Vorsicht: Vereinsamung: die Coworking-Lösung
Wir gehen also bald immer weniger in Büros und arbeiten immer mehr mit Webtools, Videokonferenzen und in digitalen Workflows. Eines der größten Probleme wird dann die soziale Isolation sein, wenn man eigentlich nur noch im Heimbüro, am Flughafen oder im Hotel arbeitet. Es fehlen die Kollegen, es fehlt der kreative Austausch – und kurz gesagt fehlt auch auf die Dauer jede Menschlichkeit. Man wird zum griesgrämigen Eigenbrötler, der nur noch ungern vor die Tür geht und seine Freizeit mit Facebook, Twitter und dem Durchschauen nahezu endloser DVD-Boxen verbringt, vor allem, weil diese ihm eine Gemeinschaft vorgaukeln, die er so nicht mehr hat. Ich weiß, wovon ich spreche: Ich habe nach dem Beginn meines Experiments der Easy Economy ein paar Monate meines Lebens damit zugebracht, viele Staffeln amerikanischer Serien wie Lost, Entourage oder The Wire durchzuschauen, und mein Kommunikationsbedürfnis auf halbstündlich abgesetzte Twitterkommentare beschränkt, bis meine Freundin mir die Leviten las, iPhone-Abhängigkeit bescheinigte und mich zu einigen Bieren mit echten Freunden in echten Kneipen verdonnerte. Sie hatte recht, ich musste mal wieder unter Menschen.
Ein ganz anderes Problem, für das es aber erstaunlicherweise dieselbe Lösung gibt, haben manche Manager großer Unternehmen: Sie würden gerne sehen, dass ihre Mitarbeiter moderne Arbeitsweisen ausprobieren, also auch mal mit dem Laptop ins Café gehen oder sich interdisziplinär mit anderen Berufsgruppen kreativ austauschen. Allein – die Mitarbeiter wollen gar nicht. Sie finden es klasse, jeden Tag für acht Stunden ins Büro zu gehen und um fünf Feierabend zu haben. „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll“, gestand mir der Marketingchef eines bekannten deutschen Konzerns, „ich habe meinem Team angeboten, einen Tag pro Woche zu Hause zu arbeiten oder im Sommer gern mal ein Meeting im Park zu machen. Dann würden sie auch mal auf andere Ideen kommen. Aber keiner hat Interesse daran.“ Der Mann war verzweifelt. Er glaubte an die Vorteile neuer, flexibler und mobiler Arbeitsformen. Aber seine Mitarbeiter waren – so sah er das – zu träge, um mitzuziehen.
Die Lösung für sowohl den vereinsamten Freiberufler als auch für die kreativitätsgehemmten Festangestellten heißt Coworking. Das ist ein neuer Begriff, der für Orte steht, an denen wildfremde Menschen sich treffen, um gemeinsam zu arbeiten. Klingt eigenartig? Fragen wir Sebastian Sooth, den Mitgründer des Berliner „Hallenprojektes“ und einen der Vordenker des Coworking in Deutschland, was das Ganze soll.
Sebastian Sooth: Coworking ist das gemeinsame Arbeiten an einem Ort. Coworking ist das produktive Arbeiten mit Gleichgesinnten in inspirierender, motivierender Atmosphäre im halböffentlichen Raum zwischen Großraumbüro, Home-Office und Café. Beim Coworking geht es nicht in erster Linie darum, an denselben Sachen zu arbeiten. Im Fokus steht das Schaffen einer Arbeitsumgebung, in der man selbstbestimmt gerne arbeitet und einfach soziale Kontakte mit anderen, ähnlich arbeitenden Menschen herstellen kann. Mit Coworking-Spaces entstehen Orte, die genau dafür eingerichtet sind.
Sind das Treffpunkte nur für Freiberufler und gelangweilte Heimarbeiter?
Sooth: Das Hallenprojekt verbindet Coworker, Coworking-Orte und Menschen, die Plätze für Coworking schaffen oder anbieten wollen. Auf Hallenprojekt.de kann man diese Orte finden, andere Coworker treffen und sehen, wer gerade wo und woran arbeitet. Das Hallenprojekt versteht sich als Plattform für alle, die gerne mobil arbeiten – und wissen wollen, wer das da am Nachbartisch ist und woran er arbeitet. Für alle, die keine Lust haben, alleine im Home-Office zu sitzen. Für alle, die keine Lust haben, jeden Tag am selben Ort mit denselben Leuten zu arbeiten. Für alle, die gerne mehr Zeit- und Ortsautonomie beim Arbeiten haben. Egal, ob Freiberufler oder Angestellte. Egal, ob Einzelkämpfer oder Projektteam.
