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Als Mädchen zum Fluss zurückkehrte, hatte Er schon große Fortschritte beim Zerlegen des Kadavers gemacht. Er stand auf dem Eis und tauchte erneut seine Hände in das flache Wasser, um eine Keule herauszuziehen, die Mädchen auf dem Rücken zur Höhle tragen sollte. Obwohl er schnell und hart arbeitete, zogen die nassen Hände Wärme aus seinem Körper. Normalerweise würde er unter diesen Umständen nicht so auskühlen; es war ein Zeichen von Überlastung. Als Mädchen ihn erreichte, schlug er gerade die Hände gegen die Oberschenkel, damit das Blut wieder hineinströmte.

Mädchen hockte sich ans Ufer und rief: »Aruu.« Sie hockte lieber statt zu sitzen, da sie so mit dem Körper der Kälte und Feuchtigkeit fern blieb. Ihre dicken Beine und kräftigen Gelenke falteten sich mühelos zu einer Position zusammen, bei der eher die Knochen als die Muskeln das Gewicht ihres Körpers trugen. Hocken war eine bequeme Haltung zum Ausruhen.

Ihr Bruder ging Mädchen gegenüber ebenfalls in die Hocke. Sie nahm seine Hände in ihre und spürte, wie kalt seine waren. Obwohl er darauf geachtet hatte, sie immer nur kurz ins kalte Wasser zu tauchen, hatte die Kälte sein Blut verdrängt, und seine Haut war weiß und knittrig. Sie waren beide erschöpft von der Arbeit und ihrer Angst. Da Ers Hände die wichtigsten Werkzeuge waren, um den Kadaver zu zerlegen und in Sicherheit zu bringen, mussten sie äußerst sorgfältig behandelt werden. Die Notwendigkeit, Er zu wärmen, hieß, dass alle andere Arbeit zum Erliegen kam.

Krumm hätte nur einen Blick auf Ers Hände geworfen und für ihn den Kadaver zerlegt. Dann hätte Er die Wache übernommen, sich ausgeruht und ein Stück Fleisch gekaut. Das brauchte sein Körper jetzt: sein inneres Feuer wieder anzufachen und zum Lodern zu bringen. Aber so zog sich die Wärme aus den Enden seines Körpers zurück, um die wichtige Mitte zu schützen. Das war ein erstes Anzeichen von Gefahr. Wenn ein Körper seine Wärme aus den Fingern zog, würde er schon bald darauf die Wärme aus dem Kopf ziehen. Wenn das Blut sich aus dem Kopf zurückzog, um die Brust und den Bauch zu wärmen, würde der Körper anfangen zu frieren und müde werden. Mädchen wusste, dass ein Körper unvorhersehbare Sachen machen konnte. Sie glaubte, wenn er verrücktspielte, hatte das oft mit der inneren Wärme zu tun.

Aber sie waren nur wenige. Die Familie war so klein, dass sie beide weiterarbeiten mussten. Mädchen musste Ers Hände so gut wie möglich wärmen, und das auch noch schnell, denn sie durften das Bisonfleisch nicht verlieren. Also nahm sie seine Hände zwischen ihre und presste die Handflächen zusammen. Sie umfasste sie und hauchte gegen seine Haut. Das zeigte kaum Wirkung: In der Kälte konnte man Haut nur richtig wärmen, indem man die Hitze von innen entfachte, aber ihr heißer Atem wirkte Wunder in seinem Geist. Er schickte ein deutliches Signal vom einen Körper zum anderen. Sie begriff, dass ihm kalt war. Sie begriff, dass er hart arbeitete. Wohin der Geist geht, kann der Körper folgen.

Mädchen zog seine Hände auseinander und schob sie unter ihre Achseln. In Achselhöhlen ließen sich Hände gut wärmen, und ihre eigenen Achselhöhlen waren dafür besonders gut geeignet. Ihr breiter Brustkorb bot einen prächtigen Landeplatz, und jede Höhle unter ihren Muskeln konnte eine große Hand aufnehmen. Dazu sorgte eine dichte Behaarung dafür, dass die Wärme blieb.

