Pete nahm Garretts Anrufe nicht an, was bedeutete, dass er über die Einmischung ihres Vaters Bescheid wusste. Nach der Arbeit hatte Garrett also die Wahl: Entweder er stellte seine Eltern zur Rede, oder er half der Familie Kalatkis im Laden. Hayley schickte ihm eine Nachricht, dass sie nach dem Abendessen dorthin wollte, und er schrieb ihr, dass er nachkommen würde.
Es lag nicht in seiner Natur, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Vor allem keiner, die längst überfällig war. Daher nahm er sich ein Taxi nach Brooklyn. Es herrschte viel Verkehr, und er kam in ziemlich gereizter Stimmung bei seinen Eltern an. Kurz entschlossen spazierte er zum Ende des Blocks und setzte sich auf eine der Bänke, die den Park überblickten.
Er musste sich erst einmal beruhigen, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Sein Training als Polizist kam ihm dabei zu Hilfe. Schließlich schlenderte er zum Haus zurück, in dem er und Pete aufgewachsen waren, und klingelte. Butch, der Beagle seiner Eltern, bellte, als das Läuten durchs Haus schallte, gleich darauf öffnete sich die Tür.
Seine Mutter stand vor ihm und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Garrett, Liebling, ich wusste gar nicht, dass du uns besuchen wolltest.«
Er gab seiner Mutter einen Kuss und trat ein, wobei er die Tür hinter sich schloss. »Ich glaube, Dad erwartet mich bereits.«
»Ich war mir nicht sicher, ob du vorbeikommen würdest«, sagte sein Vater vom Ende des Flurs. »Ich bin auch gerade erst nach Hause gekommen.«
»Wir müssen reden«, meinte Garrett.
»Ich hab deinem Dad gerade einen Martini gemacht. Willst du auch einen?«, fragte seine Mutter.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
»Lass uns ins Arbeitszimmer gehen«, sagte sein Vater.
»Alan, was ist los?«, fragte seine Mutter.
»Dad hat die Familie Rivera ausbezahlt. Er hat sich in meiner Zivilklage außergerichtlich geeinigt, ohne vorher zu fragen, ob ich damit einverstanden bin«, erklärte Garrett. Er vermutete, dass auch seine Mutter darüber nicht informiert war.
»Alan, wie konntest du das tun? Wir haben doch gesagt …«
»Mir blieb keine andere Wahl. Du warst doch auch der Meinung, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun sollten, damit Garrett wieder gesund wird und nach vorne schauen kann. Das konnte er nicht, solange diese Sache wie ein Damoklesschwert über ihm hing.«
»Ich lasse euch allein, damit ihr das bereden könnt. Bleibst du zum Abendessen, Garrett?«
»Nein, Mom. Es tut mir leid, aber ich hab noch was vor.«
Sie nickte, bevor sie das Zimmer verließ. Sein Vater schwieg. Wortlos steuerte er das Arbeitszimmer an. Bücherregale reichten bis zur Decke, und ein schwerer Perserteppich bedeckte den Boden. Der Schreibtisch neben dem Fenster hatte schon vor Garretts Geburt dort gestanden. Er und Pete hatten ihre Namen in einem Sommer vor langer Zeit auf der Unterseite der Tischplatte ins Holz geritzt, als es mehrere Tage geregnet hatte und sie nicht nach draußen konnten.
Er setzte sich in einen der Ledersessel. Sein verletztes Bein schmerzte, doch er wollte sich nichts anmerken lassen. Er hatte eine privilegierte Kindheit gehabt und führte auch jetzt ein privilegiertes Leben. Das wusste er, doch der sehnliche Wunsch, dass sein Vater seine Entscheidungen akzeptierte und respektierte, würde wohl niemals in Erfüllung gehen.
