»Das Skelett steht mir schon wieder
im Weg«, der Bazooka-Lederball
auf den Sautratten und
»ich werde dich schneiden!«

kojft, kojft, tajere schchejnim,

kojft doss schtikl erd.

bilik, bechoze-chinem!

ir wet sich do ojfbojen a hojs,

ojssgrobn a brunem,

un a gortn farflanzn hintern fenzter.

ess weln ajch nischt schrekn kejn geschpensster;

majn mame wet nischt kumen fun gas-kamer zurik,

ir ejniklech ojch nischt.

(…)

Kauft, kauft, teure Nachbarn,

kauft das Stück Erde.

Billig, spottbillig!

Ihr werdet euch da ein Haus baun,

einen Brunnen graben

und einen Garten pflanzen vor dem Fenster.

Und keine Gespenster werden euch schrecken.

Meine Mutter kommt nie aus der Gaskammer heim,

auch ihre Enkel nicht.

(…)

Da schickt der Herr den Prügel aus, / Er soll den Pudel schlagen, / Der Prügel schlägt den Pudel nicht, / Der Pudel beißt den Jockel nicht, / Der Jockel schneidt den Hafer nicht / Und kommt auch nicht nach Haus.

wenn ich monatelang in Indien war und glaubte die Toten des Dorfes, besonders meine Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits, hinter mir gelassen zu haben im Dorf des Galgenbichls und der Sautratten, tauchten sie wieder auf und riefen sich in Erinnerung am Ufer der Ganga, wo ich einmal – man nannte es Verfolgungswahn – herumschrie im Hotelzimmer, denn ich hatte das Gefühl, daß nicht nur meine aufgebahrten Großeltern, sondern ganz Indien hinter mir her war, ja, »ganz Indien«, habe ich »es« genannt, war hinter mir her. Erst nachdem ich zehn Flaschen Coca-Cola getrunken, hatte ich mich beruhigt und mich schlafen gelegt auf einer bretterharten Matratze im Hotelzimmer, einen Steinwurf vom Ufer des heiligen Flusses entfernt. Immer waren sie hinter mir her, die Engel und die Teufel, die einfachen Teufel und die Doppelteufel. Wenn ich ungezogen war, nannte man mich auch einen »verdammten Höllteufel!«. Ich war also nicht nur ein einfacher Teufel, der sich in den Wäldern von einem Wolfsrudel gelöst und sich in ein Dorf verirrt hatte, sondern ein Teufel aus der tatsächlichen, der wahren Hölle, und der als Teufel auch noch verdammt – und von wem verdammt worden ist? Einmal, wohl zum Schutz vor Tod und Teufel, schenkte uns Kindern die Mame ein goldenes Kettchen, an das ein kleiner Engelskopf mit Flügeln im Nacken angehängt war, und legte uns nacheinander, während wir das Schutzengelmein beteten, das Kettchen unter dem großen eingerahmten Heiligenbild der Madonna della Seggiola von Raffael um den Hals. Es war bald nachdem sich im Nachbardorf ein Kind von der Hand seiner Großmutter losgerissen hatte und über die Straße in ein Auto hineingelaufen war. Die Mame, die Linde-Kornkaffee mit Zichorie, Oleander-, Malzkaffee und ein Paket Würfelzucker als Gastgeschenk einpackte, ging zur Totenwache und betrachtete das tote sechsjährige Kind im weißen Sarg, von dem heute noch das Grab auf dem Kameringer Friedhof existiert. Bei ihrer Rückkehr aus dem Totenhaus hatte sie verweinte Augen und war kreideweiß im Gesicht. Sie war unansprechbar und sagte kein Wort. Ich hätte sie gerne gefragt, wie es dem toten Kind gehe, ob es wohl schön aufgebahrt, mit gelben und orangefarbenen Tagetes und mit blauen, violetten und roten Astern geschmückt sei, ob ein durchsichtiger weißer Schleier mit silbern aufgedruckten Engelsköpfen auf seinem Körper liege, ob auch die Kindersärge vorne und hinten tatzenartige weiße Füße mit eingravierten Zehen haben – wie bei den Särgen der Erwachsenen –, damit die Kinder bald, das Schutzengelmein betend, die Himmelsleiter mit Hilfe der kleinen Löwentatzen hinaufsteigen können, aber ich hatte nicht den Mut, auch nur eine einzige Frage zu stellen. Wir waren beide gelähmt. Ich ließ die Mame an diesem Abend nicht mehr aus den Augen. Ihre Lippen waren dünn und blau, ihre Lider faltig und gerötet. Wortlos ging sie schlafen, sie war so erschöpft und traurig, daß sie nicht einmal mehr »Gute Nacht!« sagen konnte zu mir, sie wußte auch, daß der Tod dieses Kindes sie um den Schlaf bringen und daß sie um ihre eigenen Kinder Angst haben würde unter dem großen, gerahmten Heiligenbild der Madonna della Seggiola von Raffael und dem in der Dunkelheit des Zimmers grün phosphoreszierenden Kruzifix, dem sie einen letzten Blick zuwarf, bevor sie sich zum Schlafen zur Seite drehte.

