Kapitel 3
Wie eine Nachthütte in den Kürbisgärten

BERICHT DES HERDEGEN BRECHTHELM UND DES ENRICO LAMBARDI VON IHRER FAHRT INS WEIHRAUCHLAND

Da mir nichts weiter von ihm geblieben ist, benütze ich seinen Kalender. Den jüdischen Kalender.

NISSAN, 18.

Ich muss zunächst von mir berichten, auch wenn Margarete das nicht gefallen wird.

Wir haben entschieden, dass wir über diese Reise gemeinsam erzählen wollen. Wir wollen festhalten, was auf diesem Weg ins Weihrauchland geschehen ist.

Ich beginne mit mir, da ohnehin völlig ungewiss ist, wo dieser Bericht eines Tages ankommt. Und nicht in irgendwelchen Sanddünen, in der Rub al’ Khalil, der größten Sandwüste der Erde, für immer und ewig vergraben bleibt. Zusammen mit uns.

Ich soll das Pestkind hinter mir lassen, hat sie gefordert, soll es vergessen. Auslöschen. Aus meiner Seele herausschneiden.

Sie, meine Mutter, hat diese Entscheidung gefällt, weil sie glaubt, sie sei Gott, der Allmächtige. Manchmal sogar größer als Gott. Sie könne sagen: Es geschehe. Und schon passiere es.

Wir werden sehen.

Also der 18. NISSAN

Wir haben uns nach langem Hin und Her für diesen Termin entschieden, weil es zu viel Zwänge gab, auf die wir Rücksicht zu nehmen hatten: Zwischen Mai und Oktober sei die Reise eine grandiose Tortur, heißt es, im August und September ist Regenzeit, zwischen Juni und September herrscht in Dhufar, unserem Reiseziel, der Monsun, im Oktober und November sei es zwar am günstigsten, wobei im Oktober aber wiederum die Erntezeit bei den Weihrauchbäumen vorüber ist und die Karawanen in Sammaram, dem Weihrauchhafen, mit ihrer kostbaren Fracht bereits nach Norden aufbrechen.

Da wir in genau entgegengesetzter Richtung reisen, also von Norden nach Süden, war es ohnehin schwierig, überhaupt einen Plan zu machen. Und als M. dann außerdem in dieses chaotische Geflecht von Reisezeiten auch noch die Kameltagesmärsche der Rückreise einplanen wollte – wobei ich nicht einmal verstand, mit was sie diese Tagesmärsche zu multiplizieren gedachte –, gebot ich Einhalt. Und sagte, dass ich nicht beabsichtigte, bereits vor Beginn dieser Reise meschugge zu werden.

Drück dich bitte in deiner eigenen Sprache aus, rügte sie mich. Und bestimmte dann kühn den 18. Nissan, wobei es ganz gewiss für diesen 18. überhaupt keine Marke gab. Aber sie setzte sich durch, wie bei so vielen anderen Dingen.

M. hat auch die Sache mit den Männerkleidern entschieden. Dass wir uns andere Namen zulegen mussten, war die logische Folgerung daraus, wir konnten schließlich nicht gut in Männerkleidern mit Frauennamen unterwegs sein. Die Kleider werden wir unterwegs dann nochmals wechseln müssen, wenn wir mit der Karawane mitziehen: djellabah oder Burnus heißen diese Hemden. Und auf dem Kopf tragen wir dann einen massaar, einen Turban.

Ich sage von nun an also Herdegen zu M., zu Beginn nur unter Lachen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Mit meinem Enrico hatte Margarete ganz offensichtlich keinerlei Schwierigkeiten. Wie sie überhaupt so gut wie keine Schwierigkeiten zu haben scheint mit allem, was auf uns zukommt.

NISSAN, 29

Wir haben für die erste Strecke den Wasserweg genommen. Sind also von Nürnberg nach Osten gefahren und von da aus nach Süden. Da diese Strecke mehr als langweilig war, spare ich sie aus.

Und träume weiterhin von unserem Kamelritt durch die Wüste. Auch wenn die Kamele Dromedare sind mit einem Höcker und keine Trampeltiere mit zwei Höckern, wie M. behauptet. Und Lasttiere. Aber all das ist natürlich ungewiss.

Ob wir das Grab der Königin von Saba finden, ebenfalls.

Ob wir überhaupt nach Marib kommen, auch.

Nur das Dhufarland, das Weihrauchland, das ist gewiss, weil wir die alte Karawanenstraße nehmen werden, die schon seit Jahrhunderten von den Händlern benutzt wird.

In einem kleinen Stoffbeutel trage ich zwei kostbare Krümel bei mir: Weihrauch. Vom reinsten, den es gibt, fast schneeweiß – olibanum. Wenn ich an ihm reibe, bleibt sein Duft für kurze Zeit an meinen Fingern hängen.

Auf den Schiffen, auf denen wir fahren, versuche ich zu lernen, was es zu lernen gibt, vor allem Sprachen. In früheren Zeiten, als ich mit meiner Familie noch in fernen Landen lebte, habe ich mit meinem Bruder zusammen einmal begonnen, Arabisch zu lernen. Aber da er nur irgendeinen Dialekt konnte, bin ich nicht sicher, ob es mir überhaupt etwas nützen wird.

Natürlich möchte ich mich auch über Kamele kundig machen und über Weihrauch, aber – so albern es klingt – M. ist eifersüchtig, wenn ich davon spreche. Du kümmerst dich um alles Äußere unserer Reise, hat sie gesagt, und ich um das andere. Das, worum es eigentlich geht.

Worum es geht, weiß ich natürlich: Sie will in Venedig einen Handel mit Weihrauch beginnen, es soll ein Ableger werden zu ihren Parfumgeschäften in Venedig, die bereits jetzt ein großer Erfolg sind.

Diesen Weihrauch will sie selber ernten, in Dhufar. Dazu braucht sie natürlich zunächst einmal Weihrauchbäume – was so klingt, als wolle man im heimischen Garten im Herbst Birnen pflücken und brauche dazu nur die Leiter anzustellen. Aber natürlich ist das dort alles völlig anders.

Über die Besonderheiten dieser Bäume will ich später berichten, zunächst nur so viel: Man muss diesen Weihrauch abkratzen. Möglichst heimlich, weil diese Bäume nicht uns gehören. Dass dies Diebstahl ist, stört M. allerdings wenig. Sie braucht dieses Gefühl des Abkratzens, sagt sie, darauf kommt es ihr an. Und da wir vermutlich ohnehin nicht in der Haupterntezeit dort sein werden, sei es weniger schlimm, weil das Harz dann nicht ganz so wertvoll sei. Wir werden also gewissermaßen das unnütze Harz abkratzen, das sonst auf dem Boden liegen bleiben würde.

Aber ich zweifle, ob wir solche raren Bäume überhaupt finden werden – was ich natürlich nicht aussprechen darf. Sonst hätte ich ja gleich zu Hause bleiben können. Aber nun, da wir unterwegs sind, sind alle Gedanken über die Vergangenheit sinnlos, es zählt nur noch die Zukunft.

IJJAR, 4

Nachts, wenn ich in rüttelnden Kutschen oder auf schwankenden Schiffen schlaflos liege, überfällt sie mich manchmal aber doch, die Vergangenheit. Dann tauchen sie auf, die Bilder, die ich vergessen will oder soll. Bilder, die der Grund sind für diese Reise, mein Grund.

Der Tag zum Beispiel, an dem wir die Briefe unserer Mutter verbrannten, draußen auf den Salzfeldern. Die Flammen zischten in einem grellen Gelb empor, der Rauch stieg über unsere Köpfe hinweg, höher, als wir das vermutet hatten.

»Nun ist er endlich tot, dieser Riccardo«, sagte mein jüngerer Bruder befriedigt, »endgültig tot. Nicht nur ›gegangen‹, wie Mutter immer sagt.«

Wir blieben stehen, schauten auf den schwarzen Fleck in dem grellweißen Salz, wussten bereits jetzt, was unser großer Bruder Clemens dazu sagen würde, kopfschüttelnd. »Was seid ihr doch für Kinder, könnt ihr nie erwachsen werden?«

Wenn Erwachsenwerden bedeutet, dass man keinen Hass mehr spüren darf, dann will ich es nie werden. Ich will ihn haben dürfen, diesen Hass, für immer. Und ich werde nicht vergessen, meine Wünsche – oder Flüche – über den Gräbern und Friedhöfen im fernen Dhufar auszusprechen, wo sie angeblich in Erfüllung gehen sollen.

IJJAR, 10

Heute unser Streit über die Königin von Saba. Was M. weiß, was ich weiß. Woher wir unser Wissen haben, wie fundiert es ist. Und ob diese Königin überhaupt gelebt habe. Ob sie wirklich in grauer Vorzeit bei König Salomo in Jerusalem war, wie es in der Bibel steht. Oder ob das alles nur Legenden sind. Wir streiten über eine Sache, die Tausende von Meilen von uns entfernt ist. Wir sind noch nicht einmal am Meer und streiten über Dinge auf dieser Weihrauchstraße, die wir nur flüchtig aus Büchern kennen. Sie nicht anders als ich.

Und natürlich ist alles so, wie jedermann es vermutet hat. Für Außenstehende war schon damals klar, dass ich, die Jüngere, genau das tun würde, was M. bestimmt. Aber mancher würde sich wundern, welch seltsame Arbeitsverteilung wir inzwischen haben. M. ist die Prinzessin, die alles vorgekaut bekommt. ALLES. Das hat sie mir gleich zu Beginn dieser Reise in aller Deutlichkeit klargemacht: Ich bin für das verantwortlich, was wir als die Banalitäten und Nichtigkeiten der Reise bezeichnen. Sie wird reiten, ich werde die Steigbügel halten. Sie möchte ungestört ihren Weihrauchphantastereien nachgehen, ich habe dafür zu sorgen, dass alles seinen Gang geht. Das heißt, dass ich für unsere Ausrüstung genau so verantwortlich bin wie für die Sandstürme. »Hast du auch genügend nachgeforscht, wann sie kommen, wie sic sich ankündigen, diese Sandstürme«, hat sie vor einigen Tagen gefragt, so, als sei ich der Gott der Stürme und des Wetters.