»Ich hatte dich gebeten, dich nicht einzumischen«, sagte Garrett. »Als du vorgeschlagen hast, dass ich mich mit deinem Anwalt beraten könnte, habe ich dein Angebot nur angenommen, weil Lionel mich gut kennt und weiß, was mir wichtig ist.«
Sein Vater stand hinter dem Schreibtisch, den Blick aus dem Fenster gerichtet, doch Garrett wusste, dass er auch ihn im Blick hatte.
»Ich weiß, und ich wollte mich auch raushalten, aber als ich feststellen musste, dass die Presse die Verbindung zu unserer Familie und unserem Unternehmen hergestellt hatte, blieb mir keine andere Wahl.«
Das konnte Garrett nachvollziehen. »Ich hätte nicht zugelassen, dass die Firma in diese Sache mit reingezogen wird. Ich weiß, wie wichtig dir das ist …«
»Das Unternehmen ist mir nicht so wichtig wie du«, unterbrach sein Vater. »Die Riveras haben erfahren, dass du nicht nur Cop bist, sondern auch mein Sohn. Deshalb haben sie bei Lionel angerufen und eine höhere Abfindungssumme verlangt und ihm gleichzeitig mitgeteilt, dass sie sich einen anderen Anwalt besorgt haben. Er hatte immer noch ihr ursprüngliches Angebot auf dem Tisch, das erst um Mitternacht ablief. Lionel hat zuerst versucht, dich anzurufen, aber er hat dich nicht erreicht. Erst danach hat er sich bei mir gemeldet. Eine Einigung, bevor der neue Anwalt übernahm, war die einzige Möglichkeit, um die Entschädigungssumme im Rahmen zu halten.«
Garrett lehnte sich zurück. Dagegen konnte er kaum etwas einwenden. Sein Vater hatte nur sein Bestes im Sinn gehabt. »Ich finde das nicht okay.«
»Ich weiß, mir ist es auch zuwider. Wenn du tatsächlich so ein fahrlässiger Polizist und Frauenheld wärst, wie es in der Klageschrift heißt, wäre ich auch sicher nicht für dich eingetreten. Aber du bist einer der ehrenhaftesten Männer, die ich kenne, Junge. Ich konnte nicht zulassen, dass diese Sache sich noch weiter hinzieht und dass sie in ihrer Gier deinen Namen und guten Ruf beschmutzen.«
Er glaubte auch, dass die Familie Rivera alles darangesetzt hätte, um zu beweisen, dass er ein schlechter Cop war und Paco aus Heimtücke erschossen hatte. Und sein Vater hatte, wie immer, alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seine Familie zu schützen.
»Ich glaube, ich sollte mich bei dir bedanken«, meinte Garrett.
»Das könntest du. Aber ich an deiner Stelle wäre auch wütend. Lionel hat mich nur angerufen, weil er dachte, das ginge in Ordnung, da ich auch bei der letzten Besprechung dabei war. Sonst …«
»Sonst hätte ich es jetzt mit einem Spitzenanwalt zu tun, der vor einer Schlammschlacht nicht zurückschreckt, richtig?«
»Ja«, antwortete sein Vater.
»In dem Fall danke.« Garrett beugte sich vor und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Er war es so leid, immer wieder mit den Folgen dieses Vorfalls konfrontiert zu werden. »Eine Nacht sollte nicht so viel ändern.«
»Nein, aber oftmals braucht es nur eine Kleinigkeit.«
Er betrachtete seinen Dad. Gewöhnlich sah er ihn nur als Vater, doch nun schwang etwas in seinem Ton, das ihn aufhorchen ließ.
»Ist dir auch mal so etwas Einschneidendes passiert?« Bisher hatte Garrett sich nie gefragt, wie seine Eltern zusammengekommen waren. Natürlich kannte er die Geschichten über das Debattierteam am College, in dem sie sich begegnet waren, aber viel mehr wusste er nicht. Wer wollte schon bis ins Detail erfahren, wie sich seine Eltern verliebt hatten? Er jedenfalls nicht. Bis jetzt.