Als ich ein Jugendlicher war und wir in meinem Elternhaus noch keinen Fernseher hatten, ging ich am Abend dann und wann den Waldrand entlang bis zu den Sautratten und ins Haus vom Onkel Hermann, der den Bazooka-Lederball seiner beiden Buben zerhackt hatte, um im Zimmer seiner Tochter Herma, die er einst genötigt hatte, mit einem langstieligen Schöpfer die Jauchegrube auszuleeren und den Menschenkot und Urin in ein Jauchefaß zu schütten und die einen eigenen, eifersüchtig gehüteten Schwarz-Weiß-Fernseher hatte, Kriminalfilme mit Joachim Fuchsberger anzuschauen, »Der Hexer« und »Teppich des Grauens«, wonach ich, die Sautratten verlassend, am Rand des Waldes entlanggegangen bin und schließlich zu laufen begonnen habe, denn ich hatte das Gefühl, daß der Satan hinter mir her ist. Immer wieder rief ich vor mich hin: »Der Teufel kommt mich holen! Der Teufel kommt mich holen!« Das war meine Teufelsaustreibung im Laufschritt am Waldrand. In diesem Zimmer der Bürger Herma, meiner Cousine, mit Blick auf die Sautratten, sah ich im Jahre 1969 als Sechzehnjähriger mit angehaltenem Atem die erste Mondlandung der Amerikaner mit Neil Armstrong und sah ebenfalls, an einem frühen Morgen, auf der Schwarz-Weiß-Mattscheibe den Boxkampf zwischen Cassius Clay und Sonny Liston. Um zwei Uhr morgens schlich ich aus dem Haus, als du, mein Tate, noch geschlafen hast, ging den Waldrand entlang, auf die Sautratten zu, den Hügel hinunter, zum Haus vom Onkel Hermann. Nach meiner Rückkehr trafen wir einander im Hof, um fünf Uhr morgens, ich war gerade vom Fernsehen gekommen, du bist gerade in den Stall gegangen. Kein Wort der Schelte habe ich gehört, du hast gewußt, daß ich vom Fernsehen komme, ich bin schlafen, du bist arbeiten gegangen. Oft hat es in meiner Kindheit geheißen: »Der Teufel wird dich holen!« Oder: »Paß nur auf, daß dich nicht der Teufel holt!« Und auch »Hol’s der Teufel!« hat es oft geheißen, oder man sagte zu mir, besonders die Mame, wenn ich wieder unartig und eigensinnig war: »Du Höllteufel, du verfluchter!« Oder auch: »Du Schweinteufel!« Ich war also ein rothaariger Teufel mit Pferdefüßen und Schweinskopf, der mit dem Tate auf dem Kirchenfeld, auf dem Spitzanger und auf den Sautratten gearbeitet hat, über dem Skelett des Judenmassenmörders. Als der Vater seinem jüngsten Sohn, den er sich als Hoferben erhofft hatte, einmal mißmutig, dessen Aufforderung folgend, ein modernes, dünnes, nur wenige Kilo schweres Rennrad kaufte und der damit, die Feldwege entlangradelnd, auf den Sautratten auftauchte, rief er: »Jetzt kommt er mit diesem Skelett zur Heuarbeit.« Oft schüttelte der Vater den Kopf, wenn sich sein jüngster Sohn auf den Fahrradsattel schwang, sich über die Lenkstange beugte, und sagte abschätzig: »Das Skelett! Das Skelett!« Mußte er das Fahrrad in der ehemaligen Knechtkammer, die zu einer Rumpelkammer geworden war und in der einst die Großmutter aufgebahrt wurde, zur Seite räumen, bekam ich zu hören: »Das Skelett steht mir schon wieder im Wege!« Oder: »Das Skelett versperrt mir den halben Weg!« Ein Skelett stand dir also im Weg, mein Vater. Und versperrte dir auch noch den halben Weg!

