Daran gemessen, dass von ihren vielen Büchern die meisten nur noch antiquarisch zu haben sind und wahrscheinlich nicht mehr oft gelesen werden, ist es doch erstaunlich, wie bekannt der Name Ricarda Huch bis heute ist und wie viele Veröffentlichungen, auch in den letzten Jahren, über sie erschienen sind und immer weiter erscheinen. Dabei ist es auffällig, dass diese Veröffentlichungen eigentlich weniger ihrem Werk als ihrem Leben gelten, von dem offenbar die stärkere Ausstrahlung des Namens ausgeht. Dem Leben einer freien Schriftstellerin und einer Frau, der ihre Freiheit das Wichtigste in ihrem Leben war, Freiheit, die sie als etwas »Unvergängliches, Unersetzliches, etwas allen Menschen zu jeder Zeit Notwendiges, die Luft, in der der Geist atmet« bezeichnet. Diese Formulierung findet sich in ihrem Buch »Das Zeitalter der Glaubensspaltung« im Zusammenhang mit den »Dunkelmännerbriefen« von 1515, von denen sie meint, sie seien »das einzige von Humanisten verfasste schriftstellerische Kunstwerk, das die Zeit überdauert hat und dauern wird«, solange die Geistesfreiheit aufrichtige Anhänger hat.
Weil sie eine Beeinträchtigung dieser Geistesfreiheit befürchtete, nahm sie schon 1926 die Berufung an die Preußische Akademie, immerhin als erste Frau überhaupt, nur sehr zögerlich an und hat die Akademie später schließlich sozusagen Türen schlagend wieder verlassen, als sich ihre Befürchtung in wahrscheinlich ungeahnter Weise bewahrheitete. Ausgerechnet der so viel modernere, avantgardistischere, einst expressionistische Dichter Gottfried Benn hatte nämlich am 15. März 1933 allen Mitgliedern der Akademie, in die er selbst erst 1929 gewählt worden war, eine von ihm verfasste Ergebenheitserklärung an das neue Regime vorgelegt, die sie mit Ja oder Nein zu beantworten hatten.
In den folgenden Jahren wird der so moderne Dichter noch einige Erklärungen dieser Art abgeben: »Der Nationalsozialismus ist heute eine feststehende geschichtliche Erscheinung, seine Fundamente sind eingelassen in den glanz- und opfergetränkten Boden Europas.« Er wird Züchtungen der weißen Rasse propagieren und auf dem Tiefpunkt seiner Anpassungsbemühungen an das neue Regime öffentlich mit den Emigranten »an ihren Badeorten« abrechnen, sie als »bürgerliche 19. Jahrhundert-Gehirne« herabsetzen, die sich dem »Neubau eines Staates, der so einzig ist«, feige entziehen.
Ricarda Huch hingegen hatte sich nicht nur geweigert, die Loyalitätsadresse zu unterschreiben, sie entzog sich auch den Werbungen der Nationalsozialisten und distanzierte sich ein für alle Mal von dem Deutschtum, wie sie es verstanden, bis sie schließlich ihren Austritt aus der Akademie erklärte. »Hiermit erkläre ich meinen Austritt« ist wahrscheinlich der bekannteste Satz von Ricarda Huch, bekannter als irgendein Satz aus einem ihrer Werke, während Gottfried Benns Gedichte noch in allen Anthologien deutscher Dichtung zu finden sind und wohl auch noch gelesen werden.
Dutzende Schulen und Straßen tragen in ganz Deutschland den Namen Ricarda Huchs, über die Benennung einer Straße nach Gottfried Benn zum Beispiel in Berlin, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, wird heute noch debattiert, Schulen, die seinen Namen tragen, gibt es ebenso wenig, wie es in Frankreich Louis-Ferdinand-Céline-Schulen oder -Straßen gibt, obwohl auch er als großer französischer Autor gilt, so wie Benn als deutscher. Ausgerechnet Benn schrieb dann 1955 im Vorwort zu einer Anthologie expressionistischer Lyrik den Satz: »Man muß als Künstler nicht nur Talent, sondern auch Charakter haben, tapfer sein.« Damit meinte er wohl den künstlerischen Mut, nicht gefällig zu schreiben, Konventionen zu brechen und sich damit dem Unverständnis des Publikums auszusetzen. Führt aber der Mut zum Unkonventionellen in der Kunst schon zur Tapferkeit im Leben?
