2. Kapitel

Garrett hielt sich nicht für einen Casanova, obwohl er Single und kein Kind von Traurigkeit war. Gewöhnlich legte er jedoch Wert darauf, eine Frau besser kennenzulernen, bevor er sich zu einem leidenschaftlichen Kuss hinreißen ließ. Hayley zog ihn jedoch so sehr in ihren Bann, dass er seine Prinzipien vergaß.

Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, so gut fühlte sich ihr weicher Mund unter seinen Lippen und ihre schlanke Taille unter seinen Händen an. Er hob die Hüften noch einmal an und spürte, wie ihm ein federleichter Schauer über den Rücken rieselte. Besser, er ging auf Abstand, wenn er nicht wollte, dass aus einem Kuss schnell viel mehr wurde.

Er ließ sie los und richtete sich aus der Rückenlage auf.

»Du musst ja wie verrückt trainieren, wenn du so mühelos aus dem Liegen hochkommst«, stellte sie fest.

Sie betastete seinen Bauch, und er lachte. »Sit-ups und Oberkörpertraining sind alles, was ich mit einem verletzten Bein im Moment tun kann.«

»Ich dachte, man hat dir ins Knie geschossen.«

»Ja, und nach dem Schuss bin ich bei der Verfolgungsjagd umgeknickt«, erklärte er. Bilder von dem Moment, in dem Hector zu Boden ging, rasten ihm durch den Kopf, doch er schob sie zur Seite und ließ den Blick durchs Wohnzimmer wandern, um sich in der Gegenwart zu verankern.

»Egal, was für ein Training du machst, es funktioniert auf jeden Fall.« Sie lag immer noch auf dem Rücken neben ihm, den Kopf zu ihm gedreht und ein verträumtes Lächeln im Gesicht.

»Danke, ich tu, was ich kann«, erwiderte er sarkastisch.

»Bitte. Ich bin ein großer Fan von Komplimenten, wenn sie angebracht sind«, sagte sie. »Oft wird man ja eher niedergemacht.«

Er sah ihr an, dass sie das ernst meinte. Und es überraschte ihn auch nicht besonders, denn es entsprach dem bisherigen Bild, das er von seiner Nachbarin gewonnen hatte. Nicht ins Bild passte allerdings, dass sie sich wie ein Postergirl aus einem Automagazin auf seinem Teppich rekelte und dabei so ernst wirkte.

Er war stolz auf sich, dass er die Disziplin aufbrachte, aufzustehen, statt auf dem Boden liegen zu bleiben und sie zu verführen. »Komm schon, ungezogenes Mädchen, suchen wir dir etwas Bequemes zum Schlafen. Es ist schon spät.«

Sie schaute ihn an und kicherte, dann lachte sie schallend los.

»Was ist?«

»Tut mir leid. Ich musste nur gerade daran denken, dass ich mich nicht um Mitternacht in die alte Hayley zurückverwandelt habe.«

Kopfschüttelnd streckte er den Arm aus. »Hoch mit dir.«

Sie ergriff seine Hand, und er half ihr auf die Füße. Als sie sich an seiner Brust abstützte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, musterte sie ihn erneut forschend. Ganz so, als ob sie nach etwas suchte, nach Substanz und Tiefsinnigkeit womöglich.

Wenn er nicht arbeitete und Straftäter aufspürte, empfand er jedoch immer eine seltsame Leere.

Seufzend wandte sie den Blick ab.

Immer noch leer.

Er wollte die aufsteigende Enttäuschung leugnen, doch den Stich, den sie ihm versetzte, spürte er trotzdem. Er ging Hayley voran hinauf zum Schlafzimmer. Auf dem Weg nach oben blieb sie stehen, um die Bilder an der Wand zu betrachten.

»Drucke?«, fragte sie.

»Nein. Eine Wertanlage zu meinem dreizehnten Geburtstag.«

»Van Gogh?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab mir einen Lichtenstein gewünscht, aber mein Dad war dagegen. Meine Mutter mag van Gogh.«

»Ach ja? Stehst du ihr nah?«, erkundigte sich Hayley.

