KAPITEL SIEBZEHN

Bruchstelle

Hades sah Persephone beim Schlafen zu, während er den Widerspruch ihrer Worte und ihrer Taten in Einklang zu bringen versuchte. Er rief sich ins Gedächtnis, dass sie nicht nur unter dem Einfluss von Alkohol, sondern auch irgendeiner Droge gestanden hatte. Er hatte es auf ihrer Zunge geschmeckt – metallisch, salzig – falsch . Sie war nicht sie selbst gewesen, weder in der Limo noch in seinem Büro oder in seinem Schlafzimmer. Das bedeutete, dass ihre Worte – die in dem Artikel – seine Gedanken beherrschten, und er wälzte sie immer wieder in seinem Kopf, bis er vor Wut schäumte.

Er spürte ihr Aufwachen, denn ihre Atemzüge veränderten sich. Mit einem Ruck setzte sie sich auf und hielt sich seine Seidenlaken vor den Oberkörper. Ihre Augen leuchteten, und ihre Wangen waren gerötet. Er hätte sie gern so nach einer Nacht des Liebesspiels gesehen. Stattdessen musterte er sie nach einer Nacht, in der er ihre Avancen hatte abwehren müssen. Er trank noch einen Schluck von seinem Whiskey und hielt ihrem Blick stand. Ihre leuchtenden Augen ruhten wachsam auf ihm.

»Warum bin ich nackt?«, fragte sie.

»Weil du darauf bestanden hast«, sagte er und ließ seine Stimme so emotionslos wie möglich klingen. Es kostete ihn größte Anstrengung, denn jeder zweite Gedanke war eine Erinnerung an die letzte Nacht – eine Erinnerung an ihr Drängen, ihn sagen zu hören, dass er sie wollte, an das Gefühl ihres Körpers, der sich an seinen presste, an die Hitze ihrer Lippen, die seine öffneten. »Du warst sehr entschlossen, mich zu verführen.«

Ihre schon geröteten Wangen wurden tiefrot. »Haben wir …«

Sein Lachen klang mehr wie ein Schnauben. Er war nicht sicher, wieso. Vielleicht weil sie annahm, dass er ihren berauschten Zustand ausnutzen würde. Oder weil er in Wirklichkeit den größten Teil ihres Schlafes damit verbracht hatte, sich mit den Worten zu quälen, mit denen sie ihn beschrieben hatte.

»Nein, Lady Persephone. Glaub mir, wenn wir miteinander geschlafen haben, wirst du dich daran erinnern.«

Ihre Züge verhärteten sich, und sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Deine Arroganz ist ohnegleichen.«

»Ist das eine Herausforderung?«

»Sag mir einfach, was passiert ist, Hades!«, fauchte sie.

Er begegnete ihrem grimmigen Blick ebenso böse, bevor er antwortete: »Du wurdest im La Rose unter Drogen gesetzt. Du hast Glück, dass du unsterblich bist. Dein Körper hat das Gift schnell verbrannt.«

Sie schwieg einen Moment, um diese Informationen zu verarbeiten, und wandte den Blick ab, als suche sie irgendwo in der Ferne nach Antworten auf ihre Fragen.

»Adonis«, sagte sie plötzlich und machte dann schmale Augen. »Was hast du mit ihm gemacht?«

Hades knirschte mit den Zähnen und konzentrierte sich auf den restlichen Alkohol in seinem Glas, statt auf ihren Blick. Er trank es leer und stellte es weg. »Er ist am Leben, aber nur, weil er sich auf dem Territorium seiner Göttin befand.«

»Du wusstest es!« Sie schob sich vom Bett, und die Laken um sie herum raschelten. Er wollte es ihr vom Leib reißen, sie nackt und selbstsicher vor sich sehen, so wie gestern Nacht. »Hast du mich deshalb gewarnt, dass ich mich von ihm fernhalten soll?«

»Ich versichere dir, es gibt mehr Gründe, sich von diesem Sterblichen fernzuhalten, als nur das Privileg, das Aphrodite ihm gewährt.«

»Nämlich welche?«, fragte sie und trat einen Schritt auf ihn zu. »Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich es verstehe, wenn du nichts erklärst.«

Was muss ich da erklären? Er hat dich geküsst, obwohl du es nicht wolltest, wollte Hades sagen – aber es war möglich, dass sie sich gar nicht daran erinnerte.

»Ich erwarte, dass du mir vertraust.« Er stand auf, nahm sein Glas vom Tisch und füllte es erneut an der Bar. »Und wenn nicht mir, dann meiner Macht.«

Er wusste, sie kannte seine Fähigkeit, zu sehen, was Sterbliche mit Charme und Lügen zu verbergen versuchten. Es war schließlich eine Macht, die sie in ihrem Artikel verdammte und behauptete, er würde sie nutzen, um sich auf die dunkelsten Geheimnisse der Menschen zu stürzen.