Sie will auf jeden Fall – Sandsturm hin oder her – einmal in ihrem Leben unter einem Weihrauchbaum nächtigen. Allein. Nur mit ihrem Kamel. Ich soll in Rufweite bleiben, damit ich zu Hilfe kommen kann, wenn sie welche braucht. Aber sie ist überzeugt, dass sie keine braucht.

Denn ich muss in jedem Fall auch vorweg über die Tiere der Wüste Bescheid wissen, wann sie erscheinen, vor allem bei Nacht. Bis jetzt kenne ich lediglich den Fenek und ein paar Namen von Schlangen, die ich nie gesehen habe, wie auch? Skorpione, über die ich einigermaßen Bescheid weiß, zählen nicht. Obwohl ich genau über sie eine Menge wüsste. »Er ist kein Wüstentier«, hat sie abfällig gesagt. »Es gibt ihn gerade so gut auch im Süden der Schweiz, im Tessin.«

Aber zunächst sind wir nicht in der Wüste, sondern auf dem Meer. Und keiner hat den anderen vorweg über seine Seetüchtigkeit befragt. Dass sie es ist, die die Tage wimmernd und stöhnend fastend in der Kajüte verbringen muss, gibt mir fast ein boshaftiges Überlegenheitsgefühl. Dass sie sich zu Beginn, wenn sie zur Reling ging, nach der falschen Seite, nach der Wetterseite, hin, entleert hat, hat sie mir vorgeworfen.

Ich stand, wenn ich mich nicht um sie kümmern musste, neben dem Kapitän und durfte sogar einige Male das Steuerrad führen. Ich versuchte, ihn nebenher über die Tiere der Wüste auszufragen, vor allem über Nachttiere, aber auch er konnte mir hier nicht weiterhelfen. Welche Farbe zum Beispiel die giftige Hornviper hat, die es dort gibt, wusste er ebenso wenig wie ich. Und ob wir Gazellen und Luchsen begegnen werden, konnte auch er nur vermuten.

SIWAN, 1

Der Ort, an dem unsere eigentliche Reise beginnt: Ghaza, die Hafenstadt am Meer.

Hier ist der Anfang der alten Karawanenstraße, hier werden wir den Karawanenführer finden, der uns durch die Wüste bringen soll.

Die Karawanserei, die wir beide zum ersten Mal betreten, ist Handelsumschlagplatz, Schlafstätte für die Händler, bietet Ställe für die Pferde, und natürlich kann man hier essen und trinken, aber selbstverständlich keinen Alkohol.

M. und ich geben uns als Händler aus, die den Weg durch die Wüste machen werden, um in das Zentrum des Weihrauchhandels, das Dhufargebiet, zu kommen. Dass die eigene Ernte unser Ziel ist, lassen wir selbstverständlich unter den Tisch fallen. M. kommt aus einem Handelsimperium in Nürnberg, ihr Großvater war Safranhändler, die Familie hat in früheren Zeiten in der Hauptsache mit Gewürzen gehandelt, aber bisher nie mit Weihrauch. Was alles der Wahrheit entspricht. Ich bin ihr – »sein« – Gehilfe, führe die Bücher über die Geschäfte.

So weit sind unsere Vorbereitungen gediehen, jetzt muss die Karawane, an der wir teilhaben wollen, zusammengestellt werden. Wir sind nicht die einzigen Händler, die mitziehen werden. Doch die einen werden uns bereits in der alten Felsenstadt Petra verlassen, die anderen in Medina und Mekka.

Bis es diese Karawane gibt, wird es vielen Kaffees, vieler Pfeifen, vieler Katrunden und noch viel mehr Geduld bedürfen, heißt es.

Wir sind also in das Zelt des Scheichs gebeten worden, und nach endlosen Verhandlungen, die meist mit Allah zu tun hatten und zunächst nicht mit den Details der Karawane, sind wir so weit: Wir haben einen Vertrag mit dem Obersten der Karawane abgeschlossen. Er ist bereit, Treiber, Kamele und Wasserschläuche zur Verfügung zu stellen. Dann gibt es weitere Verhandlungen über die Miete und die Löhne der Treiber. Der Anführer ist mit seinem Leben verpflichtet, dafür zu sorgen, dass wir unbeschadet das Ziel unserer Reise erreichen werden. Er ist für uns über Wochen hinweg der wichtigste Mann. Er allein kennt die Wüste so gut, wie unsereins die Stände der Händler am Rialto oder die Läden an der Merceria kennt. Auf jeden Fall sind wir in den Händen dieses Mannes sicher vor allen Unbillen dieser Reise.

So hoffen wir wenigstens.

Und da er außerdem noch ein halber Medikus ist und man zu ihm geht, wenn einen eine Schlange gebissen oder man sich den Magen verdorben hat, dürfen wir uns gewiss gut behütet fühlen.

Aber bis das bakra inschallah endlich gesprochen werden kann, vergeht ein weiterer Tag.

Dann endlich werden die Kamele zu einem letzten Fressen auf die Weide geschickt, die Lasten, die sie zu transportieren haben, müssen gewogen werden, damit man sie anschließend gleichmäßig auf den Kamelrücken verteilen kann.

Den Wasserschläuchen, die am Ende der Prüfung mit Teer eingeschmiert werden, wird am meisten Sorgfalt zugewandt, da sie schließlich über Tod oder Leben entscheiden können.

Mein Reittier, ein Dromedar wie die übrigen, sei sanft, hat uns Ahmed, der Sohn des Führers des Trecks, beruhigt. An ihm probiere ich mein schlechtes Arabisch aus. Aber da er mit seinem Vater zusammen einmal einen italienischen Forscher in die Wüste begleitet hat, spricht er zumindest einige Brocken meiner Muttersprache, sodass wir uns gegenseitig helfen können. Den Mischmasch, der dabei entsteht, findet M. selbstverständlich abstoßend, lieber enthält sie sich jeder Sprache und wedelt mit Händen und Armen in der Luft herum. Oder lässt mich übersetzen.

Das Kamel müsse sich erst an mich gewöhnen, hat Ahmed gesagt. Was sein Schreien anbetrifft, als ich es zum ersten Mal zur Probe satteln soll, hält es auf jeden Fall nichts von einer Gewöhnung. Es brüllt. Es brüllt so laut, als malträtiere ich dieses arme Kamel bereits, bevor diese Reise überhaupt begonnen hat, lade ihm die härtesten Lasten auf, verweigere ihm Fressen und Wasser. Dabei hat es ganz gewiss über die Maßen viel getrunken, sodass man es sogar wegzerren musste von dem Wasserbottich.

Nach dem Nachmittagsgebet ist es endlich soweit: Der Ruf zum Aufbruch ertönt. Die Treiber fangen ihre Kamele ein, stellen die Lasten zusammen, beladen die Tiere. Ein Vorgang, der nur mit Gebrüll, Schreien und wildem Beißen der Kamele vonstattengeht.

Mein Kamel sei eine sanfte Stute, wiederholt Ahmed geduldig, als er sieht, dass ich Schwierigkeiten mit ihm habe. Man muss sanft mit ihm umgehen. Oder auch hart. Was hart ist, lerne ich, als die Kamele gezwungen werden, sich zum Beladen niederzulegen: einer der Treiber tritt auf seine zusammengeknickten Vorderbeine, greift nach dem oberen Teil seiner Schnauze und drückt auf seine Nase, sodass es nicht mehr atmen kann. Zwei andere Treiber heben die Lasten auf den Tragsattel, schieben die Haltepflöcke durch die Ösen, und dem Tier bleibt nichts anderes, als sich zu fügen.

Die Kamele sind aneinandergefesselt und gehen deshalb folgsam in einer Reihe. Eine schnurgerade Linie durch die Wüste, wie mit einem Lineal gezogen.

SIWAN, 2

Unsere Gesichter verhüllt bis auf die Augen, unsere Körper in die Gewänder der Beduinen gehüllt – niemand würde uns als Margarete aus Nürnberg und Bianca aus Venedig erkennen. Ein kaum beschreibliches Gefühl – wir sind verschollen für die Welt.

Der erste Tag allerdings war kaum die reine Freude. Da ich auch unsere Reiseapotheke verwalte, können wir uns die Stellen salben, die es nötig haben. Man solle die ersten drei Tage des Öfteren neben dem Kamel hergehen, heißt eine alte Regel, dann vergehe es am schnellsten. Aber »es« vergeht bei M. erst nach fünf Tagen, was sie missmutig sein lässt, da sie nun schon zum zweiten Mal die Schwächere von uns beiden ist.

Ich habe seltsamerweise überhaupt keine Beschwerden.

SIWAN, 4

Die Nächte in unserem Zelt.

Wir haben für die lange Wüstenreise ein eigenes Zelt mitgenommen, damit wir uns sicherer fühlen, wenn wir vor dem Schlafengehen die Bandagen von unseren Brüsten wickeln.

Aber M. schläft mit offenen Augen, was mich irritiert, weil sie aussieht, als sei sie tot. Einmal versuchte ich, mein Ohr auf ihre Brust zu legen, um ihren Atem zu hören, aber sie erschrak und stieß mich mit ihren Füßen zurück.

Manchmal erinnert sie mich an meine Mutter, und ich habe das Gefühl, das eine Übel gegen ein anderes eingetauscht zu haben – was natürlich ungerecht ist. Ich spüre ihre Ängste, sie könnte ihrer Verantwortung nicht gerecht werden oder am Ende gar noch diesem Weihrauch verfallen. Er soll einen Wirkstoff haben, der betäubt, heißt es, oder euphorisch macht. Mehr weiß ich darüber nicht.

