Renommée – die Kraft der Entscheidungen

Renommée ist, wie so viele andere Pferde, ganz jung in unseren Besitz gekommen, im Alter von zwei Jahren. Er durfte erst noch mal in Norddeutschland auf die Weide, wurde dort auch angeritten und kam schließlich vierjährig ins schöne Bayern zu uns nach Aubenhausen. Ich habe ihn selbst ausgebildet; von der ersten A-Dressur bis zum Grand Prix.

Mit ihm habe ich weiter gelernt, Pferde auszubilden. Das ist manchmal ein schwieriger Weg, und vor allem ist es ein Weg, der viel Zeit braucht. Die Ausbildung bis zum Grand Prix dauert im Schnitt sechs bis acht Jahre.

 

Renommée gehört eindeutig zu den Pferden, bei denen ich mir wünsche, ich könnte mit der heutigen Erfahrung noch mal ganz von vorn anfangen. Denn ich glaube, heute würde es mir gelingen, ihn zu noch mehr zu motivieren. Aber das werde ich in meiner Entwicklung wahrscheinlich ein Leben lang über die verschiedensten Pferde sagen.

Trotzdem bin ich stolz auf das, was wir zusammen erreicht haben. Wir waren sehr erfolgreich in den Jungpferdeprüfungen, er ließ sich hervorragend ausbilden, und ich durfte mit ihm beim Bundeschampionat, der Deutschen Meisterschaft für junge Pferde, und beim Nürnberger-Burg-Pokal in Frankfurt starten. Bei Piaffe und Passage machte ihm so leicht keiner was vor. Das war technisch nahezu perfekt. Was ihm etwas fehlte, war der Elan: Er wollte sich nicht so gerne anstrengen.

Lange war mir nicht klar, woran das lag. Heute weiß ich: Es lag an mir. Ich hatte selbst wenig Elan und Selbstvertrauen – wie hätte ich das also meinem Pferd vermitteln sollen? Wie hätte ich in ihm den Wunsch wecken sollen, die eine zusätzliche Meile zu gehen und ein richtiger Athlet zu werden? Wahrscheinlich sah er den Sinn einfach nicht. Und den hätte ihm niemand anderer vermitteln können. Nur ich.

Heute weiß ich: Es lag an mir. Ich hatte selbst wenig Elan und Selbstvertrauen – wie hätte ich das also meinem Pferd vermitteln sollen?

Von mir kam damals auch sicher viel zu wenig Anerkennung für das, was er leistete. Ich war immer gut und freundlich zu ihm, habe ihn nie schlecht behandelt. Aber ich finde, es ist ein Unterschied, ob ich nett zu einem Pferd bin oder ob ich es überschwänglich lobe für alles, was es leistet. Warum soll sich ein Pferd buchstäblich die Beine für mich ausreißen, wenn ich ihm keinen Grund dafür gebe? Pferde lieben Anerkennung ebenso sehr wie wir Menschen.

 

Die Zeit mit Renommée deckt sich mit einer sehr schwierigen Phase in meinem Leben. Ich war um die dreiundzwanzig, hatte die erfolgreiche Junge-Reiter-Zeit hinter mir und war geradewegs in eine Krise hineingerutscht. Der Übergang von der Junge-Reiter-Zeit, in der ich mit mehreren Europameistertiteln wirklich vom Erfolg verwöhnt wurde, zu den »Großen« war extrem schwer. Gleichzeitig spürte ich immer mehr, dass ich auf zu vielen Hochzeiten tanzte und dass ich für mich irgendwie klären musste, wie es mit mir weitergehen sollte. Ich hatte neben der Reiterei mit bis zu fünf Pferden ein Fernstudium in Marketing und Kommunikation absolviert, hatte eine Ausbildung als Ernährungstrainerin gemacht. Meine Vormittage verbrachte ich auf dem Reitplatz, in der Reithalle und im Stall. Am Nachmittag und bis in den späten Abend hinein leitete ich unser Sportstudio in Kolbermoor, den Quest Club. Das war nicht nur zu viel Arbeit, es machte mich auch unzufrieden. Ich fühlte mich innerlich zerrissen. Am Vormittag, wenn ich bei den Pferden war, dachte ich über das Sportstudio nach. Am Nachmittag, wenn ich in Kolbermoor arbeitete, schweiften meine Gedanken allzu oft in den Stall ab. Ich mochte die Arbeit in beiden Bereichen, aber so wurde ich beidem nicht gerecht, und das machte mich, ohne dass ich es selbst so richtig merkte, einfach unglücklich. Es fraß mich innerlich auf. Und auch mein Selbstvertrauen litt darunter.

