Hothbrodd mochte keinen Sand in seinen Stiefeln. Überhaupt nicht. In den Wäldern dieser Welt gab es keinen Sand, und Wälder waren die einzige Umgebung, die ein Troll für angemessen hielt. Aber seit Barnabas Wiesengrund ihn vor einer Bande von Nachttrollen gerettet hatte, ging Hothbrodd überallhin, wo Barnabas ihn brauchte – wenn auch oft stöhnend und schimpfend. Trolle sind nicht gerade für ihre positive Einstellung bekannt, und sie nutzen jede Gelegenheit, um zu fluchen. Im Laufe der Jahrtausende haben sie das Fluchen zu einer Kunstform entwickelt. In den Flüchen, die Hothbrodd vor sich hin murmelte, während er mit Alfonso den Strand entlangstapfte, ging es um Eingeweide, Blut und Exkremente – und viele alte Wikingergötter.
»Magst du Sand?«, knurrte er, als Alfonso bei den Felsen anhielt, wo Vita mit den Ohren des Ozeans gesprochen hatte.
»Nein«, erwiderte Alfonso. »Aber immer noch besser als Schlamm.«
»Wirklich?« Hothbrodd legte die Stirn in Falten und dachte über diesen für ihn ganz neuen Gedanken nach, während er auf die Wellen blickte, die den Sand mit flüsterndem Schaum überzogen. Der Mond war beinahe voll. Sein Licht zog eine leuchtende Straße über die Wellen, und die Sterne glichen Silbermünzen, die jemand der Nacht ins Gesicht geworfen hatte. Nun ja, für Hothbrodd sahen sie so aus. Trolle sind nicht sonderlich romantisch.
Sie hatten den Strand Meter für Meter abgesucht, nachdem Lola berichtet hatte, dass der Kupfermann dort gewesen war. Bis jetzt hatten sie jedoch nichts Verdächtiges gefunden. Und doch … Hothbrodd hätte nie an dem gezweifelt, was Lola Grauschwanz berichtete. Die fliegende Ratte war eine abscheuliche Besserwisserin, aber sie war auch eine ausgezeichnete und sehr zuverlässige Späherin.
»Ich vermute, was immer Aalstrom hier für die Aurelia bereithält, versteckt sich tief unter dem Sand«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Ja, Leprechauns bewegen sich lautlos, doch Hothbrodd war sehr stolz auf sein Gehör, und er war sicher, dass dieser Zauberei verwendet hatte, um so unerwartet aufzutauchen.
Dass Derog Shortsleeves dem Troll spitzzahnig zulächelte, führte nicht dazu, dass er ihn mehr schätzte als den Sand in seinen Stiefeln. Hothbrodd konnte Leprechauns sogar noch weniger leiden. Er mochte auch keine Hunde, und der, der nur wenige Schritte von ihm entfernt an dem nassen Sand schnüffelte, sah aus wie ein laufendes Brötchen. Oder eine Kartoffel auf krummen Beinen.
»Dein Hund kann froh sein, dass ich ein Tagtroll bin, Leprechaun«, knurrte er. »Nachttrolle fressen Hunde.«
»Dessen bin ich mir voll und ganz bewusst«, erwiderte Derog Shortsleeves. »Und Leprechauns machen Schuhe aus Troll-Haut – wenn es sein muss.« Seine Augen waren frostig grün, als er Hothbrodd erneut zulächelte. »Der Kupfermann hat darauf geachtet, dass meine Selkie-Freunde auf der Jagd waren, als er herkam. Diese Metallmenschen sind erstaunlich stark und noch dazu großartige Magier. Sie können Tiere und Pflanzen so verändern, dass komplett neue Lebensformen entstehen – nur mit ein wenig Spucke oder einer Berührung. Aber …«, er blickte liebevoll auf seinen Hund, »… zum Glück hat er Manannan für einen normalen Hund gehalten.«
Manannan hob das Bein und pinkelte auf die Stelle, die er gerade noch beschnüffelt hatte. Dann trottete er weiter über den feuchten Sand.
»Das war die dritte«, sagte Shortsleeves. »Ich habe ihn gebeten, jede Stelle zu markieren, wo der Kupfermann stehen geblieben ist. Mal sehen, wie viele weitere es noch gibt.«
Er nickte ihnen zu und spazierte hinter seinem Hund her.
Hothbrodd ging zu der Stelle, an der Manannan das Bein gehoben hatte.
Tief unter dem Sand …
»Elewese!«, rief Alfonso aufs Meer hinaus.
Eine Gestalt erhob sich aus den Wellen. Hothbrodd hatte sich den Seesternmann kleiner vorgestellt. Als Elewese auf den Strand trat, sah er sogar noch beeindruckender aus. Er war fast so groß wie Hothbrodd, und um seine panzerartige Haut beneidete ihn der Troll sehr! Ganz zu schweigen von all den Armen. Was er damit alles hätte bauen und schnitzen können! Wie viele Werkzeuge man damit gleichzeitig halten konnte!
