Nic schaute sie mit unschuldigem Augenaufschlag an. „Was meinst du damit?“
„Du wagst es tatsächlich, mir einen Vasquez-Wein anzubieten! Glaubst du, ich würde ihn nicht erkennen? Soll das ein Test sein?“ Sie warf ihre Serviette auf den Tisch und sprang auf.
Nic fasste sie am Handgelenk und hielt sie fest. „Setz dich! Bitte.“ Als sie ihn wortlos anblickte und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, fügte er hinzu: „Ich gebe es zu! Ich war neugierig, ob du den Wein erkennen würdest.“
Mit einem Ruck riss Maddie sich los. „Selbstverständlich erkenne ich den Wein. Ich bin mit ihm aufgewachsen. Jahr für Jahr habe ich diese Trauben reifen sehen.“ Ihre Stimme war emotionsgeladen. Plötzlich gaben ihre Knie nach, und sie sank zurück auf den Stuhl. Sie war völlig verwirrt – nicht zuletzt wegen ihres eigenen Verhaltens. Okay, Nic hat mir einen Wein von unserem Gut vorgesetzt. Na und?
„Ich wollte dich nicht ärgern, Maddie. Ganz ehrlich.“
„Richtig. Du hast mich ja nur getestet! Du wolltest wissen, ob ich mich wirklich auskenne – oder ob ich mein Diplom doch nur dadurch bekommen habe, weil ich mit den Dozenten ins Bett gegangen bin.“
„Ich gehe nicht davon aus, dass du dir deine Noten erschlichen hast.“
Zu ihrem Entsetzen spürte Maddie, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Verzweifelt versuchte sie, diese zurückzuhalten. Nics schockierter Gesichtsausdruck trug auch nicht gerade zu ihrer Selbstbeherrschung bei. Die Trauer über den Tod ihres Vaters, die drückende Last der Verantwortung für das Weingut – und die verhängnisvolle Leidenschaft für Nic stürzten sie in die blanke Verzweiflung.
Um sich wieder zu fangen, griff sie nach dem Glas und trank. Sie schloss die Augen, ließ den Wein einen Moment auf der Zunge zergehen, bevor sie ihn hinunterschluckte. Er rann weich wie flüssige Seide ihre Kehle hinab. Sie öffnete die Augen. „Wenn ich mich nicht irre, ist das der 99er Jahrgang. Dafür hat man uns den ‚Prix de Vin‘ für den besten Weißwein verliehen.“
Nic neigte den Kopf und sah ihr in die Augen. „Stimmt. Mein Vater hat alle eure Weine gekauft und sie dann analysiert. Ebenso wie dein Vater unsere Weine, nehme ich an?“
Sie nickte. „Ich … es tut mir leid, so heftig reagiert zu haben. Darauf war ich einfach nicht gefasst gewesen. Diesen Wein mochte ich immer am liebsten.“ Ihre Stimme klang rau und heiser. „Er symbolisiert meine Heimat … mein Zuhause.“ Maddie spielte mit ihrer Serviette. „Ich bekam jedes Mal solches Heimweh, wenn ich sein Bouquet roch. Manchmal bestellte jemand den Wein in dem Restaurant, in dem ich arbeitete. Dann tat ich so, als wüsste ich nicht, dass man die Flasche eigentlich am Tisch entkorkt. Ich machte sie vorher auf, damit ich erst einmal allein das Aroma genießen konnte.“ Ihre Finger falteten die Serviette auf dem Tisch und strichen sie dann wieder aus. „Ich empfand es wie ein Wunder. Diese Flasche hatte so einen weiten Weg hinter sich und landete jetzt genau auf diesem Tisch. Ich fragte mich dann immer, wie wohl die Ernte ausgefallen war. Ich konnte immer am Geruch erkennen, ob es ein gutes oder schlechtes Jahr gewesen war. Im Nachhinein wundere ich mich, dass ich nicht gefeuert worden bin, aber die Gäste haben mir immer verziehen.“
Das Kerzenlicht verlieh ihrer Haut einen goldenen Schimmer. Eine mysteriöse Aura schien sie zu umgeben. Die hohen Wangenknochen traten im Spiel der flackernden Flammen scharf hervor, und die vollen Lippen wirkten wie reife, üppige Früchte. Wenn das graue Seidentop auch dezent und edel wirkte, verbarg es doch nicht das Heben und Senken ihrer Brüste unter dem schimmernden Stoff – ein sehr verführerischer Anblick. Kein Wunder, dass die Gäste ihr alles verziehen, dachte Nic.
