KAPITEL NEUNZEHN

Das Halcyon-Projekt

Hades teleportierte sich in seine Gemächer. Er war nackt, und sein Schwanz verlangte drängend nach Erlösung.

Sie hat mich zurückgelassen , dachte er und nahm einen tiefen Schluck direkt aus der Whiskeyflasche, die er seiner Bar entnommen hatte. Angespannt von Kopf bis Fuß, tigerte er unruhig hin und her. Je mehr er sich bewegte, umso mehr wurde er an sein Verlangen erinnert.

Verdammte Moiren. Verdammte Minthe.

Dies ist eine Kostprobe meiner eigenen Medizin, dachte er. Ich habe sie auch zurückgelassen. Hat sie sich dabei ebenso gefühlt?

Der Gedanke war erfreulich und zugleich qualvoll.

Er blieb stehen, trank noch einmal aus der Flasche und warf sie dann in das lodernde Feuer. Sie zerbrach, und einen Moment lang loderten die Flammen höher auf. Die perfekte Repräsentation seiner Gefühle. Als das Feuer erlosch, stützte er sich an den Tisch, wand die Hand um seinen harten Schaft, biss die Zähne zusammen und schloss die Augen.

In der Dunkelheit seines Verstandes teleportierte er zu Persephone. Er fand sie auf dem Bett liegend, mit gespreizten Beinen, ihren Finger tief in ihr, während sie sich Lust bereitete, genau so, wie er es ihr im Bad gezeigt hatte. Ihre Fersen gruben sich in das Bett, sie bog den Rücken durch, und ihre Atemzüge wurden schwer. Sie war wunderschön, ihre entblößte Haut in Mondlicht gebadet – eine silbrige Göttin, gefangen in ihrer Leidenschaft.

Dann ging sie auf die Knie und wiegte sich vor und zurück, ließ die Hüften kreisen, während sie sich auf ihrer Hand bewegte.

»Sag, dass du jetzt an mich denkst«, sagte Hades, und seine Hand umfasste seinen Schwanz, strich sachte darüber und genoss die Lust, die in seinem Kopf rauschte.

Persephone drehte sich um, und ihre weit aufgerissenen grünen Augen begegneten seinen im Dunkeln. Sogar in diesem Licht konnte er ihre geröteten Wangen erkennen. Ihr wirres Haar umrahmte ihr Gesicht, und ihre Brustwarzen drückten sich gegen das Nachthemd.

»Nun?«, drängte er.

»Ja«, hauchte sie. »Ich denke an dich.«

Er knurrte aus tiefster Kehle. »Hör nicht meinetwegen auf.«

Sie erhob sich auf die Knie und zog sich das Nachthemd über den Kopf. Sein Blick glitt über ihren wundervollen Körper, die vollen Brüste und dunklen Brustwarzen. Ihre schmale Taille, die er umfassen wollte, während sie ihn ritt bis zum Orgasmus, ihre Hüften, die ihn umklammern würden, während er sich in sie stieß.

Die Göttin begann erneut, brachte sich wieder in Position, um sich selbst Lust zu bereiten. Eine Weile lang hielten sie den Augenkontakt, und während sie sich auf und ab bewegte, streichelte Hades sich selbst, immer drängender, je länger er ihrer Leidenschaft zusah, während sie den Kopf in den Nacken legte, ihre Brüste hüpften und sie die Zähne in ihre Unterlippe grub. Bald bewegten sich auch seine Hüften, und er stieß sich in seine Hand.

»Komm für mich«, befahl er. »Komm, mein Liebling.«

Ihr Stöhnen wurden von seinem eigenen übertönt, als sein Körper zuckte und er sich in seine eigene Hand ergoss. Schwer atmend sank er an den Tisch. Und obwohl er nach Luft rang, lachte er.

Er lachte, weil er gerade eine der heißesten sexuellen Begegnungen seines langen Lebens gehabt hatte. Weil seine Göttin – seine künftige Frau – sich selbst Lust bereitet hatte –, und sie hatte dabei an ihn gedacht.

