Nic fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Er verfolgte Madalena Vasquez mit den Blicken, aber vor seinem inneren Auge stieg eine ganz andere Erinnerung auf. An ihre makellose weiße Haut, über die sich das rabenschwarze Haar ergoss. Dann sah er, wie sie stolperte, und plötzlich wirkte sie zart und verletzlich. Als sie sich jedoch wieder gefangen hatte, schritt sie aus dem Saal wie eine Königin. Sie muss gar nicht so gekränkt tun, wenn ich sie als „Prinzessin“ tituliere, dachte er. Schließlich kannte er sie nicht anders.
So ungern er dies zugab, sie hatte ihn schon immer fasziniert. Als junges Mädchen war sie ihm immer wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe vorgekommen, mit ihrem hellen Teint und den grünen Augen. Naiverweise verstieg er sich sogar zu der irrigen Annahme, sie fühle sich in den Kreisen, in denen ihre Familie verkehrte, unbehaglich. Gleichzeitig hatte er jedoch immer das Gefühl gehabt, unter dem fragilen Äußeren verberge sich eine Persönlichkeit, die mit beiden Beinen fest auf der Erde stand.
Er presste die Lippen zusammen. Die Vermutung, sie sei nicht dieses ätherische Wesen, hatte sich ja dann auch mehr als bewahrheitet. Sie war eben doch ganz die Mutter – die Versuchung in Person. Diese besaß eine Sinnlichkeit, gegen die jeder Mann hilflos war – sogar sein eigener Vater. Und eine Generation später wiederholte sich die Geschichte, und er erlag dem Reiz von Madalena Vasquez. Daran zu denken, trieb ihm noch immer die Schamröte ins Gesicht, aber er kam nicht gegen die Macht der Erinnerung an. Dazu war die neuerliche Begegnung zu frisch und die Wirkung auf ihn zu stark.
Er erinnerte sich an den Tag, als er die Weinstöcke an der Grenze zum Weingut der Vasquez inspizierte. Jederzeit musste man mit einem Sabotageakt rechnen. An diesem Abend fühlte er sich besonders niedergeschlagen. Die gedrückte Stimmung seiner Mutter, die niemand als Depression erkannte, und das cholerische Verhalten seines Vaters zerrten an seinen Nerven. An diesem Abend hatte sein Vater, betrunken, wie er war, wieder einmal zu einer seiner Tiraden gegen die erfolgreicheren Nachbarn ausgeholt. Dass sie eine Bedrohung für ihn und sein Weingut seien. Nic vertrat ja die These, jeder sei seines Glückes Schmied, aber gegen seinen Vater kam er nicht an.
Während er die Reihen der Weinstöcke abritt, erblickte er plötzlich Madalena Vasquez. Sie befand sich ebenfalls hoch zu Ross – und sah ihn geradewegs an.
Schlagartig verwandelte sich seine schlechte Laune in rasenden Zorn. Unbändige Wut erfüllte ihn, weil er sie nicht aus dem Kopf bekam. Diese Frau symbolisierte die seit Generationen andauernde Fehde, auch wenn er nie verstanden hatte, worum es bei dieser eigentlich ging.
Ihre herrische Haltung auf dem Rücken des Hengstes brachte sein Blut in Wallung. Er gab seinem Pferd die Sporen, aber Madalena riss den Hengst herum und galoppierte davon.
Selbst jetzt – acht Jahre später – konnte er noch die Faszination spüren, die er damals empfunden hatte. Er wollte sie haben … sie von Nahem sehen. Es war ihnen nie erlaubt worden, miteinander zu sprechen. Natürlich hatte er registriert, dass sie ihn aus der Entfernung beobachtete und dann gespielt schüchtern die Augen senkte, wenn er ihren Blick erwiderte.
Sie ritt wie der Teufel – tief über den Hals des Pferdes gebeugt. Seine Jagdleidenschaft war geweckt. Er nahm die Verfolgung auf. Schließlich entdeckte er ihr Pferd an einer Lichtung, wo die beiden Anwesen aneinanderstießen, einem Hain mit Obstbäumen. Madalena sah ihm entgegen, als sei sie sich sicher gewesen, dass er ihr folgen würde.