Wie viel Charakter braucht der Künstler?
Wir wünschen uns, dass der große Schriftsteller, den wir für seine Kunst bewundern, der für unser eigenes Schreiben und Lesen, ja vielleicht sogar für unser Leben wichtig ist, auch in seinem Leben wenigstens kein völliger moralischer Versager sei. Vielleicht ist es ja auch nicht ganz falsch zu denken, dass ein widerlicher Schuft, oder sagen wir, jemand, der über das normale Maß menschlicher Schwäche und Eitelkeit hinaus einem verbrecherischen politischen System zu Diensten ist, nicht gleichzeitig ein wahrhaft großer Künstler sein kann. Ich wage zu behaupten, dass man aus der Kälte und dem Zynismus der Benn’schen Gedichte und der antibürgerlichen Rage von Célines Romanen eine Misanthropie, um nicht zu sagen Unmenschlichkeit, von denen der Antisemitismus ja nur eine Ableitung ist, herauslesen kann.
Antisemitismus ist uns jedoch leider von fast allen unseren großen und sogar allergrößten Dichtern, Denkern und Aufklärern überliefert. Von Goethe und Kant und Hegel und Voltaire und vielen anderen. Unkenntnis und Abwehr durch Herabsetzung des Judentums gibt es schon so lange, wie es Juden gibt, und scheint über die Jahrhunderte schon fast ein »natürliches« Verhalten der Völker und auch ihrer gebildeten Schichten geworden zu sein.
Die Schriftsteller und Künstler aber, die sich tyrannischen Systemen an den Hals werfen, die Hymnen auf Hitler und Oden an Stalin verfassen, warum machen sie das? Ist es echte Identifizierung mit den primitiven Parolen plumper Ideen, die Verschmelzungssehnsucht mit einer »großen Sache«, der Wunsch, Tabula rasa zu machen, vom anstrengenden Pfad des differenzierenden Nachdenkens auf die breite Chaussee der gerade angesagten Parolen zu wechseln?
Bei denen, die Oden an Stalin schrieben, war es wahrscheinlich auch die nackte Angst, ein wenn auch unsicheres Mittel, sich das Überleben zu verdienen, so wie bei Johannes R. Becher, der im Moskauer Exil so viele seiner Genossen in den Gulag oder den Tod, meistens in beides, hat verschwinden sehen. Warum aber musste Stephan Hermlin seine Anthologie »Deutsches Lesebuch«, in der er 1976 beim Reclam Verlag Leipzig die Perlen der deutschen Literatur versammelte, noch mit Bechers »Gruß des deutschen Dichters an die Russische Föderative Sowjetrepublik« enden lassen? Auch Stephan Hermlin war so einer, der in der Sorge, sich die Gunst der Herrschenden zu erhalten, seine dichterische Energie verschwendet hat.
Johannes R. Becher und Gottfried Benn, die beiden ehemaligen expressionistischen Dichter, kann man in ihrer jeweiligen Propaganda-Prosa und -Poesie zugleich am Tiefpunkt ihrer Kunst sehen. Also haben Stil und Charakter vielleicht doch etwas miteinander zu tun? Propaganda ist immer Lüge, und ein echtes Kunstwerk kann kein Lügenwerk sein.
