Kapitel 4

Das Haus hörte auf zu beben und der Deckenventilator wurde langsamer, bis er sich nur noch träge drehte, angetrieben einzig und allein von der leichten Brise, die von draußen hereinwehte. Nachdem die Tür noch ein letztes Mal geknarrt hatte, blieb sie halb geöffnet stehen. Für mich war die kritische Phase der Bedrohung vorbei, aber für Luc?

Die wirbelnden Schatten und das pulsierende Licht um ihn herum waren wie ein Kampf zwischen Tag und Nacht. Sie verschlangen Luc, bis er nur noch als Umriss dazwischen hindurchschimmerte.

»Luc!« Panik breitete sich in mir aus, was sofort die Quelle auflodern ließ. Ich spürte, dass sich – wie zur Warnung – meine Haarspitzen von den Schultern abhoben, und ich versuchte die Kraft auszulöschen, bevor sie noch weiterwuchs.

Die weißen Lichtschlangen, die Luc umgaben, pulsierten hell. Reflexartig legte ich die Hand an meine Stirn, um nicht geblendet zu werden, während sich die Mondschatten zu den dunkleren, wilderen Schatten reckten und sich mit ihnen vereinten, bis sie zu einer einzigen sich brechenden Welle wurden, die ihn komplett überspülte.

Sein gesamter Körper war in das weiße Licht der Quelle gehüllt und er sah aus wie ein Lux in seiner wahren Erscheinungsform.

Luc leuchtete wie hundert Sonnen und machte die Nacht zum Tag. Wer auch immer wach war und in der unmittelbaren Umgebung des Hauses lebte, musste gesehen haben, wie sich das Licht gegen die Fenster gedrückt hatte und in die Nacht hinausgeflossen war. Die Luft um uns herum knisterte.

Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Normalerweise bildete sich lediglich eine weiße Aura um ihn, wenn er die Quelle für mehr als nur einen kurzen Moment aufrief – ein typisches Zeichen, dass es heikel wurde. Aber dies hier war etwas noch nie Dagewesenes.

Doch er lebte und war nicht Staub und Asche – anders als ich, wenn er nicht eingeschritten wäre. Ohne es erklären zu können, wusste ich, dass ich mein Leben verloren hätte, wenn die Quelle in mir ausgebrochen wäre.

Ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper, was nichts mit den noch immer in mir schwelenden Aktivitäten der Quelle zu tun hatte. Luc hielt sich aufrecht, bewegte sich aber nicht.

»Luc.« Ich wiederholte seinen Namen und streckte die Hand nach ihm aus, als ich merkte, dass ich auf der Bettkante saß. Meine Beine hatten mich offenbar irgendwann nicht mehr getragen.

Aus dem intensiven Licht kam keine Antwort.

Ich beugte mich vor und das Licht um ihn herum reagierte auf meine Nähe mit einem heftigen Flackern. Nur wenige Zentimeter vor dem von der Quelle umhüllten Arm hielt ich inne.

»Bitte«, flehte ich mit pochendem Herzen. »Bitte sag etwas.«

Stille schlug mir entgegen – eine kalte, unheimliche Stille.

Einen kurzen Moment lang, in dem mir fast das Herz stehen blieb, glaubte ich, er würde überhaupt nicht mehr reagieren, und dieser Moment war einer der schrecklichsten in meinem Leben. Mir zersprang fast das Herz. Was sollte ich denn ohne ihn nur tun? Ich durfte ihn nicht verlieren. Nicht noch einmal.

»Alles okay.«

Vor Erleichterung musste ich schlucken, auch wenn irgendetwas mit seiner Stimme geschehen war. Sie klang belegt und ein wenig tiefer als sonst. Selbst ich vernahm die unglaubliche, unergründliche Kraft, mit der diese beiden Worte unterlegt waren. Einer Kraft, die wahrscheinlich nicht einmal Daedalus je zuvor erlebt hatte.

Der Alien-Teil in mir wusste nicht, wie er auf Luc reagieren sollte. Ich spürte, wie er in mir rumorte, als würde er Luc als Bedrohung sehen wie damals im Wald, nur dass er dieses Mal nicht übermächtig wurde, sondern sich in mich zurückzog und damit das Signal aussendete, dass er erkannt hatte, sich mit Luc anzulegen, hatte keinen Zweck, solange er so war – was auch immer so war.