Als er jünger gewesen war, hatten sie tatsächlich ein sehr enges Verhältnis gehabt. Sie hatte wie ein Puffer zwischen ihm und seinem Vater fungiert, wenn sie sich stritten. Und ihm gefiel ihre Leidenschaft für van Gogh. Vielleicht gründete diese nur auf einer romantischen Vorstellung von dem Maler, weil sie den Song »Vincent« von Don McLean so sehr mochte, aber in ihrer Stimme hatte Garrett immer eine gewisse Sehnsucht vernommen, wenn sie über ihn gesprochen hatte.

»So nah, wie man seinen Eltern eben stehen kann«, antwortete er schließlich.

»Ich nicht«, sagte sie nach einem Moment.

»Was meinst du?«

»Ich stehe meinen Eltern nicht nah. Wir sind wie Feuer und Wasser. Wir passen nicht zusammen.«

»Mein Dad und ich sind genauso.« Er schaltete das Licht im Schlafzimmer an. »Möchtest du meine Briefmarkensammlung sehen?«

Sie stöhnte. »Das ist ein schrecklicher Anmachspruch. Wenn du mich wirklich ins Bett bekommen willst, hättest du deine Handschellen erwähnen sollen.«

Er lachte und schüttelte dabei das melancholische Gefühl ab.

»Komm schon, ungezogenes Mädchen.« Er öffnete die zweite Schublade der Kommode und nahm ein ordentlich gefaltetes schwarzes T-Shirt und eine Sporthose heraus. Beides reichte er ihr. »Du kannst dich dort drüben umziehen.«

Die Kleidungsstücke in der Hand, ging sie ins angrenzende Bad.

Er setzte sich aufs Bett und rieb sich über die Wade. Hayley war eine angenehme Ablenkung, aber ihre Gegenwart änderte nichts an der Tatsache, dass seine Verletzung nicht so gut heilte, wie sie sollte, damit er möglichst schnell wieder in den Dienst zurückkehren konnte. Bald schon würde er eine wichtige Entscheidung treffen müssen, obwohl er eigentlich gehofft hatte, sie würde ihm erspart bleiben.

Die Tür öffnete sich, und er blickte zu Hayley. Sie stand dort in seinem T-Shirt. Die Sporthose hatte sie weggelassen. »Das ist nicht ganz so glamourös wie mein Outfit vorher. Also, wie sehe ich aus? Immer noch verführerisch?«

»Müde«, stellte er fest.

»Müde? Und jetzt?« Sie zog einen Schmollmund.

»Verrucht durch und durch.« Seit Langem hatte ihn keine Frau mehr so in Versuchung geführt, aber sein Leben war auch ohne sie schon kompliziert genug. »Du kannst heute Nacht mein Bett haben.«

»Nein, ich will dir nicht noch mehr Umstände bereiten«, entgegnete sie. »Das Sofa reicht mir.«

Er hatte nicht vor, mit ihr darüber zu diskutieren. Er hatte es ihr angeboten, und sie hatte abgelehnt. Damit war die Sache für ihn erledigt. Wortlos verließ er das Schlafzimmer und war sich nur allzu bewusst, dass sie ihm folgte, denn der Duft ihres Parfüms hüllte ihn ein.

Sie legte ihre Klamotten und die Tasche auf den Sessel. Als ihr dabei der Saum seines Shirts über die Beine nach oben rutschte, wandte er sich ab, um eine Decke zu holen. Seine Mutter schneite immer wieder mit kleinen praktischen Geschenken herein. Daher war er gut ausgerüstet.

Er reichte ihr die Decke.

»Danke«, sagte sie. »Für alles. Du warst sehr viel netter, als du hättest sein müssen, Officer Schnittchen.«

»Ich lebe, um zu dienen und zu beschützen«, sagte er.

