Ein düsterer, regnerischer Tag. Ein Vorbote des Winters.
Wieder ein Winter, es würde mein siebenunddreißigster Winter sein. Ein Wetter, das der Seele nicht bekommt.
Gegen elf stand ich bei Mrs. Forebush auf der Matte. Zeit für einen Kaffee. Mein ehemaliger Schwiegervater hat mir einmal erklärt, daß elf Uhr die richtige Zeit sei, um jemanden zu besuchen, bei dem man sich nicht lange aufhalten will. Um gesellschaftliche Verpflichtungen zu erfüllen.
Die gelbe Blume war aus Mrs. Forebushs Haar verschwunden. Verschwunden war auch allzuviel von dem Lächeln, das ich erhofft, sogar erwartet hatte.
Als sie mir öffnete, sagte sie: »Heute morgen hat Leander Crystal mich angerufen. Er bat mich aus verschiedenen Gründen, nicht noch einmal mit Ihnen zu reden. Ich weiß nicht, was Sie da eigentlich im Schilde führten, Mr. Albert Samson, denn so etwas sieht Mr. Leander Crystal gar nicht ähnlich.«
»Es tut mir leid, wenn ich Sie in Schwierigkeiten gebracht habe, Mrs. Forebush.«
»Ich bin froh, daß Sie es so sehen. jedenfalls habe ich beschlossen, weiter mit Ihnen zu reden, falls Sie mir Ihrerseits einige Fragen beantworten. Kommen Sie herein, Mr. Albert Samson.«
Als sie Platz nahm, sagte sie: »Zunächst einmal, junger Mann, müssen Sie mir sagen, woran Sie wirklich arbeiten. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich Ihnen die Geschichte mit dem Zeitungsartikel abnehmen. Dazu haben Sie mir nicht die richtigen Fragen gestellt.«
»Ich bin lizensierter Privatdetektiv.«
»Das habe ich mir gedacht. Wer hat Sie engagiert, Fleur oder Leander?«
»Nein, nicht das, was Sie wahrscheinlich vermuten, Mrs. Forebush. Mein Auftraggeber ist Eloise.«
»Die kleine Eloise! Wozu um Himmels willen?«
Jetzt wurde es ernst. »Bevor ich Ihnen davon erzählen kann, brauche ich Ihre Zusicherung…«
Sie schnitt mir das Wort ab. »Ach, Unfug. Wir hatten doch eine Übereinkunft, als Sie vor drei Tagen hier waren. Das wissen Sie auch; nur deswegen konnten Sie ganz unbefangen wieder herkommen, um noch einmal mit mir zu reden. Solange Sie im wohlverstandenen Interesse des Kindes arbeiten, arbeiten wir zusammen, und Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, daß ich irgend jemandem etwas erzählen oder nicht erzählen werde.«
Sie hatte natürlich recht. Wir hatten eine Übereinkunft.
»Eloise kam in der Überzeugung zu mir, Leander Crystal sei nicht ihr leiblicher Vater. Sie hat mich engagiert, um ihren leiblichen Vater ausfindig zu machen.«
Die alte Dame alterte sichtlich, ließ sich von der vorderen Kante des Sessels, auf der sie gehockt hatte, zurück in die Polster fallen und überdachte diese Information. Aus den Polstern des Sessels heraus fragte sie: »Und haben Sie den Mann ausfindig gemacht?«
»Ich konnte Eloise' Annahme bestätigen.«
»Ohne jeden Zweifel?«
»Ohne jeden Zweifel.«
»Also noch einmal, Mr. Albert Samson, haben Sie den Mann ausfindig gemacht?«
»Nein. Ich habe herausgefunden, daß Eloise empfangen wurde, als Fleur mit ihrem Mann in Europa war.«
»O Gott.«
»Außerdem habe ich gestern abend Fleur aufgesucht. Aber Leander hat mich hinausgeworfen.«
»Ich verstehe.«
»Nach dem, was Sie sagen, muß er Fleur unter Druck gesetzt haben, um herauszubekommen, was sie mir erzählt hat. Ich habe ihr gegenüber erwähnt, daß ich mit Ihnen gesprochen habe.«
»Und was führt Sie heute wieder hierher? Was wollen Sie noch von mir wissen?«
»Leander kam gestern abend gerade dazu, als Fleur mir erzählte, Sie hätten beim Tod ihres Vaters einen Vorschlag gemacht, den sie nicht gebilligt habe. Ich wollte wissen, worum es sich dabei handelte.«
Sie machte keinen glücklichen Eindruck. »Der arme Estes«, sagte sie. »Ich sehe nicht, daß das irgendwie dem Ziel Ihrer Nachforschung dienen könnte.«
»Wenn Sie es mir nicht erzählen wollen, Mrs. Forebush - ich habe kein Mittel, Sie dazu zu bringen.« Außer dem, was ich gerade anwandte. Sie war es ja, die zuerst unser ›Übereinkommen‹ erwähnt hatte.
