DENISE
Die besten Ideen habe ich, wenn ich im Bett liegen muss und mich langweile.
Genau so kam ich auf die Dating-Seite, auf der ich Hendriks Foto entdeckte.
Und schließlich kam ich auch so zu Instagram.
Aber der Reihe nach.
Nachdem Hendriks Ärzte Anfang 2016 so optimistisch gewesen waren und uns bestärkt hatten, machten wir mit der Kinderwunschbehandlung weiter. Wir hatten uns für eine IVF entschieden, eine sogenannte In-vitro-Fertilisation, bei der die Eizellen im Reagenzglas befruchtet und anschließend eingesetzt werden. Es war eine aufregende Zeit, nicht viel anders, als wenn man auf natürlichem Wege schwanger werden möchte und es kaum erwarten kann, bis der Schwangerschaftstest positiv ausfällt. Wir waren unglaublich dankbar, dass die Medizin so weit war, uns – hoffentlich! – weitere Kinder zu schenken. Drei Monate nach meiner Fehlgeburt nahm ich wieder Hormone, um die Bildung von Eizellen zu stimulieren. Sobald diese gereift waren, stand die Punktion an. Diese Prozedur kannte ich schon und war entsprechend entspannt. Während ich sediert war, wurden zehn Eizellen mit einer hauchdünnen Nadel aus dem Eierstock entnommen. Ein Vorgang, der in den allermeisten Fällen völlig problemlos abläuft.
Als ich nach Hause kam, hatte ich das seltsame Gefühl, als wäre in mir ein Ballon zerplatzt. Mir wurde schwindlig, und ich fühlte mich gar nicht gut. Mein Instinkt sagte mir, dass irgendetwas nicht stimmte. Doch ich wollte unbedingt stark sein, denn ich wünschte mir so sehr, dass es diesmal klappte. Daher schob ich die diffusen Ängste beiseite und redete mir ein, dass ich mich bloß ein bisschen ausruhen müsste. Was niemand wusste: Der Eierstock war durch die mehrfache Punktion stark angeschwollen und schließlich geplatzt. Den ganzen Tag über lief Blut in meinen Bauch.
Gegen Abend konnte ich kaum noch atmen. Hendrik war voller Sorge und brachte mich umgehend ins Krankenhaus. Ich schaffte es bis zur Eingangstür, dann brach ich zusammen.
Die Ärztin, die einen Ultraschall bei mir machte, rief sofort im OP an. In meinem Bauchraum schwammen gut drei Liter freie Flüssigkeit, die gegen das Zwerchfell drückten. Kein Wunder, dass ich kaum Luft bekam! Bei der Not-OP wurde der Riss im Eierstock verödet. Dabei stellte sich auch heraus, dass es sich bei der freien Flüssigkeit um Blut handelte. Doch mein erster Gedanke nach dem Aufwachen galt nicht dem starken Blutverlust, sondern etwas anderem: Was war jetzt mit unserem Kinderwunsch? In fünf Tagen sollten die befruchteten Eizellen eingesetzt werden.
Wir gaben in der Klinik Bescheid und schilderten, was passiert war. Vielleicht konnte man die Eizellen ja einfrieren. Doch die Ärzte waren inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass ich ein starkes Immunsystem hatte, das dazu neigte, die Embryonen anzugreifen. Sie vermuteten, dass genau das der Grund gewesen war für meine Fehlgeburt.
„Wir werden trotzdem weitermachen wie geplant. Ihr Körper ist jetzt so mit dem Blutverlust und der Heilung beschäftigt, dass er die Embryonen wahrscheinlich nicht abstoßen wird.“
Ich drückte Hendriks Hand, besser gesagt, ich versuchte es. Ich war wirklich ziemlich schwach. Aber offenbar war das in diesem Fall ja nur gut!
Wir hatten uns für das Einpflanzen von zwei Embryonen entschieden. Durch die Fehlgeburt nach der ersten IVF waren wir vorsichtig geworden und hofften einfach, dass eine Eizelle bleiben würde. Und das war eine der besten Entscheidungen unseres Lebens, denn sie beschenkte uns mit
unseren Zwillingen.
Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, spüre ich noch immer diese Mischung aus Aufregung, Sorge und Vorfreude in mir. Wir knüpften an unser Leben an, so wie wir es uns vor Hendriks Diagnose ausgemalt hatten. Nach all dem, was passiert war, wieder schwanger und mit jeder verstreichenden Woche sicherer zu sein, dass diesmal alles gut gehen würde, war ein unfassbares Geschenk. Mehr noch, es war wie ein Zeichen, dass das Glück jetzt wieder auf unserer Seite war. Dass wir vertrauen durften. Niemals hätten die Ärzte mir geraten, schwanger zu werden, wenn sie Zweifel gehabt hätten, dass Hendrik stabil bleiben würde, sagte ich mir. Mein Gedanke war naiv, wie ich heute weiß, denn niemand kann Ereignisse von solcher Tragweite vorhersagen. Doch ich klammerte mich daran, und irgendwann glaubte ich es und ließ zu, dass mein Herz und auch mein Denken sich ganz mit diesem neuen Glück füllten.
