Mit wenigen Ausnahmen sind die in diesem Band versammelten Texte auf besondere Anlässe hin geschrieben, freudige Anlässe, bei denen ich nämlich Literaturpreise entgegennehmen durfte. Die Entgegennahme eines Preises ist ja immer mit einer Reise an den Ort der Preisverleihung verbunden, der damit wiederum die Herkunft eines Dichters oder einer Dichterin ehren will, Zürich, Fürth, Alzey oder einfach der Sitz der Stiftung ist, die den Preis verleiht, oder ihr auch durch den Ort eine symbolische Bedeutung geben will, wie der deutsch-italienische Literaturpreis, der in Südtirol verliehen wird. So bin ich ziemlich weit herumgekommen in Deutschland und der Schweiz, in Gegenden, die ich vorher nicht kannte, und sogar bis nach Amerika, und wurde dadurch jeweils angeregt, mich auf den Ort und den Namensgeber des Preises tiefer einzulassen, als ich es vielleicht sonst getan hätte.
Zu dem Titel »Unverschämt jüdisch« für diese Sammlung hat mich die sehr freie Übersetzung des Begriffs juif inauthentique mit »der verschämte Jude« angeregt, die ich in der deutschen Ausgabe der »Betrachtungen zur Judenfrage« von Jean-Paul Sartre fand. Das Bändchen war 1963 als Taschenbuch bei Ullstein erschienen, irgendein Freund hatte es damals für uns über die Grenze nach Ostberlin geschmuggelt, und auf das Vorsatzblatt hat meine Mutter in ihrer wilden Schrift unseren Namen eingeschrieben. Es steht noch heute, wenn auch im wörtlichen Sinn völlig aus dem Leim gegangen, in meiner Bibliothek, neben dem viel später erworbenen französischen Original, durch das mir dann diese besonders freie Übersetzung überhaupt erst zu Bewusstsein kam. »Un-verschämt jüdisch« trifft nun genau den Kern, denn wahrscheinlich ringe ich seit meiner Lektüre dieses Buches als 14-Jährige damit, mein Judentum, in das ich hineingeboren wurde, un-verschämt zu leben und schließlich, erwachsen geworden, auch so davon zu sprechen, zu erzählen, zu schreiben.
Einmal wurde ich nach einer Lesung, ich weiß noch genau, es war in Hannover, in der anschließenden Diskussion gefragt, ob ich mir vorstellen könne, das Jüdische auch einmal aus meinem Kopf herauszukriegen. Ich antwortete verlegen, verschämt, rechtfertigte mich, sülzte herum, und als ich es am nächsten Tag meinem Mann erzählte, fragte er, warum ich nicht einfach deutlich gesagt hätte, nein, das kann ich mir nicht vorstellen.
»Wir können gar nicht nachdrücklich genug von den Juden als Juden sprechen, wenn wir von ihrem Schicksal unter den Deutschen sprechen.«*1