Der Anblick ihrer hochroten Wangen und des vom Wind zerzausten, rabenschwarzen Haars erregte ihn. Er schwang sich aus dem Sattel und schritt auf sie zu. Sein Ärger löste sich schlagartig auf. Das Wissen, etwas Verbotenes zu tun, schuf eine elektrisierende Atmosphäre.
„Wieso bist du mir nachgeritten?“, fragte sie leise.
„Vielleicht wollte ich endlich mal das Vasquez-Prinzesschen von Nahem sehen?“, antwortete er, ohne groß zu überlegen.
Sie wurde leichenblass. In ihren smaragdgrünen Augen lag ein verletzter Ausdruck.
Abrupt wich sie zurück. Nic hob die Hand, um sie zurückzuhalten. Er bereute seine gedankenlose Bemerkung. „Bitte warte! Ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt habe. Es tut mir leid.“ Er holte tief Atem. „Ich bin dir gefolgt, weil … weil ich das Bedürfnis danach hatte … und das Gefühl … du wolltest es auch.“
Sie wurde rot, und Nic streichelte impulsiv ihre Wange. Die samtene Haut, die deutlich ablesbaren Gefühle faszinierten ihn. Plötzlich überkam ihn eine tiefe Sehnsucht.
Madalena biss sich auf die Lippen. „Wir … wenn uns jemand sieht!“, stieß sie hervor.
Ein Zittern erfasste sie, das Nic nicht entging. Ebenso wenig wie die Brüste, die sich unter dem Stoff der Bluse deutlich abzeichneten und die langen Beinen, die von der Reithose wie eine zweite Haut umhüllt wurden.
Er kämpfte dagegen an, die Kontrolle über sich zu verlieren. Aber dann warf Maddie ihm einen Blick zu, der seinen Verdacht bestätigte, dass sie nicht ganz so zerbrechlich war, wie sie wirkte. Eigentlich offensichtlich bei dem Galopp, den sie soeben hingelegt hatte.
„Ich bin keine ‚Prinzessin‘! Ganz und gar nicht! Ich hasse es, wenn meine Mutter ein Modepüppchen aus mir machen will. Sie hätte eben gerne, dass ich so wäre wie sie. Eigentlich dürfte ich nicht einmal unbeaufsichtigt ausreiten. Manchmal kann ich ihnen jedoch entwischen.“
Nic bemerkte, wie ihr Blick zu seinem Mund glitt. Wieder errötete sie. Ein Testosteronstoß durchflutete ihn. Er fühlte sich plötzlich unbezwingbar. „Ich verbringe praktisch jede Minute auf einem Pferd … das bringt die Arbeit in den Weinbergen so mit sich.“
Wieder sah sie ihn auf eine Art an, die sein Blut zum Kochen brachte.
„Das habe ich mir auch immer gewünscht. Aber als mich mein Vater nach dem Tod meines Bruders einmal bei der Weinlese ertappte, hat er mich sofort heimgeschickt. Er drohte mir Prügel an, sollte er mich jemals wieder im Weinberg erwischen.“
Nics Magen krampfte sich zusammen. Er wusste genau, wie es war, einem gewalttätigen Vater ausgeliefert zu sein. „Dein Bruder ist vor ein paar Jahren gestorben?“, fragte er mit ungewollt harscher Stimme.
Madalena sah zu Boden. Sie schluckte schwer, bevor sie antwortete. „Es war ein Unfall bei der Weinlese. Er war gerade dreizehn.“
„Fehlt er dir sehr?“
„Er war mein Ein und Alles. Unser Vater hat ein etwas … cholerisches … Temperament. Einmal wollte er mich schlagen, aber Alvaro trat dazwischen und steckte die Prügel ein. Damals war er erst acht.“
Ihre Augen standen voll Tränen. Nic konnte ihre Gefühle sehr genau nachempfinden. Er hatte oft genug Schläge bekommen. Mitleidig nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er dies tat, obwohl er normalerweise jeden Menschen auf Abstand hielt.
Letztendlich waren sie sich ja fremd. Aber in diesem Moment fühlte er sich ihr seelenverwandt. Schließlich löste sie sich zögernd von ihm. Es fiel Nic schwer, sie aus seinen Armen zu lassen.
„Ich … ich sollte jetzt gehen“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Wahrscheinlich werde ich schon vermisst.“
Nic hielt sie zurück. Er musste es einfach tun. „Warte! Warum treffen wir uns nicht morgen wieder … hier … um dieselbe Zeit?“, stieß er hervor.