In den ersten Wochen war mir ziemlich oft übel, aber das gehörte eben dazu. Dass die beiden Babys in mir heranwuchsen, war das Einzige, was zählte. Dennoch ist eine Zwillingsschwangerschaft eine ziemliche Herausforderung für den Körper. Ab der 20. Woche spürte ich einfach, dass drei Herzen in mir schlugen und nicht nur eines. Ständig war mir schwindlig, und ich fiel öfters in Ohnmacht. Das passierte auch, wenn ich draußen unterwegs war. Mehrmals hatten hilfsbereite Menschen einen Krankenwagen rufen wollen, doch kaum war ich wieder bei Bewusstsein, winkte ich ab und sagte: „Ich bin bloß schwanger.“ Irgendwann traute ich mich allerdings kaum mehr alleine raus. Wenn, dann wählte ich meine Route entlang von Apotheken, in die ich mich schnell flüchten konnte, um den Blutdruck messen zu lassen, wenn der Schwindel überhandnahm.
Wir wohnten damals schon einige Monate in Düsseldorf. Dennoch kannte ich fast niemanden, hatte in der Stadt weder Freunde noch nähere Bekannte. Wegen des Schwindels musste ich viel liegen, und während Tylie in der Schule war und Josie in der Kita, kam Langeweile bei mir auf. Irgendwann scrollte ich durch Social Media, suchte Accounts von anderen werdenden Müttern auf Instagram und eröffnete selbst einen: mum_of_the_fantastic4.
Ich lud ein Bild vom Mutterpass hoch, denn ich war so unglaublich stolz, mit den Zwillingen schwanger zu sein. Ich wurde wieder Mutter – nach all den Jahren, in denen wir es erfolglos probiert hatten. Nach meiner Fehlgeburt. Nach dem Schock, den wir Weihnachten erfahren hatten. Dieses Foto von meinem Mutterpass bedeutete so viel mehr für mich, als die Welt dort draußen ahnen konnte. Und was passierte?
Niemand reagierte darauf. Kein einziger Like, kein Kommentar.
Komisch, dachte ich mir. Ich sah mir die anderen Accounts genauer an, stellte fest, dass manche Hunderte von Likes hatten und jede Menge Kommentare. Was machten sie anders als ich? Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine Instagram-Stories-Funktion, nur Feedbeiträge waren möglich. Ich probierte es wieder, lud ein Selfie hoch – ich mit meinem Bauch, der ziemliche Ausmaße angenommen hatte –, wieder nichts. Ich fand meine Bilder schön. Ich liebte es, mich zurechtzumachen, gleichzeitig waren die Fotos nicht gestellt, sondern entstanden bei uns zu Hause, mit unseren Ikea-Kommoden im Hintergrund, meinem Schminkspiegel mit der tollen Glühbirnenleiste, Familienschnappschüssen an der Wand. Aber offenbar teilten andere nicht meinen Enthusiasmus. Oder die Bilder gingen unter in der Welt von Social Media, deren Gesetze ich noch nicht kannte.
Wenn man das Gefühl hat, die ganze Welt umarmen zu können vor Glück, und die Welt guckt weg, ist das schon ziemlich seltsam. Man postet ein Foto, weil man etwas mitteilen – mit anderen teilen möchte. Mir ging es dabei nicht darum, Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich suchte Anschluss, Ablenkung, malte mir aus, andere Mütter kennenzulernen und mich mit ihnen auszutauschen. Schließlich würde ich, wenn alles gut ging, bald zwei weitere Kinder haben. Da war es wichtig, Kontakte mit Menschen zu knüpfen, die in einer ähnlichen Lebenssituation steckten, um sich gegenseitig zu unterstützen und auch miteinander zu lachen, wenn mal wieder alles schiefging: wenn man sich immer gerade dann übergeben musste, nachdem man die Wimpern getuscht hatte, wenn die Babys gleichzeitig gegen den Magen drückten und auf der Blase rumtanzten oder die Füße anschwollen und die schicken Schuhe nicht mehr passten.
Schließlich entdeckte ich Hashtags und merkte, wie praktisch sie waren, um etwas zu finden, was mich gerade interessierte. Ein weiterer Effekt war, dass sie sich auf die Reichweite auswirkten. Also nutzte ich auch welche: #mummy, #dickerbauch, #bestmoments, #lovethem und was mir sonst noch so einfiel.
Irgendwann reagierte tatsächlich jemand auf einen meiner Posts und schrieb einen Kommentar. Ich freute mich, antwortete sofort, und so entstanden erste unverbindliche Chats, die Spaß machten. Andere User kamen dazu, und ein echter Austausch begann. Es war spannend zu sehen, wie sich nach und nach ein kleines Netz an Gleichgesinnten bildete, dessen Teil ich war.
In dieser Zeit lernte ich über Instagram mehrere tolle Frauen kennen, die alle auch schwanger waren. An den Tagen, an denen der Schwindel sich in Grenzen hielt, verabredete ich mich und lernte so meine erste Freundin in Düsseldorf kennen. Es war ein tolles Gefühl, den Schritt hinaus in die reale Welt zu tun, offen zu sein und neue Menschen kennenzulernen. Jede dieser Frauen brachte etwas Einzigartiges mit, eigene Vorstellungen und Erfahrungen, jede ging anders mit ihrer Situation um. Und zugleich einte uns das, was uns an diesem Punkt in unserem Leben am allerwichtigsten war: Mutter zu werden.