Manchmal haben wir Kinder nachts auch die Spiele der Eishockeyweltmeisterschaft bei der Bürger Herma angeschaut, am Rande der Sautratten. Wir haben am liebsten zu den Kanadiern oder zu den Schweden gehalten, nie zur ČSSR, zu den Polen, am schlimmsten waren die Russen, denn oft haben wir besonders zu Allerheiligen und Allerseelen nach der Gräberbesprengung in der Küche, während Mame und Schwester die Wiener Schnitzel vom hauseigenen Schwein vorbereitet haben, das mit Lebensmittelabfällen und mit dem frischen Saugras von den Sautratten gefüttert worden war, gehört, daß wir, wie es hieß, den Krieg gewonnen, wenn wir nicht vor Stalingrad gescheitert wären, und die Russen in die Knie gezwungen hätten, wenn es nicht so einen ungewöhnlich kalten Winter gegeben hätte im Angriffsjahr, und daß heute Deutschland eine Weltmacht wäre. Wir spitzten die Ohren, wenn der Onkel Franz und der Onkel Hermann mit dem Tate nach der Gräberbesprengung in der Küche saßen und Erlebnisse aus dem Krieg erzählten und kommentierten, bis zu dem Augenblick, wo wieder, während es in der Küche nach den am Fensterbrett stehenden gelben und rostroten Chrysanthemen und nach dem brutzelnden Schweinefett roch, die Zigeuner und Juden ins Konzentrationslager geliefert, die Kriminellen an die Wand gestellt wurden und den Arbeitsscheuen die Sozialgelder gestrichen gehörten. Und bei den Fußballspielen, die im Radio von Kurt Jeschko kommentiert wurden, der im Frankreich-Feldzug im Jahre 1940 seinen linken Arm verloren hatte, der mit seinem verbliebenen rechten Arm immer demonstrativ und mit besonders souveräner Geste eine dicke Zigarre rauchte und der, das erzählten wir einander grinsend mit vorgehaltener Hand, als noch nicht einmal Fünfzigjähriger in einem Bordell bei einem Geschlechtsakt an einem Herzinfarkt gestorben sein soll, haben wir nie zu den Engländern gehalten, wir haben sie immer gehaßt, die Engländer, noch mehr als die Russen. Wir waren unaufgeregt, wenn wir einmal gegen die Italiener, die Brasilianer oder gar gegen die Deutschen verloren hatten, wir wußten immer, daß sie die weitaus besseren Fußballer hatten, aber wir waren verzweifelt und deprimiert, wenn wir gegen die anderen verloren. Manchmal hatten wir sogar nach einem verlorenen Fußballspiel gegen die Russen, Engländer oder gegen die Tschechen ein Gefühl von Angst, denn wir wußten nicht, was noch kommen würde, wir wurden von den Erzfeinden besiegt, wir hatten wieder verloren, es war von dem »schleichenden Gift« des Kommunismus die Rede, das unsichtbar war und das uns ereilen, zu jeder Zeit einnebeln könnte, vielleicht kommen sie wieder, die Jugoslawen, die Russen und die Engländer. »Die verfluchten Kommunisten, die uns die Felder wegnehmen würden!« hat es öfter geheißen. Der Pfarrer Franz Reinthaler sagte einmal: »Wenn der Kommunismus wiederkommen sollte, ist der Koratbauer der erste, der mich an die Kirchentür nagelt!« Das Wort »einnebeln« habe ich oft gehört, das Kirchenfeld war eingenebelt, der Friedhof war eingenebelt, besonders zu Allerheiligen und Allerseelen, wenn es nach Chrysanthemen und nach Hunderten brennender Kerzen roch, der Sumpf der Sautratten, in dem das Skelett des Judenmassenmörders lauerte, war eingenebelt und dampfte. Für Eishockey oder Fußball hast du dich nie interessiert, mein Tate, immer hast du uns belächelt, wenn wir, den rosaroten amerikanischen Kaugummi kauend, mit dem Bazooka-Lederball auf den Sautratten zwischen den Kühen Fußball gespielt haben oder wenn wir später vor dem eigenen Fernseher in der Küche saßen, wo sich besonders im Winter das ganze häusliche Leben abgespielt hat, das Kochen, das Essen, das Lesen, das Schreiben, das Züchtigen der Kinder, alles hat sich in der warmen Küche abgespielt, auch das Wursten, bei dem es nach frischem, durch den Fleischwolf gedrehtem Schweinefleisch roch, nach Pökelsalz, Pfeffer und Paprika und nach den grauen, zusammengerollten, als Eingeweideberg übereinanderliegenden, von der Mame gesäuberten Schweinsgedärmen, in die schließlich mit dem Fleischwolf das Frischfleisch hineingepreßt und zu Würsten gedreht wurde. Wenn wir also in der Küche ein Fußball-Länderspiel angeschaut haben, dann hast du, mein Tate, kopfschüttelnd gemeint: »Wie man nur einem Ball nachlaufen kann!« Keine zwei Minuten lang hast du auf den Bildschirm und uns, deinen Kopf verdrehend, spöttisch ins Gesicht geschaut, dann bist du wieder zu deiner Arbeit gegangen.