Da ich nach den Erfolgen der Junge-Reiter-Zeit auf einmal so erfolglos war, wurde die Versuchung immer größer, die Profireiterei aufzugeben.

 

Schon einmal hatte ich eine schwierige Entscheidung für oder gegen den Reitsport treffen müssen, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Denn damals war ich noch viel jünger, erst vierzehn Jahre alt. Bis dahin hatte, zumindest im Winter, das Skifahren ebenfalls eine sehr große Rolle gespielt. Von der dritten bis zur siebten Klasse kam es im Winter oft vor, dass meine Mutter uns von der Schule abholte, ein Mittagessen auf der Rückbank und die Skiausrüstung im Kofferraum. Und ab ging’s in die Berge zum »Stangerltraining«, wie wir es nannten. Wenn wir am späten Nachmittag nach Hause kamen, gingen mein Bruder und ich noch jeweils unser Pony reiten, Hausaufgaben wurden »irgendwie« am Abend (oder manchmal durchaus auch unter der Schulbank) gemacht, ehe wir erschöpft, aber glücklich ins Bett gefallen sind.

Als ich vierzehn wurde, war klar, dass wir uns entscheiden mussten: Reiten oder Skifahren? Da es bei mir in der siebten Klasse (mit der zweiten Fremdsprache) auf dem Gymnasium auch allmählich ernst wurde, musste ein Bereich in den Hintergrund treten. Private Freundschaften spielten sich ohnehin sehr stark im Bereich des Sports ab, die Schule lief so nebenher.

Also trafen wir beide, mein Bruder Benjamin und ich, die Entscheidung, das Skifahren, zumindest als Wettkampfsport, aufzugeben. Sehr zum Bedauern unseres Großvaters übrigens, der es gern gesehen hätte, wenn wir auf den Brettern weitergemacht hätten. Noch bis zu seinem Tod hat er mir immer wieder erklärt, an mir sei eine herausragende Skifahrerin verloren gegangen.

Vorbilder

Damals war mir die Entscheidung relativ leichtgefallen. Diesmal stand viel mehr auf dem Spiel, nicht zuletzt mein Selbstwertgefühl. Die Misserfolge nagten an mir, die Zerrissenheit nagte an mir, und noch etwas kam dazu: Ich wollte mich viel zu sehr mit meinem großen Vorbild vergleichen. Ich versuchte, einer Frau nachzueifern, die für mich unerreichbar schien: Isabell Werth, die erfolgreichste Dressurreiterin aller Zeiten.

Die Misserfolge nagten an mir, die Zerrissenheit nagte an mir, und noch etwas kam dazu: Ich wollte mich viel zu sehr mit meinem großen Vorbild vergleichen.

Angefangen hatte alles 2008, als ich während eines Turniers in Baden-Württemberg meinen ganzen Mut zusammennahm und sie fragte, ob sie mich trainieren würde. Eigentlich hatte ich nicht viel Hoffnung, dass Isabell Ja sagen würde, denn sie nahm zu dieser Zeit gar keine Schüler an, das wusste ich. Doch ich hatte einfach das Gefühl, ich müsste sie fragen. Also los. »Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das jetzt sagen soll«, sagte ich mit klopfendem Herzen zu ihr, »aber kannst du dir vorstellen, mich in irgendeiner Form zu trainieren? Kann ich irgendwie mal zu dir kommen mit meinen Pferden und mit dir trainieren?«

Und das Unerwartete, Wunderbare geschah: Sie sagte ganz einfach Ja. »Ja, wir können mal schauen, ob wir das hinbekommen. Ich helfe euch.« Sie hat mir keine Sekunde lang das Gefühl gegeben, meine Frage wäre unverschämt oder vermessen, sondern sie hat ganz direkt und herzlich reagiert. Möglicherweise hatte sie meinen Bruder und mich schon ein wenig beobachtet und mitbekommen, dass wir als junge Reiter erfolgreich gewesen waren und jetzt den Sprung einfach nicht schafften. Zumal wir in dieser Zeit auch ohne Trainer waren.

Übrigens hat Isabell Aubenhausen immer auch dadurch unterstützt, dass sie an unseren Dressurfestivals teilgenommen hat. Das ist alles andere als selbstverständlich, und wir in der Familie rechnen ihr das hoch an. Denn wir konnten zwar ein relativ hohes Preisgeld ausschreiben, weil wir gute Sponsoren hatten, aber sie kam ohne zusätzlichen monetären Anreiz, einfach weil sie unser Festival für eine schöne reiterliche Veranstaltung hielt.

