Am Freitagabend stießen Simon und ich zum Team, das sich am Lagerfeuer versammelt hatte. Die meisten von ihnen machten übers Wochenende Pause und fuhren in den Ort. Der nächste Tag sollte mein letzter an der Ausgrabungsstätte sein; am Sonntag würden Simon und ich zurückfahren. Er und ich saßen zusammen auf einer Bank. Während er sich im Kreis der Leute umsah, von denen er so viel gehört hatte, rieb er mir die Schultern. Andy spendierte Bier, und einer der Studenten holte einen Flachmann heraus. Der wurde herumgereicht, und jeder freute sich, einen Schluck daraus zu nehmen und dann mit hervorquellenden Augen aufzukeuchen. Simon trank zwei Schlucke. Ich wedelte abwehrend mit der Hand und reichte den Flachmann an Andy weiter, der etwas Platz in seiner Dose Dr. Pepper hatte und ein kleines Spektakel draus machte, als er den Whisky hineinkippte. Sofort ertönte rund ums Feuer ein kollektives »Ey!«. Daraufhin gab er den Flachmann an Caitlin weiter, doch die bedeckte ihren Becher Tee mit der Hand. »Ich sollte zum Wagen, bevor es dunkel wird.«
»Ich bringe Sie.« Simon stand auf. Er schien begierig, sie zu begleiten; vielleicht weil er wusste, dass ich mich erst nach ihrem Abgang würde entspannen können.
»Wir sehen uns morgen Nachmittag, Rose«, sagte sie und drückte mir mit ihrer kalten Hand die Schulter. Was sie meinte, war unser abschließendes Übergabemeeting.
Ich nickte nur.
Simon geleitete Caitlin den Pfad vom Lager hinunter zu dem Schotterparkplatz. Wir anderen sahen ihnen nach. Nach kurzem allgemeinem Schweigen unterdrückte Michael, Praktikant und jüngstes Mitglied des Teams, ein Lachen.
»Sagen wir einfach mal, sie macht sich nie locker.« Andy hob seine Dose und nickte Michael zu. Die anderen fühlten sich mutig genug zu kichern.
»Ich finde nicht, dass wir über Caitlin lachen sollten«, bemerkte Anais, eine Postdoktorandin, die mich beeindruckte. »Schließlich ist sie aus gutem Grund so diszipliniert.«
»Und der wäre?«, fragte Andy, stets bereit, mir die Drecksarbeit abzunehmen.
»Sie hatte in Kenia einen Nervenzusammenbruch.« Anais sah mich an. »Das wissen wir doch alle, oder?«
»Ich kenne sie nur rein beruflich«, antwortete ich.
»Ich hab davon gehört«, meldete sich Michael. »Es heißt, sie wäre zu lange draußen im Busch gewesen und hätte dabei den Verstand verloren.«
Anais legte ihm die Hand auf den Arm und rief vorwurfsvoll: »Michael!«
»Was denn, stimmt das etwa nicht?« Michaels Blick huschte zu mir, seiner anerkannten Chefin. »Oh, Mist, Rose. Tut mir leid, bist du jetzt angefressen?«
»So zart besaitet bin ich nun auch nicht, Michael. Aber danke, dass du so besorgt um mich bist.«
»Ich wollte ihr Geheimnis nicht ausplaudern …«
»Die eigene Vergangenheit ist reine Privatsache.«
»… oder dich wütend machen, schon gar nicht, wo du doch schwanger bist.« Michael ritt sich immer tiefer hinein. »Ich meine, ich sollte nur nicht … du bist ja schwanger … sorry.« Er kam ins Stottern: »Du läufst immer noch schneller als ich.«
»Ganz genau«, erwiderte ich, »und ich habe größere Brüste.«
»Ich frage mich, ob sie wegen ihres Zusammenbruchs nicht mehr draußen vor Ort arbeitet«, bemerkte Andy. »Ich habe ihr Buch über die Gibbons gelesen. Das ist zwar überholt, aber richtig gut. Vor Kenia war sie in Bestform.«
Peinlich berührt lehnte sich Anais etwas unbeholfen vor. »Ich fühle mich schrecklich, als hätte ich gerade verraten, dass sie geisteskrank ist oder so.«
»Wir alle haben eine Vergangenheit«, antwortete Andy freundlich und zuckte die Achseln.