»Sag mir, warum du heute Abend mit Minthe zur Olympischen Gala gehst und nicht mit Persephone.«

Die Frage kam von Hekate, die hinter Hades stand, während er im Spiegel seine Krawatte richtete. Die Göttin der Zauberei sah nicht gerade erfreut aus und stand drohend mit verschränkten Armen in ihren purpurnen Gewändern da.

Die Olympische Gala fand jedes Jahr statt und wurde vom Museum der Antiken Künste ausgerichtet. Es war eine extravagante Veranstaltung und ein Vorwand für die Götter, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Der einzige Grund, warum Hades hinging, war der, dass die Veranstaltung auch als Spendenaktion diente. Dieses Jahr war die Unterwelt das Thema der Gala, was bedeutete, dass Hades und seine Stiftung an der Auswahl des wohltätigen Zweckes beteiligt waren.

»Ich nehme Minthe nicht als Begleitung mit«, sagte Hades. »Sie kommt mit als meine Assistentin.«

Und er hatte Persephone nicht gefragt, weil sie im Auftrag der Zeitung hinging und Lexa mitnahm.

»Dir ist schon klar, dass das Einzige, was Persephone sehen wird, ist, wie du mit Minthe auf der Gala ankommst?«

Hades dachte an die Nacht neulich im Bad, als Minthe sie beide unterbrochen hatte. Persephone hatte auf seinen Unterleib geblickt, seinen Schwanz und die schweren Hoden, und er hörte noch immer ihre Worte in seinem Kopf. Dann kann Minthe dir bei deinen Bedürfnissen assistieren.

Hades knirschte mit den Zähnen und wandte sich zu Hekate um.

»Ich habe nicht vor, mit ihr am Arm einzutreffen«, sagte er. »Sie ist nur dort, um das Halcyon-Projekt anzukündigen.«

Es war etwas, woran sein Personal bei der Cypress Foundation gearbeitet hatte – ein gemeinnütziges Projekt, das kostenlose Rehabilitationsbehandlungen für Sterbliche bieten würde. Es war inspiriert von Persephone, deren Worte er immer noch ganz deutlich hören konnte: Wenn du ihnen schon eine Wette vorschlagen willst, dann fordere sie heraus, eine Therapie zu machen – und wenn sie gewinnen, bezahle sie.

Er hatte bisher noch nicht genug getan. Wenn sein Ziel wirklich darin bestand, das Leben in der Unterwelt für die Seelen besser zu gestalten, dann sollten sie schon im Leben Hoffnung haben. In den letzten Wochen hatte Hades mehr über Hoffnung gelernt, als er sich je hatte vorstellen können.

Hekate starrte ihn an und runzelte die Stirn. »Weiß Minthe das auch?«

»Ich habe ihr keinen Grund gegeben, etwas anderes zu denken«, antwortete Hades.

Die Göttin schüttelte den Kopf. »Du verstehst Frauen nicht«, stellte sie fest. »Wenn du es nicht ausdrücklich klargemacht hast, soll heißen, wenn du nicht die Worte Minthe, du bist nicht meine Begleitung ausgesprochen hast, dann wird sie genau das denken.«

»Und was macht dich plötzlich zur Expertin?«

»Ich mag nicht an Beziehungen interessiert sein, Hades. Aber ich lebe schon länger als du und habe gesehen, wie diese Emotionen die Menschheit zerstören. Außerdem« – sie hob das Kinn – »habe ich gehört, wie Minthe ihren Ergebenen gesagt hat, sie habe an diesem Abend ein Date mit dir.«

»Ihren Ergebenen ?«, fragte er.

»Sie hat eine Gruppe Nymphen um sich geschart, bei denen sie sich über so ziemlich alles auslässt. Du solltest einmal hören, wie sie über Persephone redet.«

Hades machte schmale Augen, und plötzlich war er ganz neugierig.