SIWAN, 10

Unser Tag beginnt in aller Frühe.

Bereits bei Sonnenaufgang schälen wir uns aus unseren Decken, wir zerren die Bandagen um unsere Brüste, schlüpfen in unser langes baumwollenes Hemd, das bis zu den Knöcheln reicht, setzen den massaar auf unsere Köpfe.

In der Zwischenzeit haben die Treiber die Kamele gesattelt, die Lasten wieder festgezurrt. Mein Kamel brüllt auch hier am lautesten und bekommt dann Knüffe von dem Kameltreiber. Er erklärt mir, dass es eine Rangordnung gibt innerhalb der Kamele, und dass das meine ganz offensichtlich der Meinung ist, dass es im Rang höher steht, wenn ein anderes sich vordrängen will. Deswegen sei es störrisch, sagt er lachend, aber bis zum Ende der Reise werde er ihm das ganz gewiss abgewöhnen.

Die Strecke, die bis zur Mittagszeit zurückgelegt werden muss, beträgt etwa 24 Meilen. Dann folgt die ersehnte Unterbrechung für uns, eine Ruhepause. Eine Wolldecke wird über vier in den Sand geschlagene Stöcke befestigt, sodass eine Spur von Schatten zu genießen ist. Wir trinken heißen gesüßten Tee und essen eine Kleinigkeit.

Erst am späten Nachmittag brechen wir wieder auf, reiten weiter bis zum Einbruch der Dämmerung, wo nochmals eine Strecke von etwa 16 Meilen zurückgelegt wird.

Die abendliche Zeit am Lagerfeuer gehört mit zu den schönsten Stunden. Nicht nur, weil wir dann in aller Ruhe essen und trinken können: Einige der Treiber spielen die Zither oder die Trommel, andere singen. Wenn wir dann in unser Zelt kriechen – das wir stets etwas abseits von der Gruppe aufbauen –, ist inzwischen für uns diese fremde Welt zu einer vertrauten geworden.

Die Nächte sind kalt. Viel kälter, als ich mir vorgestellt hatte. Manchmal behalten wir sogar einen Teil unserer Kleider an, und trotz allem frösteln wir am Morgen noch, wenn die Karawane weiterzieht.

TAMMUS, 2

»Hast du eigentlich schon über unsere Bäume geschrieben?«, fragte M. heute mit einer Eindringlichkeit, als ginge es um Leben und Tod.

Ich muss bekennen, dass ich dieses Thema bisher ausgespart hatte, weil ich nicht wusste, was ich überhaupt erzählen darf, und sei es nur auf diesem Papier. Und auch deswegen, weil M. zu Beginn der Reise die Kamele und den Weihrauch für sich gepachtet zu haben schien.

Nun also zu diesen Weihrauchbäumen, und was wir darüber wissen oder auch nicht. Genauer gesagt, was ich darüber weiß, denn schließlich hatte ich mich bereits in Nürnberg oder Venedig damit beschäftigt. Mit ihrer Geschichte und ihrem Geheimnis, das im Laufe der Jahrhunderte nie restlos gelüftet werden konnte.

Sie waren in der Vergangenheit heilige Bäume und äußerst selten zu finden. Man konnte sie weder damals noch heute verpflanzen oder züchten. Selbst der ägyptischen Königin Hatschepsut gelang es nicht, sie in ihrem Land heimisch werden zu lassen. Und die Spähtrupps, die zu anderen Zeiten ausgeschickt wurden, waren keinesfalls erfolgreicher.

Für die Ernte dieser Bäume ist nun eine gute Zeit, auch wenn M. behauptet, dass es zu früh sei. Dass wir mindestens noch drei Tagreisen oder gar mehr von jener Gegend entfernt seien, in der die Bäume wachsen, die das beste olibanum sacrum, ein fast durchsichtiges Harz, liefern.

Die Bäume gehören einzelnen Familien, ihre Standorte werden innerhalb der Familie weitergegeben und bleiben geheim. Auch die Weihrauchmischungen, die die Frauen aus diesem Harz zusammenstellen, sind Familiengeheimnis, und wie viel Sandelholz oder Myrrhe dieser oder jener Mischung zugegeben wird, wissen nur die, die diese Arbeit verrichten.

Die Bäume, die vorwiegend in Wadis oder an ihrem Rand zu finden sind, sind an die Trockenheit angepasst und verschmähen Feuchtigkeit. Ihre Höhe soll zwischen drei bis fünf Metern liegen, aber ich bin sicher, dass das so unterschiedlich ist wie die Orte, an denen sie vorkommen.

Bei der Ernte wird der Baum mit einem Messer angeritzt, der Balsam, den der Baum dann absondert, trocknet an der Sonne und kann anschließend mit einem Spatel abgeschabt werden. Alle paar Jahre bekommen die Bäume eine Erholungsphase.

Die Geschichten, die sich um dieses Harz weben, sind zahlreich. Dass es früher mit Gold aufgewogen wurde, dass der Kaiser Nero eine ganze Jahresernte von Weihrauch für seine Lieblingsgattin verbrannte, dass um dieses Weihrauchland Dhufar Kriege geführt wurden und ganze arabischen Königsreiche irgendwann in der Erinnerung verschwanden, lässt unsere Neugier von Tag zu Tag größer werden.

TAMMUS, 4

Heute Morgen nach kurzem Ritt auf einer Hochebene, die gewiss mehr als zwanzig Meter aus der Ebene emporragt. Wir schauen hinunter auf spärliche Reste von irgendwelchen Gebäuden, die einstmals ein Palast gewesen sein sollen: Marib, die sagenumwobene Stadt des Altertums, die Hauptstadt des sabäischen Reiches, um 1200 vor Chr.

Ahmeds Vater, der selten mit uns spricht, lässt die Karawane anhalten, was ebenfalls selten geschieht. Vor allen Dingen dann, wenn alle anderen bereits wissen, um was es sich handelt, und er lediglich uns beiden etwas mitteilen möchte.

Diese Königin, sagt er dann mit erhobener Stimme, diese Königin von Saba liegt dort unten. Er sagt es so, als sei diese Königin, die da irgendwo unter meterhohem Schutt vergraben ist, seine Königin, der er auch heute noch zu dienen habe. Eines Tages wird ihr Palast ausgegraben werden und dann werden auch die glauben, die bisher zu den Nichtgläubigen gehören, sagte er mit Gewissheit und schaute uns prüfend an. Dabei klang seine Stimme so, als habe er uns soeben den Mond geschenkt, sei aber unschlüssig, ob wir ihn verdient haben.

»Erzähl doch von Salomon«, drängte Ahmed, »von den Bewässerungsanlagen, dem Staudamm, den Totentürmen, die es nirgendwo auf der Welt sonst gibt. Von den Nachfahren –«

Aber sein Vater schüttelte abweisend den Kopf und gab das Zeichen zum Weiterreiten.

Vermutlich haben wir die falsche Reaktion auf seine Darstellung gezeigt. M. ganz gewiss. Ich spüre bereits seit Tagen ihre Erregung wachsen und ihre Ungeduld, endlich diesem Dhufar, dem Weihrauchland, näher zu kommen. Diesem magischen Harz, das – zumindest ihrer Meinung nach – nicht einmal von einer längst verschollenen, wenn auch über Zeiten und Räume berühmten Königin übertrumpft werden kann.

»Was hat es auf sich mit diesen Totentürmen?«, fragte ich Ahmed am späten Abend, als wir beim Feuer saßen. »Was weiß dein Vater, was er uns dann aber ganz offensichtlich nicht erzählen wollte?«

»Er weiß eine ganze Menge«, sagte Ahmed bedächtig. »Schließlich betrachtet er sich als Nachfahre der Königin von Saba.«

»Als Nachfahre?«, fragte ich ungläubig.

»Nun, er stammt aus dieser Gegend, er ist nur wenige Meilen von hier geboren, weshalb sollte er kein Nachfahre sein?«

»Nun ja, aber nach diesen Jahrhunderten, Jahrtausenden?«

»Auch Christen glauben, was seit Jahrhunderten überliefert ist, ohne die Gewissheit zu haben, dass es wirklich so war, oder etwa nicht?«

Ich schwieg, da ich wusste, dass er recht hatte.

Ahmed lachte. »Er heißt Menelik, zumindest sein Name hat etwas mit ihr zu tun, wenn auch nur der Sage nach. Da soll sie nämlich in Jerusalem mit Salomon einen Sohn gezeugt haben, eben diesen Menelik.«

»Aber dieser Salomon, stimmt der denn überhaupt?«

»Es steht in der Bibel. Und im Koran.«

»Dein Vater kann die Bibel lesen?«, wunderte ich mich.

Ahmed schaute zum anderen Ende des Feuers, wo sein Vater die Pfeife rauchte. »Er kann die Bibel lesen und den Koran, den Koran natürlich besser als die Bibel. Und die Bibel selbstverständlich in Arabisch, zumindest einige Stellen davon, die er sich übersetzen ließ.« »Nachfahr«, murmelte ich vor mich hin, »es scheint mir irgendwie recht seltsam.«

»Nun, er nimmt das für sich in Anspruch, genau so, wie er sich als Nachfahre jener Männer sieht, die einst vor Jahrhunderten die Kamele domestiziert haben, sodass eine Reise durch die Wüste überhaupt erst möglich wurde. Es waren Beduinen, denen dies zu verdanken ist. Und er ist Beduine. Ein stolzer Beduine«, fügte Ahmed hinzu. »Er hat deswegen zum Weitermarsch getrieben, weil seine Darstellung der Königin von Saba ganz offensichtlich zu wenig gewürdigt worden war. Keine Fragen, keine Begeisterung, kein Interesse. Nein, nein, versucht nicht, Euch zu entschuldigen, er wird Euch trotzdem gut durch diese Wüste führen. Auch wenn der Kopf Eures Freundes anderen Dingen zugewandt ist. Dingen, die mein Vater möglicherweise nicht unbedingt billigt.«

Ich starrte Ahmed an, der sich erhob und zum Zelt ging. Er konnte nicht wissen, was M. beabsichtigte, da wir es nie erwähnt hatten. Und ich hoffte, dass dieses Abenteuer, das Abernten eines Weihrauchbaumes, der uns nicht gehörte, dass dieses Abenteuer zu einem guten Ende kommen würde.