Sie hob ihre Bierdose. »Darauf trinke ich.«
Gerade als der Flachmann ein zweites Mal herumgereicht wurde, tauchte Simons Gesicht wieder zwischen den anderen auf. »Was habe ich verpasst?«
Nach einer Stunde unverfänglichen Plauderns verließ das Team das Lager, um zurück in den Ort zu fahren. Andy, Simon und ich hatten uns bereit erklärt, in den Zelten zu übernachten, damit die anderen genug Platz in den Wohnungen hatten. Zwar kamen Einwände auf, dass eine Hochschwangere nicht im Zelt schlafen sollte, aber die wehrte ich ab und beteuerte, ich fände das gemütlich. Das stimmte zwar nicht, aber ich konnte mich immer noch nicht von der Ausgrabungsstätte lösen.
Kurz darauf kroch ich in meine Schlafkoje. Andy und Simon blieben noch bis spät in die Nacht auf. Als ich einschlief, hörte ich, wie Andy am Feuer von Patricia erzählte. Patricia, Patricia, Patricia. Seiner Frau. Ich dachte daran, dass er sie mir gegenüber so gut wie nie erwähnte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich verwirrt und durstig. Hatte ich am Abend zuvor eine wilde Party gefeiert? Ja, aber ich hatte nichts getrunken. Es war mein letzter Tag an der Ausgrabungsstelle. Simon und ich würden bald nach London zurückfahren. Panik ergriff mich. Mein Geist kam in Bewegung, aber mein Körper wollte ihm nicht folgen.
Ich versuchte, mich aufzusetzen, stellte aber fest, dass ich in der engen Schlafkoje nicht hochkam. Simon schlief in der anderen Koje; hätte er sich zu mir gelegt, hätte ich ihn wohl zerquetscht. Offenbar hatte Andy im anderen Zelt übernachtet. Ich beschloss, Simon schlafen zu lassen, um noch mal zur Ausgrabungsstätte zu gehen, bevor er anfing, mich Richtung Wagen zu bugsieren. Geistesabwesend rieb ich mir über die linke Leiste. Meine Bänder wurden weicher, um Platz für das Baby zu machen. Und dann war da noch das Problem mit meinen Lippen. Sie waren geschwollen und rissig. Von meiner Unterlippe drückte sich spitz ein Hautfetzen in meine Oberlippe. In dieser Gegend war es im Sommer zwar heiß, aber jetzt erinnerten mich die Bedingungen wirklich an meine Zeit in der Wüste Gobi. Noch nie hatte ich mich so ausgedörrt gefühlt.
Ich wusste auch ohne Abschluss in Biologie, dass ich am Vortag nicht genug getrunken hatte. Das Problem war nur, dass jeder Schluck Wasser meine Blase daran erinnerte, dass ein Baby darauf lastete. Und da ich an der Ausgrabungsstätte nicht pinkeln durfte, müsste ich kostbare Zeit verschwenden, wenn ich auf die Latrine ging. Also war meine Lösung gewesen, weniger Wasser zu trinken – gerade genug, um dem Baby zu geben, was es brauchte. Da mein Körper weniger Flüssigkeit bekam, griff er auf andere Ressourcen zurück, damit das Baby gesund blieb, was ja auch gut so war. Zumindest versuchte ich, mir das einzureden. Mein Körper hatte ein eindeutiges Ziel – ein Kind geburtsreif werden zu lassen –, aber nun schien er sich gegen mich zu wenden. Waren mein Körper und ich noch eins?