»Also gut. Also gut. Es ist keine große Geschichte. Mir schienen damals die Umstände von Estes' Tod nicht ganz geheuer zu sein. Mir schien… also, Mr. Crystal hatte ihn nach einem Herzanfall gefunden. Estes lag auf dem Boden vor seinem Bett und versuchte, den Knopf für die Klingel in meinem Zimmer zu erreichen. Es hieß, er müsse Schmerzen gehabt haben und dann bei dem Versuch, den Klingelknopf zu erreichen, aus dem Bett gefallen sein. Ich hatte aber den Klingelknopf an seinem Laken befestigt, bevor ich zu Bett ging.«
»Ich verstehe.«
»Andererseits steht außer Frage, daß er an einem Herzinfarkt gestorben ist, und ich vermute, er konnte durchaus den Klingelknopf vom Laken gerissen haben, während er selbst zu Boden fiel. So könnte es gewesen sein. Ich war erregt. Es war damals alles etwas schwierig.« Auch für Fleur, der vielleicht eine solche Anschuldigung losgelöst von der Relativierung durch die damaligen Umstände in der Erinnerung haften geblieben war.
»Es tut mir sehr leid, daß ich all diese Dinge noch einmal aufgerührt habe, Mrs. Forebush. Aber ich wollte Gewißheit haben. Es tut mir leid, daß Sie es so noch einmal durchmachen mußten.«
Darüber dachte sie eine Weile nach. »Ich werde es überleben«, sagte sie. »Eins der Probleme des Altseins besteht darin, daß die Dinge, über die man nicht gerne redet, immer zahlreicher werden.«
»Noch eine Kleinigkeit, und zwar diesmal zum Kern der Sache, dann werde ich gehen. Falls Leander Crystal vermutet haben sollte, daß Fleurs Kind nicht von ihm war, hätte er dann tatenlos zugesehen, wie sie es bekommt, und es dann als sein eigenes aufgezogen?«
Wieder überlegte sie. Ihre Augen wanderten unstet durch den violetten Raum, ein starker Gegensatz zur völligen Bewegungslosigkeit ihrer steifen, aufeinandergepreßten Lippen.
Hätte ihr Schweigen noch viel länger angedauert, dann wäre ich wohl selbst in Gedanken über das Alter und den Tod und den Verfall versunken. Das Violett des Raumes zog sich dichter zusammen und wurde etwas dunkler. Was für ein miserabler Tag. Und welch armselige Weise, ihn zu beginnen.
Schließlich sagte sie: »Davon würde ich nicht ausgehen. Aber wer kann das schon sagen. Ich bin ja wahrlich keine Expertin, was Mr. Crystal anbelangt.«
»Könnte Fleur denn möglicherweise vergewaltigt worden sein und es Leander nicht erzählt haben?«
Sie dachte wieder nach. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Fleur, so, wie sie damals war, irgend etwas für sich behalten hätte - weder vor ihrem Vater noch vor Mr. Crystal.«
Wir saßen da und dachten darüber nach. Ansonsten gab es nicht mehr viel zu sagen.
Ich verabschiedete mich.