Und was es war, erinnerte mich an das unerklärliche schlechte Gefühl, das mich manchmal angesichts einer bestimmten Person oder eines Ortes überkam, selbst wenn ich sie nicht kannte oder noch nie zuvor dort gewesen war. Es war ein Instinkt, der mir sagte, dass der Ort oder die Person nichts Gutes verhieß, und mit diesem intuitiven Gefühl lag ich eigentlich immer richtig.

Mein Instinkt sagte mir, dass mit Luc etwas sehr Grundlegendes nicht stimmte.

»Ich werde dir nichts tun«, meldete er sich zu Wort.

»Das weiß ich.« Und so war es tatsächlich. Zumindest glaubte ich es. Meine Augen begannen zu tränen, weil das Licht um ihn herum so intensiv war, dennoch konnte ich den Blick nicht von ihm abwenden. Nur meine Hand zog ich zurück und legte sie auf meine Brust, an die Stelle, auf die er seine Hand gedrückt hatte.

Er blieb reglos stehen, ein leuchtendes Wesen wie von einem anderen Stern. »Ich musste dich bremsen, ehe du dich selbst getötet hättest. Du hättest es nicht überlebt. Von dir wäre nicht einmal etwas übrig geblieben, das man hätte betrauern können.« Er bestätigte, was mein Instinkt mir gesagt hatte, aber etwas, das über die fremde Kraft in seiner Stimme hinausging, war nach wie vor seltsam – wie er die Worte wählte oder auch nur, wie er dort stand. »Du hättest das ganze Haus in Schutt und Asche gelegt, plus alles drum herum.«

»Danke«, flüsterte ich und war mir noch immer nicht sicher, was ich von alldem halten sollte. Ja, er lebte, aber er war eindeutig nicht wie sonst. »Wie hast du das gemacht?«

»Ich habe sie von dir genommen«, erklärte er, als handele es sich um einen Mantel und nicht um eine tödliche Menge ungezähmter Kraft. »Und dazu habe ich den Sog der Quelle in mir genutzt.«

Ich blinzelte den feuchten Schleier aus meinen Augen. »Wusstest du, dass du das kannst?«

Er legte den Kopf schief und dann nickte er.

»Weiß jeder, dass du dazu in der Lage bist?« Mir lief ein Schauer über den Rücken.

»Nein, ich habe es zuvor nur ein einziges Mal getan.« Er streckte den Hals. »Bei Micah.«

Den Namen des Origins zu hören, der fast mein Leben beendet hätte, verursachte bei mir einmal mehr eine Gänsehaut. Micah hatte der letzten Gruppe der Origins angehört und bei ihnen war etwas schiefgegangen. Irgendetwas hatte bei ihnen dazu geführt, dass sie sich körperlich schneller entwickelt hatten als alle anderen und aggressiv und gefährlich gewalttätig geworden waren. Sie hatten Kat wegen eines Kekses aus dem Fenster geworfen und zu guter Letzt einen Menschen getötet. Luc hatte versucht einzugreifen, doch nichts schien zu wirken, bis er schließlich getan hatte, was er tun musste, und sie alle umgebracht hatte, alle bis auf Micah, der dann später die Stadt Columbia terrorisiert hatte.

Sie waren ein weiterer Schandfleck für Daedalus, den aber auch Luc mit sich herumschleppte. Was er mit den Origins hatte tun müssen, hatte er bis zum Schluss für sich behalten.

»Du hast mir nie gesagt, dass du so was kannst«, sagte ich schließlich.

»Das brauchtest du auch nicht zu wissen«, antwortete er, ohne zu zögern. »Niemand brauchte das zu wissen.«

Skeptisch sah ich ihn an und versuchte, nicht beleidigt oder gekränkt zu sein, dass er so cool reagierte, doch dies war nicht die Zeit für besondere Befindlichkeiten. Mit Luc stimmte etwas nicht, etwas, was mir Angst machte. »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«

»Ja. Ich fühle mich … unbesiegbar.«

Ich öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch gleich wieder. Wie sollte man auf so etwas reagieren?