Elewese lächelte, als er auf ihn zuschritt, als könnte er Hothbrodd den Neid von der grünen Stirn lesen. Doch seine Miene wurde ernst, als er zu dem Haus aufblickte, in dem Aalstrom wohnte. Sie alle wünschten sich, dass der Mond nicht ganz so voll wäre. Er war so hell, als hätte jemand Scheinwerfer an den Strand gebracht. Doch die Fenster über ihnen waren dunkel. Was nicht viel hieß, dachte Hothbrodd finster. Kupfermenschen lebten unter der Erde, sie konnten bestimmt sehr gut im Dunkeln sehen. Vor allem, wenn der Mond eine forbannet Laterne am Himmel war!
»Es macht nichts, wenn sie uns sehen«, sagte Alfonso. »Sie wissen inzwischen, dass jemand den Steinfluch gebrochen hat. Meine Männer haben den Kupfermann oben im Zeltlager gesehen. Und wieso sollen wir sie nicht ein bisschen nervös machen?«
Er musterte das dunkle Haus. »Ja, ich bin sicher, dass uns jemand beobachtet«, murmelte er. »Sorgen wir dafür, dass sie nur sehen, was sie sehen sollen.«
»… und dass sie uns nicht hören«, fügte der Seesternmann hinzu.
Der fast volle Mond brachte hohe Wellen, und ihr Rauschen füllte Hothbrodd die Ohren, als sie so nah an die Brandung traten, dass sie ihm die Stiefel tränkte. Nein, er mochte den Strand wirklich nicht.
»Ich habe den Metallmann von dem Felsen da drüben aus beobachtet«, sagte Elewese. »Es hat seine Vorteile, ein Seestern zu sein.«
»Wenn er sich ganz verwandelt, ist er kaum größer als deine Faust«, erklärte Alfonso, als Hothbrodd Elewese verständnislos ansah.
»Vielleicht noch etwas kleiner.« Elewese lächelte. »Der Kupfermann hatte einen Metallbehälter dabei. Ich glaube, dass er sich nach unten öffnete, wenn er ihn abstellte. Denn als er ihn wieder anhob, war da ein großes Loch im Sand, weit genug, dass du«, er deutete mit einem seiner Arme auf Hothbrodd, »darin hättest verschwinden können.«
Der Troll blickte an sich herab.
»Der Kupfermann hat sich die Zeit genommen, alle Spuren zu verwischen. Nicht mal ich konnte anschließend sagen, wo das Loch gewesen war.«
»Wenn wir dem Hund des Leprechauns glauben können, hat er mindestens drei gegraben«, sagte Alfonso. »Aber …«
»… falls wir jetzt anfangen zu graben, weiß Aalstrom bald, dass wir ihm auf der Spur sind«, knurrte Hothbrodd. »Also tun wir wohl besser so, als hätten wir keine Ahnung. Sonst bereiten sie andere Teufeleien vor. Ich schlage vor, wir gehen hier auf die Jagd, kurz bevor die Aurelia eintrifft.«
»Irgendeine Idee, wonach ihr jagen werdet?«, fragte Elewese.
»Würmer«, antwortete Hothbrodd. »Das haben jedenfalls Lolas Käfer gehört.«
»Das klingt nicht so schlimm«, sagte Elewese.
»Für mich klingt es ziemlich schlimm, Seesternmann«, erwiderte Hothbrodd. »Ich habe schon Würmer gesehen, die einem so mühelos den Kopf abbeißen, wie du eine Muschel knackst.«
Auf dem Balkon von Aalstroms Haus erschien eine dunkle Silhouette. Im Licht des Mondes war sie deutlich zu erkennen. Es war der Kupfermann. Er starrte zu ihnen herunter. Dann trat er einen Schritt zurück und verschmolz mit dem Schatten, den das Dach warf.
»Drei Stellen«, sagte Alfonso leise. »Hoffen wir, dass der Hund sie auch findet, wenn es Zeit wird zu graben.«
Sie alle starrten auf den mondbeschienenen Sand.
»Ich habe etwas für euren kranken Freund mitgebracht.« Elewese umschlang mit einem Arm Alfonsos Hand und legte mit einem zweiten ein paar leere Schneckenhäuser hinein. »Zerstoßt die und macht ihm einen Trank aus dem Pulver. Die Meermenschen sagen, es nimmt ihren Gliedern die Schwere.«
Hothbrodd sah Alfonso fragend an. »Barnabas?«
Alfonso nickte.
»Tut mir leid, dass es Wiesengrund nicht gut geht«, sagte Elewese, während er zurück ins Meer watete. »Er ist ein guter Mann. Leider ist das in dieser Welt häufiger eine Gefahr als ein Schutz. Wir sehen uns auf Anacapa. Viel Glück mit dem Plan!«
Damit verschwand er in den Wellen.
O ja, Hothbrodd beneidete ihn um all die Arme!
Er warf einen Blick zu Aalstroms Haus hinauf. Man könnte sie wunderbar dafür benutzen, den Kupfermann und seinen Herrn zu erwürgen.