Ich griff mit beiden Händen an die Metallseiten der Schlafkoje, schwang meine Beine über den Rand und stieg vorsichtig aus, um Simon nicht zu wecken. Als ich das tat, veränderte das Baby seine Position, und ich verspürte einen scharfen Stich. Mir stockte der Atem, aber dann schaffte ich es, den Druck auf den Nerv in meiner linken Hüfte zu verlagern. Meine persönlichen Sachen waren dort, wo sie hingehörten: Meine Arbeitskleider hingen an Nägeln, die in das Holzgestell des Zelts gehämmert worden waren, mein treuer Laptop befand sich unter einer Staubschicht auf meinem überfüllten Schreibtisch, mein Werkzeuggürtel mit der Erweiterung für den wachsenden Bauch wartete auf dem Boden auf mich. Aber jetzt war alles anders – ich würde sie nicht mehr benutzen.
Auf einer Holzkiste neben meiner Koje stand eine Flasche Wasser, die offensichtlich noch kalt war, denn Kondenstropfen perlten daran herunter. Ein Zeichen, dass Andy hier gewesen war. Mühsam streckte ich den Arm aus, ergriff die Flasche und trank. Zwar hatte ich Andy schon vorher geschätzt, aber als ich die Flasche geleert hatte, betete ich ihn geradezu an. Auf der Kiste befand sich auch eine Plastikbox, fest versiegelt, um Schädlinge fernzuhalten. Darin warteten ein Apfel, ein Müsliriegel und ein kleines Stück Schokolade. Andys langjährige Ehe war ein gutes Training gewesen. Er konnte ganz wunderbar meine Bedürfnisse erspüren oder voraussehen. Ich blickte zu Simon, der sich im Schlaf zusammengerollt hatte. Obwohl wir eine enge und gute Beziehung hatten, waren wir beide doch ziemlich autark geblieben. Wenn ich Hunger hatte, holte ich mir was zu essen und aß. Das gleiche erwartete ich auch von ihm. Keiner von uns wollte das anders haben. Aber Schokolade? Sehr nett von Andy.
Ich nahm weder klapperndes Frühstücksgeschirr wahr noch den Geruch von Kaffee, der auf dem Campingkocher warm gehalten wurde, aber dann fiel mir ein, dass Samstag war. Ich setzte mich und strich mir durchs Haar, das völlig verstaubt und vom Schlaf platt auf einer Seite am Kopf klebte. Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, es war neun Uhr. Nachdem ich etwas gefrühstückt hatte, setzte ich mich in Bewegung. Vielleicht konnte ich heute noch ein bisschen graben? Ich hatte eine besondere Stelle rund um die Halswirbelsäule markiert, wo sich ein Gegenstand abzeichnete, der vielleicht handgemacht war. Ich brannte vor Neugier und wollte unbedingt erfahren, was es war. Zwar war mir klar, dass ich an nur einem Tag keine großen Fortschritte würde machen können, aber meine Karriere war bisher immer mit Hindernissen gepflastert gewesen, und nur meine Bereitschaft, alle Zweifel beiseitezufegen, hatte mich so weit gebracht. Jetzt wollte ich unbedingt wissen, was das für ein Gegenstand war. Unbeholfen watschelte ich zu meiner Hose, die gewaschen und gefaltet auf mich wartete.
Wie konnte es sein, dass ich quasi über Nacht einen so mächtigen Bauch bekommen hatte? Ich zwängte meine wurstigen Beine in meine Arbeitshose und zerrte an dem Gummiband, mit dem ich den Hosenbund zusammenhielt. Ich hatte es durchs Knopfloch gefädelt und wollte es um den Knopf haken, damit der Hosenschlitz so weit wie möglich geschlossen war. Während ich daran zerrte, schnappte das Gummi gegen meine Finger zurück und flog weg. Ich sah mich nach einem anderen um, konnte aber keines finden. Mein Hosenschlitz stand weit offen.