»Ja, an dem Abend, als ich deiner Mutter zum ersten Mal begegnet bin«, sagte er. »Ich wusste damals sofort, dass ich die Frau gefunden habe, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will.«
»Woher wusstest du das, Dad?«, fragte er. »Wie konntest du dir so sicher sein?«
Sein Vater drehte sich wieder zum Fenster und schaute in den kleinen Garten. Sein Schweigen hielt so lange an, dass Garrett sich schon wunderte, ob er überhaupt antworten würde. Schließlich wandte Alan sich ihm wieder zu. »Ich war mir gar nicht sicher. Ich wusste bloß, dass ich den Gedanken an ein Leben ohne sie nicht ertragen konnte.«
An diese Worte erinnerte Garrett sich später, als er Hayley beobachtete, wie sie mit Mrs. Kalatkis lachend den Laden fegte. Sie machte ihm jede Kleinigkeit so bewusst. Er war sich jedoch unsicher, ob seine Gefühle für sie zur dauerhaften »Ich will mein Leben mit dir verbringen«-Sorte gehörten oder ob es nicht doch nur Lust war.
***
Hayley spürte, dass irgendetwas passiert sein musste, denn Garrett ging auf Abstand, während sie Mr. und Mrs. Kalatkis beim Aufräumen im Laden halfen. Das Schaufenster war inzwischen durch ein neues ersetzt worden, und Gitter waren davor angebracht, auch wenn Mrs. Kalatkis Einwände dagegen erhoben hatte.
Hayley hatte Pralinen mitgebracht und ein paar Kekse, die sie nach der Arbeit gebacken hatte, während sie auf Garrett wartete. Sie hatte gehofft, dass sie gemeinsam zu Abend essen würden, bevor sie zum Laden gingen. Aber er war nicht aufgetaucht. Und auch jetzt schien er sie zu meiden. Sie war schon oft genug abserviert worden, um zu wissen, wie sich das anfühlte. Versuchte auch er, ihr unauffällig einen Korb zu geben, oder lag es nur an dieser Zivilklage, die ihm Sorgen bereitete?
Sie war sich nicht sicher, was mit ihm los war. Aber sie wollte auch nicht so tun, als wäre nichts.
Sie waren kein Paar, darüber war sie sich im Klaren, denn sie hatten bisher kein einziges Date gehabt. Gut, sie hatten miteinander geschlafen und sich persönliche Details aus ihrem Leben erzählt, aber sie waren nie gemeinsam ausgegangen.
Spielte das überhaupt eine Rolle? War es nicht einfacher, sich einem Fremden anzuvertrauen, weil er genau das war – ein Fremder?
Sie war mit vielen Männern ausgegangen, die selbst nach Monaten trotz Einladungen zu Basketballspielen, Konzerten und teuren Abendessen Fremde geblieben waren. Ein Date war vielleicht nicht unbedingt die beste Methode, um jemanden wirklich kennenzulernen.
Allerdings versetzte es ihr auch einen Stich, dass Garrett sie ausschloss. Sie spielten ein seltsames Spiel, bei dem sie abwechselnd einen Schritt nach vorn machten und sich dann wieder zurückzogen, und Hayley wollte keine Spielchen mehr spielen.
Sie hatte sich verändert, aber falls das bei ihm anders war, musste sie es wissen, bevor sie sich weiter auf ihn einließ.
Die Handwerker waren fast fertig mit dem Anbringen der neuen Türen und Schlösser im Laden von Mr. und Mrs. Kalatkis, und Hayley hatte das Gefühl, dass sie alles Nötige getan hatte, um den beiden zu helfen. Mr. und Mrs. Kalatkis wollten sich ein paar Tage freinehmen, während Garrett ein neues Alarmsystem installierte. Ihre Kinder hatten auf einer Auszeit bestanden. Außerdem würde es eine Weile dauern, den Laden wieder auf Vordermann zu bringen und neue Ware aufzufüllen. In zwei Wochen war jedoch eine große Wiedereröffnungsfeier geplant.