Für jemanden, der wie ich in der DDR aufgewachsen ist und dort die ersten Jahre seines Künstlerlebens verbracht hat, waren diese Fragen nicht nur theoretisch, denn es war ein Künstlerleben zwischen Konsens und Konflikt, und es kostete viel Energie, sich von beidem nicht völlig aufzehren zu lassen, sich nicht in völliger Anpassung zu verlieren oder im Konflikt in zu große Gefahr zu bringen. Deswegen haben auch so viele Künstler dieses Land, das auch noch in jedem Detail des täglichen Lebens von Ideologie beherrscht war, verlassen, und das hat nach der Wiedervereinigung dann ein ähnliches Unverständnis und gegenseitige Anschuldigungen zwischen den Dagebliebenen und denen, die gegangen waren, hervorgerufen wie, wenn auch in dramatischerem Ausmaß, die Begegnung oder besser Wiederbegegnung zwischen den aus dem Exil Heimgekehrten und denen, die für sich den Zustand einer »inneren Emigration« während der nationalsozialistischen Herrschaftsjahre behaupteten.
Ricarda Huch gehörte zu den Letzteren, und auch ihr fiel es offensichtlich schwer, den Emigranten ihr Weggehen nicht vorzuwerfen. Dabei nimmt sie die bedrohten Juden selbstverständlich aus. Sie meinte, das sozusagen richtige, das bessere Deutschland zu vertreten, sie fühlte sich verantwortlich für ihr Deutschland, von dem sie schon in dem Briefwechsel, der dem Akademieaustritt voranging, sagte: »Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll.«
Das klingt beeindruckend, und noch beeindruckender klingt für mich der Brief, den sie 1933 dem inzwischen emigrierten ehemaligen Akademiekollegen Alfred Döblin schreibt: »Im Sommer war ich in Berlin und fragte nach Ihnen, konnte aber Ihre Spur nicht finden. Sollten Sie in Palästina sein? Wenn ich ein Jude wäre, ginge ich hin, vielleicht sogar, wenn ich nur jung wäre, auch ohne Jude zu sein, […] ich beneide Sie, dass Sie draußen sind.«
In diesem »wenn ich nur jung wäre, auch ohne Jude zu sein, ginge ich hin« liegt ein großer Teil der Ausstrahlung, die für mich der Name Ricarda Huch hat — ihr Mut zum Aufbruch in ungewisse, ungewohnte Gebiete, auch wenn er in diesem Fall rein gedanklich bleibt; sie ist, als sie das schreibt, fast siebzig Jahre alt. Immer ist sie schon in ungewohnte Gebiete aufgebrochen; als junge Frau nach Zürich zum Studieren, zu einer Zeit, als in Deutschland Frauen noch gar nicht an den Universitäten zugelassen waren, dann der Aufbruch in die Existenz als freie Schriftstellerin, in den frühen Erfolg, der ja auch erst einmal zu verkraften ist, und gleichzeitig in eher chaotische Liebesbeziehungen, in Lebensverhältnisse, die man jedenfalls nicht gerade als bürgerlich geordnet bezeichnen kann.
Wenn sie in ihrem Buch »Die Romantik« die Frühromantiker als »kleinen furchtlosen Trupp« charakterisiert, der ja auch sehr unkonventionell in ungewohnten Gemeinschaften und dauernden Liebesverwirrnissen in Jena lebte, statt sich in geordnete Universitätslaufbahnen zu ergeben, vielmehr dort »symphilosophiert, symfaulenzt, symexistiert«, wie sie Friedrich Schlegel zitiert, wird sie sich vielleicht zunächst mit dem einen oder anderen Aspekt dieser unkonventionellen Lebensformen identifiziert haben, mehr noch vielleicht mit Novalis’ Ausspruch: »Deutschtum ist Kosmopolitismus mit der kräftigsten Individualität gemischt.« Mit ihrer umfangreichen Studie von 1899 hat sie auch zur Rehabilitierung der Frühromantik beigetragen, sie vom Ruch als reaktionäre, aufklärungsfeindliche Gruppierung befreit. Sie nennt den »furchtlosen Trupp« auch »Konquistadoren der Wahrheit«, nämlich als Eroberer des Unbewussten, die den Raum der menschlichen Seele in seinen Tiefen und Untiefen ausmessen. »Der Mensch ist nicht allein in seinem Haus«, fasst sie die Erkenntnis der »Konquistadoren der Wahrheit« zusammen. Erinnert uns der Satz nicht auffallend an »Der Mensch ist nicht Herr in seinem Haus« von Sigmund Freud, dessen »Traumdeutung« ein Jahr später erschien, 1900? Viele Jahre später erhalten beide, in umgekehrter Reihenfolge, den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, Sigmund Freud 1930, Ricarda Huch 1931.
