Die Warteliste

Das allseits bekannte und höchst tragische Problem bei der Transplantation als einzige Heilungsoption der fortgeschrittenen Leberzirrhose ist der massive Organmangel in Deutschland. Dieser führt dazu, dass nicht jeder Mensch, der ein Organ braucht, auch ein solches bekommen kann; die Organe müssen zugeteilt werden. Diese Zuteilung, auch Allokation genannt, erfolgt in Deutschland und weiteren europäischen Staaten über die Stiftung Eurotransplant, und zwar nach dem Prinzip der Dringlichkeit. Je höher das Risiko ist, kurzfristig zu versterben, desto früher soll man ein Organ erhalten. Um dies möglichst objektiv zu beurteilen, wird bei einer benötigten Leber durch Laborwerte der sogenannte MELD-Score
(Model for End-Stage Liver Disease) berechnet. Je höher dieser ist, desto schneller bekommen PatientInnen auf der Warteliste für eine Leber ein Spenderorgan.

PatientInnen, die auf der Warteliste stehen, sollten rund um die Uhr erreichbar sein und sich schnell im Transplantationszentrum einfinden können. Zum Zeitpunkt der Transplantation dürfen keine Infektionskrankheiten oder Tumorerkrankungen vorliegen, deshalb sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen für den Empfangenden auch während der Wartezeit wichtig.

Es ist sehr bedeutend, dass PatientInnen ihre allgemeine körperliche Verfassung so gut wie möglich halten. Der Zustand der PatientInnen vor einer Transplantation hat einen nachgewiesenen, unmittelbaren Einfluss auf das Ergebnis und die Überlebenschancen nach Transplantation. Deshalb empfehlen wir dringend, eine gesunde Lebensweise einzuhalten (ausreichende Bewegung zur Vermeidung von Muskelabbau, ausgewogene und proteinreiche Ernährung). Uns ist aber bewusst, dass dies für viele PatientInnen eine Herausforderung darstellt, weil bereits die Bewältigung des Alltags eine große körperliche und psychische Belastung bedeuten kann, und Appetitmangel, Übelkeit und wiederkehrende Komplikationen der Leberzirrhose das Umsetzen dieser Empfehlungen erheblich erschweren.

Der MELD-Score kann nicht die ganze Komplexität der Erkrankung darstellen; ein Teil der PatientInnen hat trotz schwerer Krankheit einen niedrigen MELD-Score – wie auch bei Herrn Verst. Wir haben ihn initial als jungen, sportlichen Mann kennengelernt, dem man seine Erkrankung kaum ansehen konnte. Doch im Laufe weniger Jahre baute er immer weiter ab, entwickelte Bauchwasser, wurde müde und abgeschlagen, verlor Gewicht und Muskelmasse. Die Laborwerte und somit auch der MELD-Score spiegelten diesen klinisch zweifelsfrei beobachteten Abbau jedoch nicht wider. In Fällen, bei denen der MELD-Score nicht der Schwere der Erkrankung entspricht, kann man einen gesonderten Antrag bei Eurotransplant stellen. Einen solchen Antrag haben wir auch für Herrn Verst geschrieben. Glücklicherweise wurde der Antrag bewilligt, sodass er über die Zeit wertvolle Punkte auf der Warteliste sammeln konnte.

PD Dr. med. Katharina Willuweit, Stellvertretende Direk-
torin und Leiterin der Nachsorge-Ambulanz Lebertransplantation

PD Dr. med. Jassin Rashidi Alavijeh, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter der Wartelisten-Ambulanz Lebertransplantation

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie & Transplantationsmedizin, Universitätsmedizin Essen