»Es ist seltsam«, fuhr er mit sachlich kühler Stimme fort. In mir spannte sich alles an. »Ich dachte, ich wüsste, wie es sich anfühlt, aber ich habe mich getäuscht.«

»Ich wünschte, ich hätte diese Aussage auf Band aufgenommen.« Argwöhnisch betrachtete ich ihn, während ich die Beine an meine Brust zog. »Niemand ist unbesiegbar, Luc.«

»Ich war so gut wie unbesiegbar. Vor dir, meine ich«, verbesserte er sich, nach wie vor vollkommen unbeteiligt. »Jetzt, da ich das Ausmaß deiner Kraft kenne, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich tatsächlich nicht unbesiegbar war.«

Langsam begann ich mir etwas zu wünschen, was mir zuvor nie in den Sinn gekommen wäre: dass Grayson noch da wäre.

Luc trat so nah an mich heran, dass ich die Hitze spürte, die von seinem Körper ausging. »Aber im Moment?« Er hob die leuchtenden Arme und streckte dann erst den Kopf und anschließend den rechten Arm nach links. »Selbst wenn du in der Lage wärst, deine Fähigkeiten zu kontrollieren, könntest du es nicht mit mir aufnehmen.«

»Gratuliere?« Während er damit beschäftigt war, sich selbst zu betrachten, rückte ich ein Stück von ihm ab und erstarrte, als er den leuchtenden Kopf in meine Richtung drehte. Mein Herz schlug mindestens dreimal so schnell wie normal. »Meinst du, du könntest die Lichtshow ein bisschen runterdimmen?« Wenn ich ihn sehen könnte – sein Gesicht und besonders seine Augen –, wäre mir schon deutlich wohler zumute. Wirklich besser fühlen würde ich mich wahrscheinlich aber nur, wenn er wieder zu dem ein wenig unheimlichen, aber normalen Luc würde, und nicht mehr diese vollkommen unmenschliche, gruselige Version seiner selbst.

Ich blickte zu dem Stein auf meinem Nachttisch. Über den mit einem schwarzen Textmarker aufgemalten Augen befand sich eine Harry-Potter-Narbe in Blitzform. Diesel war ein albernes, sinnloses und vollkommen nutzloses Geschenk von ihm gewesen, das Luc aber sehr lustig fand.

Die Version von ihm, die jetzt vor mir stand, allerdings nicht.

»Das nimmt jetzt seinen Lauf.«

Ich schluckte. »Und das bedeutet was genau?«

»Sobald ich die Quelle absorbiert habe, wird das Licht schwächer und ich …« Er hielt inne. »Ich werde nur noch ein wenig unheimlich, aber ansonsten normal sein, und nicht mehr diese vollkommen unmenschliche, gruselige Version meiner selbst.«

»Verzieh dich aus meinem Kopf!«

»Ich kann nichts dafür. Du bist in mir.« Zwei weiß glühende Hände drückten sich keinen halben Meter von meinen Füßen entfernt ins Bett.

»Das klingt ein wenig verstörend.«

»Es ist … anders«, sagte er und seine Stimme klang nach wie vor etwas fremd. »Die Quelle ist davon geprägt, was sie angetrieben hat. Ich kann nicht sehen, was du geträumt hast, aber ich fühle es. Ich schmecke deine Gefühle.«

Entgeistert und ratlos sah ich ihn an. Einerseits begrüßte ich, wenn er verstand, warum ich die Kontrolle verloren hatte, andererseits wollte ich nicht, dass er zu viel von dieser erdrückenden Last erfuhr.

»Es schmeckt nach Blut und Schrecken«, sagte er und mir stockte der Atem. »Nach Erniedrigung. Niederlage.«

Ich war so perplex, diese Worte zu hören, dass ich nicht bemerkt hatte, wie er näher gekommen war. Auf allen vieren streifte er meine Beine.

