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Der Winter tobte weiterhin vor dem Bau. Mädchens Herz schlug immer langsamer. Wie dicker Schleim bewegte sich ihr Blut durch ihre Adern. Sie hatte nichts mehr zu essen. Da ihr Körper keine Nahrung bekam, zehrte er sich selbst auf. Nicht Liebe trieb einen Körper zum Leben an, sondern Hunger.

Als sie nahezu kein Fleisch mehr am Körper hatte, waren ihre einst mächtigen Oberschenkel so dünn wie dürre Zweige. An ihnen konnte kein Laub wachsen. Die Wurzeln konnten den Boden nicht erreichen. Vor der Höhle war die Sonne schwach und fern. Die Wiesen würden weiterhin unter der dichten Schneedecke schlafen. Es würde keine Bisons, keine Hufabdrücke, keinen süßen Gestank geben. Die Fische würden unter dem Eis leben, wo kein Bär an sie herankam. Um sie herum war das Land öd und leer. Ohne Familie. Sie stellte sich vor, sie wäre auf dem Mond.

Mädchen wusste, sie war dem Tode nahe. Er lockte sie. Wie Große Mutter spürte sie, der lange Schlaf in der Erde würde eine Erleichterung sein. Endlich würde sie sich ausruhen können. Doch sie wusste noch etwas anderes. Niemand hatte einen Nutzen, wenn ihr Körper in der Erde lag. Sie war die Einzige, die überlebt hatte und wieder Nachwuchs bekommen konnte. Sie war jetzt die ganze Familie.

Obwohl Mädchen von außen betrachtet wie tot wirkte, verströmte ihr dünner Körper – der wie eine Ansammlung von dürren Zweigen unter dem Baum lag, wo nur die Toten ruhen – immer noch Wärme. Hätte ein sorgfältige Beobachter sich die Mühe gemacht, seine Wange an ihre Lippen zu halten, hätte er einen ganz schwachen Atemhauch gespürt, der noch immer Spuren von Wärme enthielt. Ein scharfes Auge hätte vielleicht das Zucken ihrer Nase bemerkt, die sachte Bewegung ihrer Härchen, die die Luft erspüren wollten.

Ein Lichtstrahl traf ihre Haut. Mädchen öffnete einen Spalt breit ein Auge und dachte, sie würde unter der Erde liegen und daraus hervor nach oben blicken. Vielleicht hatte ein Dachs ihren Körper ausgegraben, oder eine der Hyänen wollte an ihrem Kadaver nagen. Ganz kurz flackerte das Licht. Ihre Sicht war verschwommen, aber sie erkannte, dass sie auf das Türleder schaute. So lange hatte der Himmel die Farbe von Schnee gehabt. Wolken hatten die Sonne verdeckt. Jetzt strömte Licht von der Sonne. Und der Himmel draußen war blau.

Mädchen mühte sich auf. Ihr Körper, der nun von den Bedürfnissen des Babys befreit war, konnte sich besser von sich selbst ernähren als zuvor. Sie war zwar nicht gerade stark, aber etwas war zurückgekehrt – der Lebenswille, ein Funke, der aufblitzte wie eine Fackel in der Ferne. Und sie spürte Wärme. Das Wetter war umgeschlagen und bot ihr eine letzte Chance.

Leise und vorsichtig griff Mädchen nach den Hörnern, die ihre Mutter getragen hatte, und befestigte sie an ihrem Kopf. So wurde aus Mädchen Große Mutter.