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Tagliabue erinnerte sich an jedes Detail der nächtlichen Verabredung. Jetzt musste er noch herausfinden, wer sich hinter den Angaben auf der Visitenkarte verbarg.

Nachdem er den Empfang und den Lift hinter sich gebracht hatte, öffnete er die Tür zum Büro. Er gab sich keinerlei Mühe, keinen Lärm zu verursachen, setzte sich wuchtig an sein Pult, hinter seinen Bildschirm. Ein paar Minuten später hatte er sich ins Polizeisystem eingeloggt und startete die Suche. Nach ungefähr einer erfolglosen halben Stunde kippte er seinen Kopf zur Seite, um sich nach Hilfe umzusehen.

Er lancierte eine neue Suche: identisches Resultat. Mit der Dauer der Erfolglosigkeit wuchsen seine Frustration und die Lust, die ganze Infrastruktur durch das Fenster zu werfen, den Absturz, das splitternde Zerbersten im Innenhof und die Reaktion der neugierig herbeigeeilten Kollegen der unteren Etagen von oben zu verfolgen. Die Tatsache, dass er zu feige war, die Konsequenzen einer derartigen Aktion zu tragen, ließ den Druck in seinem Magen anwachsen. Noch einmal haute er die Telefonnummer, die er inzwischen in- und auswendig kannte, in die Tasten – mit dem immer gleichen Ergebnis.

«Was machen Sie denn hier?», hörte er Deubelbeiss hinter dem Bildschirm. Tagliabue hämmerte beide Zeigefinger auf die Returntaste – die Hardware wurde ihrem Namen gerecht und überstand auch diese Luftangriffe.

«Wieso verbringen Sie eigentlich Ihre ganze Zeit hier? Haben Sie kein Zuhause? Niemand, der auf Sie wartet?»

«Und wie waren denn Ihr Abend und Ihre Nacht? Haben Sie aus ermittlungstechnischen Gründen ebenfalls nicht im eigenen Bett geschlafen? Wie geht es unserem Trueboy69? Oder war Ihr Rendezvous nicht mehr vor Ort, weil Sie erneut zu spät erschienen?» Deubelbeiss schob sich den Kopfhörer zum Hals hinunter, um nachzubohren: «Wie heißt der wahre Knabe richtig?»

«Ich hatte keine Zeit, ihn danach zu fragen», begann der Kommissar mit der Schilderung des Abends.

«Mehr als eine Handynummer hat er mir nicht überlassen», schloss er seine Zusammenfassung.

«Aber Sie können nicht herausfinden, welcher Name zu der Nummer gehört.» Der Assistent fixierte den Vorgesetzten mit unverhohlener Schadenfreude. «Jetzt lassen Sie die Gewinnzahlen schon hören.» Er legte die Finger auf die Tastatur.

«Schleichen Sie sich wieder in irgendein System ein, und ich habe den Ärger wie mit Krämers Agenda und Agenten?»

«Irgendwie bemerkenswert», Deubelbeiss betrachtete seine kümmerlichen Fingernägel, «Sie haben doch auch versucht, an die Informationen zu gelangen, sind einfach kläglich gescheitert. Wenn ich einen Anlauf nehme, interessiert es Sie urplötzlich, wie ich an die Daten komme. Seien Sie froh: Ihr Unvermögen schützt Sie vor Illegalität. Wollen Sie mir die Nummer jetzt geben, oder lassen wir es bleiben?»

Tagliabue nannte die zehn Zahlen. Langsam und deutlich, in je zwei Dreier- und Zweierpakete gruppiert, wie er es schon vor Jahrzehnten im Militär beim Verschlüsseln von Nachrichten gelernt hatte. Er hörte die Zeigefinger des Assistenten in rasender Geschwindigkeit über die Tasten flitzen.

«Wie oft wollen Sie diese Kombination noch eingeben?», wunderte sich der Kommissar. Denn die Zahl der Anschläge übertraf jene der gesuchten Nummer um ein Vielfaches.

«Wie Sie trotz der erfolglosen Versuche festgestellt haben, ist die Nummer weder im offiziellen Verzeichnis noch mit Hilfe von Google zu finden. Im Polizeisystem ist die Kombination auch nirgends gespeichert. Demnach bleibt mir nichts anderes übrig, als mich bei unseren Telefonanbietern umzusehen.»

