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Anna hatte sich an ihren großen Küchentisch gesetzt. Stapel von Kochbüchern umgaben sie. Sie hielt einen Bleistift in der Hand und zerriss eine Zeitungsseite als Lesezeichen in schmale Streifen. Eins nach dem anderen durchsuchte sie die Bücher nach geeigneten Rezepten für den Kindergeburtstag.

Nächstes Wochenende war es so weit, und sie hatte sich für heute Nachmittag mit Gregor Körner verabredet. Sie wollte sich den Raum angucken, in dem gefeiert werden sollte. Eine kleine Küche existierte dort auch. Allerdings wurde sie normalerweise nur verwendet, um Gläser abzuspülen und Snacks oder Gummibärchen auf Tellerchen zu legen.

Anna hoffte trotzdem, dass sie wenigstens Kakao vor Ort aufwärmen konnte.

Gerade hatte sie ein Buch über spanische Tapas vor sich liegen. Käsenachos wären cool. Leider schmeckten die warm am besten. Egal. Im Notfall konnte sie die Mikrowelle mitnehmen. Damit konnte sie zwar nur kleine Portionen überbacken, aber dafür würde der Duft durchs gesamte Varieté ziehen.

Sie notierte Käsenachos auf ihrem Block. Gleich darunter schrieb sie die „Abgehackten Finger“, die durften nicht fehlen.

Auf dem nächsten Blatt begann sie die Einkaufsliste. Würstchen, Mandeln, Ketchup, Tortillachips, geriebenen Gouda.

Viel war das noch nicht. Außerdem musste sie sich noch entscheiden, wie sie die Muffins dekorieren wollte.

Ihre Ladenglocke klingelte. Anna sah auf und lauschte. Kam Paul? Verabredet waren sie nicht, aber er kam öfter unangekündigt vorbei, wenn er Langeweile hatte.

Die Schritte klangen nicht nach Paul. Sie stand auf und ging zum Tresen. „Herr Nussbaum, hallo, was kann ich für Sie tun?“

„Guten Tag, Frau Blume, ich wollte mal schauen, wie Ihr Laden so läuft.“ Er sah sich um. „Viel los ist ja nicht, es sei denn, sie haben sehr kleine Kunden.“

Anna lachte. „Keine Angst, Sie werden niemanden platt treten. Laufkundschaft habe ich nicht so viel. Wenn mich jemand für eine Party engagieren will, ziehe ich es vor, mich mit den Kunden dort zu treffen, wo gefeiert werden soll, damit ich gleich sehe, was möglich ist und was nicht. Sie wissen schon, zwei Meter Buffettisch oder fünf?“

Herr Nussbaum war zu dem Regal mit den Kräutersalzen geschlendert. „Die sehen künstlerisch aus.“

Wieder musste Anna lachen. „Kim hat die Schilder für mich gestaltet. Jedes einzelne ist ein Unikat.“

„Kim?“

„Die Tochter von Irene Rugenstein, Ihrer Mitarbeiterin.“

„Ach? Ja, stimmt, ich erinnere mich. Sie sind befreundet.“ Er schlug sich mit der Hand vor den Kopf. „Dann sind Sie diejenige, die netterweise auf Kim aufpasst, wenn Irene länger arbeiten muss. Am Wochenende ist sie aber nicht bei Ihnen, oder?“

„Normalerweise nicht, aber heute kommt sie ausnahmsweise. Ich will nachher zu einem Auftraggeber fahren, da möchte sie mich begleiten.“

„Das muss ja ein interessanter Kunde sein.“ Oliver sah skeptisch aus.

„Wir fahren ins Varieté Ozelot, und Kim hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie die Ozelots sehen will. Wissen Sie, sie hat eine Katzenhaarallergie und darf deswegen nie welche streicheln. Nun will sie prüfen, ob Ozelots echte Katzen sind und ob sie gegen sie auch allergisch ist.“ Anna zuckte mit den Schultern. „Kinder eben.“

„Wie nett von Ihnen, dass Sie sie mitnehmen.“

„Kim ist eine ganz Liebe.“

„Aber am Sonntag haben Sie frei?“

„Meinen Sie die Arbeit oder Kim?“

„Beides.“

„Ich werde morgen ein paar Brote backen, aber das betrachte ich nicht als Arbeit. Kim muss nachmittags zum Ballett. Die öffentliche Aufführung fällt zwar aus, aber die Kinder können trotzdem kommen und eine Art Generalprobe tanzen, damit sie nicht aus der Übung geraten.“ Sie beugte sich vertraulich vor. „Ich persönlich glaube ja nicht, dass dieser Entführer zu einer Ballettvorführung kommt. Sie?“

„Man kann nie wissen. Tanzt Kim gut?“

Anna nickte vehement. „Super. Irene will nicht, dass ich das sage, aber ich bin fest davon überzeugt, dass sie ein Naturtalent ist. Sie sollten sie sich bei Gelegenheit einmal anschauen. Mögen sie Ballett?“

„Ich muss gestehen, ich habe noch nie eines gesehen. Aber vielleicht komme ich tatsächlich. Danke für die Einladung. Geben Sie mir bitte ein Glas Kräutersalz.“

„Soll ich es in Folie einschlagen?“

„Nicht nötig. Wie viel bekommen Sie?“

„Zwei Euro fünfzig, bitte.“

Nachdem der Anwalt den Laden verlassen hatte, freute Anna sich einerseits über die nette Geste. Wie schön, dass er sich noch für den Erfolg ihres Partyservices interessierte, obwohl die Beratungsphase längst abgeschlossen war.

Sie überlegte, ob er wohl mit stolz geschwellter Brust durch Holzminden lief und all die Unternehmen und Geschäfte betrachtete, an deren Entstehen er beteiligt gewesen war. Wahrscheinlich hielt er gleichzeitig nach weiteren leerstehenden Immobilien Ausschau. Oder er prüfte, ob es sich bereits lohnte, über eine Filiale nachzudenken.

Trotzdem, ein zweischneidiger Besuch. Immerhin hatte er Stella gegen Irene aufgehetzt.

Sie ging wieder nach hinten und wählte die restlichen Rezepte aus.