»Ich schmecke die Überreste von Hoffnungslosigkeit«, redete er weiter. »Was diese Gefühle ausgelöst hat, weißt du noch nicht – und ich auch nicht. Wozu er dich auch gebracht hat, als du bei Daedalus warst, es spielt keine Rolle. Nur das hier zählt. Ich werde ihn nicht töten, Evie. Einen einfachen schnellen Tod wird es für ihn nicht geben.« Ich nahm Lucs Hände an meinen Hüften wahr und im nächsten Moment wurde ich auf die Matratze gedrückt. Sein Kopf und seine Schultern waren über mir und seine Worte wie Feuer, als er weitersprach. »Ich werde ihm die Haut abziehen und anschließend seine Muskeln und Sehnen zerhacken, bis er keinen Finger mehr heben kann. Ich werde ihn langsam auseinanderreißen, an den empfindlichsten Stellen, Stück für Stück, und erst dann, wenn er den Tod vor Augen hat, wird er dich sehen. Du wirst das Letzte sein, was er sieht, bevor du ihm den Todesstoß gibst.«

Seine Ausführungen ließen mich erschaudern und machten mir Angst.

Gleichzeitig erregten sie mich. Was wahrscheinlich bedeutete, dass mit mir etwas nicht stimmte. Nicht wahrscheinlich, sondern ganz sicher war mit mir etwas total verkorkst und verstörend falsch.

»Nichts ist falsch an dir«, versicherte mir Luc. »Es ist keine Lust an der Gewalt, die dich so fühlen lässt. Es gibt niemanden, der es mehr verdient hätte als Jason Dasher.«

Er hatte recht, dennoch sollte ich niemandem einen solchen Tod wünschen. Ich sollte nicht diese primitiven Gelüste haben und außerdem sollte ich ihn nicht küssen wollen, nachdem solche Worte aus seinem Mund gekommen waren.

Luc legte den Kopf schief. »Es liegt auch daran, dass du weißt, dass ich das alles tun würde, was ich gesagt habe, und ich es für dich tun würde, und du weißt auch, wie sehr ich selbst gern das Letzte wäre, was Jason Dasher zu sehen kriegt.«

Mein Atem ging schneller, weil ich wusste, dass er recht hatte.

»Menschen sind kompliziert, Evie. Sie sind vielschichtige Wesen, die sich manchmal in der unbequemen, moralischen Grauzone wiederfinden«, sagte er mit dieser befremdlichen kraftvollen Stimme. »Dass du kein reiner Mensch bist, bedeutet nicht, dass du nicht genauso kompliziert bist.«

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und mein Puls hämmerte wie verrückt. Es tat mir in den Augen weh, in das Licht zu starren, aber so nah, wie ich ihm war, hatte er nichts mit den Lux gemein, die mich in ihrer wahren Erscheinungsform an flüssiges Glas erinnerten. Durch das intensive Leuchten hindurch schimmerten die fast makellosen Gesichtszüge, die ich gern wieder fotografisch festgehalten hätte so wie an dem Nachmittag in seinem Club. »Und du?«

»Ich bin das personifizierte Chaos, komplizierter gehts nicht«, antwortete er.

Während ich noch versuchte zu verstehen, wie die Aussage gemeint war, sprach er weiter. »Ich wünschte, du hättest jetzt keine Angst vor mir.«

»Ich habe keine Angst vor dir.«

»Das Innere deines Kopfes ist für mich wie ein offenes Buch. Ich weiß, was du denkst.«

Ich kniff meine tränennassen Augen zusammen. »Zum millionsten Mal, es ist unhöflich, die Gedanken anderer Leute zu lesen.«

»Es ändert nicht, was ich weiß«, antwortete er.

»Okay. Ja. Ich bin ein bisschen nervös. Kannst du es mir verdenken? Du redest komisch und hast mich noch kein einziges Mal Peaches genannt, seit du diese ganze Energie von mir in dir aufgesogen hast –«

»Das habe ich nur getan, weil du sonst so blöd gewesen wärst, dich umzubringen.«

»Und dafür danke ich dir, auch wenn du dir das ›blöd‹ sparen kannst«, erwiderte ich. »Du hast außerdem zu mir gesagt, dass du mich in diesem Zustand problemlos ausschalten könntest –«

»Was ich tun könnte und was ich tun würde, sind zwei komplett verschiedene Dinge.«