Garrett redete mit dem Polizisten, der den Einbruch aufgenommen hatte. Bald darauf verabschiedete er sich, und Garrett war allein.
»Bringst du mich nach Hause?«, fragte sie.
»Ich glaube, es lauern keine großen Gefahren dort draußen«, erwiderte er.
Die wahre Gefahr bestand tatsächlich darin, dass er ihr viel zu wichtig geworden war. Und dass er sich immer noch nicht im Klaren war, was er vom Leben wollte, und sie immer wieder von sich stieß.
»Gut.« Sie hatte sich bereits von allen verabschiedet, daher wandte sie sich einfach um und verließ den Laden. Im Laufen knöpfte sie sich die Jacke zu. Es schneite wieder, und sie tat so, als ob sie sich darüber freute, während sie nach Hause lief.
Warum gab sie sich überhaupt noch mit Männern ab? Dann jedoch erinnerte sie sich daran, wie gut Garrett in dieser ausgeblichenen, engen Jeans aussah, und stöhnte auf.
»Hayley!«
Sie blieb nicht stehen und drehte sich auch nicht um. Er sollte sich bloß nicht einbilden, dass er sich wie ein Vollpfosten benehmen und erwarten konnte, dass sie alles brav schluckte. Vielleicht tat er aber genau das. Besser, sie fand es heraus, bevor sie sich noch tiefer in ihre Gefühle verstrickte. Im Moment war er nur ein Mann, den sie mochte. Ein Mann, mit dem sie geschlafen hatte. Kein Mann, den sie liebte.
Lügnerin.
»Verdammt, Hayley.« Garrett hatte sie eingeholt und legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zum Stehenbleiben zu zwingen.
Sie schüttelte seine Hand ab und machte einen Schritt zurück. Den Blick auf die Straßenlampe gerichtet, sah sie zu, wie die Schneeflocken im Licht tanzten. »Selber verdammt, Garrett. Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber so grob lasse ich nicht mit mir umspringen …«
»Es tut mir leid.«
»Was?«
»Du hast mich gehört. Ich hatte heute keinen guten Tag. Ich mache mir Sorgen wegen Mr. und Mrs. Kalatkis, und ich weiß nicht, was ich von meinen Gefühlen für dich halten soll«, erklärte er.
»Das ist aber eine ziemlich bunte Mischung«, sagte sie. Es klang fast so, als hätte er all diese Dinge nur aufgezählt, um nicht zugeben zu müssen, was ihn wirklich beschäftigte. Ihr Timing ließ echt zu wünschen übrig.
Er seufzte. »Ich weiß. Möchtest du mit reinkommen? Ich mach dir einen Drink, und dann reden wir.«
»Okay, aber lass uns zu mir gehen.« Er hatte nie etwas im Haus, außer irgendwelche Reste und Bier.
»Einverstanden«, sagte er.
Schweigend gingen sie weiter. Vor ihrem Haus zog er sie rasch zur Seite, damit sie nicht von einem Schneeball der Jefferson-Zwillinge getroffen wurde.
Die beiden Sechsjährigen bewarfen sich gegenseitig. »Entschuldigung, Miss Dunham!«, rief Andy. »Haben wir Sie erwischt?«
»Nein, habt ihr nicht«, erwiderte sie lächelnd. Kinder. Sie wollte irgendwann auch mal eigene, warum verschwendete sie also ihre Zeit mit einem Mann wie Garrett? »Viel Spaß noch, Jungs.«
Sie stieg die Treppe hinauf und schloss auf. Der Schnee lag überall zentimeterhoch, und sie hörte das Lachen der spielenden Jungs.
»Das weckt ein paar schöne Erinnerungen«, meinte Garrett.