Den Bruchteil einer Sekunde hörte die Welt auf, sich zu drehen. Er wappnete sich schon gegen die höhnische Zurückweisung, die sicher gleich kommen würde.
„Das wäre schön“, antwortete Madalena leise mit hochroten Wangen.
Von da an trafen sie sich eine Woche lang täglich – es waren gestohlene Momente an diesem heimlichen Treffpunkt, an dem die Gesetze der Zeit aufgehoben zu sein schienen und alle Schranken fielen. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, erzählte Nic ihr Dinge, die er noch nie einer Menschenseele anvertraut hatte. Jeden Tag fesselte ihn Madalena aufs Neue. Ihre zarte Schönheit faszinierte ihn umso mehr, als er entdeckte, dass sich darunter eine natürliche Sinnlichkeit verbarg, die sein Begehren ins Unendliche steigerte. Trotzdem gelang es ihm, sich im Zaum zu halten und sie nicht zu berühren.
Bis zu jenem Tag, an dem sie sich das letzte Mal sehen sollten. Sein Verlangen hatte inzwischen ein Ausmaß angenommen, das ihn erschreckte. Zwischen ihnen beiden bestand eine erotische Spannung – die sich schließlich entlud. Als er an diesem Tag zum Treffpunkt kam, wartete Maddie schon auf ihn. Sie sprachen kein einziges Wort, die Luft zwischen ihnen vibrierte. Und plötzlich lag Madalena in seinen Armen.
Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und vergrub die Hände in ihrem seidigen Haar. Ein Schauer durchlief ihren Körper, und sie sanken auf den weichen Grasteppich unter den Bäumen. Nics Hände zitterten derart, dass er es kaum schaffte, die Knöpfe ihrer Bluse zu lösen.
Zwar war er keineswegs unerfahren, aber in diesem Augenblick fühlte er sich, als sei es das erste Mal. Unverwandt blickte er in Maddies Augen, während er ihre Bluse und dann den BH öffnete. Der Anblick der alabasterweißen Haut ihrer Brüste, die blassrosa Spitzen brachten ihn fast um den Verstand.
Er konnte nicht genug davon bekommen, sie zu liebkosen. Ihre leisen Seufzer und die Intensität, mit der sie sich an ihn schmiegte, machten ihn blind für alles andere um ihn herum – bis sie plötzlich in seinen Armen erstarrte.
Nic sah ihren entsetzen Blick und schaute hoch. Eine Gruppe von Reitern umgab sie. Und dann ging alles unglaublich schnell. Er versuchte Maddie vor den Blicken der Männer zu schützen, während sie mit fliegenden Händen die Bluse zuknöpfte. Sie wurden hochgezerrt und wie Verbrecher abgeführt.
„Hallo, hallo! Erde an Nicolás!“
Er zuckte zusammen und kehrte nur langsam in die Gegenwart zurück. Vor ihm stand Estelle und reichte ihm ein Glas Champagner. „Du siehst aus, als könntest du das jetzt vertragen.“
Obwohl er extrem aufgewühlt war, schaffte er es, eine unbeteiligte Miene aufzusetzen. Er nahm das Glas. Es gelang ihm sogar, es nicht auf einen Zug hinunterzustürzen.
„Diese Frau war also eine Vasquez? Ich fürchtete schon, ich müsste einen Sprengstoffexperten holen, um die Situation zu entschärfen.“
„Sie ist die Tochter. Die letzte noch lebende Vasquez. Offensichtlich will sie das Weingut der Familie übernehmen“, erklärte er schroff, als könne er dadurch die Erinnerungen vertreiben.
„Interessant …“, meinte Estelle in unschuldigem Ton. „Du bist ja auch der Letzte deiner Familie.“
„Das einzig Interessante daran ist, dass sie gezwungen sein wird, an mich zu verkaufen. Und damit wären wir den Vasquez-Clan endlich ein für alle Mal los!“
Er ließ Estelle stehen, um ihrem prüfenden Blick zu entkommen. Im Moment konnte er es nicht ertragen, über die Begegnung zu sprechen. Je eher Madalena Vasquez erkannte, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte, desto besser – für alle Beteiligten.