»Ja, sicher, Mister Obercool, aber deshalb klingst du nicht weniger gruselig.« Verkrampft krallte ich mich mit den Fingern in der Decke fest. Nur so konnte ich mich daran hindern, ihm eine reinzuhauen. »Und falls du es noch nicht weißt, du siehst aus wie ›The Human Torch‹ aus den Marvel Comics.«

»Aber ich bin immer noch Luc.« Er senkte den Kopf ein wenig und ich musste bewusst nach unten schauen, weil er mich sonst zu stark blendete. »Ich bin noch immer dein.«

Mein Herz machte einen kleinen Sprung und meine Finger lösten ihren Krallengriff. »Ja, das bist du.«

Er stützte eine Hand neben meiner Schulter auf und die von ihm ausgehende Hitze hätte eigentlich unerträglich sein müssen, aber dem war nicht so. »Ich wünschte, du hättest keine Angst vor mir«, wiederholte er. »Denn ich würde den Geschmack deiner Erinnerungen gern durch einen angenehmeren ersetzen.«

Was mein Herz als Nächstes tat, stellte den albernen Hüpfer von kurz zuvor locker in den Schatten. Seine bittersüßen Worte ließen es so stark anschwellen, dass ich glaubte, vom Bett zu schweben. Er wollte auslöschen, was er fühlte. Ich wusste, wie es ihm erging, war dieser Mist doch ursprünglich in mir gewesen, und auch ich hatte nichts lieber gewollt, als ihn loszuwerden. Ich hatte Angst vor dem, was er jetzt war, aber nicht vor ihm.

Niemals hätte ich Angst vor ihm.

Ich konnte gar nicht sagen, wie oft er eingeschritten und mir das Leben gerettet hatte, da ich es sicher gar nicht immer mitbekommen hatte. Es war mir unvorstellbar, wie er es geschafft hatte, sich von mir abzuwenden und sich von mir fernzuhalten, denn ich wäre umgekehrt nicht dazu in der Lage gewesen. Dafür war ich viel zu egoistisch. In der Hinsicht irrte Luc, was ihn und mich anging. Er würde alles tun, um dafür zu sorgen, dass ich lebte, während ich alles tun würde, um sicherzustellen, dass er an meiner Seite blieb.

Luc begann sich zurückzuziehen und ich konnte nicht länger ruhig liegen bleiben. Alles, was ich noch denken konnte, war, dass Luc mich jetzt brauchte. Ich hob die Hände und war davon überzeugt, dass die Quelle, die ihn umgab, für mich nicht gefährlich war. Als ich die Hände in das warme Licht schob, spürte ich ein Kribbeln in Fingern und Unterarmen. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, drehte seinen Kopf zu mir, während ich mich ihm langsam näherte. Tränen schossen mir in die Augen und ich schloss sie – weil er mich blendete, aber vielleicht gab es auch noch einen anderen Grund dafür?

Als sich unsere Münder berührten, spürte ich einen starken Energieschub, der ein Prickeln auf meinen Lippen und in meiner Kehle verursachte. Dennoch wich ich nicht zurück, auch nicht vor der Hitze, die von ihm ausging. Vielmehr öffnete ich die Lippen und küsste ihn nur noch inniger, wie um ihm zu beweisen, dass ich mich nicht vor ihm fürchtete und mein Bestes tat, um auszulöschen, was wir beide spürten und nun teilten.

Nach einer Weile glitt seine Hand an meinen Hinterkopf und er übernahm die Kontrolle über den Kuss, was ich gern zuließ.

Ein tiefes Raunen drang aus seiner Kehle, das die Schmetterlinge in meinem Bauch Kapriolen schlagen ließ.

Evie.

Ich hätte schwören können, dass ich ihn meinen Namen flüstern hörte, während er mich küsste, und es war seine Stimme, nicht die kühle, teilnahmslose, die mir Angst gemacht hatte, auch wenn es unmöglich war. Eine Hand schob mich sanft an der Hüfte unter seinen Körper und mir stockte der Atem vor Erregung. Ich spürte die Hitze und seine harte Körpermitte und alle Gedanken waren wie ausgelöscht. Ich nahm nur noch wahr, wie er sich anfühlte und was ich fühlte.

