16 BOOGIE MAN

... sagt zum Abschied laut Servus

Mit Highway To Hell gelang AC/DC der kommerzielle Durchbruch in Amerika und Europa und das Comeback in den australischen Hitlisten. Doch die Platte wurde auch in manch anderer Hinsicht zum Wende­punkt für die Gruppe. Nachdem die Trennung von ihren Hausprodu­zenten bereits vollzogen war, bahnten sich nun weitere Brüche an (und bis die Katastrophe vom Februar 1980, die AC/DC umkrempelte wie kein anderes Ereignis, vollständig verarbeitet war, sollten insgesamt eineinhalb Jahre nach dem erzwungenen Auszug aus den Albert-Studios vergangen sein). Seit diese Spannungen eingesetzt hatten, waren Malcolm und Angus ihrer Umwelt gegenüber noch misstrauischer ge­worden, was Bon ihnen weiter entfremdete. Auch ihr Verhältnis zu Manager Michael Browning hatte Schaden genommen. Sie trugen ihm offenbar nach, dass er Georges Ablösung als Produzent nicht hatte verhindern können.

Trotz des Erfolgs von Highway To Hell war die finanzielle Lage weiterhin angespannt, sowohl beim Management als auch bei Albert Productions. Es hatte nicht besonders viel einbringen können, immer nur als Anheizer für größere Bands durch Amerika zu ziehen. Von dieser ständigen Geldknappheit, die AC/DC in ihrem Fortkommen behinderte, hatten wohl einige große Managementgesellschaften Wind bekommen, die die Gruppe schon seit geraumer Zeit umwarben. Als nun Browning seinerseits einen Investor ins Spiel bringen wollte, der zwar Geld hatte, aber den Vertrag mit der australischen Plattenfirma in Frage stellte, nahmen die Young-Brüder dies zum Anlass, ihn zu feuern. Ihn sollte in den folgenden Jahren das gleiche Schicksal ereilen wie die anderen ehemaligen Gruppenmitglieder und Geschäftspartner, deren Andenken die offizielle Geschichtsschreibung der Band nach und nach ausgelöscht hat.

Als Brownings Nachfolger war schon Peter Mensch in den Startlöchem. Er arbeitete für die Gesellschaft Leber&Krebs in New York (gegründet 1972 durch Steve Leber und David Krebs), die Hardrock-Größen wie Aerosmith und Ted Nugent betreute und mit ihrer Finanzkraft für AC/DC genau das Richtige war. Natürlich hoffte auch Leber&Krebs, mit den Aufsteigern aus Australien eine gute Partie zu machen und bei den kommenden Tourneen ordentlich abschöpfen zu können.

Wenn es auch im geschäftlichen Bereich Hindernisse zu überwin­den galt, so hatte Highway to Hell sich nicht nur den Weg in die Hitparaden gebahnt, sondern auch den Musikjournalisten die lange vorenthaltene Anerkennung abgenötigt. Sogar der New Musical Express gab zu: „Sie lassen keines der alten Hardrock-Klischees aus (verzich­ten aber auf alles Überflüssige) und verarbeiten diese zusammen mit Dreistigkeit, Einfachheit und gespielter Leichtigkeit zu einem dynami­schen Ganzen mit einer eigenen Ästhetik.“

Ende Juni, noch ein paar Wochen vor der Veröffentlichung der Platte, begann in Amerika die Highway-to-Hell-Welttournee, die AC/DC zunächst als Hauptgruppe durch die großen Stadien des Südens führen sollte, wo sie sich auf eine seit nunmehr zwei Jahren treue Gefolgschaft stützen konnten. Daraufhin stellten sie sich für andere Teile des Landes wieder in den Dienst von Cheap Trick, UFO oder Ted Nugent, der übrigens seine Tournee T.N.T. genannt hatte. Weitere Gelegenheiten, ihren Ruhm zu verbreiten, boten ihnen Festivals wie San Francisco’s Day oder das Konzert von Cheap Trick am Unabhängig­keitstag in Rockford (Illinois).

Auf dem letzten Konzert der Tournee mit Cheap Trick holten diese für ihre Zugabe Malcolm, Angus und Bon auf die Bühne und spielten zusammen mit ihnen Stücke aus dem Repertoire von AC/DC, „Sin City“ und „School Days“, den Chuck-Berry-KJassiker. Dazu ließ sich Rick Nielsen, der Gitarrist von Cheap Trick, von einem Bühnenarbeiter in Angus-Manier auf den Schultern tragen.