Nie zuvor hatte er registriert, dass es erotisch wirken konnte, ein Weinglas in der Hand zu halten. Maddies natürliche Schönheit und sinnliche Ausstrahlung raubten ihm fast den Atem. Plötzlich fühlte er sich in die Vergangenheit zurückversetzt und – absolut hilflos.
Maddie, die gerade ihr Weinglas zum Mund führte, bemerkte seinen gefesselten Blick und hielt in der Bewegung inne. „Was ist?“
„Nichts. Nur – ich hätte dich nie so auf die Probe stellen sollen.“ Sein Mund verzog sich zu einem vagen Lächeln. „Du scheinst wirklich meine schlechte Seite in mir hervorzubringen.“
Ein Gefühl schwindelerregender Leichtigkeit erfasste Maddie, das sie schnell unterdrückte. „Ich betrachte das jetzt mal als Kompliment.“
Nic hob sein Weinglas. „Salud“, sagte er und nahm einen tiefen Schluck.
Glücklicherweise wurde soeben die Vorspeise serviert. Sie begannen schweigend zu essen. Maddie hätte sich für ihr Benehmen ohrfeigen können. So eine Theatralik. Als wenn sich Nic auch nur im Entferntesten für ihr Heimweh interessieren würde.
Zu ihrer Überraschung gelang es ihnen während des Hauptgangs sogar, eine unverfängliche Unterhaltung über neutrale Themen zu führen. Als Nic ihr ein Glas Rotwein reichte, merkte sie zu ihrer Verwunderung, dass sie sich tatsächlich wohlfühlte.
„Probier mal diesen Wein. Eine neue Sorte, an der ich gerade arbeite. Sie ist noch nicht auf dem Markt.“
Erstaunt legte Maddie ihre Gabel zur Seite. „Findest du es klug, mit deinem Feind Geheimnisse zu teilen?“
Nics Mundwinkel hoben sich. „Nachdem ich dein Weingut gesehen habe, fühle ich mich nicht unmittelbar bedroht.“
Maddie stieg das Blut in die Wangen bei der Erinnerung an die grausame Realität. Sie hob ihr Glas und zwang sich, ihren Blick nicht von Nics Augen abzuwenden. Ich werde nicht zuerst wegsehen, schwor sie sich. Letztendlich tat sie es aber doch, denn beim ersten Schluck schloss sie unwillkürlich die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, begegnete sie Nics forschendem Blick. „Also … es ist ein klassischer Malbec. Aber irgendetwas ist anders … neu“, meinte sie schließlich.
„Sehr beeindruckend.“
„Er schmeckt mir“, sagte sie zögernd. „Er ist nicht ganz so klar und schlank, er hat irgendeine zusätzliche Komponente. Eine gewisse Komplexität … eine ‚dunkle‘ Seite … Pinot?“
„Jetzt weiß ich, weshalb du dein Examen mit Eins abgelegt hast.“
Bei dem Lob schlug Maddies Herz höher. Glücklicherweise wurden die Teller in diesem Moment abgeräumt.
Nic erhob sich und ging mit Maddie auf die Terrasse. Hier hat er mich geküsst, schoss es ihr durch den Kopf. Dann entdeckte sie, dass auch hier ein Tisch für zwei gedeckt war. Die Kerzen flackerten in der leichten Brise.
Am liebsten hätte sie sich auf der Stelle verabschiedet. Aber um keinen Preis wollte sie Nic die Genugtuung bereiten, sich schwach zu zeigen. Wortlos setzte sie sich auf den Stuhl, den er wieder höflich für sie vorzog. Der Kellner erschien und servierte ihnen köstlich aussehende Zitronentörtchen. Nic machte eine Flasche Dessertwein auf. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. „Du brauchst dich gar nicht so anzustrengen. Es funktioniert nicht“, sagte sie spitz, um ihr Unbehagen zu überwinden.