All das ist Social Media: ein Ort, an dem Menschen aus den unterschiedlichsten Gegenden der Welt zusammenfinden, sich unter einem Hashtag versammeln und ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle teilen. Das hat eine ganz eigene Magie. Wenn wir alle es schaffen würden, diesen Ort frei von Negativität zu halten – das wäre fantastisch. Ein immenser Pool an Informationen, an Hilfsangeboten, an Unterstützung. An Empathie. An Menschlichkeit.
Einige meiner neuen Kontakte blieben unverbindlich, andere an der Oberfläche, doch wieder andere verknüpften sich zu einer echten Gemeinschaft, die andere und auch mich auffing. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht die geringste Ahnung, dass Instagram mein neues Berufsfeld werden würde. Dass Stories eines Tages die Soaps im Fernsehen ablösen würden, um die Menschen zu unterhalten. Dass Werbung auf eine völlig neue Art erfunden wurde, dicht an den Nutzenden, an echten persönlichen Erfahrungen. Ich wusste auch nicht, wie stark diese Gemeinschaft werden sollte. Dass ich einige ganz besondere Freundschaften schließen würde, mit Menschen, mit denen Hendrik und ich alles, wirklich alles teilen konnten. Auch dann noch, als es richtig abwärts ging.
Hendrik
Als Denise und ich Instagram für uns entdeckten, meldete ich mich mit dem Accountnamen fit_hendrik an an und nutzte die Plattform vor allem, um zu konsumieren und zu schauen, was sich im Bereich Fitness in Essen, Düsseldorf und überhaupt so tat. Meine Autoimmunhepatitis belastete mich zu dem Zeitpunkt nicht groß. Zwar hatte ich einen Schwerbehindertenstatus, aber ich wollte nicht permanent als „der Kranke“ gesehen werden, als derjenige „mit der Diagnose“. Viel mehr interessierte ich mich für Sport und Ernährung. Nach den vier Wochen im Krankenhaus hatte ich bald wieder zu trainieren begonnen. Ich machte einfach gern Sport, und online Gleichgesinnte zu finden, empfand ich als sehr bereichernd. Damals, im Jahr 2016, posteten die ersten Foodblogger ihre typischen Stapel Pancakes mit Blaubeeren drüber und andere ihre Low-Carb-Rezepte. Da bekam ich jede Menge Anregungen, selbst etwas Neues auszuprobieren, und kriegte Lust, meine fragwürdigen Kreationen auch mal zu posten. Wobei mir Letzteres zu dem Zeitpunkt nicht so wichtig war. Ich hatte einfach wenig Zeit neben
der Familie, der Arbeit und dem Sport. Ich fand es toll, wie Denise Account sich entwickelte und mit wie viel Fantasie sie bald schon gezielt Content herstellte. Denise ist der ehrlichste Mensch, den ich kenne, und wenn ich ihre Bilder sah und ihre mitfühlenden oder auch witzigen Antworten auf Kommentare las, überraschte es mich nicht: Sie war einfach so, wie sie ist. Da war nichts Künstliches in ihrer Art, sie verstellte sich nicht. Und das machte sie als Mensch wie als Instagrammerin für mich so besonders.
Über Social Media lernten wir auch immer mehr Leute kennen, freundeten uns mit einem Paar an, das ebenfalls Zwillinge bekam, und knüpften in Düsseldorf ein soziales Netz. Denise … Mit ihren Ohnmachtsanfällen jagte sie mir ganz schön Angst ein, auch wenn sie immer meinte, alles wäre halb so schlimm. Sie akzeptierte die Übelkeit, den Schwindel, die Rückenschmerzen und all das so selbstverständlich, eben weil sie das Ziel vor Augen hatte: unsere wachsende Familie. Es war verrückt: Wenn ich die kleinste Kleinigkeit hatte, mal einen Abend weniger aß oder mir etwas nicht mehr schmeckte, machte sie sich gleich Sorgen und hakte zehnmal nach, ob denn auch wirklich alles in Ordnung sei. Dann guckte sie mich an mit diesem Blick, den ich noch von Weihnachten her kannte. Als wollte sie mich genau scannen und sichergehen, dass ich bloß nicht wieder gelb wurde. Aber wenn es um sie selbst ging, wenn sie literweise Blut verlor, wie bei Josies Geburt oder jetzt nach der Punktion, da hakte sie es ab, als sei das gar nichts gewesen. Dann war ich derjenige, der sich extreme Sorgen um sie machte. Mit einem Unterschied: Ich ließ es mir nicht so anmerken, um sie nicht zusätzlich zu belasten. Denn das war für mich das Schlimmste an meiner Diagnose: dass es Denise so viel ausmachte. Es war schon verrückt mit uns beiden. Nie hätte ich gedacht, so im Leben ankommen zu können wie mit ihr. So glücklich zu sein, schon morgens beim Aufwachen. Vor Denise war mein Leben überschaubar gewesen, wie ein Bild mit klaren Konturen, Schatten, aber auch Licht und gelegentlichen Abenteuern irgendwo auf dem Globus.