„Was hat er vor?“ Maddie betrachtete die Einladung, als wäre es eine Briefbombe. Dabei war die Mitteilung – silberner Prägedruck auf Büttenpapier – einfach und klar:
Hiermit möchte ich Sie herzlich zu einer privaten Weinprobe einladen. Verkostet werden Weine des diesjährigen Jahrgangs aus unserem renommierten Weingut. Am Samstag, sieben Uhr, Casa de Rojas, Mendoza. Um Abendgarderobe wird gebeten.
Die Karte kam, als Maddie sich gerade durch die Papierberge auf dem Schreibtisch ihres Vaters arbeitete. Sie hörte ein Geräusch und blickte auf. In der Tür stand Hernan, der älteste und treueste Angestellte ihrer Familie. Er arbeitete als Kellermeister für die Vasquez, wie schon sein Vater vor ihm. Seine Frau Maria war Haushälterin. Die beiden arbeiteten momentan gegen Kost und Logis, obwohl Maddie ihnen nicht versprechen konnte, in absehbarer Zeit wieder ein Gehalt zahlen zu können.
Der Gutsverwalter hatte das Weingut schon lange verlassen, und im Moment konnte sie auch keinen neuen einstellen. Sie selbst hatte eben ihr Studium in Weinbau und Önologie abgeschlossen, wusste also theoretisch alles über Rebsorten und die Weinbereitung, es mangelte ihr jedoch an praktischer Erfahrung. Schon immer hatte sie sich dafür interessiert und war deshalb froh, sich endlich bewähren zu können. Auch wenn die Freude angesichts der heiklen Situation stark gedämpft wurde.
Sie reichte Hernan die Karte. Er überflog die Einladung und gab sie mit undurchdringlicher Miene zurück.
Maddie hob fragend die Brauen.
Nach längerem Überlegen sagte er schließlich: „Du weißt schon, dass du das erste Familienmitglied der Vasquez wärst, das je auf das Weingut der de Rojas eingeladen wurde?“
Sie nickte zögernd. Dies war wirklich ein denkwürdiger Augenblick – aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Nic damit bezweckte. Auf jeden Fall reizte es sie außerordentlich, das Anwesen endlich zu sehen.
„Geh doch einfach mal hin. Die Zeiten haben sich geändert – es kann ja auch nicht ewig so weiter gehen. Nicolás de Rojas ist viel intelligenter als sein Vater und Großvater und damit ein gefährlicher Feind – aber vielleicht ist ein Feind, den man kennt …“ Hernan brach ab.
Nachdenklich starrte Maddie auf die Karte. Die Begegnung mit Nic lag zwei Wochen zurück, aber sie steckte ihr immer noch in den Knochen. Außerdem hatten ihr die Unterlagen ihres Vaters ihr vor Augen geführt, wie weit Nicolás de Rojas bereit war zu gehen, um das Vasquez-Anwesen an sich zu bringen.
Er hatte ihren Vater förmlich mit Briefen bombardiert. Die Bandbreite seiner Versuche reichte von freundlicher Höflichkeit bis zu unverhüllten Drohungen. Auf allen befand sich zwar der Briefkopf des Anwalts der de Rojas, aber jeder Brief war von Nicolás persönlich unterzeichnet. Der letzte Brief trug das Datum des Todestages ihres Vaters.
Am liebsten hätte Maddie die Einladung einfach zerrissen und die Schnipsel an Nic zurückgeschickt, aber das konnte sie sich im Moment nicht erlauben. Sie musste wissen, womit sie eventuell zu rechnen hatte.
Die Party fand schon am nächsten Abend statt.
Maddie legte die Einladung in eine Schublade und stand auf. Resolut setzte sie sich den Gauchohut auf, den sie immer während der Arbeit trug. „Gut. Ich werde darüber nachdenken. Aber jetzt müssen wir erst einmal den Weinberg im Osten inspizieren. Von ihm erwarte ich mir bei der diesjährigen Lese am meisten.“
„Ich würde sagen, er ist der einzige, von dem überhaupt etwas zu erwarten ist“, murmelte Hernan trocken, als sie zum Jeep gingen.
Maddie bemühte sich, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Aber angesichts der Aufgabe, die Weinlese lediglich mit Hernan und dessen Freunden und Verwandten bewältigen zu müssen, verließ sie fast der Mut.