Sie drückte ihm die Hand. »Tja, ich kann sehen, warum du zu den besten Polizisten von New York gehörst. Du bist ein Gentleman.«

Doch die Richtung, die seine Gedanken einschlugen, war ganz und gar nicht gentlemanlike. Wenn er nicht sofort das Wohnzimmer verließ, bestand die große Gefahr, dass er sie erneut in seine Arme ziehen und nicht wieder loslassen würde, bis er tief in ihrem sexy »ungezogenen« Körper versunken war.

»Gute Nacht, Hayley.«

»Nacht, Garrett.«

Er drehte sich um und ging nach oben, um eine weitere schlaflose Nacht durchzustehen. Zumindest hielt ihn dieses Mal der angenehme Gedanke an Hayley vom Schlafen ab und nicht seine Angst vor der Zukunft.

***

Hayley wurde abrupt aus dem Schlaf gerissen, weil sie vom Sofa purzelte. Die frühe Morgensonne schien durch die Fenster, als sie sich aufrichtete und im Zimmer umschaute. Der vergangene Abend …

Nun, sie beließ es bei der Tatsache, dass der Abend anders geendet hatte als erwartet. Sie stand auf, und ihr Blick fiel auf ihren Rock und das Top. Auf keinen Fall wollte sie das gestrige Abend-Outfit im Moment noch mal anziehen.

Aber dann kam ihr der nagende Gedanke, dass ein echtes ungezogenes Mädchen beides ohne Scheu tragen würde. Dennoch konnte sie sich nicht dazu überwinden, noch einmal in die Klamotten zu schlüpfen.

Sie schnappte sich ihr Smartphone und telefonierte mit dem Schlüsseldienst. Man versicherte ihr, dass jemand in weniger als einer Stunde da sein würde. Das kam ihr jedoch ziemlich optimistisch vor, wenn man bedachte, dass der Mann aus Queens erst nach Manhattan reinfahren musste.

Sie fühlte sich wie eine Schnüfflerin, als sie durch Garretts Haus spazierte und schließlich auch die Küche entdeckte. Im Kühlschrank fand sie die typischen Junggesellen-Klischee-Vorräte: einen Sechserpack Bier, mehrere Reste Fast Food und eine offene Schachtel Natron, was das Gerücht bestätigte, dass das Mittel Gerüche neutralisierte. Es gab jedoch auch noch zwei Eier und etwas Milch. Beim Durchsuchen der Schränke stieß sie außerdem auf eine Tafel Schokolade und Mehl, und schon hatte sie die Zutaten für einen einfachen Muffinteig zusammen.

»Schon wieder erwischt. Ich glaube, ich muss dich doch noch verhaften«, sagte Garrett hinter ihr.

Sie schaute über die Schulter zu ihm und stöhnte auf. Er sah verflixt gut aus. Die Jeans saß ihm tief auf den Hüften, und da er kein Shirt trug, hatte sie einen ungehinderten Blick auf seinen Waschbrettbauch und seine breite Brust. Ehrlich, wer außer Ryan Gosling hatte denn in echt so einen durchtrainierten Körper?

»Weswegen?«, fragte sie und bemühte sich, locker zu klingen und sich ihm nicht an den Hals zu werfen.

»Weil du mir das Essen klaust. Darauf steht in manchen Gegenden der Welt die Todesstrafe.«

»Ah, Detective, ich glaube, du bist ein bisschen eingerostet. Ich habe nichts gestohlen. Ich verwandele lediglich deine mageren Lebensmittelvorräte in etwas Köstliches«, erwiderte sie.

»Was machst du da?« Er kam näher. »Das wird kein Omelett.«

»Vor dir kann man aber auch nichts verbergen«, sagte sie. »Muffins mit Zartbitterschokoladenstückchen. Hast du eine Muffinform? Sonst werden es eben Riegel.«

»Du hast meinen Schokoladen-Geheimvorrat entdeckt?«

»Vielleicht hättest du mir doch Handschellen anlegen sollen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Im Übrigen war der nicht so schwer zu finden«, gab sie zu, als er so nah vor ihr stehen blieb, dass kaum eine Hand zwischen sie gepasst hätte.