Nicht selten fiel ich rücklings in ein Gemüsebeet oder auf die spitzen Steine der warmen, mit Pflanzen bewachsenen Friedhofsmauer, in deren Lücken sich grüne und braune Eidechsen einnisteten, wenn ich meiner Mame half, die tiefverwurzelten Rettiche und Rüben aus der Erde zu ziehen oder das Erdapfelkraut zu entfernen, worauf wir beide mit dem frisch geernteten Gemüse und mit den blanken Nerven und Sehnen der Toten im Korb stolz über den lotrechten Balken des kreuzförmigen Dorfes auf mein Elternhaus, auf die Enznhube, zugingen. Mit der hellblauen »Brother Deluxe«, die du mir, mein Tate, gekauft hast, als ich vierzehn Jahre alt war und in die Handelsschule ging, habe ich in der Küche, während die Mame das Gemüse mit einem Messer blitzschnell zerhackte und weinend die Zwiebeln schnitt, das Zehnfingersystem gelernt mit meinen langen, dünnen Klavierfingern und bin »Schreibkraft«, Maschinschreibkraft, geworden an der Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt, in der Keltengasse, nachdem ich in meinem Elternhaus, auf dem lauwarmen Sparherd sitzend, den »Dracula« von Bram Stoker gelesen und in der Volkszeitung eine Stellenausschreibung für eine »Schreibkraft« gefunden hatte, während du, mein Tate, deiner Arbeit nachgegangen bist, im Stall, im Heustadel, auf dem Kirchenfeld, auf dem Spitzanger, oder auf den Sautratten über dem Skelett von Odilo Globocnik die Sense geschwungen hast, wir wußten nicht immer, wo du warst, aber rechtzeitig bist du zum Mittagessen gekommen, und rechtzeitig warst du am Abend bei der Stallarbeit zur Stelle, denn die Kühe, hast du mich belehrt, haben sich fürs Melken eingestellt auf eine bestimmte Uhrzeit. Alles habe ich naturgemäß dir zu verdanken, kein anderer von meinen Geschwistern hat eine Brother Deluxe bekommen, nur ich allein, keiner durfte die Buchstabentastatur meiner hellblauen Brother Deluxe berühren, denn sie war mein Heiligtum, ich wäre wohl gewalttätig geworden, wenn meine Geschwister die hellblaue Brother Deluxe angerührt und mir die Buchstaben oder gar die Sprachlosigkeit streitig gemacht hätten, wenn ich auch damals, nachdem ich die Karl-May-Bücher hinter mich gebracht hatte, nichts anderes getan habe in der Wartezeit zu Hause, bevor ich als Schreibkraft nach Klagenfurt, an die Hochschule für Bildungswissenschaften gehen konnte, als Kapitel für Kapitel aus dem »Dracula« von Bram Stoker abzuschreiben, um einerseits die Sätze besser zu verstehen und um andererseits die Geschicklichkeit bei der Anwendung des mühsam erworbenen Zehnfingersystems auf der Brother Deluxe zu verbessern. »Oh, mein Freund John«, klopfte ich auf die Tastatur meiner hellblauen Brother Deluxe, »war das ein Gemetzel! … Hätte ich nicht im ersten Gesicht den Frieden gesehen und die Freude, die vor der endgültigen Auflösung darüber huschte, und daran erkannt, daß die Seele gewonnen war – ich hätte das Gemetzel nicht weitertreiben können. Ich hätte das grauenvolle Kreischen nicht ausgehalten, als der Pflock hineingetrieben wurde in die Herzen, das Aufbäumen und Winden der Körper, die Lippen voll blutigem Schaum.«

Bald nach dem Tod des Großvaters väterlicherseits wartete ich sehnsüchtig auf den Tod der Großmutter, der geborenen Jesenitschnig, denn die Dorfleute brachten zur Totenwache zehn, zwanzig Pakete Melanda und Linde-Kaffee, damit ich meine Sammlung von kleinen roten Plastikindianern vervollständigen konnte, die in der Packung, im Kaffeepulver steckten und die ich auf dem Mittagstisch in Kampfstellung brachte, während die Mame am Herd stand und mit dem Kochlöffel in der Einbrennsuppe rührte. Ich schlichtete die Kaffeepackungen – Linde-Kaffee und Melanda – im elterlichen Schlafzimmer in einen hüfthohen Kasten, auf dem das Brustbild meiner Großmutter mütterlicherseits stand, die im Zweiten Weltkrieg drei Söhne im jugendlichen Alter verloren hatte, und über dem an der Wand der Spiegel und über dem Spiegel das in der Nacht grün phosphoreszierende Kruzifix angebracht war. Oft legte ich mich als Kind, wenn es schon finster war, ins Bett meiner Eltern, zwischen Tate und Mame, und starrte so lange auf das grün leuchtende Kruzifix, bis sich das gekreuzigte katholische Grünzeug in meine Seele einbrannte und ich vor Angst und Erschöpfung, aber manchmal auch friedlich und beruhigt einschlief. Nach einem Kinderstreich mußte ich mich beim Mittagessen immer zwischen Tate und Mame setzen, ich war eingeklemmt zwischen den Eltern, Tag für Tag, immer zur selben Uhrzeit, genau um 12.30 Uhr. Erst im Alter von vierzehn Jahren, als ich die Volksschule verlassen hatte und in die Handelsschule ging, öffnete sich die Zange, ich wechselte den Platz, ich setzte mich ohne Ankündigung einfach woandershin, wo ich Suppe löffeln und gleichzeitig mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster schauen und die Dorfstraße beobachten konnte. Ich ahnte, daß sich die Zange bald vollständig öffnen und ich, bevor sie wieder zuschnappen und mich einklemmen konnte, endgültig würde entschwinden können.