»Wie redet sie denn über Persephone?«

Hekates Augen glitzerten drohend, als sie ihm detailliert die schrecklichen Dinge beschrieb, die Minthe über die Göttin des Frühlings gesagt hatte, einschließlich dass sie sie als Gefälligkeitsfick bezeichnet hatte – eine abwertende Bezeichnung für jemanden, der mit einer Gottheit schlief, um dessen Gunst zu erlangen. Als Hekate fertig war, hatte Hades nur noch eine einzige Frage.

»Warum erfahre ich erst jetzt davon?«

»Ich habe erst Beweise gesammelt«, antwortete Hekate. »Und wenn du denkst, dass ich sie damit davonkommen lasse, dass sie Persephone beschimpft, dann irrst du dich.«

Hades wartete ab, und schließlich erklärte Hekate: »Ich … habe vielleicht eine Horde giftiger Hundertfüßler geschickt, um ihr Picknick zu stören. Beim zweiten Mal waren es Blasenkäfer.«

»Beim zweiten Mal? Das ist nicht nur einmal geschehen?«

»Was soll ich sagen? Minthe ist außer Kontrolle geraten«, sagte Hekate und umging dabei seine wahre Frage, welche lautete: Warum war sie nicht früher damit zu ihm gekommen?

Hades wandte sich von ihr ab und nahm seine Maske von dem Tisch hinter ihm.

»Also«, fragte Hekate ausweichend. »Was wirst du tun?«

»Ich werde mit Minthe sprechen«, antwortete Hades.

»Sprechen «, wiederholte Hekate. »Du wirst das nicht als Gelegenheit nutzen, um … ich weiß nicht … sie aus der Unterwelt zu verbannen?«

»Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt«, sagte Hades und begegnete Hekates Blick. »Wie du so … treffend zu Beginn dieses Gesprächs bemerkt hast. Wenn ich mit Minthe fertig bin, wird sie keinerlei Zweifel mehr daran haben, wie sie Persephone zu behandeln hat.«

Hades öffnete die Tür und fand die Nymphe davorstehend vor. Sie hatte die Hand erhoben, als habe sie soeben klopfen wollen. Sie war gekleidet in Smaragdgrün und trug schweren Schmuck an Ohren und Hals.

»Oh«, sagte sie und lächelte strahlend, während ihr Blick zu Hekate huschte, die noch im Hintergrund stand. Ihre Augen wurden schmaler, bevor sie sich wieder auf Hades konzentrierte. »Ich … wollte nur sehen, ob du fertig bist.«

»Mehr als das«, antwortete Hades, und bevor die Nymphe reagieren konnte, beschwor er seine Magie und teleportierte mit ihr. Sie erschienen im Museum der Antiken Künste, gleich vor dem Ballsaal, in dem das Abendessen stattfinden würde.

»Gefälligkeitsfick«, sagte er nur und setzte seine Maske auf.

Minthe sah ihn an, und ihre Miene war eine Mischung aus Vorahnung und Furcht. »Wie bitte?«

»Willst du behaupten, dass du dieses Wort nicht kennst?«, fragte er.

Minthe sagte nichts darauf.

»Wenn ich das nächste Mal höre, dass du schlecht von Persephone sprichst, wird es das letzte Mal sein, dass du mir assistierst«, sagte Hades. »Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Die Nymphe hob das Kinn, und Zorn glitzerte in ihren Augen. Aber sie blieb stumm. Mehr als wahrscheinlich war sie beschämt und wütend, dass sie für ihr bösartiges Verhalten zur Rechenschaft gezogen wurde. Hades verließ den Korridor und betrat den Ballsaal. Auf der Stelle bot sich ihm der Anblick von Persephone, die die Stufen herabstieg, gekrönt in Gold und gekleidet in Feuer.

Er starrte sie an, unverhohlen und gierig. Ihr Kleid schmiegte sich an ihren Körper und erinnerte ihn daran, dass er sie nackt gesehen, sie auf intimste Weise berührt und sie seinen Namen flüstern gehört hatte. Er wusste, dass sie ähnliche Gedanken hatte, als ihre flaschengrünen Augen über seinen Körper glitten, ihn von innen heraus entflammten, und dann wurden seine Gedanken zu Chaos, und er fragte sich, ob sie unter diesem Kleid noch irgendetwas trug.