Doch nicht jeder war geneigt, die Bühne so kollegial mit AC/DC zu teilen. Sie waren allgemein bekannt als eine Vorgruppe, die der Attrak­tion des Abends mühelos die Schau stahl, und so wurde es immer schwieriger für sie, Tourneen zu buchen. Foreigner, Van Halen und Sammy Hagar hatten es abgelehnt, sie auf der Highway-to-Hell-Tournee in ihr Vorprogramm zu nehmen, so dass Bon stolz verkünden konnte: „Uns gibt es, damit die Stars sich auch für ihr Geld anstrengen.“

Am 30. Juli brach auf einem Konzert in Cleveland (Ohio), auf dem AC/DC zusammen mit Ted Nugent, Aerosmith, Journey und Thin Lizzy spielten, eine Panik aus, als einer der Zuschauer wild in die Menge schoss, wobei ein Mensch getötet und ein weiterer schwer verletzt wurde. Die gewaltige Menschenmasse von über 60.000 Zuschauern konnte nur unter Einsatz von 300 Polizisten wieder beruhigt werden. Im Verlauf des Tages mussten neun Personen mit Stichwunden behandelt werden, und es wurden fünfundsiebzig Festnahmen registriert, die meisten davon aufgrund von Rauschmittelvergehen.

Obwohl AC/DC nun einen Großteil ihrer Aktivitäten auf die andere Seite des Atlantik verlagert hatte, gab es öffentlich bekundete Vorbehal­te gegenüber Amerika. In einem Interview fasste Angus zusammen: „Amerika? – Ich mag das Fernsehen nicht, und das künstliche Essen. Immer wenn man den Fernseher anmacht, will irgendsoeiner Präsident werden.“

Im August begab sich die Band nach Europa, um dort zunächst mit Def Leppard im Vorprogramm durch Großbritannien zu touren und dann zusammen mit den Who auf einer Reihe von Festivals zu spielen. Im Londoner Wembley-Stadion hatten AC/DC nicht nur bei den ande­ren Künstlern des Rahmenprogramms, den Stranglers und dem Gitarri­sten Nils Lofgren, klar die Nase vom, Pete Townshend kam höchstper­sönlich in die Garderobe der Band und beglückwünschte sie mit den Worten: „Heute habt ihr uns die Schau gestohlen.“ Dies, obwohl das Konzert der Australier von technischen Problemen begleitet gewesen war.

Mit dem Festival meldeten sich die Who nach ein paar Jahren der Abwesenheit zurück. Es hatte einige Soloprojekte gegeben, und ziem­lich genau ein Jahr zuvor war ihr Schlagzeuger Keith Moon gestorben.

Zu dem Ereignis ihrer Rückkehr hatten sie den Zuschauern mit dem Rahmenprogramm der Veranstaltung ein möglichst breit gefächertes Bild der Rockmusik der Gegenwart bieten wollen, und für AC/DC war es eine besondere Ehre, von ihnen eingeladen worden zu sein, da die Who so ziemlich die einzige Gruppe waren, für die sie etwas übrig hatten. Angus hatte einmal in einem Interview gesagt: „Andere Gitarri­sten haben mich nicht sehr beeinflusst. Ich habe andere Instrumente immer viel lieber gehört als Gitarre. Das Jammern von Saxophon und Klarinette zum Beispiel. Da kratzt man nicht nur an der Oberfläche, sondern taucht richtig in die Musik ein. ‒ Ich höre eigentlich nicht viel andere Rockmusik, aber Townshend mag ich. Ich habe ihn beobachtet, wie er spielte, und jedesmal, wenn er seinen Arm schwang, traf er auch tatsächlich seine Gitarre.“

Der Auftritt im Wembley-Stadion brachte der Band ein weites Presse­echo. In einem Konzertbericht der australischen Zeitschrift Juke wurde das, was AC/DC ausmacht, durch folgende Sätze auf den Punkt ge­bracht: „AC/DC sind nicht ,gut‘ oder ,schlecht‘. Sie sind einfach nur AC/ DC, ein Urbild des Heavy Metal an der Schnittstelle zwischen Stereoty­pie und Parodie. Spielt Bon Scott nur den Bilderbuch-Rockstar, oder meint er das alles etwa ernst? Müssen die Musiker selbst lachen, wenn sie sich diese grandiosen Lieder aus drei Akkorden ausdenken, oder wissen sie genau, dass die Welt sie für ihre Dreistigkeit lieben wird?“