Da Arbeit auch in Unternehmen immer mobiler und flexibler wird – wäre ein deutschland- oder sogar weltweites Netz von Coworking-Spaces die Zukunft der Arbeit? Können wir bald überall arbeiten, wo wir wollen?
Sooth: Wir befinden uns gerade in einer Übergangsphase. Weltweit entstehen einzelne Coworking-Spaces, auch in Deutschland gibt es eine Menge entstehender Ansätze. Alleine in Berlin gibt es mit dem selfhub, dem Betahaus, dem BusinessClassNet und der upstream-Halle verschiedene Ansätze für Coworking-Spaces, dazu eine Menge Desksharing-Angebote bei größeren und kleineren Firmen. Die Zusammenarbeit der einzelnen Orte steht noch ganz am Anfang.
In Zukunft wird man so selbstverständlich zum Arbeiten in einen Coworking-Space gehen, wie man heute ins Büro, in die Kneipe, in den Club geht. Coworking wird wie eine Art „Carsharing für Arbeitsplätze” funktionieren. Die Zusammenarbeit in virtuellen und realen Räumen wird an solchen Orten neu verbunden.
In den USA und Kanada haben die Betreiber verschiedener Coworking-Orte kürzlich die Aktion Coworking Visa gestartet – eine Wikiseite, auf der man sehen kann, wie man als zahlendes Mitglied eines Ortes auch an anderen Orten arbeiten kann. Mittlerweile nehmen daran Spaces in sechs Ländern teil.
Ist so eine weltweite Mobilität überhaupt für viele Menschen realistisch und wünschenswert?
Sooth: Ein Vorteil bei weltweiter Mobilität ist, dass sie mir auch lokale Mobilität gibt. Wenn ich in meiner Stadt oder in meinem Landkreis mehrere Orte zur Auswahl habe, an denen ich arbeiten kann, gibt mir das auch in meinem ganz konkreten Lebensumfeld ganz neue Freiheiten, um zu arbeiten, wann und wie ich will. Außerdem spare ich mir mit einem Coworking-Space in meiner Nachbarschaft lange Pendlerwege ins Büro und vereinsame nicht im Home-Office ohne soziale Kontakte.
Wie könnte ein solches Netzwerk konkret aussehen, und wie könnten auch Unternehmen sich beteiligen / davon profitieren?
Sooth: 80 Prozent der Deutschen würden gerne einen oder mehrere Tage in der Woche nicht im Büro arbeiten, sondern sich ihre Arbeitszeit freier einteilen können. Für „klassische Unternehmen” ist da das Angebot für Mitarbeiter, an selbst gewählten Orten zu arbeiten, vor allem eine Möglichkeit zur Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit und zum Beschäftigen von passenden Mitarbeitern, die nicht mehr unbedingt am selben Ort wie das Unternehmen leben müssen. Dafür müssen Unternehmen und vor allem die Führungskräfte in diesen lernen, Arbeitsprozesse statt mit rigider Kontrolle mit zielorientiertem Arbeiten und Vertrauen zu organisieren.
Richtig spannend wird es aber für die „neuen Unternehmen”, die Don Tapscott in Wikinomics beschreibt. Wenn die Grenzen eines Unternehmens sich auflösen und offener werden, wenn man auch mit Außenstehenden, egal, ob Kunden, Dienstleistern, Experten oder Partnerfirmen, zusammenarbeitet, dann sind Coworking-Spaces natürlich ein perfektes Mittel, um Menschen einen gemeinsamen Raum zur Verfügung zu stellen.
Ist das denn realistisch?
Sooth: Eine Studie von Deutsche Bank Research geht davon aus, dass 2020 15 Prozent der Gesamtwertschöpfung durch temporäre, kooperative Zusammenarbeit entstehen werden. Das benötigt natürlich eine ganz neue Kultur von Transparenz, Freiwilligkeit und Kollaboration. Coworking ist eine Grundlage dafür. Unternehmen können sich sehr einfach daran beteiligen. Zum einen, indem sie nicht genutzten Platz dafür zur Verfügung stellen – oder selber spezielle Coworking-Spaces einrichten und anbieten. Zum anderen, indem sie ihren Mitarbeitern und Partnern diese neue Freiheit aktiv erlauben – und sie dabei unterstützen, mit ihr umzugehen.
Die Diskussion um die Zukunft des Büros existiert ja nicht erst seit gestern. Der Unterschied liegt darin, dass wir heute in der Situation sind, dass es uns durch bezahlbare und funktionierende digitale, vernetzte Tools möglich ist, tatsächlich von jedem Ort der Welt aus zu arbeiten, an dem es Zugang zum Netz und Strom gibt. Wovon heute vor allem die „Netzarbeiter” profitieren, wird mit der Einführung ganz neuer Produktionsmethoden auch auf andere Arbeitsbereiche ausstrahlen.