Zum Start unserer Zusammenarbeit bin ich mit vier Pferden für einen Monat zu ihr gefahren – und landete prompt in einer ganz anderen Welt, als ich sie bisher gekannt hatte. Ich war etwas überfordert von all den neuen Eindrücken und hatte auch das Gefühl, den neuen Input nicht gut und schnell umsetzen zu können, sosehr ich es auch versuchte.

Zurück in Aubenhausen, versuchte ich, an all dem zu arbeiten, was ich bei Isabell in Rheinberg mitbekommen hatte. Mein Bruder fuhr später auch regelmäßig zu ihr, meistens blieb einer von uns für etwa eine Woche dort. Zu Hause trainierten wir dann miteinander und halfen uns gegenseitig, die neuen Erkenntnisse zu verinnerlichen. Dass das die ersten tastenden Schritte auf einem neuen gemeinsamen Weg waren, konnten wir damals noch nicht ahnen. Wir spürten nur, es ist gut, wenn wir uns gemeinsam an die Dinge heranarbeiten, experimentieren und ausprobieren.

Nur hatten wir zu dieser Zeit keine richtig guten, reifen Pferde. Der Erfolg ließ also noch eine ganze Weile auf sich warten. Die Mischung war fatal: Ich blickte bewundernd zu Isabell Werth auf, versuchte sie nachzuahmen. Doch das bekam ich irgendwie nicht hin und blieb grandios erfolglos …

Kein Wunder, dass mein Selbstvertrauen unter dieser Situation litt. Ich fühlte mich klein, unbedeutend, untalentiert und absolut chancenlos. Es kam mir vollkommen utopisch vor, jemals in ihre Liga aufzusteigen oder auch nur annähernd etwas Vergleichbares leisten zu können wie diese Frau.

Ich konnte nicht einmal als Begründung vorschieben, dass ich ja über lange Zeit hinweg nicht in der Lage gewesen war, mich voll und ganz aufs Reiten zu konzentrieren – Schule, Studium und Beruf forderten ja auch Zeit und Energie. Denn Isabell Werth hatte auch nicht die Möglichkeit, sich ausschließlich dem Reiten zu widmen. Sie hat Jura studiert und als Juristin gearbeitet …

So stand irgendwann der Gedanke im Raum: Ich schaffe das nicht. Ich werde nie erreichen, was Isabell kann, ich bin entweder zu dumm oder zu unbegabt.

Was für ein Glück, dass ich genau zu diesem Zeitpunkt Holger Fischer kennenlernte, der mich bis heute als Coach begleitet. Er half mir, indem er die richtigen Fragen stellte. Plötzlich konnte ich wieder klar sehen und denken. Es war, als würde ich bei starkem Regen endlich die Scheibenwischer anschalten. Ich konnte mein Herz wieder hören. Und mein Herz … mein Herz schlug ganz deutlich, kräftig und laut für die Pferde.

Damit war es auf einmal klar. Um meine Bauchentscheidung auch rational zu rechtfertigen, legte ich mir folgendes Statement zurecht: Ich bin jetzt (wir sprechen vom Jahr 2011) Mitte zwanzig, habe ein gutes Abitur, ein fertiges Studium und eine Zusatzausbildung, noch dazu Berufserfahrung. Wenn ich von jetzt an fünf Jahre lang mit den Pferden Vollgas gebe und es sich trotzdem herausstellt, dass der Erfolg ausbleibt, kann ich mit dreißig immer noch umsatteln und einen anderen Beruf wählen.

Damit klärte sich auch mein Verhältnis zu Isabell. Ich konnte sie nicht kopieren, und ich musste das auch gar nicht tun. Ich durfte mich von diesem viel zu hohen innerlichen Maßstab befreien, der mich auf die Dauer wohl kaputt gemacht hätte.

Ich konnte meinen eigenen Weg finden, auch den eigenen Weg der Pferdeausbildung, zusammen mit meinem Bruder. Im Gepäck hatte ich auf diesem Weg wunderbare technische Tools, die wir von Isabell für die Ausbildung an die Hand bekommen hatten. Dafür bin ich Isabell enorm dankbar.

Zu uns nach Aubenhausen zu kommen, war für Isabell nicht möglich, und wir hatten inzwischen die volle Verantwortung für unseren Betrieb mit all den Kunden und Mitarbeitern übernommen, sodass es auf Dauer nicht mehr machbar war, so viel von zu Hause weg zu sein. Und so trat Jonny Hilberath als Trainer in unser Leben.