Ein Journalist des New Musical Express hatte dagegen nichts als Verachtung übrig für das, was er auf einem Konzert der Gruppe zu sehen und zu hören bekommen hatte: „Die Musik war abstoßend, und das fast ausschließlich männliche Publikum war das abstoßendste, das man jemals außerhalb eines Spiels der Glasgow Rangers gesehen hat. Mögen diese Leute die Musik, weil sie so abstoßend sind, oder sind sie durch sie erst so geworden? Es lohnt sich überhaupt nicht zu fragen, was diese Musik mit Rock’n’Roll zu tun haben soll. Ihre Anhänger sind Teil einer ganz eigenen Subkultur und verdienen nichts anderes.“

Für die nächste Runde durch Amerika im September und Oktober brauchte sich die Band nicht mehr um Engagements bei Musikern mit einem größeren Namen zu bemühen ‒ es gab keine mehr. Sie nahmen jetzt Gruppen wie Molly Hatchet in ihr Vorprogramm, und Sammy Hagar, bei dem sie selbst ein paar Monate zuvor noch erfolglos vorstel­lig geworden waren, war nun froh, für sie die Shows anheizen zu dürfen.

Durch ihren Kampfgeist und ihre Ausdauer hatten sie aber nicht nur die Musikkonsumenten auf ihre Seite gebracht, sie bekamen jetzt in Amerika auch Unterstützung von den eher konservativen Rundfunkan­stalten, und die Presse war ihnen ebenfalls mehr und mehr zugeneigt. Sylvie Simmons bekannte nach einem Konzert in Long Beach (Kalifor­nien) in der Zeitschrift Sounds. „Ich mag diese verkommene Fünfer­truppe ganz einfach deshalb, weil sie wieder hier sind, und weil man sich nur bei ihnen darauf verlassen kann, dass sie immer noch so sind wie das letzte Mal,“

Zu jener Zeit war der Striptease von Angus auf dem Höhepunkt eines jeden Konzerts zu einer so selbstverständlichen Einlage gewor­den, dass ihm manchmal übereifrige Fans dabei halfen. Angus erinnert sich: „Einmal waren es die Zuschauer, die mir die Hose wegrissen. So was ist zwar etwas peinlich, aber dafür mögen mich die Kids. ‒ Einmal hat mir auch jemand meine Turnschuhe ausgezogen. Ich wälzte mich auf der Bühne herum, da lehnte sich einer aus der ersten Reihe vor und schnappte sie sich. Ich stürzte mich natürlich gleich hinterher und machte ein Riesentheater, aber es waren nur noch Fetzen übrig.“

Bei einem Konzert in New York schüttete ein Zuschauer Angus sein Bier ins Gesicht. Der wehrhafte Zwerg legte sofort seine Gitarre zur Seite und sprang ins Publikum, um den Störenfried zur Vernunft zu bringen. Angus blickt zurück: Ja, ich fing eine kleine Schlägerei an. Der Typ hatte mich angespuckt, mit Sachen beworfen und schon den gan­zen Abend genervt, und ich hatte wirklich Angst. Malcolm hat immer gesagt, ich solle so was nicht beachten und einfach weiterspielen, aber diesmal wurde es mir einfach zu viel und ich ging auf den Kerl los. Das Dumme war nur, dass er weitermachte, als er von mir eins draufbekom­men hatte.“

Eine weitere Geschichte aus Amerika lieferte Bon, indem er bei einer Zwischenlandung in Phoenix (Arizona) mit einer Dame, die er an Bord kennengelemt hatte, das Flugzeug verließ und den Weiterflug nach Austin (Texas) verpasste, wo das nächste Konzert stattfinden soll­te. Bon berichtete von seinem Abenteuer: „Nach zehn Minuten in der Flughafenbar fragte ich: .Müssen wir nicht gleich weiter?“ ‒ ,Wieso? Ich bleibe hier“, war die Antwort. Da rannte ich los, aber das Flugzeug war schon weg. Also nahm mich diese Mexikanerin in so eine Negerkneipe mit. Und da habe ich dann getrunken und nebenbei die ganze Bar beim Billard abgezogen. Nach zwei Stunden war dann so eine Negerin mit riesigen Titten dran. Ich hatte meinen guten Tag und stampfte auch die ein. Die Leute wurden langsam ziemlich sauer auf mich, und ich dachte schon, mir würde es gleich an den Kragen gehen. Da gab ich ihr eine Revanche, ließ sie 9 zu 1 gewinnen und fragte: ,Will mich sonst noch einer schlagen?‘ So bin ich noch mal mit dem Leben davongekommen, und das Konzert in Austin habe ich auch noch geschafft.“