Meine neue Arbeit in Neuss machte mir unglaublich viel Spaß. Wir wurden als Software-Experten zu Firmen geschickt, um deren Anforderungen und Bedürfnisse zu verstehen und diese umzusetzen. Es war genau das richtige Maß an Herausforderung, mit dem ich täglich konfrontiert war. Ich konnte gut mit den Kunden umgehen, sie abholen, ihnen das Gefühl geben, verstanden zu werden. Und dann ging es an die technische Ausarbeitung. Deshalb war jeder Tag voller Überraschungen. Zu Hause sorgten dafür allein schon die Kinder. Und alles war durchdrungen von Geborgenheit und Liebe.
DENISE
Die Zwillinge wuchsen, mein Bauch nahm nie geahnte Dimensionen an, und die Hitze in der Stadt setzte mir kreislaufmäßig ziemlich zu. Irgendwie zog der Sommer an mir vorbei, alles war anstrengend. Der Park, in dem wir im vergangenen Sommer so oft gepicknickt hatten, schien Meilen entfernt zu sein. Ich war viel allein, aber nie einsam. Wenn die Kinder aus der Schule und der Kita kamen, war sowieso jede Menge los. Und morgens schaute ich regelmäßig auf Instagram vorbei und tauschte mich mit anderen aus.
Die Leute stellten schnell fest, dass meine Familie für mich an erster Stelle stand. Dadurch sammelten sich immer mehr Mütter und Schwangere unter meinem Account, Gleichgesinnte, mit denen es immer etwas zu reden gab. Sie alle fieberten mit, wann es denn endlich so weit wäre mit den Zwillingen. Das überraschte mich, und es vermittelte mir ein total schönes Gefühl. Da waren teils völlig Fremde, die Anteil an meinem Leben nahmen und sich mit mir freuten, dass bald zwei winzige Menschen auf die Welt kommen würden. So viel Zuspruch und Anteilnahme hatte ich noch nie erlebt. Und ich spürte ja selbst, wie nah mir andere Leute waren, die ich nur über ihre Posts kannte. Natürlich gab es rundum auch viel Oberflächliches, mehr Schein als Sein, aber ich konnte ja darüber entscheiden, mit wem ich mich connecten wollte und mit wem nicht.
Ich plante nie groß, was ich postete, sondern folgte von Anfang an meinem Gefühl. Das Schöne war, dass meine Follower so positiv und so empathisch waren. Das war mir wichtig, ich wollte natürliche, auf Mitmenschlichkeit basierende Verbindungen schaffen und eine dramafreie Zone.
Bei Instagram gelang mir das, doch mein Körper hatte offenbar beschlossen, ordentlich einen draufzulegen, als er das Wort „Drama“ hörte. In der 35. Schwangerschaftswoche bekam ich eine Gesichtslähmung, eine sogenannte Fazialisparese. Der Facialisnerv entspringt dem Gehirn und steuert die wichtigsten Gesichtsmuskeln. Wenn er geschädigt ist, hat man Mühe, das Gesicht zu verziehen. Lächeln, die Stirn runzeln, die Nase krausziehen, die Lider schließen – all das geht plötzlich nicht mehr. Sogar die Fähigkeit zu sprechen kann beeinträchtigt sein.
Natürlich bekam ich einen ziemlichen Schreck. Ich hatte Mühe, zu essen und zu trinken, dabei hatte ich sowieso schon stark abgenommen, seit Ma-theo es sich in meiner Magengegend bequem gemacht hatte. Immer wieder stieß er mit dem Kopf gegen meinen Magen. Kein Wunder, dass ich kaum etwas runterbekam.
Die Gesichtslähmung war nichts, das von selbst verschwand, so wie mal ein Augenzucken. Ich bekam Angst, ich könnte einen Schlaganfall haben. Wir riefen gleich im Krankenhaus an. Dort klärte man uns über mögliche Ursachen auf. Ich hatte gar nicht gewusst, dass während einer Schwangerschaft das Risiko, eine Gesichtslähmung zu bekommen, um bis um das Dreifache erhöht ist. Gut möglich also, dass Stress der Auslöser war. Ich atmete auf – soweit Matheo das zuließ. Der Platz direkt unter meinen Rippenbögen hatte es ihm angetan, da waren Zwerchfell und Magen gleichzeitig in Reichweite.
Allerdings drängte der Arzt darauf, eine Magnetresonanztomografie zu machen, um andere mögliche Ursachen wie etwa einen Tumor oder einen Schlaganfall auszuschließen. Zwar kommt es beim MRT zu keiner Strahlenbelastung wie beim Röntgen, da das Körperinnere mithilfe von Magnetfeldern abgebildet wird. Aber es wird in einigen Fällen Kontrastmittel gespritzt. Und das kann das Risiko einer Totgeburt erhöhen.
Auf keinen Fall, sagten wir uns.