TAMMUS, 7

Die erste Oase heute. Und natürlich hatte ich sie mir wesentlich größer vorgestellt, vor allem Wasser im Überfluss. Klares, kaltes Wasser, Süßwasser. Dieses hier war leicht salzig, schmeckte nach Schwefel und war lauwarm. Und von Überfluss konnte keine Rede sein: Es war nichts weiter als ein Rinnsal, das aus den Felsspalten in einen Eimer heruntertröpfelte.

»Diese Oase wird von arabischen Wanderhirten besucht«, erklärte Ahmed, »sie gehört ganz gewiss nicht zu den großen Oasen, zu denen wir später noch kommen werden. Aber ich liebe sie trotzdem«, fügte er hinzu, »auch wenn sie nichts weiter aufzuweisen hat als ein paar zerfledderte Palmen und eine halb vertrocknete Mimose.«

Aber immerhin strahlte diese Oase Leben aus: Zwischen dürftigen Gräsern ein Pfad, auf dem einige Ziegen meckerten und Hühner gackerten. An ihrem Rande wurde Kaffernhirse angebaut, ein paar Weinstöcke rankten sich an einer Hütte empor, die knallroten Blüten eines Granatapfelbaums, die aussahen als seien sie aus Papier gemacht, leuchteten hinter einem Baum hervor, den ich nicht kannte. Eine Frau trug einen Korb mit Bananen und Melonen zu ihrer Hütte, an einem Feigenkaktus hingen Früchte, die ich gerne geerntet hätte. Aber Ahmed schüttelte den Kopf. »Es dauert eine Weile, bis man die Stacheln herausgemacht hat.« Er lachte. »Am besten ist es, wenn man sie sich fertig angerichtet schenken lässt.«

TAMMUS, 9

Heute im Souk einer kleinen Stadt, wo es sogar einen Weihrauchsouk gab, was M.s Glück in ungeahnte Höhen steigen ließ. Dass sie endlich das kaufen durfte, was sie sich so sehr ersehnt hatte, bedeutete natürlich, dass sie dazu stundenlang brauchte.

»Es ist mein erster Souk«, verteidigte sie sich, als Ahmed und ich sie mahnten, dass es weitergehen müsse. »In Nürnberg kann ich ganz gewiss nicht alle Düfte des Orients haben. Nicht einmal in Venedig. Felix Arabia, wie es früher hieß«, sagte sie lachend, »nimm eine Nase voll mit.«

»Nimm vor allem du eine Nase voll mit«, erwiderte ich, »und nicht nur den Geruch. Kaufe am besten gleich einen ganzen Sack voll mit Weihrauch, damit du genug hast zum Experimentieren.«

»Aber doch nicht damit«, wehrte M. ab, »ganz gewiss nicht damit.«

Das heißt wohl, dass wir in jedem Fall einen dieser Weihrauchbäume suchen werden und dort dann selber das Harz abkratzen müssen. Was so verboten ist, wie nur irgendwas. »Aber«, so sagt M. zuversichtlich, »es muss ja niemand sehen. Wir machen es selbstverständlich bei Nacht.«

»Bei Nacht«, spottete ich, »natürlich bei Nacht. Etwa beim Mondschein? Die Bäume, nach denen sie in früheren Zeiten sogar Spähtrupps ausgeschickt haben, stehen dann einfach so herum und warten auf uns? Ich dachte immer, man findet sie äußerst schwer?«

»Woher weißt du das mit den Spähtrupps?«, fragte sie sofort misstrauisch, »von mir doch gewiss nicht.«

»Ich unterhalte mich bisweilen mit Ahmed«, sagte ich lächelnd, »siehst du das nicht? Und schließlich habe ich mich auch zu Hause bereits damit beschäftigt.«

»Wir suchen die Bäume natürlich bei Tag«, erklärte sie ruhig, ganz offensichtlich in dem Bemühen, die Angelegenheit vom Geruch des Absurden zu befreien. »Wir stellen unser Zelt in ihrer Nähe auf. Bei Nacht kratzen wir dann.«

Madonna! Vermutlich hätte mich meine Mutter lieber in unserem Palazzo gelassen, den abweisenden Moise direkt vor der Tür, als mich in stockfinsterer Nacht verbotenerweise Weihrauch von Bäumen abkratzen zu lassen, in einem Land, das gewiss nicht so harmlos ist wie das Rialto-Viertel in Venedig.

»Also«, M. legte mir lachend den Arm um die Schultern, »kümmere du dich um alles andere, ich beschäftige mich mit diesen Bäumen, wie abgesprochen.«

Ich sagte es bereits, ich bin zuständig für Wasserschläuche und Sandstürme. Die Kamele und der Weihrauch gehören ihr.

TAMMUS, 11

Und wieder eine dieser alten geheimnisumwitterten Städte, offenbar so berühmt wie Marib: Ubar, das Atlantis der Wüste. Aber diesmal wird es keinen Karawanenführer geben, der die Karawane anhält, und bereit ist, uns irgendetwas über diese Stadt zu erzählen. Wir erfahren nur rein zufällig von ihr, aber weder von Ahmed noch von seinem Vater. Lediglich Abdullah weist uns auf diese Stadt hin, die sowohl in der Bibel wie im Koran erwähnt ist. Fast 4000 Jahre soll sie alt sein, aber es sei ohnehin nichts mehr von ihr übrig, beschwichtigt er uns, als wir uns nun beide nach unserem Fehlverhalten bei MARIB mehr als interessiert zeigen.

»Fast nichts mehr«, korrigiert Ahmed widerwillig.

»Und weshalb gehen wir nicht hin und schauen es uns an?«, möchte ich wissen.

Ahmed zuckt noch widerwilliger mit den Schultern. »Marib hat Euch nicht interessiert, also wird Euch diese Stadt, dieser Garten von Eden, wie sie heißt, erst recht nicht interessieren. Und im Übrigen ist ohnehin nicht sicher, ob wir überhaupt an ihr vorbeikommen, da sie abseits liegt.«

TAMMUS, 14

Heute auf einem Kamelmarkt, zu dem uns Ahmed mitgenommen hat, da er für seinen Vater einen Kamelhengst kaufen soll.

M. war unterdessen ein zweites Mal zu einem Gewürzsouk gegangen in der Hoffnung, sie könne dort noch andere Weihrauchsorten entdecken und von den Frauen etwas über deren Mischungen erfahren, die sie zusammenstellen. »Sie verraten es nicht gern«, erklärte sie, »aber ich werde es schon fertigbringen, sie zu beschwatzen.«

Der Geruch der Kamele war scharf und die Luft voller Staub, als wir uns am Rande des Souks den Kamelhändlern näherten. Ein wildes Stimmengewirr umfing uns, das Feilschen um einen günstigen Preis war heftig, bisweilen schien es in Streit auszuarten. Besonders, als ein Mann ein Kamel zurückbrachte, das ganz offensichtlich seinen Erwartungen nicht entsprach und er sich betrogen fühlte.

»Um was geht es denn?«, wollte ich wissen.

»Es hatte Schaum vor dem Mund«, sagte Ahmed achselzuckend, »als hätte es Seifenwasser getrunken. Und es beißt. Weil es in der Brunst ist.«

»Hat der Käufer das nicht vorher gemerkt?«

»Nun, ein Hengst in der Brunst stülpt normalerweise seinen Kehlsack aus, dieser hier tat es offenbar nicht, zumindest nicht hier auf dem Markt. Vermutlich erst auf dem Heimweg, oder erst dann, als es dem Käufer nicht passte.«

»Und du? Wolltest du nicht auch einen Hengst und ihn dann mitnehmen?«

Ahmed schüttelte den Kopf. »Mein Vater will einen, aber der soll ihm in die Oase gebracht werden, weil er ihm sonst den ganzen Treck verrückt macht, wenn ich ihn jetzt mitnehme. Ich suche eine Stute, eine trächtige Stute, die Milch gibt, da dein Kamel sich ja nicht eben willig melken lässt. Vielleicht kann ich es auch eines Tages als Brautpreis benutzen, wenn es so weit ist.«

Während Ahmed zwischen den Kamelen hin und her ging, hier einen Fuß hochhob, dort ein Gebiss begutachtete, zuckte ich plötzlich zusammen: Beim übernächsten Kamel unterhielten sich zwei Männer auf Hebräisch, zwischendurch auch auf Jiddisch. Zu der Zeit, als ich in Venedig versucht hatte, Moise zu beeindrucken, hatte ich auch versucht, seine Sprache zu lernen. Wobei es mir zunächst so erging wie vermutlich allen Hebräischlernenden: Ich kam kaum über das Alphabet hinaus. Erst beim zweiten Anlauf hatte ich Erfolg, und so konnte ich nun immerhin Bruchstücke dieser Sprache verstehen. Aber ich begriff zumindest, worum es ging: Im Augenblick waren nicht Kamele das Thema des Gesprächs, sondern die Beschneidung des Sohnes des einen Mannes, zu der er seinen Freund einladen wollte.