Er beugte sich vor und strich ihr mit dem Daumen über die Unterlippe. »Ich glaube, du hast ein Stück von meiner Schokolade gestohlen.«

»Ich … musste sie doch probieren«, sagte sie. Ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern, als er den Daumen an seinen Mund führte und ableckte.

Er machte sie verrückt. Es gab keine andere Erklärung dafür, warum sie in seiner Gegenwart vergaß, dass sie eine vernünftige, normale Frau war, und das Verlangen verspürte, ihn mit sich auf den Boden zu ziehen und ihn zum Frühstück zu vernaschen.

»Ich auch«, sagte er. »Fühlst du dich heute Morgen immer noch verrucht?«

»Du hast ja keine Ahnung«, antwortete sie, aber bei hellem Tageslicht fühlte sie sich längst nicht so draufgängerisch wie am Abend zuvor.

Sie machte einen Schritt zurück, doch sie stieß an den Tresen, und als er nachrückte, hob sie den Teiglöffel. Er lächelte, griff sich den Löffel und schleckte den Teig ab.

»Ich verkneife mir jetzt lieber eine sexistische Bemerkung über barfüßige Frauen, die höllisch gut kochen können.« Er bückte sich und öffnete einen Schrank hinter ihr, wobei er mit der Hand ihr Bein streifte.

Hitze wallte in ihr auf, als sie daran dachte, mit welcher Selbstverständlichkeit er sie berührte. Er machte den Eindruck auf sie, als wüsste er genau, was er wollte, und hätte keine Scheu, sein Ziel zu verfolgen. Warum machte sie es nicht genauso?

Am gestrigen Abend war sie sich so stark vorgekommen, und ihr wurde klar, dass sie dieses Gefühl erneut spüren und voll auskosten wollte.

Als er sich aufrichtete, legte sie ihm die Hände auf die Brust und spreizte die Finger über den harten Muskeln.

Sanft streichelte sie ihn, der leichte Haarflaum auf seiner Brust kitzelte sie an den Fingerspitzen. Er senkte die Lider und öffnete den Mund zu einem leisen Atemzug, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Teigklecks von den Lippen leckte.

Der Teig war lecker, aber Garrett war himmlisch. Er öffnete den Mund, und sie glitt mit der Zunge kurz über seine Lippen, doch bevor er den Kuss vertiefen konnte, löste sie sich von ihm und zwinkerte ihm zu.

»Ich glaube, ich brauche noch etwas mehr Zucker für den Teig. Er ist noch nicht süß genug.«

»Jemand ist definitiv nicht süß genug heute Morgen«, sagte er. »Sondern ganz schön provozierend.«

»Provozierend?«

»Ja. Ich wollte sehen, ob das ungezogene Mädchen geblieben ist oder ob meine schüchterne Nachbarin wieder übernommen hat.«

Sie richtete sich auf und hob eine Augenbraue. »Ich bin nicht der Typ, der nur vorgibt, sich verändert zu haben.«

»Das freut mich zu hören.« Er beugte sich vor und stahl sich den Kuss, den sie ihm einen Moment zuvor verweigert hatte.

Heiß und leidenschaftlich verschmolzen ihre Lippen. Sie suchte Halt an seinen nackten Schultern, als er sie hochhob und sich gegen den Tresen lehnte. Die Beine um seine Hüften geschlungen, eroberte sie mit der Zunge seinen Mund, bis sie nichts anderes mehr schmeckte als ihn.

Er stöhnte auf, rieb sich an ihr, doch sie zwang sich, Abstand zwischen sie zu bringen, und stellte sich hin. »Hältst du mich immer noch für ein schüchternes Mauerblümchen?«

»Zum Teufel, nein!«, erwiderte er und verließ lächelnd die Küche.

Entschlossen verdrängte Hayley jeden Gedanken daran, dass sie nur ein Spiel mit ihm spielte.