Der Arzt, der mich behandelte, riet dazu, die Zwillinge per Kaiserschnitt zu holen und anschließend das MRT zu machen. Ich hätte sie wirklich gerne auf natürlichem Weg geboren. Josie war auch ein Kaiserschnittbaby, ihre Geburt war knapp vier Jahre her. Ich fragte den Arzt, ob man die Geburt vielleicht einleiten könnte, doch er verneinte. Bei einer Zwillingsgeburt nach Kaiserschnitt wäre der Druck auf die Narbe zu groß. Also würde es eine geplante Geburt geben – und zwar schon am nächsten Morgen!
Uns war immer klar gewesen: Unser erster Sohn heißt Matheo. Der Name war sozusagen gesetzt, da führte kein Weg dran vorbei. Für uns hat er Persönlichkeit und klingt auch gut bei einem Erwachsenen. Für seine Zwillingsschwester hatten wir uns Mathilda ausgedacht. Ich hatte schon Ketten für den Kinderwagen und die Schnuller aus bunten Holzperlen und Buchstaben gebastelt und zeigte sie Hendrik. Mit einem Mal druckste er herum.
„Versteh mich nicht falsch“, sagte er. „Die Namen sind wunderschön. Die Ketten natürlich auch“, schob er gerade noch rechtzeitig hinterher.
„Aber?“
„Ich weiß nicht, klingt das nicht wie Christian und Christina?“
Ich so: „Oh, ja, stimmt.“
Hendrik hatte recht, da mussten wir eine Alternative finden. Mathilda, das war einfach so gekommen, aber eigentlich nur, weil es zu Matheo passte. Es war kein eigener, einzigartiger Name, den wir uns ausgedacht hatten.
Wir überlegten hin und her, und irgendwann, als wir schon auf dem Weg in die Klinik waren, beschlossen wir, dass unsere Tochter Ella heißen würde.
Kurz bevor es in den OP ging, kam die Ärztin zu uns.
„Wie sollen die beiden denn heißen?“, fragte sie.
„Matheo der Junge und Ella das Mädchen“, sagten wir einhellig.
„Oh, das ist ja schon die dritte Ella heute Morgen, und es ist erst acht“, rutschte es der Ärztin heraus.
Hendrik und ich sahen uns an. Das war wohl doch keine so einzigartige
Idee gewesen.
Aber der Name fühlte sich richtig an, wir blieben dabei.
Kaum lag ich auf dem OP-Tisch, trat die Narkoseärztin zu mir. Auch sie fragte nach den Namen.
Als ich „Ella“ antwortete, klang ich schon vorsichtiger. Sie aber strahlte und meinte: „Ach wie schön, meine Tochter heißt auch Ella!“
O Gott, was hatten wir getan!
Im Nachhinein aber sind wir glücklich, dass wir uns nicht beirren ließen. Es ist einfach der perfekte Name für unser inzwischen gar nicht mehr so kleines Mädchen.
* * *
Die Geburt der beiden war wunderwunderschön. Ich war so von Glückshormonen geflutet, dass all das, was dabei schiefging, einfach an mir vorbeidriftete. Im OP herrschte eine angenehme, ruhige Stimmung. Auch wenn es ein chirurgischer Eingriff war, handelte es sich schließlich um eine Geburt. Und es war kein Not-Kaiserschnitt, sondern ein geplanter.
Hendrik war die ganze Zeit an meiner Seite. „Wir kriegen gleich zwei Babys, ich kann das gar nicht glauben“, sagte ich immer wieder. Ich bekam eine Periduralanästhesie und war den ganzen Eingriff über bei Bewusstsein. Vom Schnitt spürte ich nichts. Als das Fruchtwasser abgesaugt wurde, bewegten sich die beiden. Ella wurde zuerst geholt, sie lag tief im Becken, dann Matheo. Er hatte sich irgendwie unter meinen Rippenbögen verkeilt, das dauerte ein bisschen, ihn da rauszubekommen. Die beiden waren zwar vier Wochen zu früh auf die Welt gekommen, doch sie atmeten eigenständig, die Lungen waren ausgereift – und sie waren kerngesund. Die Hebamme versorgte sie und wickelte sie in gelbe Badetücher.
Wir weinten vor Glück, als wir unsere Kinder im Arm hielten. Es sind Momente, die mir auch Jahre danach noch Glückstränen in die Augen treiben. Und wir hatten doch wirklich unglaubliches Glück!
Später im Aufwachraum hielt ich Ella im Arm und Hendrik Matheo. Ich hatte starken Durst und trank immer wieder, was nicht so einfach war mit meinem gelähmten Gesicht. Der Durst wurde einfach nicht besser. Plötzlich spürte ich, wie mein Gesichtsfeld sich verengte.
„Du musst Ella nehmen“, drängte ich Hendrik.
„Ich hab doch Matheo auf dem Arm“, erwiderte er.
„Nimm Ella, jetzt gleich. Ich glaube, ich werde wieder ohnmächtig“, sagte ich noch, da war Hendrik auch schon an meiner Seite. Behutsam legte er Matheo ab und bettete Ella auf seinem Arm. Ich spürte seinen besorgten Blick. Ich wollte ihn beruhigen, sagen, dass das bloß die normale Ohnmacht war. Wahrscheinlich war mein System durch die Aufregung der Geburt durcheinandergeraten.
