.«

»Es geht nicht nur um deine Worte«, sagte er frustriert und atmete dann einige Male durch, bevor er weitersprach: »Ich möchte dir lieber helfen, meine Beweggründe zu verstehen, als dich mir nachspionieren zu sehen.«

»Es war nicht meine Absicht, zu spionieren«, sagte sie. »Hermes …«

»Ich weiß, dass Hermes derjenige war, der dich in diesen Spiegel mit hineingezogen hat«, sagte er sanft. Hier ging es ganz und gar nicht um den Spiegel. Sondern darum, ihre Meinung über ihn zu ändern. »Ich wünsche einfach nicht, dass du gehst, wenn du wütend auf mich bist.«

Sie schüttelte leicht den Kopf und runzelte die Stirn. »Warum?«

»Weil …« Er kam sich ziemlich dumm vor. In all seinen Lebzeiten hatte er sich noch nie erklären müssen. »Es ist mir wichtig. Ich würde deinen Zorn lieber erforschen. Ich möchte deinen Rat hören. Deine Sichtweise verstehen.«

Sie wollte etwas sagen, und er wusste, was sie erneut fragen würde. Warum? Also antwortete er gleich. »Weil du unter Sterblichen lebst. Du verstehst sie besser als ich. Weil du mitfühlend bist.«

Sie wandte den Blick ab, und ihre Wangen waren leicht gerötet. Einen Moment später fragte sie leise: »Warum hast du der Mutter heute Abend geholfen?«

»Weil ich es wollte«, antwortete er knapp und konnte praktisch sehen, wie Hekate die Augen verdrehte. Das kannst du besser. Kommunizieren, habe ich gesagt!

»Und Orpheus?«

Hades gab ein raues Seufzen von sich und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. Hekate hatte recht – er musste mit seinen Erklärungen besser werden.

»So einfach ist es nicht. Ja, ich habe die Fähigkeit, die Toten wiederzuerwecken, aber das geht nicht bei jedem, vor allem dann nicht, wenn die Moiren involviert sind. Eurydikes Leben wurde nicht ohne Grund vorzeitig von den Schicksalsgöttinnen beendet. Ich kann sie nicht anrühren.«

»Aber das Mädchen?«

»Sie war nicht tot, nur in der Schwebe. Um Leben in der Schwebe kann ich mit den Moiren feilschen.«

»Was meinst du damit, mit den Moiren feilschen

»Das ist eine heikle Sache«, sagte er. »Wenn ich die Moiren bitte, eine Seele zu verschonen, bekomme ich dafür beim Leben einer anderen kein Mitspracherecht.«

Das bedeutete, dass ein anderes Leben in der Schwebe beendet werden würde. Etwas, worüber Hades in diesem Augenblick nicht zu sehr nachzudenken versuchte.

»Aber … du bist der Gott der Unterwelt!«

Das ja, aber das bedeutete nicht, dass er Entscheidungen aufheben konnte. Und selbst wenn er könnte, hatte er vor langer Zeit gelernt, dass derlei Handlungen Konsequenzen haben, und manche Bürden war er nicht bereit zu tragen. Es war immer eine höhere Macht am Werk, und sich einzumischen konnte für ihn den Untergang bedeuten.

»Und auch die Moiren sind Göttliche«, entgegnete er. »Ich muss ihre Existenz respektieren, so wie sie meine.«

»Das erscheint mir nicht fair.«

»Nicht? Oder erscheint es dir nur nicht fair für Sterbliche?«

Persephones Augen blitzten auf, und ein Hauch ihrer Aura geriet ins Wanken. »Also müssen Sterbliche leiden, um deines Spieles willen?«

»Es ist kein Spiel, Persephone. Und am wenigsten ist es mein Spiel«, gab er frustriert zurück. Hatte er das Gleichgewicht der Unterwelt so schlecht erklärt? Oder lag es daran, dass sie einfach das Schlimmste von ihm denken wollte?