Nach dem Tod der Großeltern väterlicherseits wanderte an Weihnachten der Christbaum ins Schlafzimmer der Eltern, in dem über den Betten das große, eingerahmte Bild von der Madonna della Seggiola von Raffael hing. Auf der anderen Seite, über dem Brustbild der früh verstorbenen Eichholzeroma, die im Zweiten Weltkrieg drei Söhne verloren hatte, hing das grün phosphoreszierende Kruzifix, das die Mame einmal einem Wanderverkäufer abgekauft hatte, der durch das Drautal zog, in den Dörfern von Haus zu Haus ging und mit Heiligenbildern, Rosenkränzen und Kruzifixen handelte. Wenn im Schlafzimmer der Eltern am Heiligen Abend, der auch dein Geburtstag war, mein Tate, vor der Bescherung das elektrische Licht ausgeschaltet wurde und wir für die Verstorbenen zu beten begannen, für die Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits und für die drei im Krieg gefallenen Brüder der Mame, und nur mehr die Kerzen auf dem Christbaum leuchteten, die Madonna della Seggiola nur mehr schemenhaft im die Kerzenflammen widerspiegelnden Glas des großen Heiligenbildes zu sehen war – das Glas hatte einen Sprung, einen Schrick, wie wir es nannten, es hatte sich erschrocken, als ich in diesem Zimmer auf die Welt kam –, trat an der gegenüberliegenden Wand ganz deutlich und aufdringlich, grün leuchtend und giftig, das phosphoreszierende Kruzifix als übermächtige Gestalt hervor über dem Brustbild der Eichholzeroma und über dem Spiegel, der den leuchtenden Christbaum mit den knisternden Sternspritzern einfing auf seiner widerspiegelnden Oberfläche. Das Zimmer war kachelofenwarm und roch nach brennenden Bienenwachskerzen und nach dem auf den verkupferten dünnen Eisendrähten klebenden Aluminium- und Eisenpulver der abbrennenden Sternspritzer. Draußen schneite es, zentimeterdicker Schnee lag auf den Stromleitungen und auf den Fischgräten der Fernsehantennen. Schneekristalle fielen auf die Fensterscheiben und rannen lautlos über das Glas hinunter. Die Sautratten lagen brach, ein halber Meter Schnee bedeckte das großräumige Feld, beschneite Schilfkolben steckten im Eis fest. Auch die taubstumme Magd Pine faltete vor dem Christbaum ihre verkrüppelten Hände zum Gebet, abseits stand stumm der Knecht. Du hast immer das Vaterunser vorgebetet und ein halbes Jahrhundert lang nicht die drei im Krieg gefallenen Brüder der Mame vergessen, nie hast du die Helden, wie sie genannt wurden, mit denen du auf den Sautratten gearbeitet hast, in den Gebeten vernachlässigt. Für den Hansl, für den Stefan und für den Adam dieses Vaterunser! hat es immer geheißen. (Wenn die Tant Lise, die Schwester der drei Gefallenen, meine Mame besuchte, sagte sie oft zu mir: »Na, du Held!« Oder zu uns allen: »Wie geht es denn den Helden?«) Auf den glitzernden Christbaum schauend, haben wir dir nachgeplappert, Tate, leise, verhalten und ein wenig traurig, wenn wieder von den Toten die Rede war. Von der Geburt Christi, von einem Freudenfest hat kein Mensch geredet, ein halbes Jahrhundert nicht, immer nur von den verstorbenen Großeltern und von den drei Toten des Zweiten Weltkriegs war die Rede am Heiligen Abend, zu deinem Geburtstag, vor dem leuchtenden Christbaum.