Vor langer, langer Zeit hatte ich den Entschluss gefasst, niemals bei der Arbeit zu weinen. Zwar waren Tränen eine natürliche Reaktion auf Widerstände, doch meiner Meinung nach verstärkte Weinen die negativen Vorurteile, dass Frauen nicht in der Lage seien, mit schwierigen Situationen umzugehen. Also hatte ich während all der Irrungen und Wirrungen, die eine akademische Laufbahn mit sich brachte, keine einzige Träne vergossen: nicht in der Türkei, als an der Ausgrabungsstätte eine große Palette vom Lieferwagen rutschte und mir den Fuß brach. Und auch nicht, als einer der externen Gutachter meiner Doktorarbeit mich noch mal um zwei Jahre zurückwerfen wollte, weil er die neuen Datierungsmethoden in Frage stellte. Weder als ich auf einer großen Konferenz öffentlich von einem bekannten Wissenschaftler verspottet wurde – »Sie klingen ja, als würden Sie sich am liebsten mit einem von Ihren Neandertalern anfreunden«, hatte er bei einer Fragestunde bemerkt –, noch als daraufhin der gesamte Saal in nervöses Gelächter ausbrach und die Bemerkung genau das bewirkte, was sie sollte: nämlich dass all meine Ausführungen diskreditiert wurden. Alles habe ich mit Fassung ertragen.
Ich habe nicht ein einziges Mal bei der Arbeit geweint – bis ich kein zweites Gummiband fand, um meine Hose zu schließen. Dieser Umstand allein bewirkte nun, dass ich anfing, lautlos zu schluchzen. Ich schaffte es, mir auf die Lippen zu beißen, um Simon nicht zu wecken, und hoffte, man würde mir die Tränen nicht ansehen, aber dann hörte ich draußen Schritte.
»Rose?«
Ich zögerte, zog die Nase hoch und biss mir noch stärker auf die Unterlippe.
»Rose?«
Andy. Glücklicherweise war es nur Andy.
»Hallo? Ich suche nach Dr. Rosamund Gale?«
»Hi, Andy«, sagte ich schwach.
»Was …« Simon rollte sich in seiner Koje herum.
»Bist du schon auf?«, fragte Andy.
»Ja«, sagte ich.
»Hast du was gegessen?«
»Ja, Mama.«
»Jetzt fang nicht mit deiner Mutter an. Sie hat schon zweimal angerufen.«
»Wo bin ich?«, tönte es erschrocken aus Simons Koje.
Da ich nicht wollte, dass er mich vom Arbeiten abhielt, riss ich mich zusammen, wischte mir die Augen mit dem Ärmel ab und zog meine Boots an. Mit einer Hand schnappte ich mir meinen Werkzeuggürtel, schob mit der anderen die Zelttür zur Seite und stürzte nach draußen auf Andy zu. Der trat instinktiv einen Schritt zurück, als ich aus dem Zelt platzte. »Rose?«
»Haben wir einen Spanngurt?«
»Ja, irgendwo.«
»Den brauche ich. Ich will nur noch etwas an der Ausgrabungsstätte erledigen.«
»Ich wollte dich holen, Rose. Caitlin ist da.«
»Was? Wo?«
»Ich weiß … Überraschung!« Er zeigte zur Höhle. »Sie ist schon rauf.«
»Ohne mich?«
»Sie nahm an … du würdest schlafen, weil sie Schnarchen gehört hat.«
»Das war Simon«, sagte ich.
»Hey, ich schnarche nicht«, kam ein gedämpfter Protest aus dem Zelt.
»Caitlin ist in der Höhle?« Ich eilte zum Pfad hinauf. »Du hättest mich sofort holen sollen.«
»Caitlin meinte, du bräuchtest Ruhe«, gab er zurück.
