Digitale Nomaden
Wir erleben zunehmend das Ende der Anwesenheitspflicht im Büro. Das heißt: Auch Festangestellte müssen lernen – so wie bislang Freiberufler –, ihr Leben selbst zu definieren. „Die Unterschiede in Sachen Selbstorganisation und in der von außen vorgegebenen Struktur werden nicht mehr grundlegende sein“, sagt der Produktivitätsexperte Florian Steglich. Wenn aber die Arbeit auch in Unternehmen immer mobiler und flexibler wird, können wir dann nicht bald überall arbeiten, wo wir wollen? „Die Möglichkeiten für ortsunabhängiges Arbeiten werden sich zweifellos noch weiter verbessern – ganz naheliegend etwa dadurch, dass man im Zug und im Flugzeug durchgehend online sein wird“, so Steglich. Er selbst ist ein gutes Beispiel dafür: Seine Kollegen sitzen in San Francisco, Zürich, Stockholm, Boston, Berlin, Chemnitz … Allerdings sind solche Modelle natürlich für viele Berufe auch weiterhin unrealistisch: „Fließbandjobs werden ebenso wenig verschwinden wie unflexible große Organisationen. Seine Weinreben kann der Winzer nicht vom Urlaubsstrand aus schneiden, und mein Lebensmittelhändler soll bitte auch da bleiben, wo er gerade ist.“
Wäre so eine weltweite Mobilität überhaupt für viele Menschen realistisch und wünschenswert? Das hängt nach Ansicht von Steglich vom Einzelnen und seiner Einstellung ab: „Mobiles und virtuelles Arbeiten ist eine Kulturtechnik, an der sicher nicht jeder Freude haben wird.“ Bei seinem eigenen Arbeitgeber merkt er durchaus, dass es bei komplett virtueller Zusammenarbeit auch Verluste gibt: „Schnelle Absprachen auf Zuruf und Besprechungen von Angesicht zu Angesicht oder beim Mittagessen haben noch immer eine andere Qualität als Mails oder IM-Nachrichten.“
Auch mit Johannes Kleske, dem viel reisenden, bloggenden und twitternden Social-Media-Experten, habe ich über das neue mobile Lebensgefühl der Digital Natives gesprochen.
Johannes, du arbeitest viel mobil, in der Bahn, dokumentierst das auch via Twitter. Ist das eine bessere Arbeitsweise, als jeden Tag ins Büro zu gehen?
Johannes Kleske: Mobil zu arbeiten ist für mich gegenüber der Büroarbeit keine Frage von besser und schlechter. Im Gegenteil, ich gehe gerne ins Büro. Das Büro ist für mich der richtige Ort für menschliche Interaktion, die für mich essenziell für meine Arbeit, aber auch für mich als Mensch ist. Allerdings ist das Büro ein schlechter Ort, um konzentriert arbeiten zu können. Ständige Unterbrechungen machen es praktisch unmöglich, den berühmten Flow-Zustand zu erreichen, in dem es einfach „flutscht“. Die ideale Arbeitsweise ist für mich also die Kombination aus gemeinschaftlicher Büroarbeit und konzentrierter Arbeit für mich allein. Je freier ich selbst Tag für Tag das Verhältnis der Kombination wählen kann, desto optimaler kann ich arbeiten.
Bist du ein Digitaler Nomade? Was bedeutet der Begriff für dich?
Kleske: Als Digitale Nomaden würde ich Leute definieren, die sich die Technik zunutze machen, um sich bei ihrer Arbeit fast vollständig unabhängig von ihrem Aufenthaltsort zu machen. Das ermöglicht ihnen, ihren „Wohnort“ beliebig häufig zu wechseln und auf der ganzen Welt zu leben. Alles, was sie zum Arbeiten brauchen, sind Strom und Internet. Kommunikation mit Kunden und Partnern läuft fast ausschließlich über digitale Tools wie VoIP, Online-Meeting-Räume, Instant Messenger und E-Mail.
Was ist der Vorteil dieser Arbeits- und Lebensweise?
Kleske: Ich muss nicht mehr auf die Rente warten, um Zeit für die Weltreise zu finden. Gleichzeitig kann es klare wirtschaftliche Vorteile haben, Arbeit vom Ort zu trennen. So kann ich meine Arbeit in reichere Länder verkaufen, während ich selbst in einem Land mit niedrigen Lebenskosten residiere. Und schon wird Globalisierung zu einem Vorteil, den nicht mehr nur große Konzerne, sondern auch Einzelpersonen nutzen können.
Aber für wen gilt denn das tatsächlich? Sprechen wir nicht von einer privilegierten Minderheit?
Kleske: Wenn man sich ansieht, wie wenig Menschen derzeit diesen Lebensstil leben, stehen wir überhaupt erst am Beginn dieser Bewegung. Somit gewinnt der Begriff erst an Relevanz und damit Aktualität. Man darf nicht vergessen, hier geht es um ein recht grundsätzliches Umdenken, wie man Arbeit, Reisen und Leben sieht und angeht. Für solche Denkprozesse brauchen wir in der Regel deutlich länger, als wir glauben.