Sofort wurde Er von Dankbarkeit durchflutet. Er schloss die Augen und legte den Kopf auf ihre Schulter. Ihre Knie berührten sich, seine Hände wurden wärmer. Zu anderen Zeiten würde er dasselbe für sie tun. Er atmete ihren Geruch ein, während sie ihn wärmte, und dieser Geruch erinnerte ihn an all die anderen Gelegenheiten, bei denen sie ihm geholfen hatte. Noch mit dem Kopf an ihrer Schulter öffnete er die Augen. In der Hockstellung zeichnete sich die weiche, blasse Haut ihrer geöffneten Schenkel vor dem schlammigen Ufer ab. Auf der Innenseite entdeckte er eine Schleimspur. Das war nicht weiter verwunderlich, wenn man ein Bison getötet und ausgeschlachtet hatte, aber irgendetwas daran fesselte seine Aufmerksamkeit.

Er schnüffelte. Das kam nicht vom Bison. Das kam von ihr. Sie war in der Hitze. Die Gerüche – feuchte Erde und frisches, neu sprossendes Gras – vermischten sich mit ihrer Wärme. Er lehnte sich zu ihr, um mehr davon zu bekommen. Er legte seinen Mund auf ihre Schulter und biss in die prallen Muskeln. Sie zuckte zusammen, wich aber nicht zurück. Stattdessen lehnte sie sich ebenfalls noch näher an ihn. Ihre Oberkörper trafen sich, und dann spürte er ihre starken Arme um seinen Hals.

Er hob ihre Hüfte an, sodass sich ihre Schenkel über seinen spreizten. Grunzend schob er sich hinein. Ein kurzes Schwanken, ein Ringen um Gleichgewicht, dann bewegte sie sich. Und das war richtig. Er spürte, wie ein Glühen wie von heißer Asche von seinem Becken ausging und sich im ganzen Körper ausbreitete. Er war erfüllt von der Hitze ihres Körpers, vom Rhythmus ihrer Bewegungen und vom Geruch der Erde um sie herum.

In ihnen kam das Land zusammen. Alles, was seine Sinne wahrnahmen – die Gerüche und Muster auf dem Sand, das Rauschen des vorbeiströmenden Flusses, das sachte Schwanken der Äste an den Bäumen –, wandte sich nach innen zu ihr hin. Anstatt das Land zu beobachten und auf seine Geräusche zu lauschen, war er mittendrin. Genau hier und jetzt wurde Mädchen das Land. Sie war es, die ihn nährte und am Leben erhielt. Sie bewegten sich gemeinsam. Es war warm, so warm, wie sie es noch nie erlebt hatten.

Mädchen hingegen spürte die ganze Zeit: Ich bin der Körper. Es war, als wäre sie wie nie zuvor mit der Familie verbunden. Aber sie fühlte sich auch erfüllt. Der Hunger, der in ihr genagt hatte, war endlich gestillt. Sie fand eine Möglichkeit, das Verlangen zu befriedigen, und würde es fraglos auch genießen. Sie schaukelte und drängte in einer Weise, die eher gezwungen als frei gewählt war. Nach einem Jahr hungriger Unruhe hatte sie endlich einen Weg gefunden, satt zu werden. Und ihr Appetit war wie immer gewaltig.

Nachdem es beendet war, verharrten sie so, mit Mädchens Beinen um seine Taille. Wenn sie einatmete, füllten sich seine Lungen ebenfalls mit Luft und atmeten dann wie eine Antwort aus. Friede senkte sich über sie. Das Land schien zu bemerken, was vor sich ging. Die Kiefernzapfen fingen an zu vibrieren, die Vögel zwitscherten, die Bärin regte sich und öffnete ein Auge, und die jüngsten Dachse quietschten neugierig.