»Wir treffen uns oben«, bellte ich. Allein bei dem Gedanken, dass jemand ohne mich zur Ausgrabungsstätte ging, geriet ich in Rage. Und dann auch noch eine Primatologin! Caitlin war an erster Stelle Vertreterin des Museums und erst an zweiter Stelle Projektleiterin. Die Ausgrabungsstätte besuchte sie äußerst sporadisch und war insgesamt nur wenige Wochen vor Ort gewesen. Sie schien wesentlich mehr am Zeitplan und der Logistik als an den eigentlichen Ausgrabungen interessiert zu sein. Obwohl ich Caitlin nicht besonders gut kannte, hatte sie nicht den nötigen Hintergrund, um meine Deutung des Funds wirklich einschätzen zu können. Derjenige, der die Kontrolle über eine Ausgrabungsstätte hatte, hatte Einfluss darauf, wie die Funde von Experten beurteilt und schließlich von der Öffentlichkeit gesehen wurden.
»Bring noch mehr Schokolade mit«, rief ich zurück, während ich mich schwer atmend an den Aufstieg machte.
»Du solltest noch etwas wissen …«, brüllte Andy.
Ich blieb stehen und drehte mich um.
»Sie hat einen Journalisten bei sich.«
»Bring mir einen Spanngurt!«
»Von National Geographic, glaube ich …«
»Vielleicht kannst du auch eine deiner Hosen mitbringen!«, brüllte ich zurück.
Bevor ich mich wieder umdrehte, sah ich noch, wie Simon den Kopf aus dem Zelt steckte und Andy einen verwirrten Blick zuwarf. Dann hörte ich ihn fragen: »Sie will eine Hose von dir?«
Mir sank das Herz, als ich um die letzte Kurve des Pfades bog und sah, dass die Plastikplane vor der Höhle beiseitegeschoben worden war. Sie waren hinein gegangen, was schon schlimm genug war, hatten aber außerdem nicht mal die Plane wieder vorgezogen. Damit war die Höhle allen möglichen Verunreinigungen ausgesetzt, die die Ausgrabungsstätte gefährden konnten. Und mir kam das wie ein böses Omen vor. Ohne größte Vorsichtsmaßnahmen gegen Kontaminationen bestand die Gefahr, dass die Funde als nicht eindeutig beurteilt wurden. Möglicherweise galten sie dann als verunreinigt oder wurden gar als Beweis gegen meine Erkenntnisse und nicht für die Antworten benutzt, die ich meiner Überzeugung nach gefunden hatte.
»Was zum Teufel macht ihr da!«, brüllte ich.
Ich sah, dass Caitlin und ein Mann in der Höhle standen. Am liebsten wäre ich hineingestürzt und hätte sie verscheucht, aber mit meinem dicken Bauch war einfach nicht genug Platz. Würde ich einen von ihnen ungünstig schubsen, könnte dabei ein Artefakt beschädigt werden. Caitlins grauer Pferdeschwanz zuckte, als hätte sie sich erschreckt. Das wollte ich auch hoffen!
Caitlin kam als Erste heraus. Sie wirkte leicht verlegen und blinzelte ins Morgenlicht.
»Ich muss die Kontrolle über die Ausgrabungsstätte behalten«, sagte ich mit geballten Fäusten. »Sowohl über die Höhle hier als auch über die Deutung der Funde.«
»Ja, das hast du mehr als deutlich gemacht«, erwiderte Caitlin und hob wie zur Kapitulation die Hände. Ganz offensichtlich wollte sie jetzt nicht darüber debattieren. »Ich versuche nur zu helfen.«
»Indem du die Ausgrabungsstätte gefährdest?«
Sie warf dem Mann, der hinter ihr aus der Höhle auftauchte, einen entschuldigenden Blick zu. »Ich weiß, du wolltest morgen fahren, Rose. Ich hoffe, unsere Finanzierung ist gesichert, damit du in der Gewissheit gehen kannst, dass alles in Ordnung ist.« Sie wies nickend auf den Mann neben ihr. »Fred ist ein guter Freund, dem man vertrauen kann. Ich habe ihn hergebracht, um für unsere Sache einzutreten.«
»Und Neuigkeiten durchsickern zu lassen?«
»Es geht um den Nachrichtenwert der Ausgrabungsstätte. Das Museum vertraut auf Freds Meinung.«
»Aber sicher doch.«
»Wir haben schon in der Vergangenheit so zusammengearbeitet. Erinnerst du dich an die Gibbons in Sansibar? Durch Freds Artikel in seiner Zeitschrift bekam ich genügend Unterstützung, um mehr finanzielle Mittel aufzutreiben.«
»Dir ist die Vermarktung wichtiger als die Forschung.«
»Wenn es nur ausschließlich um Forschung ginge, Rose! Wir wissen doch beide, dass es auch um den Showeffekt geht. Die Einsparungen trafen uns im Primatenschutz zuerst, aber jetzt trifft es auch die Archäologie.«
»Dies hier sind keine Gibbons!«, zischte ich.