»Also gut, du hast dein Verhalten teilweise erklärt, aber was ist mit den anderen Wetten?«

Hades legte den Kopf schief, zog die Augenbrauen zusammen und trat einen Schritt auf sie zu. Ihre Frage gefiel ihm nicht. Er hatte geantwortet. War sie immer noch nicht mit seiner Antwort zufrieden? Oder war sie immer noch wütend über ihre eigene Wette? Er erwartete, dass sie zurückweichen würde, aber das tat sie nicht, sondern blieb, wo sie war, das Kinn trotzig erhoben.

»Fragst du um deiner selbst willen oder für die Sterblichen, für die du angeblich eintrittst?«

»Angeblich?« Wieder flackerte Wut in ihren Augen auf, und Hades wollte am liebsten lächeln.

Ja, meine Königin. Lass mich dieses Feuer nähren, deine Macht erwecken.

»Du hast erst angefangen, dich für meine Unternehmungen zu interessieren, nachdem du eine Wette mit mir eingegangen warst«, bemerkte Hades – und es stimmte. Hätte sie diese Hexenjagd auf ihn auch begonnen, wenn er sie unbehelligt aus seinem Club hätte abziehen lassen?

»Unternehmungen ? So nennst du es, dass du mich vorsätzlich in die Irre geführt hast?«

»Also geht es tatsächlich um dich.«

»Was du getan hast, ist ungerecht – nicht nur mir gegenüber, sondern allen Sterblichen …«

»Ich will nicht über Sterbliche reden. Ich würde gern über dich reden.« Hades lehne sich näher zu ihr und schob Persephone zum Bücherregal. Seine Hände, links und rechts von ihrem Kopf, sperrten sie ein. »Warum hast du mich an deinen Tisch eingeladen?«

Persephone wandte den Blick ab, und Hades’ Blick fiel auf ihren Hals, als sie schluckte. »Du sagtest, du würdest es mir beibringen.«

Sie flüsterte die Worte, und sie liefen ihm über den Rücken, ließen ihn erzittern und weckten in ihm den Wunsch, sich an sie zu drücken, ihren weichen Körper zwischen seinen Beinen zu spüren.

»Dir was beibringen, Göttin?« Seine Lippen senkten sich auf ihre Haut, und er streifte über ihren Hals. Er fühlte ihr Zittern, als er die Worte flüsterte. »Was wolltest du denn wirklich lernen?«

»Das Kartenspiel.«

Sie hauchte die Worte, und die Luft zwischen ihnen wog plötzlich schwer voll erotischer Gedanken und Fantasien. Ihr Kopf sank nach hinten, lehnte sich an das Bücherregal, und ihre Hände umklammerten die Regalbretter, als kämpfe sie gegen ihre eigenen Instinkte und die Stimme in ihrem Kopf an, die befahl, dass sie ihn auch berühren solle.

Seine Lippen erforschten sie, und als er einen Kuss auf ihr Schlüsselbein drückte, blickte er auf. »Was noch?«

Daraufhin begegnete sie seinem Blick, mit Augen, die loderten wie Feuer und ihn forschend ansahen. Ihre Lippen streiften einander, als sie dieselbe Luft atmeten.

»Sag es mir«, bat Hades.

Sag mir, dass du mich willst, dachte er, und ich nehme dich hier und jetzt . Er würde sie in seine Arme heben, ihre Beine spreizen und sich zwischen sie schieben. Ihre Begegnung würde ihre Leidenschaft entfesseln, die Erde erschüttern und Flüsse umkehren. Es würde Welten beenden und neu beginnen lassen.

Es würde alles verändern.

Er wartete, und ihre Augen gingen flatternd zu, als ihre Lippen sich öffneten, seine einluden. Sie holte Luft, und ihr Brustkorb hob und senkte sich an seinem. Er beugte sich vor, bereit, ihren Mund einzunehmen, wenn sie die Wahrheit gestand. Sag mir, dass du mich begehrst .

