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AN BORD DER MONARCH

Ein Schweißtropfen zwängte sich an Follikeln dicker schwarzer Haare vorbei, sickerte vorwärts und seitlich am Gesicht eines Mannes herab. Er erreichte sein Kinn, mischte sich dort mit einem Tropfen frischen Blutes und fiel auf das Deck weiter unten, wo er zu mikroskopisch kleinen Spritzern zerplatzte – wie die Farbkleckse eines Jackson-Pollock-Bildes auf maschinellen Aluminiumplatten.

Joe Zavala lächelte bei dem Gedanken. Er würde es Blut, Schweiß und Tränen nennen.

Er schaute auf das Deck hinab und stützte sich mit den Händen ab, als wenn er einen Liegestütz ausführte. Sein Kinn schmerzte von dem Schlag mit der Pistole, der eine blutende Wunde gerissen hatte. Aber er war von Natur aus ein Kämpfer, und vollständig zu Boden zu gehen, war etwas, das zu tun er sich ganz einfach weigerte.

»Bereit für mehr?«, fragte eine klirrende Frauenstimme.

»Um ehrlich zu sein«, sagte Joe. »Für dies hier war ich auch schon nicht bereit.«

Joe hatte zwei seltsame Tage überstanden. Zumindest glaubte er, dass es zwei Tage gewesen waren. Er konnte sich dessen nicht ganz sicher sein.

In einem Moment war er kurz davor gewesen, aus der Andock-Station in Tessa Francos Unterwasser-Produktion sanlage vor Bermuda zu flüchten, und im nächsten hatte das gesamte Schiff erbebt. Eine Wasserwand spülte ihn in die Kugel zurück und durch den Tunnel hinter ihm.

Joe hatte sich aus dem Wasser gezogen und ins Tauchboot geschlängelt, das in der Kugel herumgeworfen wurde. Dies bewahrte ihn davor, wieder in den Tunnel gesogen zu werden. Aber als er Ausschau nach Kurt und Millard hielt, hatte ihn jemand von hinten niedergeschlagen.

Als er wieder zu Bewusstsein kam, befand er sich im Tauchboot, genauso gefesselt und geknebelt wie die Männer, die er und Kurt zurückgelassen hatten. Das Tauchboot sank in den Außenrumpf und gelangte mit einem Rammstoß durch die Schiebetür in der Schiffsseite ins freie Wasser.

Als das U-Boot auftauchte, wurde Joe an Bord des geheimnisvollen Frachters gehievt, dessen Name Morgana lautete, wie er wenig später erfuhr. Er wurde in einen dunklen Raum eingesperrt, erhielt nichts zu essen und wurde mit Drogen betäubt, nachdem er angefangen hatte, sich lautstark über die Qualität seines Quartiers zu beschweren.

Der Transfer in die Monarch fand am nächsten Tag statt, und seitdem war ein Frachtabteil auf dem untersten Deck des Flugzeugs sein Zuhause. Dort herrschte eine eisige Kälte, wenn sie sich in der Luft befanden, und eine erstickende Hitze, kurz nachdem sie gelandet waren.

Es war eng dort und ohne jeden Komfort, noch nicht mal eine Decke wurde ihm bewilligt, aber es war besser als die Alternative.

»Sie können sich glücklich schätzen, noch am Leben zu sein«, meinte Tessa zu ihm und machte ihm klar, welche einzige Alternative ihm blieb.

Joe schaute hoch. Tessa stand dort, flankiert von mehreren ihrer Männer. Einer war ein großer bärtiger Typ, den Joe nach seiner Gefangennahme auf dem Frachter gesehen hatte. Die anderen waren kleiner und schienen im Ausführen von Befehlen besser zu sein als in jeder anderen Disziplin.

»Stehen Sie auf«, befahl Tessa.

Während Joe sich erhob, schnippte Tessa mit den Fingern, und ein anderer Gefangener wurde hereingeführt.

Joe erkannte Priya sofort. »Was tun Sie denn hier?«

Priya senkte den Blick, als sie ihn sah. Sie sagte kein Wort.