Wo auch immer er mich berührte, begann meine Haut zu prickeln, und dieses Prickeln folgte der Hand, die über meinen Arm, meine Taille und weiter glitt, die sich an meiner Hüfte festkrallte, dass es mir den Atem raubte, und dann sanft meinen Oberschenkel anhob. Er schob sich zwischen meine Beine und ich klammerte mich um seine.

Er schmeckte nicht nach schlechten Erinnerungen oder quälenden Albträumen. Er schmeckte nach Sonnenschein und Sommernächten. Ich ließ mich in ihn hineinfallen, und als er sich an mich presste, hauchte ich tonlos: »Luc.«

»Wenn du so meinen Namen sagst – das bringt mich um«, sagte er, und es war noch immer dieser kalte Ton, aber seine Worte? Das war ganz Luc, der jetzt zärtlich an meiner Unterlippe nagte. »Du hast ja keine Ahnung.«

Ich glaubte nicht, dass er wusste, was er tat, als er sich meinen Hals hinunterküsste. Er streifte mit den Zähnen über die unglaublich sensible Stelle am Übergang zum Schlüsselbein und unwillkürlich drückte ich den Rücken durch.

Okay. Vielleicht wusste er doch genau, was er tat.

Leise lachend schob Luc eine Hand unter mein Shirt, die sich auf meinem nackten Bauch wie ein Bügeleisen anfühlte.

»Du bist wieder in meinem Kopf.« Ich erkannte meine eigene Stimme kaum.

»So ist es.« Es schien ihm nicht einmal peinlich zu sein. »Und das ist nicht das Einzige, worin ich gern wäre.«

Angesichts dieser unverblümt ausgesprochenen Worte begann mein gesamter Körper zu glühen. »Schocker«, brachte ich mit Mühe hervor, während sich seine Hand über meine Rippen langsam zu meinem BH bewegte. Das dünne Material hielt nichts von der Hitze ab, die von seiner Hand ausging.

Sein Mund kehrte zu meinem zurück. »Du willst es doch auch.«

Es war keine Frage. Das war auch nicht nötig. Ich wollte. Ich wollte es so sehr, dass es fast wehtat, aber …

Über mir war Luc, aber dann auch wieder nicht.

Er küsste mich, als wollte er sein Revier abstecken, als wäre er bislang nie in den Genuss gekommen, und er ging gründlich vor.

Die Dinge gerieten ein wenig außer Kontrolle, während das intensive Leuchten um ihn pulsierte und flackernde Schatten auf Bett und Wand warf. Er hatte kein Shirt mehr an und sein Haar fühlte sich an, als hätte ich Flammen zwischen den Fingern, während er meinen Körper abküsste – erst über der Kleidung, dann die nackte Haut.

Dass meine Hose und mein Oberteil plötzlich verschwunden waren, musste mit Lucs besonderen Gaben zu tun haben, da ich nichts davon mitbekommen hatte, bis ich seine glühende Haut auf meiner spürte. Den BH hingegen nahm ich nur allzu deutlich wahr, denn Luc zog die Träger erst mit den Fingern und dann auch mit den Lippen herunter, bis er schließlich auf dem Bett landete. Als kein Stück Stoff mehr zwischen meinem Oberkörper und seinen Händen und Lippen war, hatte ich das Gefühl, nicht mehr an dem Puls vorbeiatmen zu können, der in meinem gesamten Körper wie wild pochte. Unsere Hände waren überall und ich wusste, wohin das führen würde.

Schwer lag es in der Luft, eine greifbare dritte Instanz, und als ich nach dem letzten Kleidungsstück griff, das Luc noch am Leib trug, dachte ich nicht einmal wirklich darüber nach. Alles, was ich wollte, war fühlen – ihn fühlen, die kostbaren Momente genießen, während alles jenseits von uns kurz vor dem Zusammenbruch zu sein schien. Wir hatten keine Ahnung, was in der nächsten Stunde passieren würde, deshalb wollte ich lediglich den schönen Moment erleben, mit ihm, mit uns, und nichts daran kam mir falsch vor.

Abgesehen von einer einzigen Sache.

Unser erstes Mal sollte uns allein gehören und nicht Luc, mir und was immer es war, was er aus mir herausgezogen hatte.