Auch wenn es sich so echt anfühlte, dass es ihr Angst einjagte – es blieb nur ein Spiel.

***

Als Garrett nach dem Duschen in die Küche zurückkehrte, standen fünf Muffins auf dem Tresen. Davor lag ein Zettel. Offenbar hatte Hayley sich einen Muffin als Bezahlung für ihre Arbeit genommen.

Danke, dass du mich gestern gerettet hast, Officer Schnittchen. Bis irgendwann mal wieder.

Sein T-Shirt lag ordentlich gefaltet neben dem Zettel. Er drückte es sich ans Gesicht. Die leichte Vanillenote von Hayleys Parfüm stieg ihm in die Nase, und er stöhnte auf, als er bemerkte, was er tat. Er war völlig neben der Spur. Gelangweilt, weil er vom Dienst beurlaubt war und mit dem verletzten Bein nicht richtig trainieren konnte.

Er konnte nicht wie Shia LaBeouf in »Disturbia« vom Hoffenster aus ein Verbrechen lösen, aber als er zwei Muffins und die Milchpackung mit hinaus auf die Terrasse nahm, wurde ihm klar, dass er großes Interesse daran hegte, was nebenan geschah.

Ach, verdammt!

Er biss in den Muffin und seufzte genüsslich auf, weil er so köstlich war. Hayley konnte prima backen, das musste er ihr zugestehen, und auch sonst fand er sie ziemlich heiß.

Sein Handy klingelte. Nach einem Blick auf die Nummer beschloss er aber, den Anruf zu ignorieren. Leider blieb sein Bruder Pete jedoch hartnäckig, und Garrett legte keinen Wert auf einen persönlichen Besuch von ihm.

»Was ist los?«

»Auch dir einen guten Morgen«, sagte Pete. »Ich wollte dich nur vorwarnen, dass der Chef vom Sicherheitsdienst heute in den Ruhestand geht. Dad hat deinen Namen bereits auf die Bewerbungsliste gesetzt.«

Garrett fluchte leise. »Ich habe sein Angebot gestern bereits höflich abgelehnt.«

Pete lachte. »Unser alter Herr möchte, dass du in den Schoß der Familie zurückkehrst. Er und Mom sind seit Hectors Tod wirklich außer sich vor Sorge. Das hättest auch du sein können, Bruderherz.«

»War ich aber nicht. Und ich kann jetzt nicht einfach ändern, wer ich bin, denn das würde bedeuten, dass Hector umsonst gestorben wäre.« Garrett gestand endlich laut den Gedanken ein, der ihm seit Wochen durch den Kopf ging. Er konnte nicht zulassen, dass Hectors Tod sinnlos gewesen war.

»Ich weiß, dass du nicht aus deiner Haut kannst«, sagte Pete. »Da ich dir gestern Abend beim Dinner jedoch nicht beigestanden habe, fand ich, dass ich dir wenigstens eine Vorwarnung schulde.«

»Verdammt richtig. Du schuldest mir was. Warum hast du mich nicht schon gestern vorgewarnt?«, fragte Garrett.

»Du bist mein kleiner Bruder, und ich will nicht, dass dir was zustößt«, antwortete Pete.

»Oh, ich hab gar nicht gewusst, dass ich dir so sehr am Herzen liege.« Garrett versuchte zu scherzen, weil er keine Schwäche zeigen und seinem Bruder nicht sagen wollte, wie sehr er ihn liebte. Aber er und Pete hatten sich schon immer nahegestanden.

»Mom ist schuld daran«, erklärte Pete.

»Wie kommst du darauf?«

»Sie hat mir immer aufgetragen, auf dich aufzupassen. Das ist mir zur Gewohnheit geworden. Und ich kann dich nicht beschützen, wenn du dich auf den Straßen von New York herumtreibst, aber in der Firma …«

»Vergiss es. Selbst wenn ich meine Dienstmarke gegen einen Job im privaten Sicherheitsdienst eintauschen wollte, würde ich nicht für dich oder Dad arbeiten«, fiel Garrett ihm ins Wort. »Nimm es mir nicht übel.«

»Tu ich nicht. Wie geht’s deinem Bein?«

»So wie gestern«, antwortete Garrett. »Morgen habe ich ein Gespräch mit dem Captain auf dem Revier, um zu besprechen, wann ich wieder arbeiten kann, warum?«

»Hast du Lust, heute auszugehen?«, fragte Pete.