Auch die Clique damals junger, Orientierung suchender Künstler in der DDR der siebziger Jahre, zu der ich gehörte, sah sich als »kleinen furchtlosen Trupp«, wir lasen die Frühromantiker, besahen die Bilder von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge und identifizierten uns mit ihnen in dem Gefühl der Unzugehörigkeit zur Gesellschaft, der Isolation in ihr, der vorsichtigen Opposition zu ihr und eines diametral entgegengesetzten Lebensstils. Die klassischen Ideale, diesmal des Marxismus, waren längst in sich zusammengefallen, und wir konnten bei Texten von Lenin vor Lachen ebenso unter den Stühlen liegen, wie die Frühromantiker bei Schillers »Glocke«.
Nicht zufällig schrieb auch Christa Wolf, obwohl sie eine etablierte Schriftstellerin in der DDR war, in dieser Zeit ihren Roman »Kein Ort. Nirgends«, der von den entwurzelten, unglücklichen Seelen Kleist und Günderode erzählt.
Die schwierige Situation zwischen Konsens und Konflikt musste Ricarda Huch noch lange aushalten, nachdem sie nun einmal beschlossen hatte, nicht zu emigrieren; offensichtlich hat sie es niemals in Erwägung gezogen. Sie unterhielt vorsichtige Beziehungen zu Widerstandskreisen, handelte sich einigen Ärger durch deutliche Meinungsäußerungen ein, zusammen mit ihrem Schwiegersohn, der dafür mit seiner Professur zu zahlen hatte, und musste sich, so gut es ging, vor allem vor Vereinnahmung schützen, denn Diktaturen lieben es nun einmal, sich einige möglichst international anerkannte Künstler zu halten und mit ihnen zu schmücken. In der Sowjetunion war diese Rolle etwa Schostakowitsch und Prokofjew zugedacht, denen es trotzdem, immer mit einem Bein im Gulag, gelang, wichtige Musikwerke des 20. Jahrhunderts zu komponieren. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die anschließenden Herrschaften der Sowjetischen Besatzungszone bedienten sich des angesehenen Namens von Ricarda Huch und umwarben sie. Die Nazis, weil Ricarda Huch sie in ihren Schriften nie politisch frontal angriff und von der richtigen Rasse stammte, und die Kulturbehörden der SBZ nach dem Krieg, weil Ricarda Huchs Werk in ihr kulturkonservatives Konzept passte, das bildungsbürgerlich konventionelle Kunst förderte und die Moderne völlig aussparte, die als formalistisch und dekadent abgelehnt wurde, Kafka, Proust, Joyce. Ricarda Huch hingegen konnte das DDR-Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller »Sinn für progressive Erscheinungen der Geschichte« attestieren, »die sie trotz idealistischer, protestantisch—religiöser Deutungstendenzen immer wieder zur realistischen Erfassung der Wirklichkeit und zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen führte und dabei zunehmend tiefere Einsichten in die Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft offenbarte«. Das waren nämlich die einzig gültigen Kriterien für die Literatur, und dieses Zitat aus dem Schriftsteller-Lexikon stammt aus dem Jahr 1967 und nicht etwa aus den frühen 50er Jahren. Ricarda Huch hat sie Gott sei Dank nicht lesen müssen.