Doch noch während sie ihn anstarrte, wurden ihre Augen finster. Hades versteifte sich, als Minthe neben ihn trat, und das Rascheln ihres Kleides kratzte in seinen Ohren wie eine Stahlklinge, die geschärft wurde.

Er nahm die Nymphe nicht zur Kenntnis, aber das spielte keine Rolle. Er begriff Persephones Gesichtsausdruck. Sie dachte genau das, was Hekate vorhergesagt hatte – dass sie gemeinsam hier waren. Hades konnte Hekates selbstzufriedene Stimme förmlich hören.

Habe ich dir doch gesagt.

Persephone trank ihren Wein aus und verschwand dann in der Menge. Lexa folgte ihr.

»Ich glaube, du hast gerade eine Abfuhr bekommen«, bemerkte Minthe.

Hades’ Stimmung verfinsterte sich, und er umging die Menge in dem Versuch, den Sichtkontakt zu Persephone zu behalten. Er wollte es ihr erklären, bevor es zu spät war. Doch da fand er seinen Weg blockiert von Poseidon. Der Gott trug einen auffälligen Anzug, und sein Haar schien mit Gel zu etwas geformt zu sein, das einer Ozeanwelle ähneln sollte. Hades fand, dass er ziemlich albern aussah, und fragte sich, was Thanatos wohl von seiner Frisur denken mochte.

»Bruder«, grüßte Poseidon und warf einen Blick über die Schulter dorthin, wo Persephone mit Hermes stand. »Halte ich dich gerade von etwas ab?«

Hades antwortete nicht.

»Sie ist schön«, meinte Poseidon. »Das sehe ich sogar trotz der Maske. Vielleicht willst du ja teilen, wenn du ihrer überdrüssig bist.«

Hades machte schmale Augen, legte den Kopf schief und trat einen Schritt auf seinen Bruder zu. Sie waren gleich groß, aber von verschiedener Statur. Poseidon war wuchtiger, aber Hades stärker. Falls er eine Erinnerung daran brauchte, würde Hades ihm den Gefallen mit Freuden tun.

»Wenn du noch einmal auch nur in ihre Richtung schaust, werde ich dich in Stücke reißen und deinen Kadaver an die Titanen verfüttern«, drohte er. »Zweifelst du an meinen Worten?«

Poseidon hatte die Frechheit, amüsiert dreinzublicken. Seine wasserblauen Augen funkelten, und er zog eine blonde Augenbraue hoch. »So besitzergreifend, Bruder?«

»Das ist noch gar nichts. Du hättest sehen sollen, was er getan hat, als ich sie vor dem Ertrinken gerettet habe«, meinte Hermes, der gerade zu ihnen geschlendert kam. Seine Flügel schleiften über den Boden. Hades trat einen Schritt zurück.

»Hat er einen Kreis um sie herum gepisst?«, fragte Poseidon.

Hades biss die Zähne zusammen und wandte den finsteren Blick zu Hermes, der gerade den Mund aufmachte. Doch dann sah er Hades an und schloss ihn wieder. Hades hatte das Gefühl, zu wissen, was Hermes hatte sagen wollen: Dass er Persephone auf andere Weise markiert hatte, mittels einer Wette.

»Was ist los, Bruder? Angst, dass ihre Augen auf Wanderschaft gehen?«

Hades fühlte Finsternis in sich aufsteigen. Er würde Poseidon zeigen, wie es war, wenn Augen auf Wanderschaft gingen, indem er sie ihm aus dem Schädel riss und quer durch den Saal warf.

Aber da tauchte Minthe hinter ihm auf und rettete Poseidon damit. Sie hakte sich bei ihm ein und schenkte ihm ein charmantes Lächeln.

»Poseidon«, grüßte sie mit sinnlicher Stimme. »Es ist eine Weile her.«

Der Gott der Meere blickte auf sie herab und bot ihr ein breites, raubtierartiges Lächeln.