»Ach ja? Ich hab das noch nie gemacht«, gab sie zu. Womöglich hatten ein paar ihrer Freunde sich Schneeballschlachten geliefert. Sie war jedoch nie dabei gewesen. Sie war mit ihnen Schlitten gefahren, hatte Schnee-Engel gemacht, aber Schneebälle … Damit wäre ihre Mutter niemals einverstanden gewesen.
»Niemals?«, fragte er.
»Nein.«
»Als Kinder haben Pete und ich uns jedes Mal Wettkämpfe geliefert, wer sich zuerst hinausschleichen und den anderen mit einem Schneeball überraschen kann«, erzählte Garrett. Ein seltenes, freudiges Schmunzeln schwang in seiner Stimme. Garrett hatte offenbar eine schöne Kindheit gehabt. Er hatte Glück. Sie war zwar kein armes reiches Mädchen, aber sie konnte spüren, dass er froh war, einen Bruder zu haben.
»Das war sicher lustig. Ich bin Einzelkind, daher gab es so was bei mir nie«, sagte sie. »Mom hat mir verboten, mit Schnee zu werfen, und Dad war nie da.«
»Sollen wir eine Schneeballschlacht machen?« Er wackelte mit den Augenbrauen.
Sie überlegte. Das wäre eine völlig neue Erfahrung für sie. Etwas, das ihre Mutter nicht gutgeheißen hätte. Warum hatte sie es eigentlich noch nie ausprobiert? »Ja, aber lass uns in den Garten gehen.«
»Ganz wie du willst.«
Hayley öffnete die Tür und legte Tasche und Schlüssel auf den Tisch. Lucy kam angeflitzt, und sie nahm den kleinen Hund auf den Arm. Auf dem Weg durch die Küche prüfte sie, ob noch genug Wasser und Futter in den Näpfen war.
»Gibt es irgendwelche Regeln, die ich kennen sollte?« Sie setzte Lucy wieder ab, um die Terrassentür zu öffnen.
Die Dackeldame trottete hinaus und kam sofort wieder rein. Misstrauisch betrachtete sie den Schnee, der ihr bis zum Bauch reichte.
»Das Gesicht ist tabu«, entgegnete Garrett. »Sonst ist alles erlaubt.«
»Klingt gut«, meinte sie.
»Das ist dein Bereich und das dort drüben meiner. Da das für dich neu ist, gebe ich dir ein paar Minuten Zeit, um ein paar Schneebälle zu formen.«
Lucy folgte ihnen nach draußen. Wie ein Storch stolzierte sie umher, während Hayley eine Handvoll Schnee zusammendrückte und das Gefühl hatte, dass ihr die Finger abfroren.
Sie schaute zu Garrett, der auf dem Boden kniete und ebenfalls Schnee zu kleinen Kugeln formte. Sie atmete tief durch und schleuderte ihre Kugel in seine Richtung. Sie traf ihn an der Schulter.
Überrascht schaute er auf. »Dann geht’s jetzt wohl los.«
Er bewarf sie mit einem Schneeball, und sie drehte sich gerade noch rechtzeitig um, sodass der Schnee sie am Rücken traf. In den nächsten fünfzehn Minuten tobten sie sich aus, und Hayleys gereizte Stimmung verflog. Auch Garrett schien sich zu entspannen. Sie schlich sich an ihn heran, eine Hand auf dem Rücken.
»Frieden?«
»Klar«, sagte er und ließ seinen letzten Schneeball fallen.
Grinsend drückte sie ihm den Schnee in ihrer Hand in den Nacken, bevor er reagieren konnte. Er schrie auf und packte sie, als sie weglaufen wollte.
Sie verloren beide das Gleichgewicht und stürzten. Garrett drehte sich im Fallen so mit ihr, dass er unten lag. Und ihr wurde klar, dass er das immer so machte. Bei jedem Sturz, den sie gemeinsam bisher hingelegt hatten, hatte er immer darauf geachtet, dass sie nicht verletzt wurde.