Ich stand neben den Männern, starrte sie unhöflicherweise so lange an, bis sich der eine von ihnen in Arabisch an mich wandte. Ahmed bemerkte mein verblüfftes Kopfschütteln und kam hinzu. Er sagte ein paar Sätze zu dem Mann, der mich angesprochen hatte, ich wehrte ab und erklärte, dass ich lediglich verblüfft gewesen sei, dass diese Männer hebräisch gesprochen hatten. Als wir das Durcheinander zwischen Hebräisch, Arabisch, Jiddisch und Italienisch, das der eine der Männer sprach, endlich auflösen konnten, stellte sich heraus, dass die Männer aus der Nähe von Sana’a stammten und dass es dort eine große Anzahl von Juden gab, die Handel trieben. Der eine der beiden Männer war bereits einmal in Venedig gewesen, und als ich erzählte, dass dies meine Heimatstadt sei, hätten sie am liebsten meine Adresse aufgeschrieben. Just in diesem Augenblick kam glücklicherweise M. zu uns und warf mir einen warnenden Blick zu.

Als wir uns trennten, hatten sie uns jedoch die Adresse einer Karawanserei in Sana’a mitgeteilt, in der wir ganz gewiss gut übernachten könnten, wenn wir auf dem Rückweg seien.

»Nun kannst du aber gewiss alles ausprobieren, was du möchtest«, sagte ich auf dem Heimweg zu M., als ich ihren dicken Bastsack entdeckte. »Ich hoffe, du hast dich diesmal genügend eingedeckt mit allen Sorten, die es gibt, es soll ja auch indische geben.«

M. plusterte die Backen auf. »Hast du neulich nicht zugehört«, empörte sie sich dann, »ich will es vom Baum abpflücken, anschließend auf Holzkohle legen und dann verdampfen lassen. Und für meine Versuche will ich es ganz gewiss nicht im Souk kaufen, wo es ohnehin viel teurer ist. Und Indisches will ich schon gleich gar nicht. Im Übrigen heißt es luban«, sagte sie dann und sprach das Wort so aus, als wolle sie es einem Schwerhörigen mitteilen, »luban. Oder boswellia sacra, wenn dir das besser gefällt.« Dann leierte sie die verschiedenen Weihrauchsorten herunter wie die Wörter einer neuen Sprache, die man lernen will.

Der Umgang mit M. wird zunehmend schwieriger, je näher wir unserem Ziel kommen. Manchmal sitzen wir irgendwo beieinander – beim Essen oder am Feuer –, und ich möchte ihr etwas erzählen von meinem heutigen Tag. Dass das Pech auf den Schläuchen zum Beispiel bis jetzt gut gehalten hat, dass ich nie wieder ohne einen Massaar gehen möchte, weil einem dann keine Haare ins Gesicht rutschen, dass mein Versorgungssack, den ich auf meinem Kamel festgeschnallt habe, dessen Haut aufgeschabt hat und ich mich darum kümmern muss. Natürlich lauter banale Dinge, aber ich möchte sie eben loswerden.

Falls sie überhaupt wahrnimmt, dass ich ihr etwas erzähle, nickt sie versunken mit dem Kopf und sagt dann erregt, weißt du eigentlich, wie viel ein Kamel tragen kann, wie schnell es laufen kann, wie viel es trinkt, auf einmal trinkt, und vor allem, was ein Rennkamel kostet? Man kann dafür mindestens fünf beste Araberpferde kaufen, ist das nicht unglaublich? Oder: Wenn ich erst meine Niederlassung in Nürnberg habe – oder in Venedig –, wirst du sehen, was ich dann alles verkaufe. Myrrhe, Rosenblätter, Sandelholz und vor allem bokhur, das ist die Mischung, die ich am besten finde. Ich hätte stundenlang im Souk bleiben können, um Dinge zu erfahren, die ich wissen will, aber ihr wollt ja immer gleich weiter.«

»Wenn du so verliebt bist in den Souk, dann kann es dir doch gewiss auch nicht um die paar Gulden gehen, die es hier teurer ist, und das auch nur vielleicht.«

»Nun in jedem Fall ist es teurer, als wenn wir es selbst ernten«, sagte sie amüsiert.

»Natürlich«, sagte ich lasch und verkniff mir auf dem Rest unseres heutigen Wegs meine Bedenken, dass wir uns nun also wohl doch in jedem Fall auf diese verrückte Suche nach den Weihrauchbäumen begeben würden. Ganz gleich, in welche Gefahren wir uns dabei auch stürzen.

»Was hast du diesen Männern eigentlich alles erzählt?«, erkundigte sie sich misstrauisch, als wir am Abend wieder in unserem Zelt lagen. »Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir so wenig wie möglich mit Fremden reden sollten, um uns nicht zu verraten. Sonst hätten wir ja gleich in unseren Frauengewändern reisen können.«

Ich starrte sie an. »Also, ich habe ihnen erzählt, dass wir drauf und dran sind, alle Weihrauchbäume, an denen wir in den nächsten Tagen vorbeikommen, bei Nacht abzukratzen«, sagte ich zornig, »und zwar unabhängig davon, ob es minderwertiges Harz ist oder kostbares.«

Dann drehte ich mich auf die andere Seite.

M. steckte nach einer Weile die Hand zu mir herüber. »Ich habe doch die Verantwortung für dich«, flüsterte sie dann.

»Natürlich, das hat Mutter von dir verlangt«, murmelte ich, »lass ja keine bösen Wölfe in unser Zelt.« Mein Hass auf sie, diese Mutter, ist noch immer rotglühend: Sie darf lieben. Selbst einen Toten. Ich nicht einmal einen Lebenden. Manchmal kralle ich meine Hände in den Sand einer Düne und stelle mir vor, das wäre ER.

TAMMUS, 15

Und schon hat M. in ihrer Sprunghaftigkeit am nächsten Tag wieder alles verworfen, was gestern noch seine Gültigkeit hatte: Es roch ganz eindeutig nach Weihrauch, als ich heute Abend in der Dämmerung zu unserem Zelt zurückkehrte. Sie saß in sich versunken vor einem Räuchergefäß – ein Teil ihrer Ausrüstung, die wir nun bereits über Tausende von Meilen unbenutzt mit uns herumgeführt haben –, atmete den Duft des Weihrauchs ein und schien auf fernen Sternen zu wohnen.

»Nun, also doch«, sagte ich befriedigt, ohne lang nachzudenken. »Meine Mutter wäre gewiss glücklich, wenn sie uns so friedlich vereint mitten in der Wüste nebeneinandersitzen sehen würde. Damit wäre ihr Ziel ja endlich erreicht.«

M. öffnete die Augen und wandte sich zu mir um. »Ich denke, du solltest endlich von dieser ganz und gar falschen Vorstellung loskommen, dass deine Mutter dich ohne Grund in die Wüste geschickt hat.«

»Hat sie etwa nicht?«

M. zerbröselte behutsam ein paar Weihrauchkörner und legte sie auf die rauchende Holzkohle. »Nein, das hat sie ganz und gar nicht.«

»Nun wer dann? Die Engel vom Himmel etwa?«

»Moise«, sagte M. ruhig.

»Moise?« Ich spürte, wie mir die Kehle eng wurde. »Du meinst, Moise hat gewollt, dass ich jetzt hier mit dir sitze?«

M. beugte den Kopf nach vorne und atmete mit geblähten Nüstern den Duft des Harzes ein. »So war es, oder kaum anders«, sagte sie dann und holte die nächsten Tüten, die sie am Tage zuvor gekauft hatte, aus ihrem Sack. »Du kannst also deinen Hass ohne Weiteres auf den wirklichen Urheber dieser Angelegenheit werfen: Auf Moise. Und auf jeden Fall darfst du ganz sicher sein, dass es nicht deine Mutter war, die dich in die Wüste geschickt hat. Sie erhoffte sich lediglich, dass du erwachsen würdest und dich nicht länger zum Gespött der Leute im Ghetto in Venedig machtest mit deinen verqueren Ideen.«

Moise. Moise. Moise. Ich murmelte den Namen vor mich hin, ohne zu glauben, was M. erzählt hatte. »Weshalb bei allen Göttern sollte er das getan haben?«, wollte ich dann wissen.

»Aus hundert Gründen«, erwiderte M. und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase, um den Geruch des Weihrauchs intensiver zu spüren. »Du hast Kneidl gekocht mit falschem Mehl, Falafel gemacht, die er nicht ausstehen kann, beim Humus hast du den Knoblauch vergessen, deine rote Pfeffersoße drehte einem den Magen um, und das Hazaret hast du zum falschen Fest gemacht, zu Sukkot, und nicht zu Pessach, wie es sein sollte. Und ob koscher oder nicht koscher hat dich ohnehin bei nichts interessiert.«

»Das war alles nur zu Beginn«, verteidigte ich mich lahm, »da wusste ich zu wenig von ihm und seinem Leben.«

»Aber das, was du wusstest, hast du rücksichtslos zur Seite geschoben: Dass er ein Mädchen hatte im Serraglio in Rom hast du einfach nicht ernst genommen und so getan, als ob es dieses Mädchen nicht gebe.«

M. stand auf und holte ein zweites Stück Holzkohle aus ihrem Beutel. »Überdies hätte er dein Vater sein können, aber ich denke, du wusstest nicht einmal sein Alter. Du warst ein Kind in seinen Augen.«

»Ich war sechzehn«, sagte ich leise. »Da sind manche schon verheiratet. Und haben Kinder.«

»Jetzt bist du sechzehn«, erwiderte sie und zerkrümelte weitere Weihrauchkörner auf ihrem Öfchen. »Also vergiß ihn endlich und stelle dich der Wahrheit. Niemand wollte dich weghaben oder gar in die Wüste schicken. Deine Mutter ganz gewiss nicht. Sie wollte nichts weiter, als dass du eines Tages glücklich wirst.«

»Natürlich, sie wollte das Beste für mich, so, wie Eltern stets das Beste für ihre Kinder wollen«, spottete ich.