»Ich dachte, du wärst eifersüchtig!«

Das Lachen, das aus Hades’ tiefster Kehle drang, klang selbst für seine Ohren zu schroff. Er war sich auch nicht sicher, warum er über sie spottete, doch vielleicht lag es daran, dass ihm soeben seine Eifersucht bewusst geworden war, nun da sein Zorn über die vergangene Nacht verraucht war.

»Tu nicht so, als würdest du nie eifersüchtig, Hades. Adonis hat mich gestern Nacht geküsst.«

Hades stellte das Glas mit einem verräterisch lauten Klirren auf den Tisch und drehte sich zu ihr. »Erinnere mich noch mal daran, Göttin, und ich verwandle ihn in ein Häufchen Asche.«

»Dann bist du also eifersüchtig!«, rief sie.

»Eifersüchtig?«, zischte er und kam auf sie zu. Er sah, wie der Ausdruck von Triumph aus ihrem Gesicht verschwand und ersetzt wurde von etwas, das er nicht recht einordnen konnte. Er wusste nur, dass es keine Angst war. »Dieser … Blutsauger … hat dich berührt, obwohl du es ihm verboten hattest. Ich habe schon Seelen für weniger in den Tartaros geschickt.«

Er blieb wenige Zentimeter vor ihr stehen, und sein heftiger Zorn strahlte von ihm ab wie die Hitze von Helios’ Sonne.

Bis sie eine Entschuldigung aussprach. Die Worte kamen leise und atemlos aus ihrem Mund. »Es … tut mir leid.«

Er war nicht sicher, warum sie sich entschuldigte, denn nach seinen Worten über Adonis wirkte es nicht richtig.

Er runzelte die Stirn, umfasste ihr Gesicht und trat näher, so dass es keinen Abstand mehr zwischen ihnen gab. »Wage es nicht, dich zu entschuldigen. Nicht für ihn. Niemals für ihn.«

Sie legte ihre Hände auf seine, und als er forschend in ihre Augen sah, voll Güte und Mitgefühl, spürte er, wie sich ein wenig dieser Wut auflöste, und er musste einfach fragen: »Warum willst du mich so unbedingt hassen?«

»Ich hasse dich nicht«, sagte sie leise.

Er konnte keine Lüge wahrnehmen, aber er konnte auch nicht verstehen, warum sie dann diesen Artikel über ihn geschrieben hatte. Er löste sich von ihr.

»Ach nein? Soll ich dich daran erinnern? Hades, Herr der Unterwelt, der Begüterte und verständlicherweise der meistgehasste Gott unter den Sterblichen, trägt seine Verachtung für sterbliches Leben deutlich zur Schau

Während er sie zitierte, schien sie den Kopf einzuziehen, wurde immer kleiner unter ihren eigenen schmierigen Worten.

»Das ist es, was du von mir denkst?«, fragte er herausfordernd.

»Ich war wütend …«

»Oh, das ist mehr als offensichtlich«, gab er scharf zurück.

»Ich wusste nicht, dass sie ihn veröffentlichen würden!«

»Einen geifernden Artikel, der all meine Fehler bloßlegt?« Er lachte bitter auf. »Du dachtest wirklich, dass die Medien sowas nicht veröffentlichen würden?«

Sie hatte den Artikel als Drohung benutzt, denn sie wusste, dass Hades seine Privatsphäre schätzte. Sie hatte also sehr wohl auch gewusst, dass er ein begehrtes Stück für die Medien wäre, und doch gab es etwas, das ihn bei ihrer Verteidigung störte – er konnte keine Lüge wahrnehmen. Doch wenn sie wirklich nicht wollte, dass der Artikel veröffentlicht wurde, warum ihn dann überhaupt schreiben? Und noch wichtiger: Wie war er dann veröffentlicht worden?

Doch seine Verwirrung schien keinerlei Mitgefühl bei der Göttin zu bewirken. Ihre Augen blitzten auf, als sie sagte: »Ich habe dich gewarnt.«

»Du hast mich gewarnt?« Hades gab ein rauchiges Lachen von sich. »Wovor hast du mich gewarnt, Göttin?«

»Ich habe dich gewarnt, dass du unsere Wette bereuen würdest.«

Ja, er erinnerte sich an ihre Worte, ausgesprochen, während sie die Aufschläge seines Jacketts gerichtet und die Blume in seiner Brusttasche zum Welken gebracht hatte. Er hatte damals schon keinen Zweifel an ihren Worten gehabt, und er hatte auch jetzt keinen.

»Und ich habe dich gewarnt, nicht über mich zu schreiben.« Er wagte es, erneut den Abstand zwischen ihnen zu überwinden, obwohl er wusste, dass dies gefährlich war, denn ihrer beider Zorn kannte nur ein Ventil.

»Vielleicht schreibe ich in meinem nächsten Artikel darüber, wie herrschsüchtig du bist«, drohte sie.