»Nur Karten.«

Blitzschnell löste er sich von ihr, trotz seines tobenden Verlangens, und versuchte, seine Wut über ihre Antwort zu verbergen. Es kostete ihn Überwindung, und er ballte die Fäuste, bis sich seine Nägel in die Handflächen gruben. Der Schmerz machte es einfacher und half ihm, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als seinen stahlharten Schwanz.

Leck mich , dachte er.

Wenn sie ihre Lust nicht eingestand, würde er sich nicht weiter zum Narren machen.

»Du willst sicher nach Hause zurück«, sagte er, wandte sich ab, verließ die Bücherregale und blieb kurz stehen, um zurückzublicken. »Wenn du möchtest, kannst du diese Bücher ausleihen.«

Sie blinzelte, als stünde sie unter einer Art Zauber, bevor sie die Bücher aufhob und ihm in den Hauptteil der Bibliothek folgte.

»Wie? Du hast meine Gunst widerrufen.«

»Glaub mir, Lady Persephone«, sagte er und achtete auf einen emotionslosen Tonfall. »Würde ich dir meine Gunst entziehen, wüsstest du es.«

Es wäre schmerzvoll, wie Haut, die von Knochen gerissen wird.

»Also bin ich jetzt wieder Lady Persephone?« In ihrer Stimme lag Verachtung, und er wunderte sich über ihre Antwort. War sie wütend auf ihn?

»Du warst immer Lady Persephone, ob du nun entscheidest, dein Blut zu akzeptieren oder nicht.«

»Was gibt es da zu akzeptieren?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen. »Ich bin eine bestenfalls unbekannte Göttin – und eine geringere dazu.«

Hades runzelte die Stirn. Diese Vorstellungen waren die Gitterstäbe, die ihre wahre Natur gefangen hielten.

»Wenn das deine Meinung von dir selbst ist, wirst du nie Macht kennenlernen.«

Hades hatte nicht mehr zu sagen. Er musste eine Nymphe befragen, Energie aufwenden, und Persephone hatte deutlich gemacht, dass sie gehen wollte. Er begann, seine Magie zu sammeln, um ins Nevernight zu teleportieren, als ihr scharfer Befehl ihn aufhielt.

»Lass das . Du hast mich gebeten, nicht einfach zu gehen, wenn ich wütend bin, und jetzt bitte ich dich, mich nicht einfach wegzuschicken, wenn du wütend bist.«

Er ließ die Hand sinken. »Ich bin nicht wütend.«

»Wieso hast du mich dann vorhin einfach so in der Unterwelt abgesetzt?«, fragte sie. »Wieso hast du mich weggeschickt?«

»Ich musste mit Hermes sprechen«, antwortete er.

»Und das konntest du mir nicht sagen?«

Er zögerte.

»Verlange nicht Dinge von mir, die du nicht selbst fertigbringst, Hades.«

Er starrte sie an. Ihr Zorn half ihm, einige Dinge über sie zu lernen. Als er sie vorhin in der Unterwelt abgesetzt hatte, hatte er damit ihre Gefühle verletzt. Sie fühlte sich ignoriert und abgelehnt.

Wir sind Gleichgestellte , hatte sie bei ihrem zweiten Zusammentreffen gesagt, als sie gekommen war, um zu fordern, dass er sein Mal entfernen sollte. Und jetzt erhob sie diesen Anspruch erneut.

Nach einem Moment nickte er. »Diese Gefälligkeit werde ich dir erweisen.«

Sie atmete auf, und Hades fragte sich, ob sie erwartet hatte, dass er Nein sagen würde. Der Gedanke machte ihm das Herz schwer.