Mädchen zog sich zurück und wich Ers Blick aus. Als sie stattdessen auf seine Schulter schaute, überkam sie der Drang hineinzubeißen. Nicht nur sanft, sondern herzhaft. Und da wurde ihr klar, dass sie ein Vielfraß war und schon bald mehr wollen würde. Besorgt merkte sie, dass dieser Drang so stark wie ihr Hunger war und das eigentliche Problem in der dauernden Anwesenheit bestand. Er meldete sich bereits wieder.

Ihr Bruder hob die Hand und zeigte ihr seine Handfläche. Als sie es ihm gleichtat, drückten sie ihre Handflächen zusammen. Angesichts der Umstände eine merkwürdig steife Geste.

Aber Mädchen war unruhig. Für eine ganze Weile hatten sie nicht aufgepasst. Hatten nicht mit hochgezogenen Oberlippen den Wind geprüft, mit den Augen die Landschaft überflogen und die Ohren gespitzt. Die beiden Stärksten in der Familie waren unachtsam gewesen und hatten damit die anderen ohne Schutz gelassen. Das war gefährlich.

Die grausame Wahrheit war, dass sie nicht mehr in Sicherheit waren, obwohl in diesem Augenblick keine Gefahr drohte. Der Leopard, das junge Männchen, das immer am Rand ihres Landes herumschlich, war auf einen Felssims gestiegen, den er als Aussichtspunkt nutzte. Von dort aus hatte er die Furt beobachtet. Das tat der junge Leopard, weil er seine Mutter während der Eisschmelze verlassen hatte. Sie hatte ihm das Jagen beigebracht, so gut sie konnte. Sie hatte ihn und seinen Bruder sogar ein zusätzliches Jahr bei sich geduldet, um ihre Fähigkeiten zu verbessern, aber als sie erneut trächtig wurde, war es Zeit für ihn, sich allein durchzuschlagen.

Wieder und wieder hatte seine Mutter ihn und seinen Bruder mit gefletschten Zähnen verjagt. Der Leopard hatte sie nicht verlassen wollen. Er kannte nichts anderes als ihre Fürsorge und die Fleischbrocken, die sie ihm gab. Für einen jungen Leoparden, und vor allem für ein Männchen, war das erste Jahr allein besonders gefährlich. Ein Männchen musste sich ein eigenes Territorium sichern. Dieses Stück Land musste groß genug sein, um seinen Körper mit einer ausreichenden Menge Fleisch zu versorgen. Seine Bedürfnisse waren denen der Familie sehr ähnlich.

In gewöhnlicheren Zeiten hätte ein Leopard seiner Größe nie daran gedacht, die Familie anzugreifen. Die Furcht vor Zweibeinern, die Steine als Klauen und Speere als Zähne benutzten, war ihm eingeprägt worden. Als er einmal mit seiner Mutter unterwegs gewesen war, hatten sie gespürt, dass eine Familie nahte, und seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie lange vor einer Begegnung kehrtmachten und in eine andere Richtung gingen. Für seinesgleichen endete der Versuch, sich ihnen zu nähern oder gar in ihr Territorium einzudringen, oft mit dem Tod.

Bei den meisten Spezies bemerken die weiter unten in der Hierarchie Verschiebungen bei denen weiter oben sehr schnell. Als der Leopard auf die Familie traf, hatte er ihre Gewohnheiten studiert. Zu diesem Zeitpunkt des Frühlings kannte er bereits ihre Fähigkeiten und Stärken, aber vor allem ihre Schwächen. Als er die beiden Stärksten in der Gruppe grunzen und keuchen hörte, begab er sich zu seinem Aussichtspunkt, um einen Blick auf sie zu werfen.

Der Leopard versuchte nicht, das Geschehen zu deuten. Er beobachtete die beiden nur und erkannte, dass sie nicht auf sich aufpassten. Für einen jungen männlichen Leoparden, der ein Territorium brauchte, das seinen Körper mit ausreichend Fleisch versorgte, damit er wachsen und sich paaren konnte, lag genau darin eine winzige Chance.