Im nächsten Moment begannen die Geräte, an die ich zur Überwachung angeschlossen war, wie verrückt zu piepen. Unter das Piepen mischte sich augenblicklich das Geklapper von Holzsohlen: Es war die Narkoseärztin, sie rannte in ihren Clogs herbei. Durch den anderen Eingang kamen zwei Ärzte. Sie prüften die Anzeigen der Geräte und schlugen dann meine Bettdecke zurück. Jetzt brach Hektik aus. Mein Bauch war ganz dick, so als hätte ich die Babys noch gar nicht geboren. Der Uterus hatte sich nicht wieder zusammengezogen, und ich hatte offenbar Unmengen von Blut verloren.
Binnen Minuten war ich wieder im OP. Mir war ganz schwummerig, Angst kroch in mir hoch. Ich suchte den Blick der Narkoseärztin.
„Bitte, lassen Sie mich nicht sterben“, flüsterte ich. „Ich kann meinen Mann nicht mit vier Kindern allein lassen.“
Sie strich über meine Wange. „Reißen Sie sich zusammen, hier stirbt heute niemand.“
Sie sollte recht behalten, auch wenn mir die Ärzte später sagten, es sei knapp gewesen. Nur dank des medizinischen Fortschritts wären sie in der Lage gewesen, mich zu retten; zehn, zwanzig Jahre zuvor wäre ich verblutet.
Ich bekam sieben Transfusionen und hatte trotzdem einen katastrophalen Eisenwert. So abgemagert, wie ich war, so blass und dann auch noch mit dem gelähmten Gesicht war ich nicht gerade das Abbild einer strahlenden jungen Mutter. Die Verwandten, die zu Besuch kamen, erschraken, wenn sie mich sahen, das merkte ich genau. Auch wenn sie sich Mühe gaben, es vor mir zu verbergen. Aber das machte mir nichts aus. Innerlich war ich wie im Glücksrausch, und trotz allem, was passiert war, war es für mich die schönste Geburt gewesen. Knapp zehn Monate nach Hendriks Diagnose hatten wir unser Leben zurück.
Gegen die Gesichtslähmung bekam ich Cortison und musste täglich Übungen machen. Was die Ursache anging, war sich der Arzt nicht sicher. Er vermutete ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren: Da war der physische Stress der Zwillingsschwangerschaft. Die Mangelernährung. Und da war der psychische Stress. „Sie haben erfahren, dass Ihr Mann schwer krank ist“, sagte er. „Das steckt man nicht so leicht weg.“
Er hatte recht. Wenn ich wach war, drang mir das Glück aus sämtlichen Poren und alles ging mir leicht von der Hand. Ich war wochentags neun bis zehn Stunden allein mit den Kindern, während Hendrik arbeitete. Der Zwillingskinderwagen passte nicht in den Aufzug, und er durfte auch nicht im Hausgang stehen. Es war jedes Mal ein Riesenaufwand, wenn ich Josie zur Kita brachte oder abholte. Und natürlich war es viel Arbeit, gleich zwei Neugeborenen gerecht zu werden. Aber ich empfand es nicht so. Ich hatte ein Kind verloren, hatte die Erfahrung gemacht, wie fragil das Leben ist, das in einem heranwächst. Und so machte ich alles mit Liebe und Herz.
Hendrik
Es war ein unglaubliches Gefühl, plötzlich Vater von vier Kindern zu sein. Da war so viel Liebe und Dankbarkeit. Demut auch und Staunen. Und natürlich gab es jede Menge zu tun.
Alles, was nicht unmittelbar mit meiner Familie zu tun hatte, rückte nach der Geburt der Zwillinge erst mal in den Hintergrund. Wir wuchsen noch stärker zusammen – Denise und ich, wir zwei und die Kinder. Und die Kinder unter sich, vier Geschwister. Wenn ich sah, wie Tylie und Josie sich um Ma-theo und Ella kümmerten, musste ich oft an meine Schwester Anna denken. Ob sie auch so staunend an meinem Bettchen gestanden hatte? Mitgeholfen hatte, mich zu füttern und zu wickeln? Ob sie es auch nicht hatte abwarten können, bis ich größer wurde, sodass sie endlich mit mir spielen konnte?
Ich dachte auch an meinen Vater und an Alfons. Die Freunde vom Technischen Hilfswerk. Sie alle hatten mich ein Stück weit geprägt, hatten auf ihre Weise Einfluss auf meine Rolle als Vater. Ich wollte meinen Kindern nicht nur etwas beibringen und sie erziehen, ich wollte vor allem den Grundstein für eine tolle Beziehung legen, die hoffentlich ein Leben lang Bestand hätte. Auch später noch, wenn sie selbst erwachsen wären, wünschte ich mir, dass wir Zeit zusammen verbringen, etwas unternehmen und Teil im Leben des jeweils anderen bleiben würden. Voraussetzung dafür war, ihnen von Anfang an das Gefühl zu geben, dass ich immer für sie da war, ihnen Aufmerksamkeit schenkte, wenn sie sich mir mitteilen wollten, für sie sorgte und sie die Liebe spüren ließ, die ich für sie empfand. Natürlich musste ich auch mal streng sein. Doch vor allem sollten sie eine glückliche Kindheit haben.