Sie zuckte zusammen und warf dem Journalisten ein verkrampftes Lächeln zu. »Wenn du uns kurz entschuldigst, Fred?«
Als er sich ein Stück entfernt hatte, ergriff Caitlin meinen Arm. »Ich möchte doch um etwas mehr Professionalität bitten.«
»Ich verhalte mich professionell.«
»Du wirkst etwas unbeherrscht. Und du zitterst.«
Da erst bemerkte ich, dass mir tatsächlich die Hände zitterten. Ich war so wütend, dass es sich anfühlte, als liefe ein Motor auf Hochtouren in mir. »Bei allem Respekt, Caitlin. Aber ich lass mir nicht gerne sagen, was mein Körper tut. Zufällig stecke ich nämlich drin.«
»Wenn man schwanger ist, werden die Instinkte stärker, Rose.«
»Würdest du über Gibbons reden, würde mich das interessieren.«
Ich hörte ein Räuspern und wandte meinen Kopf in die entsprechende Richtung. Andy war am Ende des Pfads aufgetaucht. Er wirkte besorgt, vielleicht sogar geschockt. Ich konnte es nicht genau einordnen. In den Händen hielt er einen Spanngurt und eine seiner Hosen, aber zuerst wusste ich nicht, wieso. Dann wurde mir bewusst, dass noch ein Mann in unserer Mitte war, ein Journalist. Eine wütende Schwangere, die eine ältere Frau mit grauen Haaren attackierte, würde sich in der Presse nicht besonders gut machen.
Caitlin spürte die Veränderung in mir. »Vielleicht möchtest du jetzt Fred Long kennenlernen?« Sie wies auf den Mann. Ich klebte ein absurdes Lächeln auf mein Gesicht, was ihm wahrscheinlich nur einmal mehr bewies, dass er es mit einer Irren zu tun hatte.
»Er kommt von National Geographic«, führte Caitlin aus.
»Hallo.«
»Dr. Gale, es ist mir eine Ehre, hier sein zu dürfen.«
Er kam mir vage vertraut vor. Normalerweise merkte ich mir Namen und Gesichter sehr gut, aber ihn konnte ich nicht einordnen. »Sind wir uns schon einmal begegnet?«
»Ich hatte nicht erwartet, dass Sie sich an mich erinnern würden.« Fred schenkte mir ein freundliches Lächeln. »Auf der Konferenz der archäologischen Gesellschaft, letztes Jahr in San Diego.«
»Schön, Sie wiederzusehen«, sagte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Ich mochte schwanger und neben der Spur sein, hatte aber zumindest immer noch einen festen Händedruck.
Als ich die Hand ausstreckte, ließ ich meine Hose los. Hastig versuchte ich sie festzuhalten, aber der Bauch war mir im Weg. Sie sank bis zu meinen Fußknöcheln. Mein Gesicht verzerrte sich, ich konnte einfach nichts dagegen machen. Zum zweiten Mal an diesem Tag verstieß ich gegen meine Nicht-weinen-Regel.