Nach einem langsamen, zärtlichen Kuss löste er seine Lippen von meinen. »Evie?«

Ich öffnete die Augen und sah, dass Luc nicht mehr ganz so stark strahlte wie zuvor und ich seine wie Diamanten leuchtenden Pupillen erkennen konnte. Unerschrocken blickte er auf mich herab und sein Blick war mir gleichzeitig vertraut und dann auch wieder nicht.

Ich legte einen zitternden Finger auf seine glänzende Wange. »Ich will dich. Ich will das hier«, flüsterte ich und Luc bebte. Die Quelle leuchtete hell auf. »Aber nicht so.«

Einen Moment lang verhielt er sich still. »Nicht so«, stimmte er zu und berührte mein Kinn. Die Quelle knisterte leise und breitete sich über meine Wange aus. »Aber weißt du, was?«

»Was denn?«

Er ließ eine Hand auf meine Hüfte gleiten. »Es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten.«

Die Schmetterlinge in meinem Bauch bewegten zaghaft ihre Flügel. In der Tat hatten wir schon einiges ausprobiert und ich hatte es jedes Mal sehr genossen. Genau wie Luc. »Ja.« Meine Mundwinkel begannen sich zu heben. »Ja, das stimmt.«

Luc küsste mich und wirbelte mich dann rasant herum, bis ich halb auf der Seite, halb auf dem Bauch lag und Luc sich hart und fest gegen mich presste.

Überrascht lachte ich auf. »Das war beeindruckend.«

»Ich weiß.«

Ich spürte seine warmen Lippen an meiner Schulter und unterdrückte ein Stöhnen. »Und ich dachte, arroganter könntest du nicht werden.«

»Ist es arrogant, die Wahrheit zu sagen?«

»Ja.«

»Finde ich nicht.« Er beugte sich über mich und breitete seine Hand über meiner aus, die ausgestreckt auf dem Bett lag. Die Quelle brachte auch meine Haut zum Schimmern, und als er die Finger meinen Arm hinaufbewegte, sprühte es Funken. »Und du weißt es bereits.«

»Was weiß ich?« Ich legte den Kopf an seine Brust und biss mir auf die Lippe, während sich seine Hand immer mehr Freiheiten herausnahm.

»Dass ich immer recht habe.«

Mein Lachen endete mit einem Laut, der mir die Wangen versengte, aber ich konnte mich rächen, indem ich meine Hüften zurückschnellen ließ, worauf er ein Stöhnen ausstieß, das wie ein Fluch klang. Doch jegliches Lachen erstarb innerhalb von Sekunden, weil ich einfach nicht ausreichend Luft in den Lungen hatte.

Mit heißen Fingern strich er mir über den Bauch und an meinem Nabel vorbei, ehe er innehielt. Er wartete.

Luc, der nach wie vor die Kontrolle über sich behielt, wartete auf mich.

Ich nickte und flüsterte. »Ja.«

Sein Körper begann leicht zu beben und dann nahm ich nur noch die unmittelbare, köstliche Spannung wahr, während sich seine Hand zielsicher weiter hinunterbewegte.

Gegenseitig brachten wir uns an einen Punkt, an dem keiner von uns mehr in der Lage war, einen sinnvollen Satz von sich zu geben. Als er mich schließlich an der intimsten Stelle berührte, hatte ich endgültig jegliches Zeitgefühl verloren. Ich presste mich gegen seine Finger, er drückte sich an mich und wir beide bewegten uns auf die Explosion zu, sehnten uns danach, und als es so weit war, vereinte sich sein heiserer Schrei mit meinem spitzen Kreischen.

Und in dem Augenblick, als wohlige Wellen durch mich hindurchwogten, die Luc mit mir teilte, wurde mir bewusst, dass es hier schon lange nicht mehr nur um Luc ging wie am Anfang, sondern um uns. Erst als wir wieder Luft bekamen und unser Herzschlag etwas langsamer wurde, merkten wir, wie dringend wir daran erinnert werden mussten, dass wir uns nicht durch die Vergangenheit, auch nicht durch die im Gedächtnis vergrabenen Teile definieren lassen durften.

Das durfte nicht sein.

Niemals.