An Anna hatte ich gesehen, wie schnell ein Leben enden kann. Auch meine Kindheit war mit ihrem Tod vorbei gewesen, ich war sehr schnell erwachsen geworden. Alfons’ Tod hatte das Ganze noch verstärkt und mir die Illusion geraubt, dass man Zeit hat, irgendwann sein Leben zu leben. Klar, man musste die Zukunft im Blick behalten, konnte nicht bloß in den Tag hineinleben. Doch erst einmal sollten meine Kinder ihre Fantasie entdecken und ausleben dürfen, sollten hoch hinauf auf Mäuerchen und Bäume klettern und wissen: Papa fängt mich auf.
Für Freundschaften und andere soziale Kontakte blieb in den Wochen nach der Geburt von Ella und Matheo wenig Zeit. Trotzdem hatten Denise und ich ab und an das Bedürfnis nach einem kurzen Austausch mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren. Da war Instagram ideal. Es entspannte mich, mal ein paar Minuten auf dem Sofa zu hängen und durch den Newsfeed zu scrollen, um zu gucken, was die anderen gerade so machten.
Wenn ich auf meinen Account ging, spürte ich, dass sich etwas in mir verändert hatte. Fitness war mir immer noch wichtig, klar, doch ich identifizierte mich aktuell viel mehr mit dem Vatersein. Also benannte ich meinen Account um, in fitdad _hendrik. Das passte zu mir, so sah ich mich. Als fitten Dad, der zwar gerade wenig Schlaf bekam und täglich ganze Windelberge bezwang, der aber mit nichts und niemandem tauschen würde. Mit Anfang dreißig schon vier Kinder zu haben, ist für ITler kein gewöhnlicher Lebensentwurf. Für mich aber war es der denkbar beste.
Der Gedanke, auf Social Media ein bisschen aus meinem Leben zu zeigen, gefiel mir. Und dann war da auch noch diese Mischung von Glück und Stolz, die so intensiv ist, dass man sich einfach mitteilen muss. Auch dafür war Instagram ein guter Kanal.
Die Geburt von Matheo und Ella hatten wir der Kinderwunschbehandlung zu verdanken. Das hatten Denise und ich noch nicht publik gemacht. Wa-rum eigentlich nicht, überlegte ich. Anfangs war es mir zu privat erschienen. Doch immer wieder hörten oder lasen auch wir Geschichten von Paaren, die darüber verzweifelten, dass sie nicht schwanger wurden. Monat für Monat die Enttäuschung, die Fragen nach dem Warum, die wachsende Sorge, dass es vielleicht nie klappen würde – das kann uns Menschen und auch eine Beziehung extrem belasten.
Irgendwann, als der Gedanke an ein weiteres Kind in uns reifte, sagte ich zu Denise: „Wir müssen uns doch nicht schämen, dass wir unsere Kinder dank künstlicher Befruchtung bekommen haben. Vielleicht können andere Paare, denen es ähnlich geht, ja aus unseren Erfahrungen Nutzen ziehen.“
Die Sorge, dass unsere Kinder das später mal seltsam fänden, hatten wir nicht. Wir liebten sie so sehr, und dass wir wirklich alles Erdenkliche dafür getan hatten, um sie zu bekommen, würden sie als Allererstes von uns hören.
Also verfasste Denise einen Post und erzählte, dass wir unsere Zwillinge der Kinderwunschbehandlung zu verdanken hätten.
Wir waren überwältigt, welchen Zuspruch wir bekamen. Als wäre ein Knoten geplatzt, tauschten die Leute sich aus, sprachen von ihren eigenen Erfahrungen in einer Kinderwunschklinik und rückten die künstliche Befruchtung raus aus der Tabuzone. Es passierte genau das, was wir uns gewünscht hatten: Aus Followern, die sich regelmäßig durch unsere Posts klickten, wuchs eine echte Community heran.
DENISE
Als die Zwillinge geboren waren, wurde es Zeit, meinen Account umzubenennen. Schließlich waren wir jetzt zu sechst. Hendrik und ich suchten einen neuen Namen. Und weil wir Instagram entdeckt hatten, während Matheo und Ella unterwegs gewesen waren, entschieden wir uns für mathellaslife.
In den wenigen freien Minuten freute ich mich darauf, ein paar Bilder von unserem Leben zu teilen und mich zu vergewissern, dass es den anderen werdenden Mamas gut ging. Zwei Dinge waren dabei für mich klar: Zum einen kamen für mich Hendrik und die Kinder immer zuerst. Zum anderen war mein Account zwar auf unser Familienleben ausgerichtet, aber ich wollte meinen Feed nicht auf dem Rücken der Kinder aufbauen.