Ich ging in unser Zelt, zwar hoch erhobenen Hauptes, aber ich wusste, dass ich es nicht lange weiterhin so hoch tragen konnte: Ich versuchte meine geborstene Welt zu kitten und leckte meine Wunden. Aber ich leckte sie genussvoll.

Verschmäht zu werden war ganz gewiss das Schlimmste, was einer Frau geschehen konnte.

Aber es schien mir in diesem Augenblick, als sei alles Recht dieser Welt auf M.s Seite: Ich hatte einen Mann geliebt, der das falsche Alter hatte, die falsche Religion, die falsche Sprache, einen Mann, der gezwungen war, mit seinen Glaubensgenossen in einem Ghetto zu leben, im Ghetto von Venedig. Und wenn M. behauptete, ich habe mich ihm an den Hals geworfen, so traf das zu.

Er hieß das Pestkind, weil er in den Zeiten der Pest seine Eltern in Livorno verloren hatte und dann bei einer anderen Familie in Venedig aufwuchs. Jetzt war er ein erwachsener Mann, dessen Gefühle mir gegenüber vermutlich nie über die eines Bruders zu einer Schwester hinausgingen, falls sie überhaupt so weit gediehen waren. Während ich mich bereits unter dem Brauthimmel stehen sah, die Katuba, den Ehevertrag, ausgefüllt, auf dem Kopf gehorsam die Perücke, hatte er sich vermutlich überlegt, ob ich überhaupt nur eine Handvoll der 613 Gebote seines Volkes beherrschte. Geschweige seine Gebete.

An einem Tag, als ich wieder einmal mehr als störrisch war, hatte mir meine Mutter die Bibel in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle bei Jesaja oder Jeremias – genau weiß ich es nicht mehr – nachlesen, dann wüsste ich, was gut zu wissen sei für mich. Aber was ich fand – oder finden wollte –, war lediglich ein wunderschöner poetischer Spruch, wobei ich nicht mehr weiß, in welchem Zusammenhang er stand. Aber ich konnte ihn nicht vergessen: WIE EINE NACHTHÜTTE IN DEN KÜRBISGÄRTEN.

TAMMUS, 17

Heute Nacht wachte ich auf und stellte voller Entsetzen fest, dass ich den arabischen Namen für Weihrauch vergessen hatte. Ich weckte M. ohne schlechtes Gewissen und fragte sie danach. Ich nehme an, dass sie nicht einmal wach sein musste, um die Antwort aus ihrem Gedächtnis hervorzukramen – sie murmelte nur: »Luban, es heißt luban. Und es gibt verschiedene Sorten davon: Im Wadi Adonib die schlechtere Sorte, die von der Küste heißt shabi, ist aber nicht so gut, sharzi ist mittelgut, und an der Wasserscheide des Dhufargebirges nejd, die teuerste. Sie ist fast durchsichtig und am wenigsten verunreinigt. Und sakalan heißt ›das Land des Weihrauchs‹, aber vergiss es nicht gleich wieder.«

Dann drehte sie sich auf die andere Seite und schlief im nächsten Augenblick weiter.

TAMMUS, 19

Ich bin dazu übergegangen, mein Kamel selbst zu füttern. Ich habe mir seine Ration von Ahmed geben lassen – Getreidekörner oder Bohnen –, ein paar Hände voll. Den Rest muss es sich selber suchen, sein kräftiges Gebiss und sein robustes Maul vermögen selbst dornige Sträucher und Kräuter in der Wüste als Nahrung aufzunehmen.

Ich weiß nicht recht, was ich mir von diesem Akt der Fürsorge erhofft hatte. Vermutlich nahm ich an, dass Kamele wie Pferde oder Hunde reagieren und demjenigen die Freundschaft schenken, der sich um seine Bedürfnisse kümmert. Aber zunächst schien es so, als lasse sich zumindest dieses Kamel nicht bestechen. Melken ließ es sich nach wie vor nicht von mir, und wenn Ahmed es tut, ist er bisweilen von oben bis unten eingenässt, weil es dem Kamel ganz offensichtlich große Lust bereitet, den bereits gefüllten Eimer umzustoßen.

AW, 1

Habe heute meinem Kamel während einer Rastpause einen Namen gegeben, was alle Treiber zu Lachstürmen brachte: Sha’aban.

»Nun, was meint es denn dazu, Euer Sha’aban«, fragte einer der Treiber grinsend, und ich konnte nicht sehen, dass er das Tier dabei mit einem Stecken stupfte, als ich den Namen wiederholte. Als ich dem Kamel dabei zärtlich über die Nase strich, machte es eine ruckhafte Bewegung und versuchte, mich in die Hand zu beißen.

Die Männer lachten so lange, bis der Befehl zum Weiterreiten kam.

AW, 6

Nach dem wenig erfreulichen Gespräch mit M. vor einigen Tagen habe ich überlegt, ob ich den Bericht weiterhin nach dem jüdischen Kalender schreiben soll. Der AW entspricht dem August, da der christliche Kalender dem jüdischen drei Monate voraus ist, was dort also Nissan ist, ist bei uns April. Als ich dann wirklich den christlichen Namen probeweise über meine Tagebuchnotizen schrieb, spürte ich haushohe Sperren.

Also ließ ich es. So, als wisse Moise über Meilen hinweg, dass ich soeben versuchte, mich von ihm zu lösen.

AW, 16

Heute zum ersten Mal die Grausamkeit dieser Wüste verspürt: Aus dem Gipfel einer Sanddüne ragte uns ein menschlicher Arm entgegen, die Finger um den Rest eines Wasserschlauches gekrallt. Ahmeds Vater stieg von seinem Kamel, nahm einen Eimer mit Sand, leerte ihn über den Arm, sodass er nicht mehr sichtbar war. Er sprach ein Gebet, dann ging unser Zug weiter.

Am Abend konnte ich bei M. eine gewisse Spur von Besorgnis entdecken: Ob ich auch für alle Fälle gut vorgesorgt habe, die Wasserschläuche überprüft seien, das Zelt nach wie vor gut verschließbar und ich unseren Arzneimittelvorrat aufgefrischt habe? Ich konnte sie beruhigen, da ich neulich im Souk Kräuter, Tees, Holzkohle, bestimmte Salben und weitere Arzneimittel besorgt hatte. Wie weit das wirklich zu unserer Sicherheit beiträgt, weiß ich nicht, es gibt keinen wirklichen Schutz in der Wüste. Einer der Treiber hatte neulich vergessen, am Morgen seine Schuhe auszuschütteln. Er war von einem Skorpion gestochen worden, und es dauerte Tage, bis er wieder normal gehen konnte.

Aber ich bin trotz allem, was geschieht, ganz sicher, dass M. ihre Idee, eine Nacht unter einem Weihrauchbaum in der Wüste zu verbringen, ganz gewiss nicht aufgeben wird, unabhängig von der Wetterlage. Und dass sie auf jeden Fall dabei allein sein möchte. Sie will weder den scharfen Geruch der Kamele in der Nase haben, noch den Schweißgeruch der Treiber, sagt sie. Aber das sind natürlich vorgeschobene Gründe. Es ist für sie eine Erfahrung, bei der sie von niemandem gestört sein möchte. Weil sie der Meinung ist, dass dieses Gefühl von keinem Menschen auf dieser Erde wirklich nachempfunden werden kann.

Manchmal sehne ich mich nach dem Ende unserer Reise. Auch wenn ich das nie zugeben würde.

AW, 23

Und schon wieder ein Souk. Die Orte, nach denen M. allmählich süchtig zu werden scheint.

Aber diesmal war es nicht nur ein erbauliches Ereignis: Sie hatte bei einem der Straßenhändler Fasi gekauft, ein Rosinengetränk mit Moschus und Kampfer. Und es ist ihr ganz und gar nicht bekommen. Sie musste sich den ganzen Tag übergeben, aber ihr Jammern hat nichts genutzt, schließlich konnte die Karawane nicht ihretwegen aufgehalten werden. Ahmeds Vater hat ihr dann ein unappetitlich aussehendes, schwabbeliges Gebilde gegeben, das sie ohne Wasser hinunterschlucken musste. Was sie auch gehorsam tat. Aber dabei quollen ihr fast die Augen aus dem Gesicht, und sie schüttelte sich so, dass ihr armes Kamel dabei aus dem Tritt geriet.

Nachts wurde sie vom Fieber befallen und redete wirres Zeug. Sie dachte sich Namen von Parfums aus, die sie machen würde, wenn wir erst wieder in Venedig sind. Namen, die sie bis jetzt natürlich nur in ihrem Kopf entstehen lassen kann, lediglich die Zutaten kann sie zusammenstellen: Limonen, Jasmin, Myrrhe, Sandelholz, Pfirsich und natürlich luban will sie hineintun, auch Moschus. Sie will das teuerste Parfum der Welt bereiten, verspricht sie mir, als ich ihre Stirn mit einem feuchten Lappen kühle und beruhigend auf sie einrede. Ein Parfüm, das kein Mensch nachmischen kann und dessen Ingredienzien für immer und alle Zeiten unbekannt bleiben.

Dann ist sie wieder bei den Kamelen. Denkt sich nun Namen für sie aus. Sie probiert die Kalendernamen durch, ignoriert, dass meines auch mit Namen nichts von dem tut, was es tun soll: Melken lässt es sich nach wie vor noch immer nicht von mir. Und bei Ahmed geht es meist nicht ohne hinterhältige Fußtritte zu.

»Aber ich will nicht, dass aus der Haut meines Kamels eine Zeltdecke gemacht wird«, murmelt sie beim Einschlafen trotzig vor sich hin. Ich bin inzwischen zu müde, um darüber nachzugrübeln, von wem sie das gehört haben könnte.

