«S chlechte Nachrichten?»
Viktoria Lambach schüttelte den Kopf. «Alles in Ordnung! Mir liegt nur die Kröte etwas im Magen.» Sie wich seinem Blick aus und zeigte auf eine Stelle hinter ihm. «Da drüben ist der Mann, der meinen Wagen aus dem Graben gezogen hat. Hugh. Ich gehe kurz zu ihm, um mich zu bedanken.» Als sie davonlief, wehte ihr langer Schal hinter ihr her.
Graham spürte, wie eine feuchte Hundeschnauze seine Hand berührte. Bonnie Belle, Shonas Labradorhündin, buhlte um seine Aufmerksamkeit.
«Ich frage mich, wieso sie bei dir arbeiten will.» Shona war zu ihm getreten. «So jemand wie sie liest doch keine Bücher», sagte sie mit angeekeltem Gesichtsausdruck. «Höchstens E-Books. Sie sieht auch ganz anders aus als die anderen Frauen, die sonst immer bei dir aushelfen.»
«Wie sehen denn die Frauen aus, die bei mir arbeiten?»
Sie verdrehte die Augen. «So wie Eliyah. Verschroben und weltfremd. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was so ein Püppchen wie sie hier zu suchen hat.»
«Willst du Miss Lambach etwa auch eine kriminelle Absicht unterstellen?», fragte Graham belustigt. «Dad hat sie gestern schon für eine Ladendiebin gehalten. Dabei wollte sie nur den Geldbeutel aus ihrer Handtasche holen.»
«Das kann ich ihm nicht verdenken. Ich hab sie bei ihrer Ankunft gesehen: Alle Bände von Game of Thrones hätten in ihre Tasche hineingepasst, so riesig war sie!» Shona sagte das ohne jede Spur von Humor. Sie machte aus ihrer Abneigung gegen Viktoria Lambach keinen Hehl. Was war nur mit ihr los? Shona neigte doch sonst nicht so zu Stutenbissigkeit!
«Sie hat gesagt, dass sie mal rausmuss», fühlte er sich verpflichtet, seine neue Aushilfe zu verteidigen. «Wahrscheinlich ist sie einfach eine gestresste Führungskraft, die kurz vor dem Burn-out steht.»
«Und dann steht sie lieber in deinem zugigen Buchladen, als in einem Wellnesshotel zu relaxen?»
Graham zuckte mit den Schultern. Es wunderte ihn selbst manchmal, wer alles im Fuchsbau aushelfen wollte. Seit zwei Jahren musste er sogar eine Jobagentur zwischenschalten, weil er der Masse an Bewerbungen nicht mehr Herr wurde. Unglaublich, wie viele Leute dazu bereit waren, sich unbezahlt in einen alten Buchladen zu stellen und Bücher zu verkaufen! Er wünschte sich, er könnte eine ähnliche Begeisterung dafür aufbringen.
So jung und attraktiv wie Viktoria Lambach war allerdings bisher zugegebenermaßen noch keine seiner Aushilfen gewesen. Er blickte zu ihr hinüber. Sie stand jetzt bei Hugh und Dorothy und unterhielt sich mit ihnen. Auch wenn sie heute dicke Winterkleidung trug, hatte sie etwas Elegantes an sich. Sie hielt sich aufrecht, so als hätte sie jahrelang Ballett getanzt. Ihre Haare waren blond, sehr blond. Fast schon silbern, vor allem jetzt im Mondlicht. Und ihre Augen waren grün wie die einer Nixe. Als sie vorhin auf ihm gelegen hatte, hatte er sich davon überzeugen können.
Bei der Erinnerung daran stieg eine Hitze in ihm auf, die ihm gar nicht gefiel. Die letzte Frau, die ihm körperlich so nah gekommen war, war Pat gewesen. Drei Jahre war das schon her …
«Wahrscheinlich hat sie ein Auge auf dich geworfen und möchte deshalb für dich arbeiten», riss Shona ihn aus seinen unzüchtigen Gedanken. «In der Zeitung wurdest du immerhin als der begehrteste Junggeselle von Swinton bezeichnet.»
Graham verzog das Gesicht. Dass ihn selbst nach einem Jahr immer noch jeder mit diesem unsäglichen Artikel aufziehen musste! «Das stand in der Swinton Press und nicht im National oder in der Times , und ich glaube kaum, dass unser Käseblatt den Weg bis nach Deutschland gefunden hat.»
Shonas braune Augen verengten sich zu Schlitzen. «Ich werde sie trotzdem im Auge behalten.»
«Na wunderbar, dann seid ihr schon zwei.» Graham stöhnte. «Das hat Dad nämlich auch gesagt. Dabei kann ich euch beiden versichern, dass ich durchaus selbst dazu in der Lage bin, sie mir vom Leib zu halten.»