»Minthe. Du siehst hinreißend aus.«

Sie zupfte an Poseidons Arm. »Hast du deinen Tisch schon gefunden?«, fragte sie. »Ich würde mich mehr als freuen, dir zu helfen.«

Als sie sich umdrehte, warf sie Hades einen finsteren Blick zu, als wollte sie sagen, mach hier keine Szene .

Als sie weg waren, meinte Hermes: »Wenn du nicht willst, dass Poseidon ein Mistkerl ist, solltest du ihn nicht provozieren.«

Hades sah den Gott der Gaukler an. »Was hat Persephone zu dir gesagt?«

Hermes hob eine Augenbraue. »Streit unter Liebenden?«

Er machte ein finsteres Gesicht.

»Ich habe sie nur zur Rede gestellt, weil sie dich förmlich mit den Augen gevögelt hat. Sie hat versucht, es zu leugnen, aber wir haben es alle gesehen – bei euch beiden, möchte ich hinzufügen – und wir alle haben uns unwohl dabei gefühlt. Wusstest du, dass sie denkt, dass du nicht an Liebe glaubst?«

»Was?«

»Sie schien deswegen auch etwas verbittert zu sein«, fuhr Hermes fort und ließ den Blick durch den Saal schweifen. »Oh! Kirschen!«

Er wollte schon loslaufen, doch dann blieb er stehen und sah Hades an.

»Wenn du meinen Rat willst …«

Hades wollte ihn nicht, aber ihm war auch nicht nach Reden.

»Sag es ihr.«

»Was soll ich ihr sagen?«

»Dass du sie liebst, du Idiot.« Hermes verdrehte die Augen. »Jetzt lebst du schon so lange und bist kein bisschen selbstbewusst.«

Damit ging Hermes, und als Hades sich wieder auf die Suche nach Persephone machte, war sie nicht mehr da. Er seufzte frustriert und ballte die Fäuste. In seinem Kopf wirbelten so viele Worte durcheinander – Worte von Hekate, Minthe, Poseidon und Hermes. Seltsamerweise ging ihm jetzt etwas durch den Kopf, das Hekate vor langer Zeit gesagt hatte.

Persephone hat Hoffnung auf Liebe, und statt das zu bestärken, hast du sie verspottet. Leidenschaft braucht keine Liebe? Was hast du dir nur dabei gedacht?

Gar nichts, das war ja das Problem.

Warum habe ich sie etwas so Falsches denken lassen?, dachte er und gab sich auch gleich selbst die Antwort. Weil ich Angst hatte, die Wahrheit meines Herzens zu offenbaren – dass ich mich immer danach gesehnt habe, zu lieben und geliebt zu werden.

Er hatte gehofft, sein Herz zu schützen, indem er einen Käfig darum errichtete, so stark, dass nichts – nicht einmal Persephone und ihr Mitgefühl – einen Weg hindurch finden würde. Doch jetzt war sie die einzige Person, die er nahe seinem Herzen wollte. Es war ihr Mitgefühl, das er suchte. Ihre Liebe, die er wollte.

Denn sie war die, die er liebte.

Diese Worte durchbohrten sein Herz und drehten sich darin wie eine Klinge. Er fühlte den Schmerz im ganzen Leib, bis in seine Fußsohlen und Fingerspitzen. Und er fühlte sich unsicher, wund und entblößt. Er blickte über die Menge der versammelten Sterblichen und Unsterblichen hinweg, die gar nicht wussten, dass er in ebendiesem Augenblick, am bizarrsten aller Orte, zutiefst verändert worden war.

Warum konnte er diese Erkenntnis nicht woanders haben? In der Unterwelt vielleicht? Über Persephone schwebend, während sein Schwanz kurz davor war, in sie zu dringen?

»Verdammte Moiren«, brummte er.

»Was war das?«, fragte Minthe und trat an seine Seite.

Hades warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich vertraue darauf, dass Poseidon deine Unterstützung angenehm fand?«

»Eifersüchtig, Hades?«

»Wohl kaum«, antwortete er.