ELLUL, 2

Natürlich hat unsere Karawanenstraße Wasserstellen, Märkte, Oasen. Und selbstverständlich auch Brunnen. Der, den wir heute erreichten, war allerdings versiegt. Wir ließen einer nach dem anderen den an einem Gestell hängenden Lederbeutel in den Brunnenschacht hinunter, obwohl man bei diesem Vorgang nichts falsch machen konnte. Aber Ahmed konnte nun seinem Vater melden, dass da ganz gewiss kein Wasser mehr war. Und wir und unsere Tiere sich gedulden mussten bis zu der Oase, die bald kommen sollte.

M. nahm wie üblich ihren Kalender zur Hand und strich wieder einen der »Kamelmarschtage« aus, um zu sehen, wie viele Tagesreisen wir noch haben, bis wir am Ziel unserer Reise sein werden.

Ich benutze nach wie vor Moises jüdischen Kalender. Obwohl ich mich für diese Schwäche, nach dieser Niederlage neulich, hasse: Wir sind also inzwischen im Ellul, was dem September entspricht.

ELLUL, 10

LEERES VIERTEL – ein Begriff, der mir immer Angst einflößte. Rub al-Khali, die größte bekannte Sandwüste. Dünenketten, Tal folgt auf Berg, Berg auf Tal. Unsere Kamele weigern sich zum ersten Mal weiterzugehen, legen sich hin. Brüllen. Und scharren nicht einmal mehr mit den Füßen nach Wasser, weil sie selbst dazu nicht mehr die Kraft haben.

Versucht man mit den Augen den Horizont zu erspähen, so hat man das Gefühl, dass der Sand in den Himmel hineinwachse und ihn verschlinge. Und dass dieser Himmel die Hitze wie ein glutheißes Tuch über uns herabfallen lasse und jedes Lebenszeichen verlösche. Heben wir die Wasserschläuche hoch, so sind sie so leicht, dass man meint, sie seien nie gefüllt worden. Dass ihre Teerschicht noch nahezu unbeschädigt ist, nützt wenig.

Ich hätte nie gedacht, dass die Wüste so still sein könne. Und ihre Gefährlichkeit durch diese Stille in unsere Ohren dringen lasse.

TISCHRI, 2

Und dann in der Eintönigkeit des Sandes am selben Tag gleich zwei Ereignisse, ungeheure Ereignisse. Das erste in der glutheißen Mittagszeit.

»Wasser«, rief M. plötzlich voller Begeisterung, »schaut mal Wasser! Das muss sie endlich sein, unsere Oase.« Da unsere Wasservorräte in den letzten Tagen weiterhin beträchtlich geschwunden waren und der leere Brunnen uns mehr als Sorgen gemacht hatte, schreckten wir alle auf. Und schauten erwartungsvoll auf Ahmed, der wie üblich hinter uns ritt.

Aber Ahmed schüttelte grimmig den Kopf. »Nein, kein Wasser, unsere Oase kommt später. Das hier ist nichts weiter als eine Fata Morgana, die für Euch aber immerhin neu sein dürfte.«

»Aber ich sehe es doch«, beharrte M. erregt, »ich sehe Wasser, viel Wasser, Palmen, Gärten, Hütten, Kamele, Menschen.«

»Das Meer des Teufels«, sagte Ahmed leise, »es vergeht wieder.« Aber er verhüllte sein Gesicht nicht, wie uns das Reisende einmal erzählt hatten, dass Araber es bei diesem Ereignis tun würden.

Ich sah keine Palmen, keine Gärten, keine Hütten. Das Wasser in einiger Entfernung sah ich allerdings auch. Es flimmerte in der Luft, waberte über dem Boden, ich glaubte seinen Geruch zu spüren. Und immerhin sah ich auch einen Menschen, ich sah ihn: Moise. Moise, überdimensional, schien er über diesen wabernden Wassern zu schweben, einmal, zweimal. Dutzendfach. Aber ich war traurig, dass ich seine Augenfarbe nicht erkennen konnte.

Man sieht das, was man sehen möchte, hatte Ahmed einmal gesagt.

Am frühen Nachmittag dann die ersten Weihrauchbäume! Nicht viele, nur vereinzelte am Rand des Wadis. M. hatte vor sich hingedöst, die Augen halb geschlossen, als Ahmed uns darauf aufmerksam machte.

»Wo?«, fragte sie erregt und schob ihren massaar aus dem Gesicht. »Wo?«

»Dort drüben«, erklärte er und deutete auf ein paar knorrige, halbhohe Bäume, die ziemlich verdorrt aussahen.

»Aber doch nicht die«, sagte M. ungläubig und entsetzt zugleich, »das sind doch irgendwelche dürren Sträucher, keine Bäume. Und gleich gar keine Weihrauchbäume.«

»Es ist das, was Ihr sucht«, widersprach Ahmed, »aber vielleicht haben geflügelte Schlangen mit ihrem giftigem Atem sie zum Absterben gebracht«, fügte er dann spöttisch hinzu.

»Geflügelte Schlangen«, stieß M. verärgert hervor, »bei Herodot, aber doch nicht in der Wirklichkeit und ausgerechnet hier bei uns.«

Die Bäume sahen erbärmlich aus und ähnelten irgendwelchen Sträuchern, die ich nicht zuordnen konnte. Aber sie hätten gerade so gut in Nürnberg oder Venedig stehen können.

»Ihr braucht Euch nicht aufzuregen«, versuchte Ahmed uns zu trösten, »diesen hier könntet ihr ohnehin nicht nehmen. Er ist bewacht.«

Bevor wir entsetzt reagieren konnten, da Ahmed ganz offensichtlich unser Vorhaben erraten hatte, stieß M. einen Schrei aus.

»Bewacht? Wo denn?«, fragte sie dann ungläubig, wohl auch erleichtert, dass diese verkümmerten Gebilde ganz gewiss nicht das Ziel unserer wochenlangen Sehnsucht sein konnten.

»Sein Gewehr lehnt am Stamm, die Familie ist weiter hinten bei den übrigen Bäumen zu sehen«, antwortete Ahmed.

»Sehen die alle so aus, diese Weihrauchbäume?«, fragte M. nach.

»Diesseits des Gebirges schon, die anderen, jenseits davon, sollen kräftiger sein«, versuchte Ahmed zu erklären. »Zumindest heißt es das. Ich war bis jetzt nie dort.«

Aber beim Weiterreiten sahen wir keine Bäume, die kräftiger waren als jene, an denen wir vorbeigeritten waren.

Wir sahen überhaupt keine Bäume mehr. Zumindest in den nächsten Stunden.

Als wir am frühen Nachmittag endlich die versprochene Oase in der Ferne liegen sahen, waren wir diesmal sicher, dass es keine Fata Morgana war. Und dass unsere übermüdeten Tiere nun bald ein Labsal vorfinden würden und keinen vertrockneten Brunnen.

Im gleichen Augenblick entdeckte M. den Baum, den sie ganz offensichtlich die ganze Zeit über erwartet hatte: ihren Traumbaum.

Er stand auf der anderen Seite der Oase, nicht allzu weit von unserer Karawane entfernt. »Guckt mal«, sagte sie glücklich, »da ist er ja endlich.«

»Wer ist da?«, wollte ich wissen.

»Nun, der Baum, genau so, wie ich immer dachte, dass er sein müsste. Du weißt ja, ich habe ihn mir bereits in Nürnberg genau so vorgestellt. Ihn sogar gemalt.«

»Ja, aus einem alten Buch heraus abgezeichnet«, spottete ich, »irgendeinen Fantasiebaum, den sich ein Schulmeister ausgedacht hat. Jetzt siehst du ja, wie sie wirklich aussehen, diese angeblich so kostbaren Bäume, deren Harz mit Gold aufgewogen wird.«

»Dieser hier sieht nun eben mal anders aus«, beharrte M. »Und alles andere stimmt auch, das ganze Umfeld: Wir sind nicht zu weit von der Oase entfernt, wenn wir Hilfe brauchen sollten, der Baum ist ganz eindeutig nicht bewacht und –«

»Aber vielleicht ist es sein Ruhejahr«, unterbrach Ahmed und runzelte die Stirn, »sonst wäre er ganz gewiss bewacht.«

»Es kann hundert Gründe haben, weshalb er nicht bewacht ist«, sagte M. mit Bestimmtheit, so, als habe sie ein Leben lang in der Wüste gelebt und nichts anderes getan, als solche Bäume gesucht und beurteilt.

»Ihr wollt also Euren Tieren sowohl das Wasser wie die Nahrung verweigern«, sagte Ahmed mit erhobener Stimme, »in einem Augenblick, in dem sie das alles dringend nötig haben?«

M. überlegte einen Augenblick. »Mein Kamel kann mit in die Oase, sodass es alles hat, was es braucht«, entschied sie dann großzügig. »Ich teile mein Wasser mit Enrico und ihrem Kamel.«

»Seinem Kamel«, korrigierte ich leise und so, dass nur sie es hörte.

»Ja, natürlich«, antwortete sie, ohne überhaupt zu verstehen.

»Sha’aban hätte ganz gewiss auch gern einen Ruheplatz«, fuhr ich gereizt fort, »und vor allem Wasser, viel Wasser.«

»Das bekommt es ja dann, morgen früh. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es bei Kamelen ja nicht an«, sagte M. ungeduldig.

Ahmed und ich schauten uns an, keiner von uns war davon überzeugt, dass M.s Entscheidung richtig war. Und auch wenn Sha’aban nicht eben dazu beigetragen hatte, dass ich ihm besonders wohlgesinnt sein musste, so tat es mir doch leid, dass es nun zurückstehen sollte.

»Wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht, könnt ihr natürlich auf einem Kamel in die Oase reiten«, sagte er dann achselzuckend und wandte sich grußlos um.