«Möchten Sie einen Kaffee?» Der Kommissar erhob sich, während Deubelbeiss damit beschäftigt war, dem Computer vertrauliche Informationen zu entlocken. «Ich werde in exakt zehn Minuten zurück sein», definierte er die Zeit, die er dem Assistenten zugestand.

«Feiger Opportunist», brummelte der Jüngere, als der Chef die Tür hinter sich zuzog.

Fünfzehn Minuten später öffnete sich, nach einigen erfolglosen Anläufen, die Türklinke hinunterzudrücken, die Tür, und der Kommissar trat mit einem Pappbecher pro Hand ins Büro. Er stellte die Tassenersatzbehälter auf sein Pult, kehrte zum Eingang zurück, um die halboffene Tür ins Schloss zu kicken.

Danach holte er einen Becher, deponierte diesen vor dem Assistenten. Mit einem Blick zum Bildschirm versuchte er vergebens, Informationen zu erhaschen. «Entschuldigung, ich habe beim Öffnen der Tür Kaffee verschüttet.»

«Null Problemo», erwiderte der Angesprochene und gab dem Chef mit seiner Körperhaltung zu verstehen, dass er erst weitermachen würde, wenn dieser an seinen Platz zurückkehrte.

Der Kaffee hatte eben Trinktemperatur erreicht, als Deubelbeiss erstaunt pfiff und die Tastatur noch intensiver bearbeitete.

«Was?» Tagliabue stellte seinen Becher auf den Tisch, beugte sich nach vorn, um den Assistenten zwischen den Bildschirmen hindurch anzustarren.

Der ließ mit seiner Antwort lange auf sich warten: «Ich denke, das ist er.» Und nach einer weiteren, künstlich verlängerten Pause: «Tobias Xeno Poth. Hat jedenfalls beim Abschluss des Handyabos einen Schweizer Ausweis mit diesem Namen vorgelegt. Wird Mitte September vierundzwanzig. Heimatort Oberaach. An der Adresse, die er angab, wohnt er nicht mehr, vielleicht hat er nie dort gewohnt. Die Rechnungen erhält er elektronisch. Die Nummer wird auch regelmäßig benutzt. Er hat mit Schläfli telefoniert – auch am Tag der Tat. Demzufolge kannte er das Opfer.»

«Vielleicht hat Poth für den Nachmittag einen Termin mit Schläfli vereinbart oder bestätigt. Wann haben die zwei miteinander gesprochen?»

Der Assistent war auf diese Frage vorbereitet und hielt dem Kommissar ein Bündel bedruckter Papiere entgegen, die er kurz zuvor aus dem Laserdrucker gezogen hatte: «Die Aufzeichnung sämtlicher Anrufe. Er hat es mehrfach versucht. Erreicht hat er Schläfli letztendlich auf dem Festnetz. Wenige Minuten vor Mittag.»

«Drei, um genau zu sein.» Der Kommissar betrachtete die Aufzeichnungen.

«Das wäre sechs Stunden vor dem Eintreffen der Spurensicherung. Sie sind ja später dazugestoßen», konnte sich der Assistent den Seitenhieb nicht verkneifen.

«Das würde im Endeffekt die Todeszeit eingrenzen», ignorierte Tagliabue die Bemerkung.

«Warum?»

Gedankenverloren blätterte der Kommissar in den Unterlagen, die sich Deubelbeiss vom Telekom-Anbieter besorgt hatte. Er studierte alle Einträge und stellte einen intensiven Gebrauch des Handys fest. Er legte die Papiere vor sich auf den Schreibtisch: «Warum fragen Sie? Haben Sie denn den Autopsiebericht nicht studiert?»

«Doch, natürlich. Und das auch noch sehr genau. Aber vielleicht sind wir etwas vorschnell. Immerhin hat ihr Freund, der Pathologe, eine Zeitspanne von bis zu acht Stunden genannt. Wer sagt uns denn, dass Schläfli den Anruf selbst entgegengenommen hat? Vielleicht war er zum Zeitpunkt des Anrufs schon tot und jemand anderes hat für ihn geantwortet – immerhin handelte es sich um den frei zugänglichen Festanschluss in der Villa. Und Ihre Putzfrau hatte freien Zugang zum Haus und Zugriff aufs Telefon. Es ist gut möglich, dass sie Poth geantwortet und Schläfli entschuldigt hat. Vielleicht hat auch der Mörder abgenommen und sich als Elektriker oder Klempner ausgegeben, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Die Unterhaltung dauerte nur kurz, wie Sie den Dokumenten entnehmen können.»