»Sie ist hier, weil sie dumm genug war, dies hier auf den Rumpf meines Flugzeugs zu kleben«, sagte Tessa. Sie hatte einen Geotracker in der Hand, wie Joe gleich erkannte. »Wir haben sie gesehen, sind ihr zur Jacht gefolgt und haben sie geschnappt. Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt, als Sie und Austin meinen kleinen Produktionsbetrieb unter Wasser hochgehen ließen. Wenn Sie glauben, mich damit aufgehalten zu haben, sind Sie absolut auf dem Holzweg. Ich verfüge noch über andere Einrichtungen, und diese Anlage sollte ohnehin in Kürze stillgelegt werden.«

»Wenn wir Ihnen einen solchen Gefallen getan haben«, ergriff Joe das Wort, »wie wäre es dann, wenn Sie uns laufen lassen? Wir sagen einfach: Wir sind quitt.«

»So einfach regeln sich die Dinge nie«, erwiderte Tessa. »Entweder man gewinnt oder man verliert, und Sie und Ihr Freund in Washington werden jämmerlich verlieren.«

Joe hatte keine Lust zu einer langen Unterhaltung. »Kommen wir zur Sache«, sagte er. »Was wollen Sie von uns?«

»Sie«, sagte Tessa, »sind nur als unser Druckmittel hier.« Sie wandte sich an Priya. »Ihre Freundin hier hat einige nützliche Fähigkeiten. Machen Sie ihr klar, dass sie sich für mich ins Computersystem der NUMA einloggen soll.«

Joe erkannte, worauf das Ganze hinauslief.

Priya ebenfalls. »Das tue ich nicht.«

»Natürlich werden Sie es tun«, sagte Tessa. »Die einzige Frage ist, ob ihr Freund noch aus eigenen Kräften laufen kann, wenn Sie am Ende kapitulieren.«

Danach wandte sich Tessa an ihre Männer. »Streckt ihn aus. Wenn sie nicht mitspielt, dann zeigt Miss Kashmir, wie es einem Druckmittel ergehen kann.«

Joes Handgelenke wurden mit Stromkabeln umwickelt und auseinandergezogen. Als einer der Männer sich anschickte, das Gleiche mit Joes Beinen zu machen, warf Joe sich herum, trat ihm ins Gesicht und befreite dann seinen Arm.

Der große Mann griff ihn an und nahm ihn in den Schwitzkasten. Joe riss den Kopf hoch, traf damit das Kinn seines Gegners, aber die Wucht des Kopfstoßes reichte nicht aus, um sich zu befreien.

»Genug!«, rief Tessa. »Noch ein Versuch, Widerstand zu leisten, und ich schneide ihr den Hals durch.«

Joe schaute zu ihr hinüber. Tessa hatte Priya gerade bei den Haaren gepackt und drückte eine Messerklinge gegen ihre Kehle.

»Sie ist ein so hübsches Ding«, sagte Tessa, »aber das lässt sich im Handumdrehen ändern.« Das Messer verließ Priyas Kehle und wanderte zu ihrer Wange, wobei es eine Blutspur hinterließ.

Joe brach den Kampf ab. Tessa hatte die Oberhand. Er konnte nichts tun, ohne Priya zu schaden. Soweit sollte es nicht kommen.

Tessa wandte sich wieder an Priya. »Ihr Freund hat sich für Sie entschieden anstatt für seinen Stolz. Wofür entscheiden Sie sich?«

Priya blieb stur, sagte nichts, und Tessa gab den Befehl. »Brecht ihm das Rückgrat und verwandelt ihn in einen Krüppel, wie sie einer ist.«

»Nein!«, rief Priya. Tränen traten in ihre dunklen Augen.

»Sie wollen also, dass er auch weiterhin gehen kann«, sagte Tessa.

»Natürlich.«

»Dann setzen Sie sich an diesen Computer, loggen Sie sich bei der NUMA ein und erzählen Sie mir, was sie im Schilde führen.«

Priya sah Joe an. Tränen rannen über ihr Gesicht und tropften auf den Boden, um Joes imaginäres Gemälde zu vervollständigen. Joe nickte nur tröstend. »Ist okay«, sagte er.

Was er nicht sagte, war offensichtlich. Wenn sie fliehen wollten, mussten sie zuallererst am Leben bleiben.