»Beleidige mich nicht«, fauchte Minthe. »Ich habe das für dich getan. Alles, was ich tue, ist für dich.«

Sie starrten einander an. Hades war nicht sicher, was er sagen sollte. Ihm waren Minthes Gefühle für ihn nicht unbekannt, und er musste zugeben, dass er nie gut damit umgegangen war.

»Minthe …«

»Ich bin hier, um dir mitzuteilen, dass es Zeit ist für deine Ankündigung«, unterbrach sie ihn. »Du solltest deinen Platz einnehmen.«

Sie raffte ihr Kleid, drehte sich um und ging zur Bühne. Hades folgte ihr und hielt sich im Schatten, so dass seine Anwesenheit unbemerkt blieb, als Minthe angekündigt wurde und ins Rampenlicht trat. Sie wirkte beinahe fröhlich, als sie sprach, ohne ein Anzeichen ihrer Frustration zuvor. Doch sie konnte ihr gebrochenes Herz nicht vor ihm verbergen. Er konnte es in Kleinigkeiten sehen – Augen, die nicht mehr ganz so strahlend waren, ein Lächeln, das nicht so breit war wie sonst, Schultern, die ein wenig herabhingen.

»Willkommen«, sagte sie. »Lord Hades fühlt sich geehrt, den wohltätigen Zweck dieses Jahres bekanntzugeben – das Halcyon-Projekt.«

Die Lichter im Saal wurden gedimmt, und eine Leinwand fuhr herab, um ein kurzes Video über das Projekt zu zeigen. Hades war nicht sentimental, aber dies war ein Projekt, das sich anfühlte, als sei es sein ganzes Herz. Vielleicht lag es daran, dass es von Persephone inspiriert worden war. Oder daran, dass er stark involviert gewesen war am Design des Gebäudes, der Auswahl der Technologie und der Dienste, die die Einrichtung anbieten würde. Immer wenn Katerina, die Direktorin seiner Stiftung, ihm Fragen stellte, antwortete er ihr mit Persephone in seinen Gedanken. Es war seine Hoffnung, dass sie stolz auf ihn wäre, dass sie sehen würde, wie viel ihre Worte ihm bedeuteten.

Hades trat im Dunkeln auf die Bühne, und als die Lichter angingen, stand er vor einer Menge, die bei seinem Anblick jubelte. Als es wieder still wurde, ergriff er das Wort.

»Vor einigen Tagen wurde ein Artikel in der New Athens News veröffentlicht. Er war eine vernichtende Kritik meiner Leistung als Gott, doch unter diesen wütenden Worten waren auch Vorschläge verborgen, was ich besser machen könnte. Ich glaube nicht, dass die Frau, die den Artikel schrieb, erwartet hat, dass ich mir diese Ideen zu Herzen nehmen würde, aber indem ich Zeit mit ihr verbracht habe, begann ich, die Dinge mit ihren Augen zu sehen.« Er schmunzelte, als er daran dachte, wie grimmig sie sein konnte, wenn sie sich für Sterbliche einsetzte. »Ich bin nie jemandem begegnet, der so leidenschaftlich in Bezug auf meine Fehler war, also habe ich ihren Rat angenommen und das Halcyon-Projekt ins Leben gerufen. Ich hege die Hoffnung, dass Halcyon als eine Flamme im Dunkel für die Verlorenen dient. Ihr erfahrt mehr in der Ausstellung.«

Götter und Sterbliche gleichermaßen standen auf und klatschten, und Hades zog sich zurück. Er fühlte sich unwohl im Rampenlicht. Am liebsten wollte er sich für den Rest des Abends in Dunkelheit auflösen, aber er wollte auch wissen, was Persephone von dem Projekt hielt. Er trat beiseite, als eine Reihe Besucher sich in die Ausstellung begab. Sein Blick fing den von Aphrodite auf, die ihn finster ansah. Wahrscheinlich hatte sie ihm die Drohung, die er gegen Adonis ausgesprochen hatte, noch nicht verziehen.

