Eine dauerhaftere Lösung

Fliegenbein bebte. Er zitterte wie ein Blatt im Wind. Doch Freddie drückte ihm die Hand so fest auf den Mund, dass er nicht einmal ächzen oder Bens Namen rufen konnte. Freddie hatte ihn unter den Tisch gestoßen, als sein Meister das Haus verriegelt hatte. Und bisher hatten die Wände, die Hothbrodd gebaut hatte, sie beschützt, doch es gab kein Fenster, durch das sie nach draußen blicken konnten, wenn das Haus so verschlossen war. O nein, o nein! Fliegenbein konnte keinen klaren Gedanken fassen! Er würde dem Troll sagen, dass sie Gucklöcher für Notlagen wie diese brauchten! Falls sie je lebend hier herauskamen! Ja, das würde er. Was war mit seinem Meister geschehen? Ging es ihm gut?

Gut? Wie soll es deinem Meister gut gehen, Fliegenbein?, raunte eine grausame Stimme in ihm. Da draußen stampft ein Monster frei herum. O ja, er hatte es gesehen, bevor Ben die Türen geschlossen hatte. Ein furchterregender Anblick! War es noch da? Vielleicht konnte er irgendwo zwischen den Brettern hindurchspähen. Doch Freddie zog ihn zurück, als er unter dem Tisch hervorzukrabbeln versuchte, und schüttelte heftig den Kopf. Und plötzlich hörte auch Fliegenbein es. Schritte. Schritte im Gras. Aber nicht von den Pranken eines Monsters. Sie klangen nach zwei Beinen, Schuhen, ja … Menschen?

»Guck an!«, hörte er eine junge männliche Stimme. »Gut gemacht, Kupfer! Höchst effizient. Ja. Das sieht mir nach einer dauerhafteren Lösung aus.«

Fliegenbein hörte ein Klopfen. Das Geräusch von Handknöcheln gegen Stein.

»Erstaunlich. Perfekt, dass sie diesen Ort ausgesucht haben. Ich nehme an, du kannst nicht überall Monster herbeirufen, richtig?«

»Nein. Auch wenn es viele von ihnen gibt.«

Eine solche Stimme hatte Fliegenbein noch nie gehört. Sie bestand aus Metall – lebendigem Metall.

»Sie alle wollen erwachen«, sagte die Stimme. »Aber man muss wissen, wie man sie ruft.«

»Nun, das weißt du ohne Zweifel. Und was ebenso nützlich ist – du kannst sie wieder schlafen schicken, wie ich sehe. Kannst du es noch mal wecken?«

»Nein«, erwiderte die Metallstimme. »Selbst ich kann so ein Ungeheuer nur ein Mal aufwecken. Die Anstrengung kostet mich Jahre meines Lebens.«

Seinen Begleiter schien dieser Preis nicht zu interessieren. Die Schritte kamen näher. O nein! Sie würden sie entdecken. Würde der Metallmann sie zerquetschen? Wie groß war er?

»Ach Gottchen, wie rührend!«, hörte er die menschliche Stimme spotten. »Barnabas’ Sohn spielt noch mit Puppenhäusern. Na, das überrascht mich nicht. Sein Vater war auch immer sehr kindisch.«

Die Schritte entfernten sich – und blieben erneut stehen.

»Und da ist er ja!«, sagte die Stimme. »Erinnerst du dich, Barnabas? Ich habe dich gewarnt, mir nicht noch einmal in die Quere zu kommen. Es würde dich sicher freuen, zu hören, dass ich das Gift der verfluchten Himmelsschlange immer noch spüre. Aber mit steinernen Ohren hört man sicherlich schlecht.«

Er stieß ein Lachen aus.

Ja, der Sprecher war eindeutig menschlich. Doch die Metallstimme strahlte mehr Wärme aus als die seine. Das musste er sein. Cadoc Aalstrom … Fliegenbein erschauderte. Was würde er mit ihm und Freddie tun? Immerhin hatten sie keine Flügel, die er ausreißen konnte!