»Nächsten Artikel?«

»Wusstest du das nicht?«, fragte sie selbstzufrieden. »Ich bin gebeten worden, eine Serie über dich zu schreiben.«

»Nein.«

»Du kannst nicht einfach Nein sagen. Du hast dabei nicht mitzureden.«

Da war er anderer Ansicht, und das würde er ihr zeigen, dachte er, lehnte sich über sie und fühlte, wie sie sich fortschlängelte, wie eine Viper, die auf ihn reagierte, und wenn sie zuschlüge, dann voller Gift.

»Du denkst also, du hättest das Sagen?«

»Ich werde diese Artikel schreiben, Hades, und die einzige Möglichkeit, dass ich damit aufhöre, ist die, dass du mich aus dieser götterverdammten Wette entlässt!«

Das war also ihr Spiel?

»Du denkst, du kannst mit mir feilschen, Göttin?«, fragte er. »Du hast eine wichtige Sache vergessen, Lady Persephone. Um zu feilschen, musst du etwas haben, das ich will.«

Ihre Augen blitzten, und ihre Wangen wurden wieder rosig.

»Du hast mich gefragt, ob ich glaube, was ich da geschrieben habe!«, argumentierte sie. »Es ist dir also wichtig!«

»Das nennt man bluffen, Liebes.«

»Du Bastard«, zischte sie.

Es war dieses Wort, das seine Zurückhaltung brach. Er zog sie an sich, tauchte die Hand in ihr Haar, und seine Lippen schlossen sich über ihre. Sie war weich und süß, und sie roch nach ihm. Er wollte alles von ihr – und doch löste er sich von ihr, nur Zentimeter.

»Lass es mich deutlich sagen«, sagte er grimmig. »Du hast gefeilscht, und du hast verloren. Es gibt keinen Weg aus deiner Wette, es sei denn, du erfüllst die Bedingungen. Andernfalls bleibst du hier. Bei mir.«

Sie blickte zu ihm auf, mit lodernden Augen. »Wenn du mich zu deiner Gefangenen machst, werde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, dich zu hassen.«

»Das tust du doch schon.«

Er registrierte, wie sie bei seinen Worten zusammenzuzucken schien und ihn mit einem Blick ansah, als würde seine Bemerkung sie verletzen. »Glaubst du das wirklich?«

Er antwortete nicht, sondern lachte nur spöttisch und drückte dann einen heißen Kuss auf ihren Mund, bevor er sich abrupt von ihr löste. »Ich werde die Erinnerung an ihn von deiner Haut löschen.«

Er riss ihr das Laken aus den Händen, und sie stand nackt vor ihm, so wie letzte Nacht. In ihren Augen stand Begehren, und er konnte nur daran denken, wie sehr er das hier wollte – ihre Leidenschaft, ihren Körper und ihre Seele.

Er packte ihre Pobacken, hob sie vom Boden hoch, und ihr Körper schmiegte sich an ihn, ohne dass er sie anleiten musste. Es war eine stille Kapitulation, ein Zeichen, dass sie dies ebenso sehr wollte wie er. Seine Lippen pressten sich auf ihre, und Hitze blühte tief in seinem Bauch auf, breitete sich in seinen Lenden aus, bis sein Schwanz hart war und unbedingt in ihr sein wollte. Er fühlte sich wie im Fieber, sein Körper vibrierte vor Verlangen, gedrängt von Persephones sündigen Händen, die über seine Kopfhaut schrammten und an seinem Haar zogen. Er knurrte aus tiefer Kehle, presste sie an den Bettpfosten und rieb sich an ihr. Er genoss es, wie ihr Mund sich von seinem löste, damit sie nach Luft schnappen konnte, als er sich an ihr bewegte, Küsse auf ihren Hals und ihre Schulter drückte und sie mit seiner Zunge kostete. Er war unvernünftig, doch sie war wie ein Bann, und er täte alles, wenn das bedeutete, sie jeden Tag so haben zu können, für den Rest seines Lebens.

Meine Liebste , dachte er. Meine Frau, meine Königin .

Er erstarrte, weil er die Worte fast laut ausgesprochen hätte, und dann drehte er sich mit ihr und ließ sie auf das Bett fallen. Schwer atmend stand er über ihr, und sie blickte zu ihm auf, überrascht, aber so schön und sinnlich wie eh und je, mit gespreizten Beinen, ihre Brüste fest und voll. Er hatte zwei Möglichkeiten: Er konnte sie in Besitz nehmen oder in Ruhe lassen. Und so kurz nach ihrem Artikel hatte er das Gefühl, dass sie in Ruhe zu lassen die bessere Wahl wäre, denn das Einzige, das sie beide in dem anderen Fall erwarten würde, war Kummer.

Er brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Nun, wahrscheinlich würdest du es wirklich genießen, mit mir zu schlafen, aber leiden kannst du mich eindeutig nicht.«

Er registrierte kaum den Schrecken in ihrer Miene, bevor er verschwand.

Sie hatte recht – er war ein Bastard.