***
Die Schneeballschlacht täuschte darüber hinweg, dass Garrett und Hayley Probleme hatten und dass er ihr erst hatte hinterherlaufen müssen, um mit ihr zu reden. Die Wahrheit war jedoch, dass das Problem bei ihm lag. Er mochte sie, aber seine Abhängigkeit von ihr wuchs von Tag zu Tag. Ihr hatte sein erster Gedanke gegolten, als er erfuhr, dass die Zivilklage fallen gelassen worden war. Nach der Aussprache mit seinem Dad hatte er zuerst mit ihr sprechen wollen. Aber dass er jemanden so sehr brauchte, flößte ihm Angst ein.
Sie legte ihm die Hände auf die Brust und stemmte sich hoch. Dabei presste sich ihr Schoß gegen seinen Schritt, und Garrett stöhnte auf.
Wie konnte er plötzlich so angetörnt sein, wenn er doch im kalten Schnee lag? Sein Körper sollte mal besser seine Prioritäten überdenken. Warm werden sollte an erster Stelle stehen, nicht flachgelegt zu werden.
Aber sie fühlte sich so gut an.
Zum Teufel, sie fühlte sich immer gut an.
Und deshalb lag er hier bei ihr im Schnee, auch wenn ihm der gesunde Menschenverstand zu etwas anderem riet.
»Du hast mich wütend gemacht«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Warum hast du dich so verhalten?«, fragte sie.
»Kann ich dir das drinnen erzählen?«
»Vielleicht.«
Lucy bemerkte, dass sie sich auf Dackelhöhe befanden. Sie lief zu ihnen, stellte sich auf die Hinterbeine und schaute sie erwartungsvoll an.
»Was, glaubst du, will sie?«, fragte Hayley.
»Keine Ahnung. Aber da sie weiblich ist, ist es nicht verwunderlich, dass ich im Dunkeln tappe.«
Hayley blickte ihn schweigend an, und er wusste, dass er sie wieder einmal enttäuscht hatte. Es entsprach jedoch der Wahrheit, dass er nur raten konnte, was sie sich wünschte, und eben nur für begrenzte Zeit so tun konnte, als wüsste er es.
Bevor ihr auffiel, dass er nur so tat.
»Wirklich?«
»Ja.« Er umfasste ihre Hüften mit beiden Händen und hielt sie fest, als er sich aufsetzte. Sie schlang die Beine um ihn, und er genoss das Gefühl, sie so nah an sich zu spüren.
Verdammt.
»Ich würde mich gern cool geben und so tun, als ob ich verstünde, was dich so wütend gemacht hat, aber mir geht gerade so viel durch den Kopf, und ich wollte nur ein paar Minuten mit dir Spaß haben, denn aus irgendeinem Grund brauche ich dich …«
Sie schlang die Arme um ihn und bettete den Kopf an seine Schulter. »Das ist schlimm, nicht? Ich bin sauer, weil mir deine Bemerkung so wehgetan hat. Ich war wie verrückt glücklich und bin auf Wolke sieben geschwebt, und dann kommst du daher und lässt meine Seifenblase mit einem Mal zerplatzen.«
Er wusste nicht, was »verrückt glücklich« für sie bedeutete, aber es beschrieb ziemlich gut auch seine Gefühle. Dass es ihm unerklärlich war, warum er sie so gern in seinem Leben haben wollte, aber es sich trotzdem richtig anfühlte. Vielleicht jagte genau das ihm Angst ein.
Lucy wurde es leid zu warten, und sie legte ihm eine Pfote auf die Brust. Garrett hob den kleinen Hund hoch zwischen sie. Lucy drehte sich im Kreis und versuchte, eine bequeme Position zu finden, was Hayley zum Lachen brachte.
