Es war fast Mitternacht. Als sie Gänsehaut auf ihren Armen spürte, ging Midge ins Haus, um nachzusehen, ob für diejenigen, die sich lieber drinnen aufhalten wollten, das Feuer im Wohnzimmer brannte. Diese Aufgabe oblag traditionellerweise ihr, Kenneth kümmerte sich um das Gartenfeuer. Im Moment hielten sich noch alle draußen auf.
Midge verweilte an der Schwelle, überblickte den kleinen Haufen und gestattete sich einen Moment der Genugtuung. Der Abend war wunderbar glatt gelaufen, und alle hatten ihn genossen. Ihr war bang gewesen, denn abgesehen von Tabitha und Delphine hatten nun Fremde zum ersten Mal die neuen Räume gesehen. Und sie hätte es sich zu Herzen genommen, wenn ihr Werk missbilligt worden wäre oder man den neuen Look als geschmacklos oder übertrieben empfunden hätte. Richmond Castle war so etwas wie eine Institution, und es einer Generalüberholung zu unterziehen war ein so mutiger Akt, dass sie kaum glauben konnte, ihn gewagt zu haben.
Aber alle hatten sich äußerst lobend geäußert, ganz besonders Clemmie Foxton und Blanche Larraby. Clemmies Geschmack war beispielhaft, und Blanche war von Natur aus traditionell eingestellt, weshalb die Zustimmung beider nur bedeuten konnte, dass sie es wohl richtig gemacht hatte.
Sie freute sich, dass Delphine und auch die Greenbows gekommen waren. Blue mit einem Verehrer zu sehen war seltsam, aber gewiss nichts Schlechtes. Kenneth war entzückt. Er wünschte sich so sehr, seine jüngere Tochter glücklich zu sehen, und für ihn bedeutete das die Ehe. Dorian war zweifellos eine charmante Gesellschaft. Aber ob er zu Blue passte? Midge war sich da nicht so sicher. Oberflächlich betrachtet war er eine gute Partie, aber Blue war eine gefühlvolle junge Frau. Wohingegen Dorian eher den Eindruck machte, als würde er das Leben so nehmen, wie es sich anbot. Was natürlich auch für Blue gut sein könnte, aber irgendwie konnte Midge sich nicht vorstellen, dass Blue ein ganzes Leben mit jemandem zubrachte, mit dem tiefschürfende vertrauliche Gespräche über die ihr wichtigen Themen nicht möglich waren.
Während sie ihre Blicke müßig über die kleine Versammlung schweifen ließ, konnte Midge ihren attraktiven Ehemann im ernsten Gespräch mit den anderen Männern sehen und die Greenbow-Damen plaudernd mit Merrigan. Tabitha sprach mit ihrem Bruder, und Fosters Miene sah für Midge ganz danach aus, als hätte ihn ein Hammerschlag getroffen. Er schien dem, was Tab zu ihm sagte, keinerlei Beachtung zu schenken, starrte wie ein Erfrorener in den »Obstgarten«, wie die Camberwells die fünf beieinanderstehenden Obstbäume im Zentrum der Wiese nannten. Sie folgte seinem Blick und sah Blue und Dorian in einer Umarmung vereint. Sie war erleichtert zu sehen, dass Blue sich gleich darauf von ihm löste und zu den anderen zurückkehrte, dicht gefolgt von Dorian. Aber Foster schien noch immer unter einem Bann zu stehen. Midge bekam es mit der Angst, es war nicht gut, eine Person derart anzuhimmeln. Das wusste sie besser als jeder andere.
Sie erinnerte sich an das, was Clemmie ihr anvertraut hatte. Heute hatten sie noch keine Gelegenheit gehabt, sich unter vier Augen zu unterhalten, doch es war auch das erste Mal, dass Midge Foster seit Blues Geburtstag wiedersah. Gab es an der Schule jemanden, der ihn drangsalierte? Vermisste er seine Musik? Oder war es tatsächlich nur Blues wegen?
Ein Windstoß so grau wie Spinngewebe kam angefegt und wehte Blätter und Staub in den Raum. Midge schauderte. Das letzte Aufbäumen des Herbstes. Ein Wechsel stand unweigerlich bevor. Sie fachte das Feuer an, bis die Flammen loderten.