Ihr Vater war von der alten Schule gewesen. Er hatte moderne Technologien strikt abgelehnt. Das war ja schön und gut, wenn man neben hochpreisigen Markenweinen auch noch ein paar billigere Tafelweine produzierte. Aber deren Produktion hatte ihr Vater in den letzten Jahren völlig eingestellt.
Die einzige Hoffnung, das Weingut zu retten, waren tatsächlich die Trauben an den östlichen Hängen, die wundersamerweise trotz der Vernachlässigung gediehen. Es waren Sauvignon-Trauben, aus denen man den exzellenten Weißwein herstellte, der den Namen Vasquez über die Landesgrenzen hinaus berühmt gemacht hatte. Vor allem, da in Argentinien hauptsächlich Rotwein produziert wurde.
Wenn es ihnen gelänge, diese Trauben zu ernten, und Investoren von der hervorragenden Qualität zu überzeugen, dann bestünde eventuell die Chance, an einen Kredit zu kommen. Dann bestünde auch die Chance, zumindest die dringendsten Rechnungen zahlen zu können.
Nic stand im Innenhof seiner Hazienda. Sein Blick war starr auf das Tor gerichtet, durch das immer noch illustre Gäste aus aller Welt strömten. Überall flackerten Kerzen in riesigen Laternen. Livrierte Kellner reichten Kanapees und Wein. In Nics Kopf herrschte jedoch nur ein Gedanke: Wird sie kommen? Und warum habe ich sie eigentlich eingeladen?
Weil ich will, dass sie endlich verschwindet! Bei der Vorstellung verkrampfte sich plötzlich sein Magen. Was er sich seit Jahren wirklich wünschte – seit er sie unerwartet in dem Klub in London gesehen hatte – er wollte sie in die Knie zwingen! Sehen, wie sie reumütig zurückgekrochen kam. Diese perfekte Fassade sollte zerstört werden. Er wollte sie demütigen, sowie er sich von ihr gedemütigt fühlte. Er wollte sie bloßstellen. Damals war es ihr gelungen, ihn zu umgarnen. Er hatte ihr naiverweise geglaubt und dafür bitter büßen müssen.
Wieder hallten ihre Worte in ihm nach: Mir war langweilig, verstehst du? Ich wollte dich verführen, weil man mir den Kontakt mit dir verboten hatte. Es war einfach aufregend … ein Kick.
„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Besitz der Vasquez Ihnen gehört.“
Nics Blick schweifte kurz von der Tür ab, und er sah seinen Anwalt an. Dieser war ein guter Freund seiner Eltern gewesen. Er war klein und gedrungen und hatte immer einen berechnenden Ausdruck in den Augen. Nic mochte ihn nicht, aber nach dem Tod seines Vaters war es einfacher gewesen, ihn zu behalten, als sich einen neuen zu suchen. Jetzt allerdings gelobte er sich, seinen Assistenten damit zu beauftragen, sich nach einem anderen umzusehen. Selbstverständlich würde er seiner Pflicht nachkommen und Señor Fiero mit einer äußerst großzügigen Rente in den Ruhestand schicken.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Nic die Ankunft eines neuen Gastes. Madalena Vasquez betrat den Hof! Sein ganzer Körper, jede einzelne Zelle schien auf sie anzusprechen. Dies schockierte ihn zutiefst. Keine andere Frau hatte jemals diese Gefühle in ihm ausgelöst.
Sie war noch schöner als bei der Begegnung vor zwei Wochen. Die Haare waren hochgesteckt, und das mitternachtsblaue, schulterfreie Abendkleid betonte ihre schmalen Schultern, aber auch die festen Muskeln ihrer Oberarme. Irgendetwas kam ihm an dem Kleid seltsam vor, aber Nic hätte nicht sagen können, was. Auch beim Ball in Mendoza dachte er, etwas wäre nicht ganz stimmig – als ob das Kleid nicht ihr eigenes wäre!
Er war normalerweise von Frauen umgeben, die äußerste Sorgfalt auf ihr Äußeres legten. Deshalb fiel ihm die leiseste Unstimmigkeit sofort auf. Und irgendwie passte das nicht zu dem Bild des verwöhnten Luxusweibchens, das er sich von Madalena Vasquez gemacht hatte.