»Wenn wir nur auch so leicht zufriedenzustellen wären«, sagte sie. Eine Hand auf seine Schulter gestützt, stand sie auf, dann nahm sie Lucy auf einen Arm und streckte den anderen nach ihm aus.
»Wohl wahr.« Er ergriff ihre Hand und ließ sich von ihr hochziehen. Ihm war kalt und seine Jeans pitschnass.
»Wir hatten bis jetzt kein Date«, sagte sie, als sie das Haus betraten.
»Okay.«
»Tut mir leid. Ich hab überlegt … Warum duschen wir nicht, ziehen uns um, und dann treffen wir uns hier wieder zu einem Picknick vor meinem Kamin?«
»Als Date?«
»Ja. Ich lade dich dazu ein. Du hast gesagt, dass du noch nicht bereit bist, dich von mir zu verabschieden.«
»Das bin ich auch immer noch nicht«, gab er zu. »Okay. In einer halben Stunde?«
»Prima«, sagte sie.
Er lief schnell zu sich rüber. Sein Haus kam ihm plötzlich anders vor. Er duschte, zog sich an und holte eine Flasche Wein. Dabei fiel ihm auf, dass nicht sein Haus, sondern er sich verändert hatte.
Er hatte bisher ein erfülltes Leben geführt, doch durch seine Verletzung und diese alles verändernde Nacht hatte er das vergessen.
Er hatte sich allein auf das konzentriert, was ihm verwehrt blieb oder verloren gegangen war, und so konnte man nicht leben.
Hayley hatte seine Einstellung verändert. Mit ihrem unschuldigen Lächeln und ihrem verführerischen Körper hatte sie ihm klargemacht, dass er das Leben an sich vorbeirauschen ließ.
Das war ihr Verdienst.
Er hatte gesagt, dass er nicht bereit war, sich von ihr zu verabschieden. Das war er auch nicht, denn er wollte mit ihr zusammen sein. Er wollte, dass sie noch einen größeren Platz in seinem Leben einnahm. Aber konnte er das auch wagen?
Der Alltag eines Cops konnte recht gefährlich sein. Hectors Tod hatte dies schließlich mal wieder bewiesen. Zwar befand er sich jetzt sozusagen nicht mehr in der Schusslinie, da er am Schreibtisch ungelöste Fälle bearbeitete, aber diese Arbeit war nicht sein Ding.
Er wollte wieder in den Außendienst zurückkehren, sobald seine Gesundheit es zuließ. Sein Leben auf der Straße riskieren, um für Sicherheit zu sorgen. Auch wenn er nicht wusste, ob man dies einer Frau überhaupt zumuten konnte.
Aber war seine Zeit mit Hayley vielleicht nur eine andere Art von Schwebezustand? Eine Atempause, um sich vorzumachen, dass er sich eine neue Zukunft aufbaute, auch wenn diese nicht seinen wahren Wünschen entsprach?
Er stellte den Wein ab und lehnte sich gegen den Küchentresen. Er wollte eine einfache Antwort. Er wünschte, er könnte mit Hayley schlafen, ohne sich Gedanken über die Zukunft zu machen, aber seine Gefühle für sie waren nicht so oberflächlich. Sie gingen tiefer.
Er wollte immer noch Polizist sein, und dass Hayley in seine Überlegungen hineinspielte, bereitete ihm Sorgen. Die Bemerkung seines Vaters kam ihm in den Sinn. Sein Dad hatte behauptet, er hätte sofort gewusst, dass er den Rest seines Lebens mit seiner Mutter verbringen wollte, und Garrett fragte sich, ob er es riskieren konnte, dieselbe Entscheidung zu treffen wie er.
Andere Polizisten hatten auch Familie. Nun aber hatte er ein kaputtes Bein, und nur Gott allein wusste, ob er je wieder hundertprozentig fit sein würde. War es fair, die Beziehung mit Hayley zu vertiefen, bevor er sich seine eigene Schwäche eingestehen konnte?