»Ist Euch eigentlich je der Name Bartolomeo begegnet?«, fragte Fulco plötzlich, als sie an diesem Sonntag auf dem Heimweg den Canal Orfano in weitem Bogen umschifften.
»Bartolomeo?« Sie dachte nach, schüttelte dann den Kopf. »Sollte er das?«
»Ich weiß nicht. Aber ihm hat unser Palazzo einige Zeit einmal gehört. Er war Mönch.«
»Ein Mönch, dem ein Palazzo gehört?« Sie hatte die Hände ins Wasser hängen lassen und wischte sie jetzt ab. »Davon habe ich nie etwas gehört. Was wisst Ihr denn über ihn?«
»Nicht gerade viel. Nur eben, dass er ihm gehört haben soll. Wie lange weiß ich nicht.«
»Ihr wisst ja, dass ich mich nicht besonders mit der privaten Geschichte des Palazzos beschäftigt habe. Mich interessieren die –«
Er unterbrach sie lachend. »Euch interessieren die Fenster und die Einflüsse Palladios.«
»Palladio hat nie einen Palazzo in Venedig gebaut«, widersprach sie.
»Das weiß ich auch«, gab er zu.
»Aber zurück zu diesem Mönch. Zu welchem Orden solle er denn gehört haben?«
»Auch das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass er seinen Besitz später diesem Orden vermacht haben soll.«
»Seltsam«, sagte sie kopfschüttelnd.
»Vieles ergibt keinen Sinn in diesem Palazzo. Er gehörte zwar zu den sequestierten Häusern zur Zeit der Pest, er war ganz offensichtlich eine Zeit lang Lazarett, und später hat man die Überreste dieser Zeit in jener Kammer hinter der Waschküche einfach zurückgelassen. Und noch später hat dieses arme Haus dann so rasch den Besitzer gewechselt wie andere Leute ihr Hemd. Jedes Mal unter dem Preis verkauft. So, als klebe Unheil an ihm. Und niemand wolle damit zu tun haben.«
»Unser Signor Busso hat ihn aber doch geerbt. Von seiner Familie.«
»Basso«, verbesserte Fulco. »Hat er das gesagt?«
Sie zögerte. »Ich glaube schon, aber genau weiß ich das nicht mehr.« Sie strich ihre Haare zurück, die der Wind ihr ins Gesicht gepustet hatte. »Wie seid Ihr überhaupt an die Information gekommen? Von irgendjemand musstet Ihr sie ja haben?«
»Dieser Bartolomeo, dieser Mönch, soll sich den Palazzo gewissermaßen unter den Nagel gerissen haben. Vermutlich mit einem gefälschten Testament«, berichtete Fulco.
Sie runzelte die Stirn. »Mit einem gefälschten Testament? Soviel ich weiß, soll in dieser Stadt selbst in diesen schrecklichen Zeiten alles mit rechten Dingen zugegangen sein.«
»Auf dem Papier schon. Es gab Gesetze. Mehr Gesetze als Menschen, die sie ausführen konnten. Vor allen Dingen auf der Insel Lazzaretto Vecchio. Wo wir heute Morgen waren.«
»Also, ich sagte es Euch ja bereits, dass ich nichts von all dem wissen möchte. Was mit dem Haus über die Zeiten hinweg war, interessiert mich nicht. Ich will es pur. Die Backsteine, die Ziegel, die Kamine, die Fenster. Seine Geschichte interessiert mich nicht.«
»Weshalb eigentlich nicht?«
»Weil man, wenn man sich darauf einlässt, darin versinkt, in diesen Geschichten. Ich will nicht wissen, ob und wie viele Pestkranke in diesem Haus genächtigt haben, wie viele davon in meinem Bett, wie viele darin gestorben sind –«
»Vermutlich gar keine in Eurem Bett. Das gesamte Mobiliar wurde entweder zum Räuchern abgeschleppt und kam mit Gewissheit nie mehr zurück, verschwand irgendwo in finsteren Kanälen, oder es wurde gleich in den Herd gesteckt. Unten in der Waschküche liegen noch Reste eines wunderbar verzierten Bettes.«
»Ich will auch nicht wissen, wer sich mit wem in diesen Betten geliebt hat und wie oder wie oft.«
Er schaute sie prüfend an. »Eine ziemlich kühne Aussage, findet Ihr nicht?«
»Mag sein. Aber es ist nun mal so. Ich will meine Arbeit zu Ende bringen, nüchtern, sachlich, ohne Schnörkel.«
Er wiegte den Kopf. »Das erscheint mir alles« – er zögerte – »nun, es erscheint mir zumindest mal ungewöhnlich.«
»Wenn Ihr meint, es sei nicht glaubhaft, das ist Euch freigestellt«, sagte sie lächelnd. »Aber Ihr dürft ganz sicher sein, dass mich Euer Mönch nicht im Geringsten interessiert. Und ich will ganz gewiss nichts mit ihm zu tun haben.«
Aber genau dieser Mönch begegnete ihr nur wenige Tage später.