M. lachte. Sie wolle nichts weiter als diese eine Nacht in der Wüste, das habe sie von Anfang an klar gesagt. Und es sei ja wohl kein Wetterumschwung oder gar ein Sandsturm angekündigt.

»Die Tiere sind nervös«, wandte Ahmed ein und blieb stehen.

»Alle?«, wollte M. wissen.

»Nicht alle«, gab er zu, »aber einige.«

Nun einige seien doch wohl von Natur aus nervös, sagte M. lachend und nahm ihr Gepäck von ihrem Kamel, genau wie die Menschen auch.

Weder Ahmed noch sein Vater, der inzwischen zu uns gekommen war, antworteten darauf, was M. jedoch nicht weiter störte.

Es sei ja nur für eine Nacht, wiederholte sie, inzwischen sichtlich verärgert, sie verstehe diese Zweifel nicht.

»Die Luft hat sich verändert, der Dunst ist stärker und sie gehen schneller, die Kamele«, murmelte Ahmed. »Tiere, die schneller gehen als normal, könnten bereits ein Zeichen sein für das, dass etwas kommt, was wir jetzt noch nicht wissen.«

»Meines ging nicht schneller«, widersprach M. zuversichtlich, und dann zu mir gewandt, »deines etwa?«

Ich winkte ab. »Meines kannst du wohl kaum als Maßstab nehmen, meines macht alles umgekehrt wie die anderen. Heute Morgen wollte es mir vorspielen, dass es lahme und keine Lasten mehr tragen könne.«

»Also morgen um die gleiche Zeit«, sagte M. wohlgelaunt und verabschiedete sich von den beiden Männern, da die Karawane bereits weitergezogen war.

»Mein Gott, diese Besserwisser«, sagte sie dann kopfschüttelnd, fragte mich dann aber nach einer Weile doch nochmals nach den Wasserschläuchen. Ob das Pech noch drauf sei.

»Im Sandsturm nützt dir ein Wasserschlauch wenig«, spottete ich. »Und den deinen hast du ja Sha’aban versprochen.«

M. zog ihren massaar fester um den Kopf, nahm einen kleinen Eimer und ging zu dem Weihrauchbaum hinüber, an dem wir das Harz abkratzen wollten. »Zur Hälfte«, rief sie übermütig zurück, »ich habe ihn ihm nur zur Hälfte versprochen.«

»Zur Hälfte«, murmelte ich zornig und befreite mein Kamel von seiner Ladung, »du sollst ihn nur zur Hälfte bekommen, ihren Schlauch. Aber immerhin bestimme ich, was die Hälfte ist«, sagte ich dann und füllte nahezu dreiviertel des Wassers in den Ledereimer, den ich ihm gab. Dann fesselte ich wie üblich seine Vorderbeine, was mir stets barbarisch erschien. Ich stellte unser Zelt auf, nahm meinen kleinen Eimer und folgte M., mit dem Gefühl, dass es ganz gewiss nicht richtig war, was sich hier abspielte.

Um meine Pflichten trotz allem nicht ganz zu vernachlässigen, schleppte ich ihr die Decke nach, da ich sicher war, dass sie keinerlei Gedanken mehr an ihren Schlafplatz verschwendet hatte.

Gegen Abend schien sich die Luft nochmals zu verändern. Sie wurde noch schwüler, als sie bereits an Vormittag gewesen war, Sha’aban verhielt sich wilder als sonst.

»Sollten wir nicht zu der Oase aufbrechen?«, wagte ich vorzuschlagen.

»Ganz gewiss nicht«, sagte M. harsch. »Ich trabe doch nicht wochenlang durch die Wüste, lebe monatelang auf diesen Augenblick hin, um ihn nun völlig ohne Grund zu verschenken. Und außerdem war es die letzten Tage immer schwül, mal mehr, mal weniger. Wenn du magst, dann nimm dein störrisches Sha’aban und reite zu der Oase. Ich bleibe auf jeden Fall hier.«

»Und unser Nachtmahl lassen wir heute Abend ausfallen, sehe ich das recht?«, wagte ich einzuwenden.

»Erst die Arbeit, dann die Notdurft«, erwiderte Margarete gereizt und kippte voller Hektik ihre Schüssel mit Harz in den Eimer.

Also kratzte ich weiterhin mit meinem Schaber – sie hatte mir boshafterweise den stumpfen gegeben – an der Rinde des Baumes entlang, wünschte mir von ganzem Herzen, dass der Besitzer dieses Baumes im nächsten Augenblick mit einem Gewehr aus dem stärker werdenden Dunst auftauchen und uns verjagen würde.

Und fühlte mich, wie immer in solchen Situationen, wenn mir M. wie besessen erschien und von bösen Geistern umgeben, ihr gegenüber so alt wie Methusalem.

Die ersten Windböen kamen am späten Nachmittag. Der Dunst, der die Umrisse der Gegenstände verschwimmen ließ, wurde stärker.

Das heißt, wir nahmen an, dass es sich um den Nachmittag handelte, obwohl der Nebel inzwischen so dicht geworden war, dass er die Sonne nahezu unsichtbar machte und eine Art von Dämmerung über die Wüste hereinbrach, die an den Weltuntergang denken ließ. Mein Kamel riss an seinen Fesseln und schrie.

Ich saß inzwischen in unserem Zelt, kaute misslaunig auf einem Stück getrockneten Fleisches, das ich mit einigen Tropfen Wasser hinunterwürgte, und betupfte mir zwischendurch die Lippen mit den Resten des Wassers aus dem Schlauch. Ab und zu streckte ich den Kopf aus der Öffnung des Zeltes und versuchte, den Weihrauchbaum zu erkennen, an dem M. offenbar immer noch herumschabte. Aber irgendwann schienen sich sowohl der Baum wie M. im Nebel aufgelöst zu haben. Auf mein Rufen kam keine Antwort.

Die ersten Windböen zischten über uns hinweg, doch sie klangen noch nicht unheilverkündend.

Die nächsten Böen brausten mit lautem Getöse daher, stoßartig, verwirbelten den Sand, bliesen ihn über unser Zelt, das bald den Sand durch Ritzen und Öffnungen dringen ließ. Er verstopfte mir die Nase, lähmte mich, sodass es mir kaum mehr gelang, meinen massaar zu befeuchten und ihn mir um den Kopf zu binden.

Die Hitze hatte inzwischen noch zugenommen. Mein Mund fühlte sich an, als habe er noch nie zuvor auch nur einen Tropfen Speichel besessen, mein Puls hämmerte gegen die Haut, meine Augen tränten.

Es war mir inzwischen klar, dass ich M. unmöglich helfen konnte. Falls sie unter dem Weihrauchbaum geblieben war, konnte sie sich nur in ihre Decke gewickelt und den kleinen Rest des Wasserschlauches über ihren Kopf geleert haben, um ihre Tücher zu befeuchten.

Ich versuchte mich abzulenken, nicht an den Sturm zu denken, aber meine Gedanken verliefen kaum mehr in geordneten Bahnen.

Dann fiel mir ein, dass Ahmed einmal gesagt hatte, dass Sandstürme selten mehr als ein oder zwei Stunden dauerten, nur manchmal drei, aber ich hätte nicht sagen können, wie viel Zeit inzwischen vergangen waren. Mir erschien es bereits eine halbe Ewigkeit zu sein, die ich hier mit geschlossenen Augen in diesem Zelt saß. Ich sah mich im Geiste bereits mit emporgereckten Armen in der Wüste, im Sand vergraben, wie wir das einige Tage zuvor erlebt hatten.

Ich höre, wie die nächste Welle heranbricht, sie wird in Sekunden unser Zelt überrollen.

Ich höre Sha’aban brüllen, erst in der Ferne, dann immer näher, als sei er inzwischen bei mir im Zelt.

Wortgebilde gehen durch meinen Kopf, die keinen Sinn mehr ergeben. Sie brausen heran, verschwinden im Dunkel, lösen sich auf im Sand. WIE EINE NACHTHÜTTE IN DEN KÜRBISGÄRTEN – ob von Jeremias oder Jesaias scheint unwichtig geworden zu sein.

Und irgendwann werden die Fetzen kürzer.

WIE EINE NACHTHÜTTE –

KÜRBISGÄRTEN –

GÄRTEN –

Ich sehe mich sitzen, für einen winzigen Augenblick nur, bevor ich ins Dunkel eintauche: Ich sitze in unserem Palazzo auf der Terrasse, im giardino pensile, der mir Schatten spendet. Ich lege meine Haare über den Hutrand, um sie zu bleichen, wie das bei uns bei den Frauen in Venedig üblich ist. Ich tue es, obwohl es lächerlich ist: Meine Haare sind schwarz.

Die nächste Welle rollt.

Mein Schreien vermischt sich mit dem Sha’abans.

Aber ich weiß längst nicht mehr, wer von uns beiden zuerst geschrien hat. Und warum.

Nicht einmal die Augenfarbe Moises fällt mir in diesem Moment mehr ein.

Der Bericht endete mit einem sehr kurzen Abschnitt in Arabisch, darüber war von ungelenker Hand und in schlechter, unbeholfener Wortwahl eine Übersetzung ins Italienische geschrieben:

Dieser Herdegen Brechthelm, der in Wirklichkeit eine Frau gewesen ist, soll seine Hand um einen großen Klumpen kostbaren Weihrauchs gekrallt haben, hat man uns erzählt.

Man habe diesen Mann – oder diese Frau – unter einem Weihrauchbaum gefunden, hat man uns erzählt.

Ein Baum, der nicht ihm gehört habe, hat man uns erzählt.

Daher sei sein Tod eine gerechte Strafe gewesen.

Die andere Frau sei im Zelt geblieben. Ein Kamel, Augen und Maul weit geöffnet, habe, halb über diesem zerrissenen Zelt hängend, den Kopf in den Schlitz gesteckt, als habe es Zuflucht suchen wollen.