Sein Ton verriet, dass er etwas im Schilde führte. »Vielleicht. Was hast du vor?«

»Crystal hat eine Freundin …«

»Nein, danke. Ich möchte nicht verkuppelt werden«, entgegnete Garrett.

»Du sitzt doch nur zu Hause rum und trainierst«, blieb Pete hartnäckig.

Er dachte an Hayley, und ihm wurde bewusst, dass sie sich nicht unbedingt zum schlechtesten Zeitpunkt begegnet waren.

»Das stimmt nicht. Ich bin heute mit den Jungs zum Pokern verabredet.«

»Dich mit deinen Freunden zu betrinken ist nicht dasselbe wie ein Date«, sagte Pete.

Manchmal nahm er seine Rolle als älterer Bruder wirklich ein wenig zu ernst.

»Ich habe eine Frau kennengelernt.«

»Gestern Abend?«

»Ja.«

»Eine Prostituierte?«, fragte Pete. »Du hast erst um elf das Restaurant verlassen.«

»Keine Hure«, erwiderte Garrett. Hayley spielte vielleicht das verruchte Mädchen, aber sie beide wussten, dass sie keines war. »Meine Nachbarin.«

»Wirklich?«

»Sie hat sich ausgesperrt, und ich habe ihr ausgeholfen.«

»Klingt aufregend«, meinte Pete.

Das war es, dachte Garrett. Er biss in den Muffin und spülte den Bissen mit einem Schluck Milch hinunter, bevor er aufstand. »Das ist sie. Ich muss los.«

»Okay, aber falls du deine Meinung doch noch ändern solltest, Crystal und ich nehmen nächsten Freitag um sieben an einem Pralinenkurs im Candied Apple Café teil.«

»Rechne nicht mit mir. Das ist nicht mein Ding.«

»Meins auch nicht, aber Crystal ist total begeistert …«

»Und deshalb hast du dich breitschlagen lassen. Du stehst voll unterm Pantoffel«, sagte Garrett.

»Stimmt«, gab Pete freimütig zu. »Ich hoffe, du findest eines Tages eine Frau, die aus dir ebenfalls einen Pantoffelhelden macht.«

Er beendete das Gespräch, und Garrett steckte sein Handy ein. Er wusste, dass er es niemals zulassen würde, dass jemand so viel Einfluss auf sein Leben nahm. Er machte sein eigenes Ding und damit basta.

Er trat auf die Terrasse hinaus und sah Hayley über die Straße gehen. Sie trug hautenge Jeans und eine Thermoweste, die ihre Brust und ihre schmale Taille umschmiegte. Er sah ihr nach, den Blick auf ihre wiegenden Hüften gerichtet, und stellte fest, dass er das ungezogene Mädchen, das er am vergangenen Abend gerettet hatte, gern wiedertreffen würde. Allerdings wusste er zu wenig über Hayley. Als Detective kannte er natürlich Mittel und Wege, um mehr über sie herauszufinden. Andererseits erschien ihm die Idee, sich ausgerechnet mit seiner Nachbarin einzulassen, nicht besonders schlau.

Falls die Sache mit ihnen nicht funktionierte, müsste er sie trotzdem noch jeden Tag sehen, und das könnte unangenehm werden. Vielleicht fühlte er sich auch nur deshalb zu ihr hingezogen, weil er sich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr mit einer Frau getroffen hatte. Kurz entschlossen rief er seinen Bruder noch mal an und sagte ihm, dass er ihn zu dem Pralinenkurs begleiten würde, um Crystals Freundin kennenzulernen.