Prolog
Die tiefen Höhlen mussten früher einmal Augen gewesen sein. Gähnende Leere klaffte aus ihnen hervor. Die Fetzen der zerrissenen Kapuze verliehen diesem Anblick etwas Lebendiges, da sie sich von der Strömung des Wassers getragen um das Knochengesicht kräuselten. Der Körper der Gestalt war von schwarzem Moder überzogen und gab einen abscheulichen Gestank von sich. Mit jedem Schritt, den er tat, verbreitete sich der Geruch nach längst Vergangenem. Zu lang schon verweilte der Körper in dieser Welt.
»Ich wusste, dass du kommen wirst.« Eine Frau tauchte vor ihm auf. Ihre Augen funkelten ihn aufmerksam an. Die Iris wirkte, als wäre sie von türkisen Algen durchzogen. In den Wimpern hing Sand, verklumpt mit Muschelschalenresten. Glänzende Schuppen überzogen ihr Gesicht wie auch ihre Hände. Ihre Stimme schwang mit den Wellen, wurde vom Wasser der Lagune um sie herum bis hinaus in den Ozean getragen. Melodisch lullte sie alles um sich ein, vereinnahmte das Sein, dämpfte die Gedanken.
Ein kleines Mädchen wirbelte hinter ihr hervor und drehte sich einmal im Kreis. Mit ihrem Fischschwanz schlagend blickte es die Sprecherin an, wartete auf weitere Worte, die sie einhüllen würden wie der Panzer die Schildkröte. Stattdessen begann die dunkle Gestalt zu sprechen.
Seine Stimme klang anders. Trocken, leise. Sie verlieh seinen Worten keine Bedeutung. Er erzählte von seinen Plänen, doch nichts ergab einen Sinn ohne die Emotionen, die das Gesagte begleiteten. Ob er um Hilfe flehte oder mit seiner Macht drohte, konnte man anhand seiner Stimme nicht erkennen. Doch dem unveränderten Gesichtsausdruck der Frau nach zu urteilen, stellte seine Anwesenheit keine Bedrohung dar. Vermutlich nicht einmal die Mühe, die man sich machte, um eine Brasse von Seegrasblättern zu vertreiben. Er bat sie um einen Gefallen, erinnerte sie an ein Bündnis, das längst in einen tiefen Schlaf gesunken war. Prahlte mit einer Macht, die ihn sich selbst vergessen hat lassen.
»Du bist gescheitert«, warf sie ihm vor. Mit einer flinken Bewegung war sie vor ihm, blickte in die leeren Höhlen seiner einstigen Augen. Sie schien etwas zu sehen, das niemand sonst wahrnahm. Sanft fuhr sie mit ihren von Häuten überzogenen Fingern seine knorrige Wange entlang. Dabei legte sie den Kopf schief und öffnete die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. »Du hast unser Bündnis damals gebrochen. Nenn mir einen Grund, dir diesen Gefallen zu erweisen.«
Statt zu antworten, streckte er die Arme zur Seite aus. Die Fluten wogten um sie. Ein kleiner Wirbel aus Wasser begann sich von seiner Hand auszubreiten. Immer heftiger tobte er um ihn und die Frau herum. Das Mädchen brachte sich hinter einem der nächsten Schiffswracks in Sicherheit. Mit ängstlich geweiteten Augen beobachtete es das Schauspiel. Dann ging ein Lichtstrahl auf die drei nieder. Tauchte die Lagune in helles Weiß. Die türkis schimmernden Haare der Frau verschwammen mit dem Licht und Zufriedenheit zeichnete ihr Gesicht. Ihr gefiel die Demonstration seiner Macht.
»Du weißt, was ich von dir will. Wenn du mir gibst, wonach ich mich immer gesehnt habe, so soll unser Reich an deiner Seite kämpfen.« Mit einem heftigen Dröhnen gingen die Fluten auf die Lagune nieder. Wasserbläschen vernebelten die Sicht. Dann erklang der Gesang. Sanft glättete er die Wogen und trug auf seinen Schwingen das Geschehene hinfort.