Würde er es wagen?

Licht. Verflucht, es war einfach zu hell. Die Sonne schien durch die weißen Wände zu dringen, durch die Jalousien und jeden Spalt, den sie fand … Und er hatte ein Vermögen für das Haus bezahlt! Warum hatten sie in diesem erbärmlichen Teil der Welt keine Keller?

Cadoc massierte eine weitere Portion Sonnencreme in seine weiße Haut ein. Ah, das tat weh! Der Ausflug in die Berge hatte ihm einen so bösen Sonnenbrand eingebracht, dass er aussah wie ein Hummer. Doch seine Feinde als reglose Felsen zu sehen, war den Sonnenbrand wert, und er hatte zwei Extraportionen Feenstaub geschluckt, auch wenn er die Moosfeen sehr heftig hatte schütteln müssen, um noch etwas aus ihnen herauszubekommen. Er fuhr über das Muttermal unter seinem rechten Auge. Seine Kinderfrau hatte ihm mal gesagt, dass es von der Spucke einer Fee stammte und bewies, dass er ein Wechselbalg war. Als Kind hatte er deshalb lange geglaubt, dass er ein ausgesetzter Feenspross und unsterblich war. Aber sein Vater hatte ihn für die Idee eines Tages so lauthals ausgelacht, dass er sich damit abgefunden hatte, ein Mensch und sterblich zu sein. Er tupfte etwas Sonnencreme auf das Muttermal und lächelte seinem Spiegelbild zu. Die Idee mit dem Wechselbalg gefiel ihm immer noch. Sie galten als teuflisch und verschlagen, oder?

Er schenkte sich ein weiteres Lächeln und wandte dem Spiegel den Rücken zu.

Erledigt. Barnabas Wiesengrund war erledigt und fort. Na ja, zumindest für die nächsten hundert Jahre. Danach würde er sich wohl erneut mit seinem alten Schulkameraden befassen müssen, falls die Kapsel der Aurelia ihn selbst tatsächlich unsterblich machen konnte. Aber was spielte das für eine Rolle? Kupfer würde bis in alle Ewigkeit sein Sklave sein, und dem würde sicher etwas Neues einfallen, falls sein alter Feind sich irgendwann wieder regte. Jetzt konnte er sich endlich auf die Aurelia konzentrieren. Die Vorbereitungen unter Wasser gingen voran, und auch am Strand würde schon bald alles bereit für ihren Empfang sein. Ja, das Ganze würde ein Spaziergang sein. Zu schade, dass er die Zunge des Trolls nicht bekommen hatte, aber vielleicht in hundert Jahren …

Cadoc schmunzelte, während er die Zopfnixe musterte, die Kupfer in seinem Auftrag gefangen hatte. Er hatte einige interessante Kreaturen entdeckt, als er letzte Nacht den Strand abgegangen war, um Kupfer Anweisungen für die Ankunft der Aurelia zu geben. Einen Moment lang hatte er gedacht, die Robben auf den Felsen könnten Selkies sein. Doch das war in so warmen Gewässern höchst unwahrscheinlich. Er hatte sich immer gewünscht, einmal eine von ihnen in die Finger zu bekommen, um herauszufinden, wie genau ihre Haut funktionierte, aber sie waren äußerst angriffslustig und schwer zu finden.

Die Zopfnixe bleckte die Zähne, als Cadoc gegen die Scheibe des Aquariums klopfte, in das Kupfer sie geworfen hatte. Er würde ihm auftragen, weitere Exemplare zu fangen. Der Zauber ihrer Schwanzstränge machte angeblich jedes Seil und jeden Stoff unzerstörbar. Das war eine der vielen nützlichen Informationen, die Barnabas Wiesengrund gesammelt hatte. Cadoc trat zu dem Schreibtisch beim Fenster und fuhr mit der Hand über die beiden Notizbücher, die neben seinem Computer lagen. Sie sahen auf dem weißen Marmor der Schreibtischplatte so schäbig und abgegriffen aus, und doch – sie waren sein wertvollster Besitz. Er hatte Barnabas insgesamt vier Notizbücher gestohlen. Der Idiot hatte sie immer unter seinem Schultisch aufbewahrt – um hineinzuschreiben, wenn er glaubte, dass ihn niemand beobachtete.

Ach, Barnabas. Er war einfach zu gut für diese Welt. Schon immer.

Aber sein Sohn … irgendetwas war mit ihm. Auch Kupfer hatte es bemerkt. Ja, er war seltsam fasziniert von dem Jungen …

Cadoc läutete die Glocke, mit der er Kupfer herbeirief. Eine schlichte kleine Kupferglocke. So hielt man sie immer in Alarmbereitschaft.

»Herr?« Sein seltsam flaches Gesicht hatte Muster auf den Wangen und der Stirn, die aussahen, als hätte sie jemand hineingefräst. Wirbelnde Linien, die an die uralten Gravierungen auf verwitterten Druidensteinen erinnerten. Das Gesicht gab fast nie etwas preis, doch dort oben auf dem Berg hatte Cadoc etwas bemerkt. Etwas, das wie Hoffnung aussah. Hoffnung auf was?

»Dieser Junge – Barnabas Wiesengrunds Sohn … Wieso hast du ihn so angestarrt? Oben auf dem Berg?«

Kupfer senkte den Blick. Doch er musste ihm antworten. Er konnte ihn nicht anlügen. Oder doch?

»Er war so jung. Er tat mir leid.«

Unsinn. Kupfermenschen waren erstaunlich sentimental. Aber so sehr?

Cadoc ging auf ihn zu, bis er direkt vor ihm stand. Kupfer war ein solcher Riese, dass er zu ihm aufblicken musste, doch das machte das Gefühl, Kontrolle über eine so mächtige Kreatur zu haben, nur umso befriedigender.

»Du solltest mich nicht anlügen, Kupfer. Ich finde es immer heraus«, schnurrte er. »Ich kann dir befehlen, in diesen Ozean da unten zu gehen, und du musst es tun, auch wenn es dir die Haut verbrennt. Reiz mich nicht. Was hast du an diesem Jungen bemerkt? Obwohl er aus Stein bestand.«

»Es ist, wie ich gesagt habe.« Die metallenen Augen blickten ihn ausdruckslos an. »Er tat mir leid. Ich habe einen Bruder in seinem Alter verloren.«

Cadoc hielt ihn weiter mit seinem Blick gefangen. Vielleicht sagte er die Wahrheit. Sein kupferhäutiger Sklave war schließlich kein Idiot.

»Geh«, sagte er schließlich. »Fang mir noch ein paar von diesen Zopfnixen.«