Seit die Reichweite unserer Accounts wuchs, ist das Thema besonders wichtig geworden. Wenn mehr und mehr Content geteilt wird, gibt man ein Stück weit die Kontrolle über die eigenen Posts ab. Umso wichtiger ist es uns seither, die Kinder so weit wir nur möglich herauszuhalten und auch keine Bilder mehr von ihnen zu posten, auf denen ihr Gesicht zu sehen ist. Vielleicht läuft bei einer Story mal Ella durchs Bild, und man sieht kurz ihre Nasenspitze. Vielleicht sind im Hintergrund irgendwelche Händchen, Füße, Hinterköpfe oder auch mal eine Rückansicht drauf. Aber mehr wollen wir nicht zeigen. Hendrik und ich haben genug zu erzählen, wir müssen die Kinder nicht ständig zum Content machen.
Instagram war anfangs eine wunderbare Nebensache für uns, doch völlig überraschend wurde es weit mehr als das. Man lernt eine Menge Menschen kennen, wenn man auf Social Media unterwegs ist. Natürlich gibt es viel Oberflächliches, aber auch immer wieder schöne bis spannende Unterhaltungen. Man lacht zusammen, erfährt Dinge, die einen berühren. Das Fenster zur Welt ist weit, ganz weit geöffnet.
Und dann gibt es plötzlich diesen Moment, in dem ein Mensch in dein Leben tritt, der alles verändern wird. Die Freundin, die du dir schon immer gewünscht hast. Mit der du alles, wirklich alles teilen kannst und willst. Die du jede freie Minute anrufen kannst, der du mehrmals täglich schreibst, ihr Bilder schickst, den neuesten Quatsch erzählst, den die Kinder mal wieder angestellt haben, und auch deine heimlichen Gedanken und deine Träume anvertraust. Und das ist Randa für mich.
Ich hatte von Anfang an einen guten Draht zu randa_and_the_gang. Seither wächst unsere Freundschaft mit jedem Tag immer enger zusammen. Das liegt an ihrem wunderbaren Wesen, ihrer absoluten Verlässlichkeit, ihrer Tiefe, ihrem Humor. Es hat aber noch einen anderen Grund.
Wenn ein Mensch schwer krank wird, erlebt man immer wieder, wie andere sich abwenden: Bekannte, auch Freunde, enge Freunde. Sie können nicht mit den Themen Krankheit und Tod umgehen. Vielleicht wissen sie auch einfach nicht, was sie sagen sollen. Oder sie können und wollen nicht mitansehen, wie der andere um sein Leben kämpft und womöglich verliert. Dann machen sie sich rar, meiden Situationen, in denen man sich treffen könnte. Damit, so denke ich manchmal, tun diese Menschen sich selbst weh. Sie wissen ja nicht, ob sie jemals noch die Chance haben werden, das Ganze geradezurücken. Zu signalisieren: Du bedeutest mir viel, ich halte es kaum aus, dass es dir schlecht geht. Nur deshalb habe ich mich abgewendet.
Und dann sind da die Menschen, die tief betroffen sind, die wissen, wie schwer die Situation ist, wie knapp alles werden könnte. Und die trotzdem auf einen zugehen. Die bereit sind, ihre Zeit und Gefühle in den anderen zu investieren, auch wenn die Situation unsicher ist. Sie öffnen ihr Herz und machen sich damit auch verwundbar. Sie wollen alles, wirklich alles mit einem teilen, selbst die düsteren, die schweren Momente. Zu ihnen gehört Randa. Randa hat uns nie im Stich gelassen, und sie würde es auch nie tun. Im Gegenteil. Sie würde sich nachts um drei in Berlin in den Zug setzen, um am nächsten Morgen bei mir zu sein. Und umgekehrt. Das schweißt zusammen.
Ich bin Instagram unglaublich dankbar dafür, dass ich Randa dort getroffen habe. Ob wir uns sonst begegnet wären, im realen Leben? Sie in Berlin, ich in Düsseldorf, mit unseren Kindern? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Sie ist weit mehr als eine Freundin geworden, sie ist Familie. Und wer mich kennt, weiß, was das bedeutet. Zwischen uns beiden ist so eine Vertrauensbasis, dass ich ihr Hendrik und meine Kinder anvertrauen würde: das Kostbarste, was ich habe.
Als ich Randa kennenlernte, war Hendriks Gesundheitszustand stabil. Als wir uns das erste Mal auf einer Veranstaltung trafen, ging es ihm noch immer relativ gut. Doch er befand sich auf einer Abwärtsstrecke. Es war noch kaum spürbar, doch es ging bergab. Ein bisschen war es so wie ein Sturm, der sich zusammenbraut. Den man mehr ahnt als spürt. In der Ferne noch, doch man weiß, er kann mit jeder Sekunde über einen hereinbrechen, ohne jede Vorwarnung. Er wird Zerstörung mit sich bringen und Angst und
Albträume säen. Man hofft, dass nichts passiert, dass man trotz allem sicher ist. Zugleich aber weiß man, dass das Schicksal Hoffnungen ganz nach Belieben ignoriert.
In den Momenten, in denen mich die Angst packte, mir vor Augen führte, dass Hendrik sterben könnte, war Randa da. Sie hörte mir zu, wenn Panik aus mir sprach. Sie haute auch mal auf den Tisch und sagte: „Schluss jetzt.“ Viel öfter aber nahm sie mich in den Arm und versicherte mir:
Alles wird gut.