Nach einem Konzert in San Antonio (Texas) wurde so heftig gefei­ert, dass Bon versehentlich eine Flasche Rasierwasser trank und darauf­hin für 24 Stunden im Badezimmer abtauchte. Diese Erholphase war aber noch vergleichsweise kurz, wenn man einer Geschichte Glauben schenken mag, die sich um einen gestohlenen Kassettenrekorder dreht, auf dem Bon unterwegs seine lyrischen Gedankenblitze festzuhalten pflegte. Angus erinnert sich: „Er spielte das Gerät immer seiner Mutter vor, und wenn sie sich überein Lied besonders entrüstete, behielt er das auf jeden Fall. Einmal war Bon ziemlich blau. Drei Monate später wachte er auf, und das Ding war weg.“

Während die übrige Band es schaffte, sich zu mäßigen, um für die Konzerte in Hochform zu sein, war Bons Leben von Alkohol und Frauen beherrscht, und neuerdings auch von Tabletten, die er in Un­mengen in sich hineinstopfte. Er war zwar ein verlässlicher Profi, der kaum jemals ein Konzert ausfallen lassen musste, doch seinen Freunden konnte es nicht entgehen, dass über kurz oder lang sein Leben auf dem Spiel stand. Malcolm und Angus hatten feste Beziehungen mit ihren zukünftigen Ehefrauen und dachten daran, irgendwann sesshaft zu werden, doch Bon fühlte sich noch zu jung dazu, sein unstetes Leben als fahrender Spielmann aufzugeben. Seine Erfüllung waren Sex, Dro­gen und Rock’n’Roll. Seine ohnehin schon brüchige Ehe mit Irene war damals endgültig gescheitert, als er sich nach dem Mißerfolg mit Fraternity erneut einer Band angeschlossen hatte. Auch er verspürte zwar tief im Innern einen Wunsch nach Geborgenheit in geordneten Verhältnis­sen, wie seine engsten Freunde bezeugen können, doch der Erfüllung diesen Wunsches stand immer eine alles beherrschende Genusssucht im Wege.

Ian Jeffery, der Tourneemanager von AC/DC, rechnete für die Highway-to-Hell-Tournee zusammen: „Wenn wir als Hauptgruppe spielen, nehmen wir fünfundzwanzig Leute mit, die mit der Band zusammen in zwei Bussen reisen. In einem Sattelschlepper haben wir die Lichtanlage, und in zwei weiteren die Verstärkeranlage und den Bühnenaufbau. Wenn man so viel Aufwand treibt, muss man eine mittelgroße Halle ganz voll bekommen, damit man nicht auf Geld von der Plattenfirma angewiesen ist. Dieses Mal werden wir null auf null herauskommen. Wir hoffen, dass die Leute die Platte kaufen, so dass wir das nächste Mal in größeren Hallen spielen können und ein bisschen Geld verdienen.“

Die Band bewegte sich am liebsten mit dem Bus und nahm nur für weitere Strecken das Flugzeug. Bassist Cliff Williams nannte Gründe dafür: „Mit dem Bus kann man am Mittag losfahren und kommt trotz­dem früh genug an. Oder man fährt nach einem Konzert die Nacht durch und schläft am nächsten Tag. Die Flüge gehen entweder morgens oder abends, die Flughäfen sind außerhalb, es kommt vor, dass man sein Gepäck verliert ‒ das kann einem auf den Wecker gehen.“

Ende Oktober begann in Großbritannien der zweite Europabesuch im Rahmen der Highway-to-Hell-Tournee, der sich bis Mitte Dezember über Deutschland und Frankreich fortsetzte. Ein Auftritt in Paris am 9. Dezember wurde für den Konzertfilm Let There Be Rock mitgeschnitten, bevor die Band kurz vor Weihnachten noch einmal für ein paar Zusatzkonzerte nach Großbritannien zurückkehrte. Waren die Fans in Southampton zunächst enttäuscht, da das dortige Konzert wegen einer Muskelzerrung von Bon, die sich entzündet hatte, auf einen Termin im neuen Jahr verschoben werden musste, so sollte sich dies noch als echter Glücksfall für sie erweisen. Sie können von sich behaupten, Bon Scott zum letzten Mal live auf einer Bühne gesehen zu haben.

Doch zuvörderst kehrte die Band, wie gewohnt, nach Australien zurück, um im Kreise der Familie Weihnachten zu feiern. Nachdem sie mit Highway To Hell die Heimat zurückerobert hatten, wollten sie diesen Posten durch eine Tournee sichern. Die hohen Transportkosten für die nun viel umfangreichere Ausrüstung würden sich jedoch nur lohnen, wenn man einen Abstecher nach Japan einbauen könnte. Die triumphale Heimkehr sollte Bon jedoch nicht mehr vergönnt sein.