„Wer ist das? Irgendwie kommt sie mir bekannt vor.“
Seltsamerweise störte es Nic, dass sein Anwalt Madalena gleichfalls anstarrte, „Das ist Madalena Vasquez. Sie hat den Familienbesitz übernommen.“
Der Anwalt stieß ein höhnisches Lachen aus. „Wie bitte? Das Weingut ist doch absolut heruntergewirtschaftet! Sie wird Sie auf Knien anflehen, es zu kaufen.“
Nic wandte sich ab, um dem unerklärlichen Impuls, dem Anwalt einen Kinnhaken zu verpassen, Herr zu werden. Er ging auf Madalena zu, während er immer noch versuchte, seine Wut zu unterdrücken. Er blickte ihr in die smaragdgrünen Augen, sah aber auch die dunklen Augenringe, die selbst die Schminke nicht verdecken konnte – ein deutliches Zeichen, wie sehr sie sich verausgabt hatte. Wieder zog sich sein Magen zusammen. Dabei wusste er doch, dass das alles nur gespielt war. Sie hatte diese weiblichen Tricks sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. Sie wollte die Männer glauben machen, sie wäre so naiv und unschuldig, wie sie aussah. Dabei war sie verdorben bis ins Mark.
Trotzdem waren die Regungen seines Körpers unmissverständlich. Er begehrte sie. Er wollte sie. Jetzt – auf der Stelle.
Es gelang ihm, ein unverbindliches Lächeln aufzusetzen und sein Begehren zu ignorieren. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“
Maddie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, in welchen Aufruhr sie die Begegnung versetzte. Bescheidenes Heim! dachte sie höhnisch angesichts des luxuriösen Anwesens. Einst hatte ihr Zuhause dem seinen in nichts nachgestanden. Jetzt allerdings war es heruntergekommen und renovierungsbedürftig.
Keine Sekunde lang fiel sie auf die Fassade des charmanten Gastgebers herein. Seine Augen waren kalt wie Eis. Unwillkürlich überlief sie ein Schauer. Sie hatte sich vorgenommen, distanziert und selbstbewusst aufzutreten, aber jetzt platzte sie heraus: „Warum hast du mich eingeladen?“
„Warum bist du gekommen?“, kam die Antwort.
Schlagartig bereute sie, die Einladung nicht in kleinen Fetzen zurückgeschickt zu haben. Sie richtete sich auf. „Ich wollte dir lediglich mitteilen, dass sich meine Einstellung seit unserer letzten Begegnung nicht geändert hat. Ich … ich bleibe!“
Nicolás machte eine leichte Geste mit dem Kopf, und wie von Zauberhand tauchte ein Mann an seiner Seite auf.
„Sir?“
„Madalena, darf ich dir Geraldo, meinen Assistenten, vorstellen? Er wird dir alles zeigen und jeden deiner Wünsche erfüllen. Wenn ich mich jetzt entschuldigen darf? Ich muss mich um meine anderen Gäste kümmern.“
Als er ging, überfiel Madalena unerklärlicherweise ein Gefühl von Leere und Verlassenheit.
Mit einem gezwungenen Lächeln wandte sie sich dem Mann zu, der geduldig an ihrer Seite harrte. „Ich danke Ihnen. Sollen wir?“
Allein in den wenigen Räumen, die Geraldo ihr zeigte, war die Pracht überwältigend. Alles war geschmackvoll und äußerst luxuriös, aber gleichzeitig auch behaglich eingerichtet. Es war wirklich und wahrhaftig ein „Zuhause“! Das Haus ihrer Familie hatte immer etwas von einem Ausstellungsraum gehabt – kalt und abweisend, wenn auch voller Antiquitäten und anderer Kostbarkeiten.
Ihr Kopf schwirrte, als Geraldo sie nach der Besichtigungstour wieder in den Hof zurückbrachte. Die Reichen und Schönen gaben sich hier ein Stelldichein. Frauen in kostbaren Abendroben mit funkelnden Juwelen und Männer im Smoking standen dicht an dicht in angeregter Unterhaltung.
„Darf ich mich von Ihnen verabschieden?“
Maddie schreckte aus ihren Gedanken auf. „Aber selbstverständlich! Es tut mir leid, Sie so lange aufgehalten zu haben. Sie sind sicher sehr beschäftigt.“
„Es war mir ein Vergnügen, Señorita Vasquez. Ich werde dafür sorgen, dass Eduardo, unser Kellermeister, Ihnen die erlesensten Weine kredenzt.“
Ein weiterer äußerst zuvorkommender Angestellter wartete bereits, um Maddie zu den Tischen zu eskortieren, an denen die Weinprobe stattfand. Sie erblickte Nic, der die Menge um Haupteslänge überragte, und sah, dass er sie beobachtete. Auf seinem Gesicht lag ein triumphierender Ausdruck. Plötzlich wurde ihr bewusst – er hatte sie von Anfang an manipuliert.