Nic lehnte sich gelassen zurück. „Was funktioniert nicht? Du hast doch deine Position völlig klargemacht. Lieber lebst du in einer heruntergekommenen Bruchbude, als mich um Hilfe zu bitten. Offensichtlich habe ich deine Kapazität, die Härten des Lebens zu ertragen, unterschätzt.“
Schlagartig verschlug es Maddie den Appetit. „Du hast noch einiges andere unterschätzt. Was weißt du schon von meinem Leben, nachdem ich Argentinien verlassen musste. Du scheinst anzunehmen, ich wollte nach Europa, um mich auf Skihängen zu tummeln und auf Partys zu gehen.“
„Warum verrätst du mir nicht einfach, wie es wirklich war?“
Sie wollte ihm sagen, dass ihn das nichts anginge, aber sie hatte das unstillbare Bedürfnis, ihm zu beweisen, dass sie aus härterem Holz geschnitzt war, als er annahm. Dass sie nicht gleich beim ersten Gegenwind aufgab. Außerdem wünschte sie sich von Herzen, er möge sie mit anderen Augen sehen.
„Als wir – meine Mutter und ich – von hier fortgingen, standen wir vor dem Nichts. Mein Vater hatte uns hinausgeworfen und sich völlig von uns abgewendet. Drei Jahre lang wohnten wir in Buenos Aires bei meiner Tante, bis auch die uns hinauswarf. Zwischenzeitlich ließ sich Mutter jedoch scheiden und suchte sich einen reichen Verehrer. Sie drückte mir ein Flugticket nach London in die Hand, damit ich ihr nicht im Weg wäre.“
„In London fand ich einen Job als Bedienung. Tagsüber arbeitete ich als Zimmermädchen in einem Hotel. Es war purer Zufall, dass du mich in diesem Klub gesehen hast. Ich war vorher noch nie dort gewesen und auch später nie mehr.“ Bei der Erinnerung an die Nacht, als er sie in diesem sexy Outfit gesehen hatte, schoss ihr das Blut in die Wangen. „Ich ging nach Frankreich, als ich genug Geld zusammengespart hatte, um mir einen Job bei der Weinlese zu suchen, und fand letztendlich einen in Bordeaux auf dem Weingut von Pierre Vacheron.“
Sie warf Nic einen trotzigen Blick zu. „Er bekam heraus, woher ich stammte und dass ich mich mit Weinen auskannte, und beschloss, mir ein Studium zu finanzieren. Wahrscheinlich wäre ich heute immer noch dort, wenn mir mein Vater nicht geschrieben und mich gebeten hätte heimzukommen. Pierre hatte mir nämlich eine Vollzeitstelle angeboten.“
Mit unbewegtem Gesicht sah Nic sie an. „Dieser Zeitungsartikel zeichnet aber ein ganz anderes Bild.“
Ich habe ihm so viel offenbart, jetzt kann ich ihm auch die ganze Wahrheit sagen, überlegte sie. Schonungslos beichtete sie ihm die unerfreuliche Beziehung zu ihrer oberflächlichen, egozentrischen Mutter.
Als sie fertig war, stellte sie ihr Glas ab und erhob sich. Erst jetzt kam ihr zu Bewusstsein, wie absolut naiv sie sich eben verhalten hatte. Wie kann ich annehmen, dass sich Nicolás de Rojas auch weiterhin so charmant verhalten wird? Anderen Frauen gegenüber vielleicht, aber ganz sicherlich nicht mir. „Eigentlich wollte ich dich nur davon überzeugen, dass ich durch Geld und Luxus nicht so leicht zu beeindrucken bin.“
Brodelnder Ärger stieg in Nic auf, ohne dass er genau wusste warum. Er schob seinen Stuhl zurück „Du solltest aber auch keineswegs meine Entschlossenheit unterschätzen. Ich werde in diesem Fall gewinnen!“
Maddie bot all ihre Selbstbeherrschung auf, um ihm nicht zu zeigen, wie verletzt sie war. „Also sind wir wieder da, wo wir angefangen haben?“
Sie spürte Nics Blick, sah seinen Blick auf ihrem Mund ruhen.
Nic zog sie unvermittelt an sich. „So fing es zwischen uns an … aber wir müssen noch etwas zu Ende bringen.“ Dann küsste er sie. Seine Leidenschaft ließ Maddies Widerstand dahinschmelzen. Sie legte die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn.
Ihre Küsse wurden immer intensiver. Einmal meinte sie, Blut auf ihrer Zunge zu schmecken, wusste aber nicht, ob ihres oder Nics. Es war ihr auch egal. Dieser Moment sollte einfach nie mehr aufhören.
Plötzlich ließ Nic sie abrupt los und schob sie von sich. „Geh jetzt, Maddie!“
Schockiert und verwirrt blickte sie ihn an. Jetzt sah sie auch das Blut auf seinen Lippen. Sie hatte ihn gebissen! Ich muss mich zusammenreißen!