Jonny stammt aus Schleswig-Holstein und sagt von sich, seine Wurzeln stecken ganz klar in der ländlichen Reiterei. Mit vielen internationalen Toperfolgen mischte er über lange Zeit ganz oben mit in der internationalen Dressurelite, gekrönt mit der Goldmedaille der Deutschen Meisterschaft der Berufsreiter 1992. Bis heute ist sein Hof in dem kleinen niedersächsischen Ort Abbendorf ein wichtiger Anlaufpunkt für ambitionierte Dressurreiter über die deutschen Grenzen hinaus und für junge, vielversprechende Pferde, die er mit Leidenschaft und unglaublich viel Geduld ausbildet. Mit ihm trainieren wir jetzt schon seit neun Jahren.

Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage: Renommée hat mich gerettet. Mit den kleinen Erfolgen, die wir gemeinsam schafften, hat er dafür gesorgt, dass der kleine Funken Hoffnung, aus mir könnte doch noch eine richtig gute Reiterin werden, nicht ganz erlosch.

Doch letzten Endes ist bis heute mein wichtigster Trainer mein Bruder. Angefangen hat das in der Zeit des gemeinsamen Trainings mit Isabell Werth. Und das gilt auch umgekehrt. Ein Grund, warum das so funktioniert, ist unsere ehrliche Art, miteinander umzugehen. Wir versuchen zwar schon, nett zueinander zu sein, aber wir packen uns gegenseitig nicht in Watte, sondern sagen uns die Wahrheit, auch wenn sie manchmal unbequem ist. Das ist vielleicht unser größtes Kapital.

Immer weiter machen und eigene Wege suchen, das habe ich in dieser Zeit mit Renommée gelernt, auf die ganz harte Tour. Ich bin sehr froh, dass ich ihn an meiner Seite hatte. Denn die kleinen Erfolge, die ich mit ihm erleben durfte, haben mich dann doch aufrecht gehalten.

Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage: Renommée hat mich gerettet. Mit den kleinen Erfolgen, die wir gemeinsam schafften, hat er dafür gesorgt, dass der kleine Funken Hoffnung, aus mir könnte doch noch eine richtig gute Reiterin werden, nicht ganz erlosch.

Abschied und Neubeginn

Trotzdem haben wir uns, als Renommée neun Jahre alt war, sehr, sehr schweren Herzens dafür entschieden, ihn zu verkaufen. Inzwischen hatte ich mich entschlossen, mich dem Reitsport noch einmal mit ganzem Herzen zu widmen. Mein Ziel war es, an die großen Erfolge der Zeit als Juniorin auch bei den Senioren anzuknüpfen.

Und ich musste mir eingestehen, dass sich Renommée zwar zu einem guten Grand-Prix-Pferd entwickelt hatte, ihm aber das letzte Stückchen »Einstellung« fehlte. Oder vielleicht sollte ich es anders sagen: Ich habe es nicht geschafft, ihm diese Einstellung zu vermitteln, ihn zu motivieren, sich für mich noch einmal mehr anzustrengen und wirklich alles zu geben. Heute ahne ich, woran das lag. Wäre ich damals voller Selbstvertrauen und Euphorie gewesen, hätte ich mehr an mich – oder auch an uns – geglaubt, hätte mich nicht so klein und verzagt gefühlt: Wer weiß, was aus uns hätte werden können. So wie die Dinge aber zu dieser Zeit nun mal standen, hätten wir weiterhin schöne Erfolge haben können, doch für die Weltspitze reichte es einfach nicht. Das letzte Quäntchen Motivation fehlte bei Renommée. Ich hatte immer das Gefühl, es sei ihm eigentlich zu anstrengend, volle Leistung zu bringen.

Der Impuls kam dann letztlich von außen. Bei einem Lehrgang für das Piaff-Förderpreis-Finale saßen wir – mein Bruder, meine Eltern und ich – mit Klaus Balkenhol zusammen, der diesen inspirierenden Lehrgang leitete und es wirklich gut mit uns meinte. Als wir ihn fragten, wie es denn nun mit uns weitergehen sollte, sagte er uns mit aller Freundlichkeit, aber auch mit aller Härte: »Ihr müsst eure derzeitigen Pferde verkaufen. Mit denen schafft ihr es nicht an die Spitze.«

Das saß. Und es hat sehr geschmerzt. Auch wenn Klaus uns nur helfen wollte. Doch da sich Renommée als Neunjähriger mit dieser guten Ausbildung auf dem Höhepunkt seines wirtschaftlichen Werts befand, habe ich mich durchgerungen, ihn zu verkaufen. Mein Bruder Benjamin verkaufte auch zwei seiner Pferde.

