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Kurt brach durch die Wasseroberfläche. Im Feuerschein konnte er das Wasser von einem Punkt weiter oben eindringen sehen. Der Riss in der Wand war aufwärtsgewandert wie ein Reißverschluss, und die See kam wie ein Wasserfall heruntergerauscht.
Kurt konnte nicht hoffen, sich schwimmend zu retten. Er wurde von der Strömung mitgerissen, und zwar dorthin, wo die beiden Ströme aufeinandertrafen. Dort wurde er nach oben gedrückt und erneut herabgesogen, ehe er zur Seite gespült wurde und wieder an die Oberfläche kam.
Dann stieß er gegen einen treibenden Körper. Millard. Er reagierte nicht und blutete aus einer Platzwunde am Kopf. Kurt konnte nicht feststellen, ob der Mann tot war oder noch lebte, aber er hielt ihn fest, während sie in der Kugel umhergespült und schließlich nach oben getragen wurden.
Um sie herum sammelte sich ein Teppich aus Treibgut an. Kurt hielt eine Hand schützend über den Kopf, als sie gegen die Wand prallten, und er wollte einen anderen Körper, der an ihm vorbeitrieb, festhalten, aber dieser drehte sich weiter, rutschte ihm aus der Hand und verschwand in dem eindringenden Wasserstrom.
In der Hoffnung, dem gleichen Schicksal zu entgehen, schlug Kurt kräftig mit den Beinen und passierte den Zufluss. Während der nächsten Runde streckte er sich nach einem Bündel Rohre, die unter der gewölbten Decke des Kugeltanks verliefen.
Die Strömung zerrte an ihm, aber er hielt sich fest, wobei er Millard weiterhin mit dem anderen Arm an sich presste. Schließlich ließ die Strömung nach.
Das Wasser war abermals bis über den Riss in der Tankwand angestiegen, und was von der Konstruktion noch übrig war, hielt der Belastung stand, zumindest vorerst.
Kurt blickte sich um. Ein fast drei Meter hoher Raum war alles, was zwischen ihm und dem höchsten Punkt der Kuppel noch erhalten war. Luft und giftige Gase hatten sich in dieser Blase gesammelt, und Kurt war ein weiteres Mal dankbar für sein Kreislauftauchgerät.
Sich von dem Sauerstoff des Geräts zu bedienen war auf jeden Fall besser, als seine Lunge mit dem zu verätzen, was immer sich hier oben konzentrierte.
Millard gab ein leises Murmeln von sich, und seine Augen öffneten sich einen Spaltbreit. Kurt drückte den Reserveregulator in Millards Mund. Der spuckte ihn sofort wieder aus. »Wo … wo sind wir?«
Kurt nahm für einen kurzen Moment den eigenen Regulator aus dem Mund. »Dort, wo wir schon gestartet sind«, antwortete er, »nur weiter oben. Die gesamte Kugel ist überflutet. Aber wir können sie immer noch verlassen.«
Er machte einen Atemzug mit seinem Regulator und zwang Millard, das Gleiche zu tun. Millard sah sich benommen um. »Wo ist Ihr Freund?«
»Hoffentlich ins Freie geschwommen. Wir müssen es ebenfalls tun.«
Kurt schaute auf seine Uhr. Sie waren schon viel zu lange hier unten, um diesen Ort ohne eine Dekompressionspause zu verlassen, aber ihre augenblickliche Position in der Spitze der Kuppel wäre sicher eine Hilfe. Dort befanden sie sich nur zwanzig Meter unter der Wasseroberfläche.
Er gab Millard einen leichten Klaps und deutete auf den Riss in der Kugelwand.
Millard nickte.
Kurt hielt drei Finger hoch, dann zwei, dann einen. Während er das Rohrbündel losließ, aber Millard weiterhin im Griff behielt, schwamm er darauf zu. Der Strudel hatte sich noch nicht vollständig aufgelöst, da das Wasser auf Grund seiner Masseträgheit nach wie vor in Bewegung war. Darauf bedacht, den Spalt nicht zu verfehlen, tastete sich Kurt an der Kugelwand entlang, bis er ihn fand.
Nahe der Kuppel war der Riss zwar zu schmal, um sich hindurchzuzwängen, aber ein paar Meter weiter unten verbreiterte er sich zu einer weit aufklaffenden Wunde. Kurt zog Millard nach unten, dann durch die Öffnung und hinaus ins Meer.
Ohne den speziellen Tauchhelm hegte Kurt keine Hoffnung, viel von seiner Umgebung sehen zu können. Er aktivierte die Hilfsfunktion seines Neoprenanzugs und ließ das Schiff so schnell er konnte hinter sich zurück. Indem er gelegentlich eine Wolke Luftblasen aus dem Regulator entließ, konnte Kurt seinen Kurs beibehalten, da sie ihm den Weg wiesen. Nachdem er einige Minuten lang in dieser Wassertiefe geblieben war, erlaubte er sich und Millard, langsam aufzusteigen, Meter für Meter, und brach schließlich durch die Wasseroberfläche.
Kurt sah die Lichter Bermudas, drehte sich auf die Seite und schleppte Millard ab. Die Schwimmhilfe funktionierte klaglos, erwies sich jedoch ohne Flossen als deutlich weniger wirkungsvoll. Aber Kurt war dankbar für jede Unterstützung, die ihm in diesem Moment zuteil wurde.
Nach einigen Minuten spürte er das dumpfe Rumpeln mehrerer Explosionen im Wasser, als ein Tank nach dem anderen zerfetzt wurde. Sekunden später verriet ihm eine einzelne, weitaus stärkere Detonation, dass die restlichen Tanks gleichzeitig hochgegangen sein mussten.
Eine Serie weißer Gischtfontänen blühte auf, und die daraus resultierenden Wellen schoben Kurt und Millard in Richtung Strand weiter.
Es dauerte noch einmal zwanzig Minuten, bis Kurt das Pavati erspähte.
Er erreichte das vor Anker liegende Boot, bugsierte Millard auf die Tauchplattform und erklomm die Leiter. Das Boot war dunkel und still. Eine kurze Überprüfung bestätigte Kurt, dass Joe nicht an Bord war. Entweder irrte er noch immer im offenen Ozean herum, oder es war ihm nicht gelungen, aus dem versenkten Schiff zu entkommen.