Er wandte den Blick ab, suchte nach Persephone und fand sie an ihrem Tisch. Er erkannte ihren Gesichtsausdruck wieder, denn es war derselbe, den er bei ihr gesehen hatte, als sie zum ersten Mal im Nevernight gewesen war.

Sie zögerte.

Sie kam erst näher, als fast alle anderen hineingegangen waren, und als sie ging, folgte Hades ihr und rief seine Aura, um neben ihr herzugehen. Es fühlte sich übergriffig an, sie so zu beobachten, aber zugleich intim, und er bewunderte ihre heitere Miene, als sie sich alle Zeit nahm, durch die Ausstellung zu wandern, bei jedem Plakat stehenblieb, um sich die Konzeptzeichnungen des Gebäudes und der Gärten anzusehen sowie Statistiken über die gegenwärtige Situation von Sucht und geistiger Gesundheit in New Greece und darüber, wie diese Zahlen seit dem Großen Krieg gestiegen waren.

Am längsten verweilte sie bei einem 3D-Modell des eigentlichen Gebäudes und des weitläufigen Grundstücks, voll mit Bäumen, Gärten und geheimen Pfaden. Er erwog, sich ihr zu nähern, aber ihr Gesichtsausdruck – nachdenklich und sanft – hatte etwas Wunderschönes an sich, und er wollte sie nicht stören, also ging er.

Außerhalb der Ausstellung fand Hades seinen Bruder Zeus. Der Gott des Donners grinste, und während er so halb bekleidet neben Hera stand, sah er mehr nach dem antiken König der Götter aus als nach dem modernen Mann, den er für gewöhnlich zu verkörpern versuchte.

»Gut gespielt, Bruder.« Er klopfte Hades auf den Rücken, und der Gott ballte die Faust, um ihm keinen Schlag zu verpassen. »Du hast die ganze Welt in Verzückung versetzt über dein Mitgefühl

»Gut gemacht«, meinte auch Hera und klang gelangweilt. Sie begegnete nur kurz Hades’ Blick, bevor sie den Hals reckte und quer durch den Saal woanders hinsah, noch immer bei ihrem Gatten untergehakt.

»Wovon sprichst du, Zeus?«, fragte Hades.

»Die Sterbliche!«, rief Zeus. »Dass du ihre Beschimpfungen zu deinem Vorteil genutzt hast. Wirklich genial.«

Hades machte ein finsteres Gesicht. Er hatte das Ganze nicht nur als Gelegenheit betrachtet, sich selbst besser darzustellen, und er hasste es, dass sein Bruder seine Absichten schlechtmachte, aber es kam nicht überraschend.

»Ich begehre kein Lob oder Aufmerksamkeit«, sagte Hades. Persephone hatte einfach stichhaltige Argumente gehabt, und er hatte zugehört.

»Natürlich nicht«, stichelte Zeus und knuffte Hades in die Seite, als würden sie eine Art Geheimnis teilen. »Ich muss zugeben, ich hatte keine hohen Erwartungen, als ich hörte, dass dein Reich das Thema der Gala sein würde, aber das hier … das ist hübsch.«

»Welch seltenes Lob«, bemerkte Hades ausdruckslos. »Wenn du mich entschuldigst, ich brauche einen Drink.«

Er ging an seinem Bruder und Hera vorbei und steuerte schnurstracks die Bar an. Er bestellte einen Whiskey, kippte ihn zügig hinunter und fragte sich, wie lange er noch hierbleiben musste. Es war nicht so, als kämen diese Leute alle seinetwegen oder auch nur der Wohltätigkeit wegen. Es ging um die Modenschau, das Trinken, das Tanzen, den Spaß. Nur dass dies nicht Hades’ Vorstellung von Spaß war. Er hatte die Nacht zwischen Persephones Schenkeln verbringen und Lust bereiten und erfahren wollen.