Wie konnte ich auch nur eine einzige Sekunde darauf hereinfallen, schalt sie sich. Es ärgerte sie maßlos, dass er glaubte, sie wäre so leicht hinters Licht zu führen. Sie beschloss, ihn einfach zu ignorieren, und konzentrierte sich auf Eduardo, der ihr die Vorzüge der einzelnen Weine beschrieb.
Als ein paar Minuten später jemand Eduardo ansprach, nutzte sie die Gelegenheit, um zu flüchten. Sie sah Nic inmitten einer Gruppe Frauen, die fasziniert an seinen Lippen hingen. Instinktiv schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein, ärgerte sich aber gleichzeitig, dass sie überhaupt registriert hatte, wo er sich befand. Als ob ein unsichtbares Band sie verbinden würde. Ungebetenerweise fiel ihr ein, dass dies bereits seit ihrer Pubertät der Fall war.
Sie durchquerte einen mit luxuriösen Sofas und Rosenholzmöbeln eingerichteten Salon und trat hinaus auf eine Veranda. Abwesend lehnte sie sich gegen das Geländer und blickte in die Nacht.
Einzelne Töne einer berühmten Jazzband drangen an ihr Ohr. Maddie verzog ironisch die Lippen. Selbst wenn man ihr am Tor den Zutritt verwehrt hätte, wäre ihr der überwältigende Reichtum nicht entgangen.
Allein schon die großzügige, kiesbestreute Auffahrt, die zum Anwesen führte, dann die unzähligen Reihen der Weinstöcke, die Vielzahl an Ställen, Scheunen und Nebengebäuden waren absolut beeindruckend.
Plötzlich vernahm sie hinter sich ein Geräusch und wirbelte herum. Ihr Herz machte einen Satz. In der Tür stand Nicolás de Rojas. Er hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und … sah unverschämt gut aus.
Maddie zwang sich zu einem Lächeln. „Dachtest du wirklich, ich wäre von alldem so eingeschüchtert, dass ich auf der Stelle die Fahnen strecke, zum Flughafen fahre und abreise?“
Nic trat auf sie zu. Ihr Herz stockte, als sie den Duft seines herben Aftershaves wahrnahm. Das Geländer grub sich in ihren Rücken.
„Nach dem Trubel in London und dem luxuriösen Skiresort in Gstaad muss dir doch hier alles sehr langweilig vorkommen. Vermisst du das alles denn nicht sehr?“
Maddie lief tiefrot an. Sie versuchte, weiterhin zu lächeln, um zu verbergen, wie sehr seine Bemerkung sie verletzte. „Du liest die Regenbogenpresse? Das hätte ich nicht gedacht.“
Maddie hatte sich schwere Vorwürfe gemacht, dass sie damals nicht misstrauischer gewesen war, als ihre Mutter den Wunsch äußerte, sie sehen zu wollen – und sogar anbot, ihr den Flug nach Gstaad zu finanzieren. Und das, obwohl sie in der Vergangenheit unmissverständlich klargemacht hatte, sie hätte schon viel zu viele Opfer für ihre Tochter gebracht – und sich sogar weigerte, Maddie zu unterstützen.
Als sie ankam, stellte sich sehr schnell heraus, dass sie nur ein Mittel zum Zweck war. Ihre Mutter versuchte gerade, Ehemann Nummer drei zu bezirzen, der geschieden, aber ein engagierter Vater war. Dies traf Maddie zutiefst, aber sie besaß einfach nicht mehr die Energie, sich zu widersetzen, als ein Klatschblatt sie fotografierte und es aussehen ließ, als verbände sie und ihre Mutter ein herzliches Verhältnis.