Nach den Gebeten für die Toten hast du uns nacheinander aufgerufen und die in Weihnachtspapier verpackten Geschenke ausgeteilt, das Flanellhemd, die lange Flanellunterhose, von der Mame selbstgestrickte Wollsocken. Niemals, bis zu ihrem Tod nicht, hat die Mame die Weihnachtsgeschenke verteilt, immer hast du die Pakete überreicht. Das Weihnachtsfest vermischte sich mit der Atmosphäre von Fronleichnam, Karfreitag, mit Allerheiligen und Allerseelen, es war nie das Fest der Geburt Christi. Nach der Bescherung gab es die selbstgemachten Schweinswürstel mit scharfem, die Nase reizendem Kren – die Toten niesten aus unseren Nasen, bis ins Gehirn hinauf drängte sich die Schärfe der aufgeriebenen Krenwurz –, dem Kren, den wir im Herbst aus dem Gemüsegarten an der Friedhofsmauer gezogen, den Leichen auf der anderen Seite der Steinmauer aus den zum Gebet gefalteten Händen gerissen hatten. Das Osterfest, das Freudenfest, bei dem Böller geschossen, bei dem Jahr für Jahr Jesus gekreuzigt wurde und bei dem im Elternhaus nie vom Tod die Rede war, auch nicht vom Tod Jesu, denn er ist ja ein paar Stunden später wiederauferstanden und in den Himmel hinaufgefahren, war noch weit entfernt. In der Frühzeit, als ich noch ein Kind war, hast du unter dem Christbaum auch für deine im Krieg gefallenen Kameraden gebetet, später nicht mehr, besonders für den Jüngling hast du gebetet, der dich stehend im Schützengraben verarztete, als du einen Streifschuß abbekommen hattest und der Jüngling die tödliche Kugel in den Kopf bekam, als er die Mullbinde aufrollte und dir um den blutenden Hals wickeln wollte. Jahrelang hast du uns diesen uniformierten, toten Jüngling aus dem Schützengraben zu Weihnachten unter den Christbaum gelegt, so lange, bis wir eines Tages unruhig wurden, einander gelangweilt anschauten, aufstöhnten, dich belächelten, keine Gebete mehr sprechen, nur mehr die knisternden Weihnachtspakete in den Händen halten und die Schweinswürstel mit frisch aufgeriebenem Kren essen, an den Vanillekipferln und am Lebkuchen naschen und schließlich in die Christmette gehen wollten mit dem neuen Flanellhemd und dem neuen Anorak, wo wir »Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all! Zur Krippe her kommet, in Bethlehems Stall …« und schließlich am Ende und zum Abschluß des mitternächtlichen Gottesdienstes mit Gänsehaut »Stille Nacht! Heilige Nacht!« gesungen haben. An den Gräbern der Großeltern und weiterwandernd ans Grab der drei im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten, der Brüder meiner Mame, wünschten wir einander mit kalten Händen »Frohe Weihnachten!« und gingen danach über den senkrechten, beschneiten Balken des kreuzförmig gebauten Dorfes nach Hause und wärmten über der heißen Herdplatte, auf die wir eine Faustvoll Weihrauchkörner warfen, unsere steifen Finger.

Während du, mein Tate, die Türschwelle des großelterlichen Sterbezimmers übertreten hast und auf mich zugehen wolltest mit deinen groben Händen, habe ich meine Arme ausgebreitet und gerufen: »Schlag mich! Schlag mich! Ich spür nichts mehr!« Da hast du dich, soweit ich mich erinnern kann, das erste Mal in deinem Leben vor mir erschrocken, bist zusammengezuckt, deine Gestalt schrumpfte augenblicklich, und die Ackerfalten deiner von der Sonne bei der Arbeit auf den mysteriösen Sautratten gegerbten Gesichtshaut haben sich in Sekundenschnelle vertieft, du hast dich nach meinen Worten »Schlag mich! Schlag mich! Ich spür nichts mehr!« umgedreht und bist ohne ein Wort in deiner geflickten und schlotternden blauen Arbeitshose mit den Grasflecken von den Sautratten und mit den Mistflecken aus deinem Stall über die sechzehnstufige Stiege als fleischgewordenes Skelett hinuntergeklappert mit deinen nägelbeschlagenen Goisererschuhen, hinter dem Sohn her, der du ein paar Jahre davor warst, und dem Leichenbestatter Stimniker, mit dem du einst deine tote Mutter in einer kuscheligen Wolldecke über die abgetretene Stiege geschleppt hast – mein Bruder und ich haben dein heftiges Schnaufen gehört und haben auf die Höllenfahrt mit einer Leiche gehofft, daß nämlich du und der Bestatter mit dem hundertzwanzig Kilo schweren, leblosen Sack auf der Stiege ausrutschen werdet und die Lebenden und die Toten wie Vampire übereinander herfallen würden –, und bist, nachdem du offenbar aus Angst vor mir, daß ich nämlich gegen den eigenen Tate gewalttätig werden könnte, dich umgedreht hast, wie immer zu deiner Arbeit in den Stall, zu den Ochsen und Stieren, oder in den Heustadel, auf die Pranta, zum aufgeschütteten Getreide aus den Sautratten und zu den Tausenden staubbedeckten Spinnweben und den unter dem Dachgiebel hängenden Fledermäusen gegangen, du bist aufs Kirchenfeld oder in den Spitzanger hinuntergelaufen oder hast mit den in der Sonne blinkenden Scharen deines ehrenwerten Pfluges gefuhrwerkt über dem weitgestreckten, das ganze Drautal umklammernden Skelett von Globus – »Zwei Millionen ham’ma erledigt!« –, ohne links und ohne rechts zu schauen. Mit deinen Selbstgesprächen, die sich wie ein Geschwurbel anhörten, als ob man den Sendersuchlauf eines Radios schnell weiterdrehen würde, im Stall oder im Heustadel, hast du sofort aufgehört, wenn jemand in deine Nähe kam oder unverhofft auftauchte. Mit einem Schlag hast du kein Wort mehr gesagt, weder ein verständliches noch ein unverständliches. Mir ist es nie gelungen dich zu belauschen. Gerne wäre ich den surrealen Ausführungen deiner heimlichen Selbstgespräche gefolgt, um zu erfahren, wer du bist und wer ich bin.