«Nicht kürzer als andere Gespräche zwischen Trueboy und Schläfli. Oder andere telefonische Unterhaltungen – ich hasse diese Gespräche, wo man den anderen nie sieht und nicht weiß, was er oder sie treibt, wo er seine oder sie ihre Finger hat», resümierte Tagliabue.

Blitzschnell nutzte der Assistent die Pause des anderen, um mit seinen Ausführungen fortzufahren: «Schläfli hat sich nur noch selten aus der Villa bewegt. María befand sich am Morgen zumeist im Gebäude, um ihren Job zu erledigen. Sie hätte den Anruf entgegengenommen, als ihr Chef nicht reagierte. Hätte sich die Frau im Nebenhaus aufgehalten, wäre der Anruf automatisch umgeleitet worden. In beiden Fällen hätte sie sich wahrscheinlich auf die Suche nach ihm begeben und hätte ihn aufgehängt gefunden.»

«Möglicherweise hat er sich ja abgemeldet, bevor er das Haus verließ. Das gehört sich so, wenn man unter einem Dach lebt. Dann hätte sie den Anruf ohnehin beantwortet. Er wäre unbemerkt zurückgekehrt und nach seiner Ankunft gestorben», gab Tagliabue zu bedenken. «Meiner Meinung nach benutzen wir den Konjunktiv etwas zu häufig. Unser Job sind ...»

«... Fakten. Ich weiß. Zu unserem Job gehört es aber auch, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Hätte Schläfli sich nicht abgemeldet ...»

«Dann was?», reagierte der Kommissar genervt.

«Wie Ihnen die Portugiesin zu Protokoll gab, konnte sie die Straße nicht vollständig einsehen.» Deubelbeiss zog eine Grimasse.

«Was wollen Sie damit andeuten?»

«Dann konnte sie nicht wissen, ob Schläfli sich im Haus aufhielt. Falls er sich nicht bei ihr abmeldete, musste sie davon ausgehen, dass er sich im Gebäude aufhielt, und sah nach, weshalb er nicht an den Apparat ging.»

«Bei aufmerksamerer Lektüre meiner Gesprächsnotizen wäre Ihnen aufgefallen, dass María die Zufahrt vom vorderen Teil der Unterkunft überblicken konnte. Vielleicht hörte sie das Auto in ihrem Zimmer, wunderte sich und ist auf die andere Seite geeilt, um nachzuschauen. Wenig später ist Schläfli zurückgekehrt. Möglicherweise in Begleitung des Mörders. Demnach gab es für María keine Veranlassung mehr, einen Kontrollgang zur Villa zu machen. Vor allem, wenn sie bei Schläflis Rückkehr eine zweite Person neben ihm gesehen hat und sie nicht stören wollte.»

«Dann hätte aber Poth nicht in Schläflis Auto gesessen», gab der Assistent zu bedenken.

«Wieso?»

«Wieso? Warum sollte er telefonieren, wenn er neben dem Gesprächspartner sitzt?»

«Da stimme ich Ihnen zu.»

«Danke», Deubelbeiss widmete sich wieder dem PC, «immer wieder bemerkenswert, wie Sie die Putzfrau in Schutz zu nehmen versuchen.»

«Ich ziehe lediglich alle Möglichkeiten in Betracht.»

«Nicht alle. Aber dafür haben Sie mich: Frau Pinto geht davon aus, dass sich Schläfli in der Villa aufhält. Er nimmt das Telefon nicht ab. Sie wird misstrauisch und macht sich vom Nebenhaus oder innerhalb der Villa auf den Weg, um nach dem Rechten zu sehen, so pflichtbewusst wie die Dame ist. Außer», der Assistent legte eine Pause ein, «sie wusste schon, dass ihr Arbeitgeber nicht mehr lebt.»

Gedankenversunken stand Tagliabue auf, um sich die Beine zu vertreten: «Das würde bedeuten, dass María den Anruf beantwortete, sich in der Villa bewegte, ohne den toten Schläfli zu bemerken.»