Bei dem Gedanken drehte er sich um und sah das Ziel seiner unanständigen Gedanken nur wenige Schritte entfernt stehen. Sofort fiel sein Blick auf ihren freien Rücken, und er dachte daran, wie sie sich im Pool an ihn geschmiegt hatte, in drängendem Verlangen nach Lust. Er ging auf sie zu und wusste, dass sie seine Anwesenheit fühlte, denn sie straffte sich und drehte den Kopf, so dass er ihr Profil sehen konnte – die zarte Nase und die hübschen Lippen.

»Irgendein Anlass zur Kritik, Lady Persephone?«, fragte er.

»Nein«, antwortete sie leise und nachdenklich. »Wie lange hast du das Halcyon-Projekt schon geplant?«

»Nicht lange.«

»Es wird wundervoll werden.«

Er lehnte sich zu ihr und streifte mit den Fingerspitzen über ihre Schulter, fuhr die Ränder der schwarzen Applikation nach, die sich an ihrem Rücken entlangschlängelte. Sie war warm, ihre Haut weich, und sie schauderte, wie immer wenn sie sich Haut an Haut berührten.

»Ein Hauch von Dunkelheit«, flüsterte er und strich über die Innenseite ihres Armes, bis seine Finger sich mit ihren verschränkten. »Tanz mit mir.«

Sie drehte sich zu ihm um, den Kopf nach hinten gelegt, so dass ihre Blicke sich trafen. Er konnte deutlich bis in ihre leuchtende Seele blicken, und seine Dunkelheit wurde davon angezogen.

»In Ordnung.«

Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste ihre Fingerknöchel, bevor er sie zur Tanzfläche führte. Dort zog er sie an sich, so dass ihre Hüften sich berührten, und knurrte leise. Sein Schwanz wurde hart und erinnerte ihn an die Badegemächer und daran, wie sehr er in ihr sein wollte. Er fragte sich, welche Schlagzeilen wohl in den Medien erscheinen würden, wenn er sie jetzt küsste und mit in die Unterwelt nahm.

Hades entführt Persephone , dachte er, und seine Finger spannten sich an um ihre Hand und an ihrer Hüfte, als er sie durch einen Tanz führte, ohne dass sie den Blick voneinander abwandten, und die Hitze zwischen ihnen loderte auf zu einem Inferno – das so kalt wie Eis wurde, als sie das Wort ergriff.

»Du solltest mit Minthe tanzen.«

Er knirschte mit den Zähnen. »Würdest du es vorziehen, dass ich mit ihr tanze?«

»Sie ist deine Begleitung.«

»Sie ist nicht meine Begleitung.« Er musste sich anstrengen, um seinen Frust unter Kontrolle zu halten. »Sie ist meine Assistentin, wie ich dir schon sagte.«

»Eine Assistentin geht nicht am Arm ihres Chefs zu einer Gala.«

Er erkannte Hekates Worte in ihren wütenden Worten wieder.

»Du bist eifersüchtig«, meinte er und grinste.

»Ich bin nicht eifersüchtig!« Ihre Augen blitzten auf. »Ich lasse mich nicht benutzen, Hades.«

Er runzelte die Stirn. »Wann habe ich dich benutzt?«

Sie schwieg, aber ihre Frustration war greifbar.

»Antworte, Göttin.«

»Hast du mit ihr geschlafen?«

Hades erstarrte, und mit ihr alle anderen auf der Tanzfläche.

»Das klingt, als wolltest du ein Spiel, Göttin.«

»Du willst ein Spiel spielen?« Sie entzog ihm ihre Hände. »Jetzt?«

Es war die einzige Möglichkeit, wie er ihre Frage beantworten würde, das war ihr klar. Er hielt ihr die Hand hin, mit leuchtenden Augen, die sie anflehten, ihre Verbindung wiederherzustellen.

Komm mit mir in die Unterwelt , dachte er. Du wirst nicht mehr als dieselbe zurückkehren .

Er wusste es, als sie ihre Entscheidung getroffen hatte, denn ihr Blick wurde grimmig und entschlossen – sie würde bekommen, was sie wollte. Dann legte sie ihre Hand in seine, und er lächelte und teleportierte mit ihr in die Unterwelt.