»Schau nicht links und schau nicht rechts!« hast du gesagt, als wir, unmittelbar nach meiner Rückkehr ins Dorf, nachdem ich drei Bücher geschrieben hatte und nicht mehr schreiben konnte, weil ich die Sprache verloren hatte, mit dem Werkzeug, mit Nägeln, Hammer und Beißzange über den senkrechten Balken des kreuzförmigen Dorfes hinuntergegangen sind, um auf den Sautratten den Zaun zu reparieren, denn wir wußten, daß die Dorfleute aus den Fenstern gaffen und mich verfluchen und verwünschen würden für die unverzeihliche Schandtat, über dich und über mich im Dorf Kamering im Drautal Bücher geschrieben zu haben, über die vielen Freuden und Leiden der röm.-kath. Dorfmenschen, über die traurigen und schönen Feste, über die auf der Straße verunglückten Kinder, über die Jugendselbstmorde und über die streitbaren und gehässigen Erwachsenen, die das Dorf dann und wann aus den Angeln gehoben und den Teufel heraufbeschworen haben. »Er hat das Dorf kaputtgeschrieben! Mit dem wird es noch einmal schlimm enden!« hat es geheißen. Und: »Schämst du dich nicht, übers Dorf hinunterzugehen!« hat es geheißen. Ich hätte also mein Heimatdorf nie mehr betreten, dich und die Mame nie mehr besuchen, geschweige denn dort noch einmal leben sollen für ein paar Jahre, um mir die Kindheit zurückzuholen, die du mir nicht hattest gönnen können oder wollen, und um eine Heimkehr des verlorenen Sohnes zu schreiben. Alle haben sie mir die Pest an den Hals gewünscht, besonders die Pest und Cholera der Sprachlosigkeit, die ich seit meiner Kindheit kannte, das Stummsein der Großeltern mütterlicherseits, die Sprachlosigkeit der Mame, ein Leben ohne Worte: »Ich kann’s nicht sagen! Ich kann’s nicht sagen!« Und über die, die viel redeten und sprachen, haben sie oft gesagt: »Nach seinem Tod wird man sein Maul extra erschlagen müssen!« Die Erzähler waren unerwünscht in diesem Dorf. Einmal hat es sogar vom Hoferben, von meinem ältesten röm.-kath. Bruder, geheißen: »Du hast nichts zu sagen, du zahlst sowieso keine Steuern!« Selbst die Mame, die in ihrem Leben kein einziges Buch gelesen hat, wollte mich am Lesen der Karl-May-Bücher hindern, besonders dann, wenn die abergläubische Nachbarsfrau ihr wieder vorhielt, daß mich die Karl-May-Bücher verderben werden. Der jüngere Bruder lief zur Mame, wenn ich mich im Heustadel unter den staubigen Spinnweben und sich am Dachfirst festkrallenden Fledermäusen mit einem Buch verbarrikadiert hatte, und sagte: »Er liest schon wieder Karl May!« Ich erinnere mich genau, einmal las ich in der Küche den Roman »Halbblut«, als die Mutter am Herd stand. Sie wollte mir das Buch mit dem dunkelhäutigen Mestizen aus der Hand reißen, aber ich hielt es fest und verhöhnte sie. Sie drehte sich, nachdem ich sie gedemütigt hatte, mit hochrotem Kopf wortlos um und stellte sich wieder an den Herd. Wenn ich zu lesen aufhörte, versteckte ich das Buch hinter dem kleinen Radio, das der Onkel Hans und die Tante Mitze, die beiden Besitzer der Konditorei Rabitsch in Klagenfurt, meinen Großeltern gebracht hatten. Gerettet hat mich schließlich der Tierarzt Dr. Weber. Ich las im »Halbblut« am Küchentisch weiter, als er aus dem Stall kam und – wie immer – in der Küche in einer von der Mutter bereitgestellten Waschschüssel mit der Terpentinseife, auf der ein Hirsch eingeprägt war, seine Hände wusch. (Das weiße Leinenhandtuch, mit dem er seine Hände abtrocknete, mußte gebügelt sein.) »Was liest du denn da?« fragte der Tierarzt. »Karl May!« antwortete ich zuversichtlich und stolz und mit hocherhobenem Kopf. »Sehr gut!«, lobte mich der Tierarzt, »sehr gut!« Von diesem Augenblick an waren Mame und Tate froh, wenn ich in einem Karl-May-Buch las, wenn sie mir auch niemals Geld für ein Buch gaben, im Gegenteil, als ich mir als Kind das erste Buch kaufen wollte und mich darüber beklagte, daß die Söhne des Lehrers sehr wohl Bücher geschenkt bekämen, sagte die Mame einmal trotzig: »Für Bücher haben wir kein Geld!« In diesem Augenblick brach für mich eine Welt zusammen, aber ich fand bald danach einen Ausweg, indem ich von der Mame Geld stahl und mir das eine nach dem anderen Karl-May-Buch kaufte. Später, als ich im Alter von vierzehn Jahren »Die Pest« von Albert Camus las, stahl ich, während ich in die Handelsschule ging, jahrelang Geld von meinem Vater, um mir »Die Hornissen« von Peter Handke, von Jean-Paul Sartre »Das Spiel ist aus«, von Peter Weiss »Abschied von den Eltern«, Ernest Hemingway »Der Sieger geht leer aus«, William Faulkner »Licht im August«, August Strindberg »Die Beichte eines Toren«, Saint-Exupéry »Dem Leben einen Sinn geben«, Frantz Fanon »Die Verdammten dieser Erde« kaufen zu können, und errichtete im Sterbezimmer meiner Großeltern ein Bücherregal, in dem im Laufe von drei Jahren mehrere hundert Taschenbücher zusammenkamen, die ich alle mit einer klebbaren, durchsichtigen Plastikfolie einband. Da ich in den Sommerferien in der Molkerei in Spittal an der Drau arbeitete, fragte mich kein Mensch, woher ich das Geld für die Bücher hatte.