„Auf dem Rückflug nach Argentinien reichte mir die Stewardess ein Magazin. Ich wollte schon ablehnen, da sah ich das Titelfoto. Natürlich konnte ich nicht widerstehen und las den Artikel. Ich erfuhr alles über die wundervolle Beziehung zwischen dir und deiner Mutter, dass es ihr inzwischen gelungen ist, die schmerzhafte Vergangenheit hinter sich zu lassen – ihre Trennung von deinem Vater.“
Maddie kannte diesen Artikel und konnte es nach wie vor nicht fassen, dass sie derart ausgehungert gewesen war nach der Zuneigung ihrer Mutter, dass sie sich so von ihr benutzen ließ. Sie zwang sich, die Erinnerung beiseitezuschieben.
„Leider hast du vergebens so viel Mühe auf deine Abschreckungstaktik verschwendet, de Rojas. Du hast mich lediglich in meinem Entschluss bestärkt, das Weingut zum Erfolg zu führen. Ich habe die letzten zwei Wochen in einem Haus ohne Strom verbracht! Du siehst, ich nehme nicht gleich Reißaus und renne ins nächste Wellnesshotel. Und jetzt – wenn du nichts dagegen hast – möchte ich mich verabschieden. Ich muss morgen früh raus.“
Sie raffte ihr Kleid und wollte gehen, blieb aber mit einem Absatz einer ihrer viel zu großen Schuhe hängen und stolperte. Eine starke Hand schloss sich um ihren Arm. Die Berührung traf sie wie ein elektrischer Schlag. Nicolás ließ sie nicht los. Er drehte sie zu sich, als wäre sie eine Marionette.
„Was meinst du damit: ein Haus ohne Strom?“
Eigentlich galt Maddie eher als groß für eine Frau, aber im Moment fühlte sie sich klein und schmächtig. „Der Strom ist schon seit Monaten abgestellt, weil mein Vater die Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Wir benutzen einen uralten Generator.“
„Ich wusste nicht, dass die Lage derart schlimm ist.“ Nic wirkte ernsthaft schockiert.
Maddie versuchte, ihren Arm loszureißen, aber er hielt sie fest. „Als wenn dich das interessieren würde! Du warst doch viel zu sehr damit beschäftigt, die Briefe deines Anwalts zu unterschreiben, um einen Mann, der auf dem Sterbebett lag, zu zwingen, an dich zu verkaufen. Weißt du überhaupt, dass der letzte Brief ausgerechnet an seinem Sterbetag geschickt wurde?“
Jetzt wirkte Nicolás eindeutig verwirrt. Er verstärkte den Griff um ihren Arm. „Wovon redest du eigentlich? Ich habe nie irgendwelche Briefe unterschrieben. Nach dem Tod meines Vaters wurde jegliche Korrespondenz mit deiner Familie eingestellt. Ich hatte genug mit unserem Weingut zu tun.“
„Streng dich nicht weiter an, de Rojas. Es war ein Fehler, hierher zu kommen. Dadurch habe ich meine Familie, meinen Vater, verraten. Es wird nicht wieder geschehen.“
Nic ließ sie los, und Maddie fühlte sich plötzlich seltsam desorientiert. Ihre Wut verrauchte schlagartig. In Nics eisblauen Augen funkelte etwas auf, das mehr als alle Worte sagte. Etwas, das eine direkte körperliche Reaktion bei ihr auslöste.
„Du bist aber gekommen. Und zwischen uns ist etwas … etwas das uns damals schon zusammengebracht hat … und es ist immer noch da.“
Maddies Verwirrung wuchs, ihr schwindelte. Seine Worte brachten die Vergangenheit zurück. Glasklar hörte sie seine Worte von damals: „Du bist einfach nur ein Flittchen. Ich war neugierig, wie sich wohl das Vasquez-Prinzesschen anfühlt. Jetzt weiß ich es: halbseiden.“
Sie fühlte wieder die Demütigung, den Schmerz. Seit damals hatte sie nie mehr einem Mann vertraut. Sie musste sich schützen. Nie mehr sollte sie jemand derart verletzen können. Er darf nicht merken, wie viel mir das immer noch ausmacht, dachte sie.
Sie zwang sich, ihm geradewegs in die Augen zu blicken. „Ich habe dich einmal verführt, de Rojas. Du glaubst doch nicht im Ernst, dieser Abend würde mich so beeindrucken, dass ich es ein zweites Mal täte? Ist dein Ego immer noch derart verletzt, dass du acht Jahre später immer noch deine Wunden leckst?“
Nicolás wurde bleich unter seiner Sonnenbräune. „Du verdammtes Biest!“