»Nun, noch immer keine Leiche gefunden? Die Hälfte Eurer Zeit ist bereits herum«, flüsterte jemand hinter ihr.
Chiara zuckte zusammen, drehte sich um. »Ich würde es sehr begrüßen, wenn Ihr Eure seltsamen Witze endlich lassen würdet, Signor Basso«, sagte sie verärgert. »In diesen heiligen Hallen im Besonderen.«
»Eine Bank? Eine heilige Halle?« Er lachte. »Wir sind nicht in der Kirche von San Marco. Und im Übrigen wollte ich nur rasch überprüfen, ob Ihr Eure Miete auch regelmäßig bezahlt.«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Und so viel zu Eurer Frage: Wenn hier jemand eine Leiche findet, dann gewiss mein Nachfolger«, sagte sie spitz. »Er arbeitet über die Pest. Nur falls Ihr das etwa nicht wissen solltet.«
»Ach, über die Pest«, wunderte sich Signor Basso, »na ja, das würde schon passen.«
»Wieso?«
»Nun, bis vor Kurzem lebte mein Urgroßvater noch, er konnte einem Geschichten von halb Venedig erzählen. Und das mit dem Mord habe ich nicht erfunden, ich weiß nur nicht mehr, wie die einzelnen Teile zusammenpassen. Ich hatte sie von jenem Urgroßvater, der aber bisweilen nicht mehr ganz gut im Kopf war. Er wiederum hatte diese Geschichte von seinem Großvater. Es muss in jedem Fall etwas mit einem Mönch zu tun gehabt haben.«
Sie lachte auf. »Aha, schon wieder einmal dieser ominöse Mönch, hieß er etwa Bartolomeo?«
Er schaute sie verblüfft an. »Also kennt Ihr die Geschichte doch?«
»Ich kenne sie nicht, aber wenn wir die Lebenszeit Eures Urgroßvaters mit der Lebenszeit des Großvaters koppeln, dann kämen wir genau in diese Zeit, die uns interessiert. In die Zeit der großen Pest. Damals gab es übrigens Palazzi wohlfeil. Weil die meisten von ihren Besitzern verlassen worden waren. Ich bin sicher, dass Euch mein Nachfolger darüber stundenlang berichten kann. Ich war am Sonntag mit ihm auf Lazzaretto Vecchio und musste mir dabei endlose Berichte über diese Zeit anhören. So endlos, dass ich in der Nacht einen Alptraum hatte und mir vorstellte, dass mich die pizzigamorti in ein Massengrab hinunterkippten und mich dann mit Kalk überstreuten. Was das allerdings mit einem Mönch zu tun haben sollte, weiß ich nicht. Ein Mönch, von dem man ganz offensichtlich den Namen weiß, aber mehr nicht.«
»Nun, ich bin ganz sicher, dass sich auch das noch eines Tages klären lässt und die Spuren deutlicher werden«, versicherte Matteo Basso.
»Mich interessiert es nicht«, wehrte Chiara ab, »das sagte ich ja schon einmal. Da gibt es Dinge, die mich gewiss mehr interessieren.«
»Und welche?«
»Nun, die Sache mit den beiden Würfelhälften zum Beispiel«, erwiderte Chiara und verabschiedete sich.