»Und wer sind die anderen? Vermutlich deine Frau und deine Tochter«, hörte er Aalstrom sagen. »Sie wird nun niemals altern. Ist das nicht großzügig von mir? Nachdem du so viele meiner Versuche zunichtegemacht hast, meine Jugend zu bewahren.«

Die Grausamkeit seines Spottes war unerträglich. Fliegenbein versuchte, sich aus dem Griff seines Bruders zu befreien, doch Freddie war zu stark.

»Es war eine gute Idee, diese Spinnen am Strand zu platzieren«, sagte Cadoc Aalstrom. »Sie haben sie mit sich hier heraufgetragen, ohne es zu bemerken, und wir hatten die perfekten Ortungsgeräte. Nein, wirklich nicht schlecht, Kupfer.«

»Danke, Herr.« Da klang etwas aus der metallenen Stimme, das Fliegenbein sehr gut kannte. Seine eigene Stimme hatte so geklungen, wenn er zu Nesselbrand gesprochen hatte. Der Metallmann hasste seinen Herrn. Doch was spielt das jetzt noch für eine Rolle, Fliegenbein? Er hat Ben und seiner Familie etwas Schreckliches angetan. Während du dich unter einem Tisch versteckt hast!

»Warum starrst du immer noch den Jungen an? Komm hierher, Kupfer!«, hörte er Aalstrom rufen. »Das ist ein Tagtroll! Kannst du ihn wieder zum Leben erwecken? Abscheuliche Kreaturen, aber ein Pulver aus ihren Zungen soll angeblich Macht über Bäume und ihre Magie verleihen.«

»Den Troll kann niemand wieder zum Leben erwecken«, antwortete die Metallstimme. »Weder ihn noch die anderen. Nicht für die nächsten hundert Jahre. War es nicht das, was Ihr wolltet?«

»Ja. Ja, so war es wohl. Los, wir gehen.«

Die Schritte kamen noch einmal am Puppenhaus vorbei. Doch dann klangen sie immer weiter entfernt. Bis Fliegenbein schließlich nur noch den Schrei einer Eule und das Bellen von Kojoten in der Ferne hörte.

»Ich glaube, sie sind fort, Bruder.« Freddie ließ ihn endlich los. »Aber wir können nicht da raus! Nicht, bevor die Sonne aufgeht. Ich habe meine Gabel nicht bei mir. Die Kojoten würden uns fressen. Oder die Eulen. Und ich glaube nicht, dass wir den anderen helfen können.«

Nein. Es klang nicht so.

Den Troll kann niemand wieder zum Leben erwecken. Weder ihn noch die anderen. Nicht für die nächsten hundert Jahre.

Fliegenbeins Herz schmerzte, als hätte es einen Riss. Doch es schlug noch. Das war ein gutes Zeichen! Kein Homunkulus überlebte den Tod seines Meisters – wenn er ihn liebte. Und er liebte den seinen sehr! Er presste sich die Hand gegen die Brust. Ja, sein Herz schlug, wenn auch etwas zu schnell. Also lebte Ben Wiesengrund noch.

»Die Kojoten sind mir egal. Und die Eulen auch«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich muss herausfinden, was mit ihnen ist. Aber wie kommen wir hier raus?«

Es war stockdunkel im Haus, sodass er das Gesicht seines Bruders nicht sehen konnte. Doch Freddies Stimme war voller Bewunderung, als er schließlich antwortete.

»Wie du willst«, sagte er. »Es gibt tatsächlich eine Luke, die Hothbrodd für mich eingebaut hat. In meinem Zimmer.«

Die Luke öffnete sich problemlos, als Freddie den Teppich wegschob, unter dem sie versteckt war. Doch darunter war fester Boden, staubig und von der Sonne festgebacken. Fliegenbein ging auf die Knie und fing an zu graben, während ihm die Tränen das Gesicht hinabliefen. Sein Bruder tat es ihm nach.