«Sehen Sie, schon wieder Ihr Beschützerreflex. Was, wenn sie den Toten entdeckt oder gar eigenhändig zur Strecke gebracht hat? Und ihn danach, weshalb auch immer, hängen ließ?»

«Wieso versteifen Sie sich eigentlich so auf den Gedanken, dass sie und nicht Schläfli selbst Poths Anruf entgegengenommen hat?», wurde der Kommissar ungehalten.

«Der Bericht der Spurensicherung hält fest, dass sich am Telefonhörer auch Fingerabdrücke der Putzfrau befanden.»

«Es gehörte zu Marías Aufgaben, die Dinge an respektive in ihre Hand zu nehmen. Es wäre fast verdächtiger, wenn keine Spuren zu finden wären ...»

«Vielleicht ist die Dame so raffiniert.»

«Außerdem», lachte der Kommissar, «haben Sie Frau Pinto nicht kennen gelernt ...»

«Sie haben mir das Vergnügen leider nicht gegönnt.»

«Die Frau hat weder die Kraft, noch hat sie ein Interesse an Schläflis Tod.»

«Sie hatte kein Motiv und ist mit dem Tod ihres Chefs die große Verliererin», repetierte Deubelbeiss und ließ die rechte Hand kreisen. «Die Daten des Telekomanbieters zeigen eindeutig, dass sich Poth zur Tatzeit zwar ganz in der Nähe, aber nicht auf Schläflis Anwesen aufgehalten hat.»

«Einen Augenblick, das habe ich jetzt nicht verstanden.» Der Kommissar tippte sich theatralisch an die Stirn und schloss die Augen. «Sie betrachten Handy und Mensch als untrennbare Einheit. Könnte es auch sein, dass sich Poth an einem Ort, das Telefon sich gleichzeitig an einem anderen befunden hat? Eventuell hat er das Gerät in seinem Auto vergessen und befand sich meilenweit entfernt.»

«Er besitzt kein Auto, das habe ich kontrolliert.»

«Oh Mann», schüttelte der Ältere den Kopf, «das war nur als möglichst anschauliches Beispiel gedacht. Dann halt kein Besitztum, sondern ‹Shared Property›. Möglicherweise teilt er sich ein Auto. Stichwort Mobility. Das ändert aber nichts an der Aussage, dass Mensch und Handy keine untrennbare Einheit bilden.»

«Um präzise zu sein, heißt der Begriff ‹Sharing Economy› – so, wie Sie es aussprechen, versteht Sie ohnehin keiner. Mit diesem italienischen Akzent erinnern Sie an Roberto Benigni in Down by Law.» Deubelbeiss haute mit enormer Kadenz in die Tasten. Tagliabue wunderte sich, was sein Assistent gerade machte. Kurz darauf folgte die Antwort: «Sie haben recht. Tobias Poth ist seit Jahren Kunde von Mobility und mietete für den Tattag einen Renault Clio. Diesen hat er in der Stadt abgeholt, die zurückgelegte Distanz entspricht genau der Fahrt vom Fahrzeugstandort zu Schläflis Haus und wieder zurück.»

«Und das haben Sie in so kurzer Zeit herausgefunden?», wunderte sich der Kommissar weniger über die Ergebnisse als über die Ermittlungsmethode.

«Willkommen im digitalen Zeitalter.» Deubelbeiss tippte sich mit ausgestrecktem Zeigefinger an die Stirn. «Willkommen in der Ubiquität aller Information. Ich hocke hier auf dem Bürostuhl und finde mehr und bessere Informationen als Sie bei Ihrem Streifzug und Absturz durch die reale Welt.»

«Ich stamme aus einer Zeit, da war der Gedanke schneller als jede Kommunikation. Bei der Generation Y, Backslash oder wie auch immer ist die Kommunikation rascher als der Gedanke. Trotzdem: Ihre Kiste hält Möglichkeiten und keine Wahrheiten bereit. Denn das, was Sie rausgefunden haben, bedeutet beispielsweise nicht, dass Poth auch in Schläflis Villa war.»

«Auch sonst scheints mir, dass wir nicht weitergekommen sind. So viele Worte für so wenig Ertrag.»

«Da steh’ ich nun, ich armer Tor ...»

«... und bin so klug als wie zuvor.»

«Aber», erholte sich Tagliabue von seiner Überraschung, «wenigstens wissen wir jetzt, dass sich die zwei Herren kannten. Wo finde ich ihn? Gibt es wenigstens hier eine aktuelle Adresse?»