«Ich bin mir sicher, dass du das kannst.» Shona sah ihn unter ihren langen dunklen Wimpern provozierend an. «Aber willst du das auch?»
«Red nicht so einen Blödsinn! Miss Lambach ist meine Aushilfe, mehr nicht.» Graham hatte jetzt endgültig genug. Er ließ Shona stehen und ging davon, um Tyson zu holen. Der Hund hatte sich vor den Essensstand gesetzt, und der Blick aus seinen runden Mopsaugen hätte selbst das Herz der Eiskönigin zum Schmelzen bringen können.
«Noch eine Abfahrt!», rief Graham seinem Sohn zu. Finlay und Gertie hatten sich gerade noch einmal auf den Weg zur Kuppe gemacht.
«Aber morgen ist doch keine Schule!», protestierte Finlay.
«Keine Widerrede!» Im Gegensatz zu seinem Sohn musste Graham am nächsten Tag nämlich früh aufstehen. Er beugte sich zu dem Mops hinunter. «Und du hörst jetzt mal auf, die Leute zu belästigen, und kommst mit», sagte er in genauso strengem Ton. Damit klemmte er sich das Tier unter den Arm und gesellte sich zu Viktoria, die ihr Gespräch mit Dorothy und Hugh inzwischen beendet hatte.
«Darf ich Sie auf einen Mulled Wine einladen?», fragte sie ihn. «Ich habe Angst, dass Nanette mich zwingt, noch eine Runde Schlitten zu fahren, und unsere gemeinsame Abfahrt war mir für heute rasant genug.» Sie zog eine Grimasse.
«Ich bin leider mit dem Auto da», antwortete Graham bedauernd und kam sich dabei unglaublich spießig vor.
«Dann nehmen Sie doch wenigstens einen Früchtepunsch. Ich trinke auch einen mit. Dann können wir eine Teeparty feiern, wie bei Alice im Wunderland .»
«Gut, dann einen Früchtepunsch», antwortete Graham. Aus irgendeinem Grund schien sie das zu enttäuschen. Dabei hatte sie doch den Vorschlag gemacht! Hätte er doch den Glühwein nehmen sollen?
«Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht bei mir im Laden aushelfen?», fragte er Viktoria, während sie sich an der Schlange vor dem Getränkestand anstellten. Auch wenn er sie weder für eine Ladendiebin hielt noch glaubte, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte - ein wenig beschäftigte ihn das Gespräch mit Shona schon.
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. «Ich arbeite in einer Galerie. Als ich gestern Abend hier in der Stadt war, habe ich übrigens gesehen, dass es in Swinton auch eine gibt.» Über ihr Leben in Deutschland schien Miss Lambach offensichtlich nicht besonders gern zu sprechen. «Ein paar Buntstiftzeichnungen hingen dort, die mir wirklich gut gefallen haben. Ich habe sie fotografiert.» Sie zückte ihr Handy und zeigte ihm die Fotos. «Sie sind von einem gewissen E. Smith. Ich habe den Namen gegoogelt, aber nur herausgefunden, dass es sich dabei um einen Mann handelt, der in einer kleinen Stadt an der Südwestküste Schottlands lebt, und ich frage mich, ob das Swinton sein könnte. Kennen Sie ihn?»
Graham schüttelte den Kopf. «Der einzige Smith, den ich kenne, ist Jo, dem die Fish-and-Chips-Bude gehört, und der malt ganz sicher nicht. Haben Sie in der Galerie nachgefragt?»
«Ja, aber der Galerist ist krank, und seine Vertretung kennt sich mit Kunst nicht aus. Sie will ihn aber fragen.»
Noch einmal schaute Graham auf das Display. «Der Name sagt mir zwar nichts, und ich wüsste auch nicht, wer in Swinton professionell malt, aber der Stil kommt mir bekannt vor. Kann es sein, dass dieser Smith auch Kinderbücher illustriert?»
«Ja, davon habe ich etwas gelesen.»
«Ich glaube, er hat auch die Bilder in einer Ausgabe von Nils Holgersson gemalt.»
«Das Buch kenne ich!» Viktoria ließ das Handy sinken, und ihre gerunzelte Stirn glättete sich wieder. «Deshalb kamen mir die Zeichnungen so bekannt vor! Das war eines der ersten Bücher, die mein Vater mir vorgelesen hat.»
Graham meinte, einen Hauch von Wehmut aus ihrer Stimme herauszuhören. «Und ich habe es Finlay vorgelesen. Ich bin mir sicher, wir haben es zu Hause noch irgendwo herumliegen. Wenn ich es finde, schaue ich nach, ob der Name des Illustrators darin steht.»
«Das wäre toll!» Viktoria strahlte ihn an. «Vielleicht finde ich ja noch heraus, wer dieser E. Smith ist. Seine Zeichnungen gefallen mir sehr.»
Ihr Lächeln war umwerfend.
Schnell schaute Graham weg.