Wir fanden für Renommée ein wirklich schönes neues Zuhause bei einer Reiterin in England. Trotzdem hatte ich an dem Tag, als er unseren Hof verließ, das Gefühl, es macht mich kaputt. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen: Der große Lkw kam, ich habe ihn hineingeführt, und als er dann abgefahren war, bin ich regelrecht zusammengebrochen. Nie in meinem Leben, weder vorher noch nachher, habe ich so viel geweint wie an diesem Tag. Es war die schlimmste Pferdetrennung und vielleicht – abgesehen von der Trauer um Verstorbene in meiner Familie – überhaupt die schlimmste Trennung, die ich jemals erlebt habe.

Umso glücklicher war und bin ich, dass es ihm so gut geht und dass ich mithilfe von Fotos und Videos ein bisschen an seinem Leben teilhaben darf. Er lebt in England bei einer Reiterin, die keine Grand-Prix-Ambitionen hat, sondern einfach schöne S-Dressur reiten will. Und er hat dort den Himmel auf Erden. Er darf täglich in einer kleinen Herde auf die Weide und ist bis heute – im Alter von fast zwanzig Jahren – topfit und auch noch richtig erfolgreich.

 

Das alles ist mir eine große Freude, auch wenn mir ab und zu die Frage im Kopf herumspukt, was ich wohl heute, mit der Methode, die ich jetzt in der Ausbildung von Pferden anwende, mit ihm erreichen könnte. Hätte ich ihn mit dem Ausmaß an positiver Verstärkung und Anerkennung, das ich meinen Pferden heute gebe, zu noch mehr Engagement und Leistungsbereitschaft motivieren können? Hätte ich seinen Stolz wecken können?

Denn das sehe ich heute ganz klar: Ich habe es nicht geschafft, ihn stolz zu machen. Nur wer selbst begeistert ist, kann in anderen Begeisterung wecken. Dabei hat er mir gezeigt, wie wichtig Leichtigkeit ist, denn er lernte alles scheinbar mühelos, und es sah bei ihm auch immer leicht aus. Er hatte Freude daran, mit mir zu arbeiten – solange es nicht zu anstrengend wurde. Dass es etwas Wunderbares sein kann, sich auf einem Turnier zu präsentieren und dort die absolute Bestleistung zu zeigen, womöglich sogar ein bisschen über sich hinauszuwachsen, das habe ich ihm damals nicht vermitteln können.

Ich sehe aber auch den Grund, warum ich das zu diesem Zeitpunkt gar nicht schaffen konnte: Ich war ja selbst nicht stolz. Mein Selbstwertgefühl war schwach, ich habe nicht an mich geglaubt – wie hätte ich da meinem Pferd dieses Selbstwertgefühl und diesen Stolz vermitteln sollen? Wenn ich mich selbst nicht liebe, fällt es mir schwer, Liebe zu geben.

Renommée hat in meinem Leben nicht die Aufgabe gehabt, ein tolles, stolzes, erfolgreiches Turnierpferd auf Grand-Prix-Niveau zu sein. Er hatte eine andere, womöglich viel größere Aufgabe: Er hat mir geholfen, die fünfjährige Durststrecke nach der erfolgsverwöhnten Junge-Reiter-Zeit zu überstehen und nicht zu kapitulieren. Das ist ihm großartig gelungen, indem er es mir so leicht gemacht hat, ihn auszubilden und mit ihm zu lernen. Dafür bin ich ihm bis heute von Herzen dankbar.

Wenn ich mich selbst nicht liebe, fällt es mir schwer, Liebe zu geben.

Und ich bin froh, dass er gerade in dem Moment, als diese Aufgabe erfüllt war, einen so schönen neuen Platz und eine neue Erfüllung gefunden hat.

Gleichzeitig habe ich mit ihm eine besonders schwierige Lektion gelernt, die mich aber letztlich genau dorthin geführt hat, wo ich heute stehe: Manchmal musst du harte Entscheidungen treffen, um deinen Weg weitergehen zu können. Dann tu das mit aller Konsequenz. Zieh es durch. Und wenn sich der Erfolg einer solchen Entscheidung nicht sofort einstellt, halte die Durststrecke aus.

Ein paar Wochen nachdem Renommée unseren Hof verlassen hatte, kam Unee. Und damit wurde alles, aber auch wirklich alles anders.