«Was heißt hier ‹eine Adresse›?»

«Dass Sie den Begriff nicht kennen, wundert mich nicht. Sie schlafen sogar im Büro.»

«Sie verstehen nicht. In Bezug auf eine Adresse muss ich etwas machen, was ich bis jetzt nicht gemacht habe: Sie enttäuschen. Tobias Poth scheint ein moderner Nomade zu sein. Der sich mal hier, mal dort aufhält. Ich überlasse Ihnen die Liste mit sämtlichen Adressen für Ihre Suche – bei Ihrer Expedition in die analoge, real existierende Welt wollen Sie mich wohl nicht dabeihaben.»

Mit einem Lächeln streckte der Assistent dem Kommissar einen vollgedruckten DIN-A4-Bogen entgegen.

«Was grinsen Sie so dämlich?» Der Vorgesetzte riss ihm das Blatt aus der Hand.

«Sie können heute Abend nochmals ins Castro gehen und schauen, ob Sie ihm auf gut Glück begegnen. Ich glaube, das Lokal scheint Sie zu faszinieren.» Sein letzter Satz war im halb unterdrückten, glucksenden Lachen nicht mehr deutlich zu verstehen.

Bevor Tagliabue etwas erwidern konnte, schob der Jüngere den nächsten Vorschlag nach: «Oder Sie lassen es sein und gehen morgen in der Früh, wahrscheinlich zum ersten und letzten Mal, an die Uni. Poth studiert Architektur im fünften Semester. Er hat morgen ein Pflichtseminar auf dem Stundenplan. Das wird er nicht sausen lassen, wenn er zügig vorwärts- und zu einem Abschluss kommen will. Und danach sieht’s aus: Er hat seinen Bachelor nicht nur in Bestzeit, sondern mit Bestnoten hinter sich gebracht. Ich habe Ihnen die Übersicht mit den Gebäudenummern, den Vorlesungssälen und Lektionen schon ausgedruckt.»

Er streckte seinem verblüfften Chef ein zweites A4-Blatt entgegen. «Trueboy69 ist Ihr Haupttatverdächtiger?»

«Nüchtern besehen bleibt mir nichts und niemand anderes übrig.» Der Kommissar erhob sich elegant vom Stuhl und ging zur Bürotür. Bevor er hinter sich schloss, drehte er sich abrupt um: «Kompliment, das haben Sie sehr gut gemacht. Sie und Ihr Computer. Gehen Sie endlich nach Hause. Duschen Sie. Essen Sie etwas Anständiges. Einen Teller Pasta oder so. Und erholen Sie sich endlich. Sie können doch nicht ständig hier sein. Es dankt Ihnen keiner.»

Vor dem Haupteingang legte der Ermittler eine Pause ein, nahm die ein- und austretenden Leute nicht wahr. Ebenso wenig die giftigen Kommentare, weil er im Weg stand und sich keine Mühe gab, etwas an der Situation zu ändern. Nach einem Blick aufs Smartphone entschied er sich für die Fahrt mit dem Tram ans andere Ende der Stadt, wo er nach dem Rechten respektive dem Gemüse schauen wollte. Er hatte vor, am kommenden Tag direkt zur Universität zu fahren. Ohne die Möglichkeit einer Dusche oder Rasur. Unter den Studierenden würde er so ohnehin nicht weiter auffallen.

In seinem Schrebergarten hatten sich die Dinge erfreulicher entwickelt, als er es sich je erträumt hätte. Die Salate und sein Gemüse waren besser gediehen als das Unkraut – Letzteres ein Indiz dafür, dass die Nachbarn nicht ungefragt in seinen Schrebergarten eingedrungen waren, um in den Lauf der Natur einzugreifen. Nachdem er den erwünschten Pflanzen zu ihrem benötigten Entfaltungsraum verholfen und das unerwünschte Gewächs entfernt hatte, konnte er sich nur mit größter Mühe wieder aufrichten. Sein Rücken war das ständige Bücken nicht mehr gewohnt, und er hörte die Wirbel einen nach dem anderen knacken und krachen.

Nach vorne gebeugt legte er den kurzen Weg ins Holzhäuschen zurück, um sich ein wenig auszuruhen und gleich einzuschlafen.