Kupfer verspürte ein fremdes Gefühl. Er hatte es zum ersten Mal gespürt, als er den versteinerten Jungen gesehen hatte. Doch in dessen Nähe war es nur eine schwache Ahnung gewesen … Die Ahnung von Feuermagie, so hell und kraftvoll, wie nur ein Wesen in dieser Welt sie besaß. Er hatte sich dafür gescholten, dass er ein paar Sekunden lang tatsächlich gewagt hatte, zu glauben, dass eine solche Magie noch existierte – und sich damit die Hoffnung erlaubt hatte, dass er eines Tages wieder frei sein könnte. Hoffnung konnte in doppelter Hinsicht grausam sein. Wenn man ohne sie leben musste und wenn sie zerstört wurde. Doch dann, letzte Nacht, war es nicht mehr bloß eine Ahnung gewesen, sondern ein Sturm. Die Sterne hatten sich in silberne Schuppen verwandelt, und er hatte von blauem Feuer geträumt. War es möglich?
Nein. Die Drachen gab es nicht mehr.
»Haben die Tintenfische die Aurelia inzwischen gefunden? Kupfer! Was ist los mit dir? Vielleicht zersetzt die Seeluft dein Gehirn.«
Sein Herr hatte sich erneut eine der Feen gegriffen und schüttelte sie so ungeduldig, dass er ihr fast die feinen Gieder brach. Sie würden diese Ausbeutung nicht mehr lange überleben, und es würde nicht leicht sein, neue zu finden. Moosfeen waren schon selten gewesen, bevor sein Herr beschlossen hatte, sich mit ihrem Staub jung zu halten. Bald würde es keine einzige mehr geben, und Cadoc Aalstrom würde zu altern beginnen. Die Jugend, die er von den Feen stahl, würde sehr schnell schwinden. Ein Monat, vielleicht zwei, und seine Haut würde all die Falten aufweisen, die seine Gier bislang nicht hatte ziehen können. Sein blondes Haar würde grau werden oder ausfallen. Kupfer musste zugeben, dass er all das nur zu gern gesehen hätte. Doch in weniger als einer Woche würde die Aurelia eintreffen, und Kupfer würde Aalstrom dabei helfen müssen, Unsterblichkeit von ihr zu stehlen – und sich selbst für alle Ewigkeit zu seinem Sklaven zu machen.
Sklave. Was für ein zischendes, bissiges Wort. Nein. Kein Traum von blauen Flammen oder der merkwürdige Feuergeruch eines Jungen würden ihn retten können.
»Die Tintenfische suchen noch nach ihr«, erwiderte Kupfer. »Aber sie werden sie finden.«
Die blassblauen Augen füllten den Raum mit Winterluft. »Wenn nicht, werden die Konsequenzen für dich sehr unangenehm sein. Was ist mit dem Strand?«
Kupfer bemerkte ein paar feine Falten um den schmallippigen Mund herum. Sie wirkten seltsam in dem jungenhaften Gesicht. Er alterte bereits! Das machte ihn natürlich ungeduldig. Wenn Kupfer den Tintenfischen doch nur hätte befehlen können, die Aurelia nicht zu finden! Doch er musste Aalstroms Anweisungen folgen. Auch wenn es für ihn selbst ewiges Elend bedeutete. Wie eine Marionette aus Kupfer …
»Es ist noch zu früh, um die Würmer loszulassen«, sagte er. »Sie graben sich tief in den Sand, und ich will nicht die Kontrolle über sie verlieren. Aber ich werde sie bald aussetzen.«
Wie die blassen Augen ihn anstarrten! Aalstrom war sich immer noch nicht sicher, ob sein Sklave ihn betrügen konnte. Glaubst du wirklich, dann wäre ich noch hier?, dachte Kupfer. Glaubst du, ich würde den üblen Gestank deiner Grausamkeit ertragen und deinem fauligen Herzen dienen, Cadoc Aalstrom?
»Die Wiesengrunds sind Stein«, sagte er. »Wer sonst sollte sich Euch in den Weg stellen? Niemand weiß von der Aurelia. Diese Welt ist blind.«
»Ich habe das Warten satt.« Aalstrom stieß die Fee zurück in den Käfig und betrachtete enttäuscht das bisschen Staub, das er aus ihr hatte herausschütteln können. »Dies ist das eine Fabelwesen, das mir nicht entkommen darf! Ja, wir werden sie vielleicht zornig machen, aber was soll’s? Ich bin sicher, die Geschichten über das, was sie in dem Fall tun wird, sind nur die üblichen Weltuntergangsfantasien, die erzählt werden, um Männer wie mich zu entmutigen. Zur Hölle mit euch allen – solange ich diese Kapsel bekomme, brauche ich euch nicht mehr!«
Er zupfte sich die Handschuhe von den jungenhaften Händen und wandte Kupfer den Rücken zu.
»Ich bin nicht sicher, ob dir die unappetitlicheren Details dieser Geschichten bekannt sind«, bemerkte er über die Schulter. »Sie behaupten, dass die Aurelia euch alle mit sich nehmen wird – falls jemand versucht, sie zu verletzen oder ihr die Kapseln zu stehlen. Jedes Fabelwesen auf diesem Planeten … wie gesagt, Weltuntergangsblödsinn. Ich gehe davon aus, dass ich dich für alle Ewigkeit in meinen Diensten haben werde. Schließlich habe ich dich angewiesen, die Tintenfische so zu konzipieren, dass sie der Aurelia die Kapseln so von den Armen schneiden, dass sie nicht mal bemerkt, dass sie fort sind.«
Sein Lachen verriet stets, wie selbstverliebt er war.
Kupfer starrte auf seinen Rücken.
Die Aurelia wird euch alle mit sich nehmen. Mitnehmen wohin? Würden sie einfach mit ihr in den Tiefen des Ozeans verschwinden? Oder sich in Luft auflösen? Sie alle, Kupfer. Und du wirst ihm dabei geholfen haben. Es gab nur einen Trost – dass er selbst mit all den anderen sterben würde.
Er schloss die Augen.
Draußen erzählten die Wellen flüsternd von der Aurelia. Und er fühlte es erneut. Feuermagie. So stark, dass er die Wärme auf der Haut zu spüren glaubte.