Die letzten Jahre ihres Lebens müssen für die Dichterin schwierig gewesen sein. Seit dem Türzuschlagen beim Austritt aus der Akademie 1933 hatte sie sich trotz innerer Distanz sowohl zum Nazi-Staat als auch nach Kriegsende zur neuen sozialistischen Macht in Jena, das in der sowjetischen Besatzungszone lag, in einer gewissen prominenten Präsenz einrichten müssen. 1944 hat sie den Raabe-Preis der Stadt Braunschweig samt Grußadressen von Hitler und Goebbels entgegengenommen und 1947, wie man von ihr erwartete, auch die Rolle als Ehrenpräsidentin des 1. Deutschen Schriftstellerkongresses in Berlin übernommen, worum sie Johannes R. Becher, der den Kongress unter Aufsicht der sowjetischen Militärbehörde in Szene setzte, dringend gebeten hatte. Ihre zunehmende Verzagtheit über diese Rolle kann man in ihren Briefen nachlesen.
Deshalb könnte man ihr letztes großes literarisches Unternehmen, den Männern und Frauen des deutschen Widerstands ein Gedenkbuch zu widmen, auch ein bisschen als nachgetragenen Widerstand interpretieren, wüsste man nicht, dass sie schon in allen ihren früheren Werken immer solche Menschen ausgewählt und hervorgehoben hat, die unangepasst und nach einem inneren Freiheitsbegriff lebten und handelten. In ihrem Buch über »Das Zeitalter der Glaubensspaltung«, das 1937 erschien, richtet sie ihr Augenmerk neben den Hauptakteuren besonders auf all diejenigen, die in den Glaubenskriegen Vernunft zu behalten suchten und zum Beispiel den folgenden Hexenprozessen und -verbrennungen entgegentraten. Dabei unterstreicht sie, dass diese Hexenverfolgung in keinem anderen Land in so großem Ausmaß stattgefunden hat wie in Deutschland und in manchen Ländern überhaupt nicht: »Es muß im deutschen Volke eine Anlage zum Entstehen dieser Sache gegeben haben.«
Ich weiß nicht, ob Ricarda Huch sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Kunst und Charakter gestellt hat, aber in ihrem Romantik-Buch, das, wie gesagt, schon 1899 erschien, da war gerade ihre erste Tochter geboren, und sie hatte noch einige Aufbrüche und Umbrüche ihres Lebens vor sich, bemerkt sie schon an dem »kleinen furchtlosen Trupp«, den frühromantischen »Konquistadoren der Wahrheit«, einen gewissen Zug der Unreife, sich dem Leben mit seinen zahlreichen Widrigkeiten zu stellen, statt sich in ein phantasiertes Inneres zurückzuziehen oder sich einer starken Gemeinde zu verschreiben, die nichts als Hingebung verlangt. Dabei dachte sie an Clemens Brentano und Friedrich Schlegel, die wilden, exzentrischen Poeten, die sich in ihrer späteren Zeit der katholischen, ja, päpstlichen Propaganda verschrieben hatten, und ich denke an jemand wie Gottfried Benn und sehe, dass er wirklich nicht der Erste war, der der Sehnsucht nicht widerstehen konnte, sein Denken und Dichten wenigstens zeitweise in den Schoß einer »großen Sache« zu bergen. Ricarda Huch spricht dann in demselben Zusammenhang, eher beiläufig, von ihrer Bewunderung für »diejenigen, die das Leben furchtlos bestanden, es ergriffen und sich hindurcharbeiteten, ohne ihre Seele zu verkaufen«.
Für uns, heute, hier, haben die Schwierigkeiten, sich durch das Leben hindurchzuarbeiten, ohne unsere Seele zu verkaufen, andere Formen angenommen. Sie wirken harmloser und sind subtiler. Aber ich denke, es erfordert noch immer Mut, sich zwischen Konsens und Konflikt das eigenständige Denken und die innere und nicht zuletzt auch die äußere Freiheit zu bewahren, die Ricarda Huch »unersetzlich, wie die Luft zum Atmen« genannt hat.