»Danke.«

Ihre Worte ließen ihn sich entspannen, und er streckte eine Hand aus. »Komm, wir können gemeinsam ins Nevernight zurückkehren. Ich habe dort … unerledigte Angelegenheiten.«

Sie verlagerte die Bücher in ihren Armen, nahm seine Hand, und sie kehrten in sein Büro zurück. Ihr Blick fiel auf den Spiegel über dem Kamin, bevor sie ihm in die Augen sah.

»Woher wusstest du eigentlich, dass wir da drin waren? Hermes sagte, man könne uns nicht sehen.«

»Ich wusste, dass du hier warst, weil ich dich fühlen konnte.«

Darauf schauderte sie sichtbar und entzog ihm ihre Hand. Hades trauerte um den Verlust ihrer Wärme. Sie hob ihren Rucksack auf von da, wo sie ihn zurückgelassen hatte, und hängte ihn sich um die Schultern. Auf dem Weg zur Tür hinaus hielt sie inne und blickte zurück. Sie sah so jung aus, so schön, umrahmt von seinen vergoldeten Türen, und er fragte sich, was in aller Welt er da tat.

»Du sagtest, die Karte ist nur für jene sichtbar, denen du vertraust. Was ist nötig, um das Vertrauen des Gottes der Toten zu gewinnen?«

»Zeit.«

Hades geleitete Persephone hinaus, trotz ihres Protestes. Er wusste, dass sie nicht mit ihm gesehen werden wollte, und er konnte es ihr wirklich nicht verübeln. Die Medien waren erbarmungslos und obsessiv, sie verfolgten Gottheiten wie Beute in der Hoffnung auf einen Schnappschuss, um Sensationsgier und Tratsch weiter anstacheln zu können. Manche seiner Mit-Olympier liebten diese Aufmerksamkeit, aber Hades hatte es sich zum Ziel gemacht, ihr vollständig aus dem Weg zu gehen. Dabei ging er sogar so weit, Wachen zu postieren, um seine Privatsphäre zu wahren, an der Straße, auf den Dächern und in Gebäuden um seinen Club herum.

»Antoni wird dich nach Hause bringen«, sagte er. Er hatte den Zyklopen bereits gerufen. Dieser stand vor Hades’ schwarzem Lexus. Er hatte erwartet, dass Persephone protestieren würde, aber sie blickte nur mit sanfter Miene zu ihm auf.

»Danke.«

Sie stieg hinten in den Wagen und begegnete seinem Blick durch das Fenster, als Antoni die Tür schloss.

Als er sie dieses Mal wegfahren sah, fühlte es sich anders an. Als hätten sie eine gemeinsame Basis gefunden. Als seien sie einen Schritt weiter, einander zu verstehen … und er fühlte Hoffnung.

Als der Wagen außer Sichtweite war, kam Ilias auf ihn zu und übergab ihm eine Akte, die er über die Dryade zusammengestellt hatte, die Persephone ins Nevernight gefolgt war. Er überflog den Inhalt und gab sie dem Satyr zurück.

»Danke, Ilias«, sagte er, verschwand und erschien in dem kleinen Raum, in dem die Dryade festgehalten wurde. Sie schrie auf, als sie Hades sah, und drückte sich zitternd an die Wand.

»Rosalva Lykaios. Assistentin von Demeter. Komisch, dass in deinem Lebenslauf nicht auch Spionin steht.«

Sie antwortete leise mit bebender Stimme. »B-Bitte, mein Lord …«

»Ich will es kurz machen«, fiel er ihr ins Wort. »Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du belügst deine Herrin und sagst ihr, dass Persephone heute Abend nicht hier war, oder du sagst die Wahrheit.«

Er ging auf sie zu, während er sprach, und das Mädchen kauerte sich nieder.

»Im ersten Fall riskierst du den Zorn von Demeter«, meinte er. »Im zweiten riskierst du meinen.«

»Ihr verlangt das Unmögliche von mir.«

»Nein«, sagte er. »Ich verlange von dir zu wissen: Wen von uns fürchtest du mehr?«