Am darauffolgenden Abend oder am nächsten Tag war keine Rede mehr von unserer brüderlichen Schlägerei im Sterbezimmer der Großeltern, du warst nicht nachtragend, mein Vater, nie! Manchmal warst du einen Tag, vielleicht zwei Tage lang unansprechbar, aber spätestens am dritten Tag kehrte der Alltag des Dialogs wieder ein, auch wenn geschwiegen und nicht geredet wurde bei der Arbeit, es wurde auch nichts zerredet, nie. Manchmal hat es geheißen: »Er hat sein Maul zerrissen!« Wir schämten uns, die Lefzen hingen tatsächlich über dem Unterkiefer. Wir saßen am selben Abend, nach meinem endgültigen Befreiungsschlag mit den Worten »Schlag mich! Ich spür nichts mehr!«, wieder gemeinsam und friedlich hinter dem Küchentisch, du hast deinen Kopf mit den Augengläsern deines Vaters in die Wochenzeitung »Der Kärntner Bauer« gesteckt, mit der Dreckserde von den Sautratten hinter deinen Fingernägeln, die du immer mit einer Beißzange manikürt, mit der du auch die Zähne der neugeborenen und, wie wir sagen, laut zwillenden Ferkel mit den rosaroten Schnauzen abgezwickt, wofür du die quietschenden Tiere vor dem Stalltor zwischen deine Oberschenkel geklemmt hast. Am Boden lagen die winzigen Ferkelzähne, die von den Hühnern aufgepickt und verschluckt wurden. Die Ferkelzähne, die die Hühner offenbar mit den Türkenkörnern verwechselten, blieben ihnen manchmal im Hals stecken, sodaß sie flügelschlagend und irritiert durch die Gegend liefen, bis es ihnen gelungen war, die harten Zähne der Ferkel hinunterzuschlucken. Nachdem der von Hof zu Hof gehende dicke, ständig nach Schnaps und Zigaretten riechende Sauschneider verstorben war, hast du das Werkzeug selber in die Hand genommen, nicht nur auf dem eigenen Hof hast du die Schweine kastriert, den Ebern die Hoden abgeschnitten, sondern bist auch im Dorf von Hof zu Hof gegangen, wo man deine Kastrierungskünste geschätzt und belohnt hat mit selbstgebranntem Schnaps oder Honig aus der eigenen Imkerei. »Ich werde dich schneiden!« rief mir einmal dein Bruder zu, der Onkel Franz, der bei der SS in Nürnberg war, der jährlich mehrmals ungefragt beteuerte, in Nürnberg nur am Schreibtisch gesessen und nichts getan zu haben, und griff dabei in seine Hosentasche, als wir neben den Sautratten – das Skelett von Odilo Globocnik war in greifbarer Nähe – zu Besuch waren beim Onkel Hermann. Ich lief der am Herd stehenden Ragatschnig Tresl in die Arme, die mich fest an sich preßte, meinen Rücken streichelte und mir ins Ohr flüsterte: »Du brauchst keine Angst haben! Ich pass’ auf dich auf!«, während du, mein Tate, feige neben deinem Bruder am Tisch gesessen und gegrinst hast nach den dämonisch-scherzhaften Worten deines brüderlichen SSlers und SA-Mannes: »Ich werde dich schneiden!«