„Mit dem größten Vergnügen. Ich werde mich dir bestimmt nicht an den Hals werfen, nur um mein Weingut zu retten“
Wie konnte ich sie nur gehen lassen? Nic fuhr sich fahrig durch die Haare.
Sein Leben lang hatte er angenommen, Maddie und ihre Mutter seien großzügig abgefunden worden. Dass ihr Vater sie tatsächlich ohne einen Pfennig vor die Tür gesetzt und ihre Mutter sie dann auch noch im Stich gelassen hatte, hatte er nicht gewusst.
Sein Herz hämmerte immer noch heftig. Dieser Kuss hatte ihm erneut vor Augen geführt, wie wehrlos er Maddie gegenüber war.
Auch damals hatte sie mühelos sein Vertrauen gewonnen – um ihm dann nur allzu grausam klarzumachen, warum sie ihn wirklich verführt hatte. Und dass seine Berührung ihr Übelkeit verursachte. Er sah sie wieder vor sich, wie sie sich übergeben musste, als er sie am Arm fasste. Nics Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie muss sich wirklich sehr gelangweilt haben, dass sie sogar ihren Ekel unterdrücken konnte, nur um etwas Aufregung in ihr Leben zu bringen.
An diesem Tag war etwas in Nic gestorben – etwas Zartes, Verletzliches. Er hatte eine Art Panzer um sich geschaffen. Seitdem war es keiner Frau mehr gelungen, diesen zu durchdringen. Aber Maddies Kuss genügte, um ihm vor Augen zu führen, wie hilflos er ihr gegenüber war.
Er hatte angenommen, es würde ihn kalt lassen, wenn sie sich wiedersähen. Doch weit gefehlt. Ihre Nähe, die Berührung ihrer Haut bedrohte alles, was er sich aufgebaut hatte, bedrohte die Fassade, die ihm Sicherheit verlieh.
Weil seine Mutter ihn überbehütet und sein Vater ihn nur berührt hatte, wenn er ihn schlug, hatte er später jeglichen Körperkontakt gemieden. Aber von Maddies Berührungen konnte er nicht genug bekommen. Diese Erkenntnis alarmierte ihn aufs Äußerste.
Er fasste einen Entschluss. Ich werde sie besitzen … aber zu meinen Bedingungen. Er würde sie zwingen, aufrichtig zu sein – ihm gegenüber und zu sich selbst. Diesmal würde es nicht in einer Katastrophe enden. Es würde weder bittere Reue noch Vorwürfe geben – nur Erfüllung. Und dann würde er endlich von ihr loskommen.
Ein paar Tage später – Maddie saß wieder am Schreibtisch ihres Vaters und sortierte die Post – war wieder eine Einladung dabei. Sie war an ihren Vater adressiert. Es handelte sich um die Einladung zum alljährlich stattfindenden Winzerball – und er fand schon in zwei Tagen statt. Dieses Jahr in Buenos Aires. So nah – und doch unerreichbar.
Maddie seufzte. Endlich eine Gelegenheit, sich mit anderen Winzern auszutauschen, für die das Weingut der Vasquez nach wie vor mit Erfolg verbunden war. Es wäre der perfekte Ort, sich nach einem Investor umzusehen. Leider konnte sie sich kein Flugticket leisten. Außerdem streikten gerade die Fluglinien.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Maddie hob ab. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie die Stimme am anderen Ende der Leitung erkannte.
„Ja?“, antwortete sie kühl.
„Hast du deine Einladung schon erhalten?“
„Welche Einladung?“
„Du bist so eine schlechte Lügnerin, Vasquez. Wahrscheinlich hältst du sie gerade in der Hand und überlegst, wie du nach Buenos Aires kommen sollst, um einen armen Menschen zu überreden, dein Pleiteunternehmen zu unterstützen.“
Maddie streckte dem Hörer die Zunge raus. „Ach, diese Einladung meinst du. Ja, klar. Die habe ich bekommen. Warum?“
„Gehst du hin?“
Irgendetwas in seiner Stimme weckte erneut ihren Trotz. „Natürlich gehe ich hin. Warum denn nicht?“
„Es war nur eine harmlose Frage. Kein Grund, sofort aggressiv zu werden. Ich frage nur, weil ich mit meinem Jet hinfliege und dich fragen wollte, ob du mitkommen möchtest.“
„Nein, danke. Ich habe bereits anderweitig disponiert“, antwortete sie kampfeslustig. „Dann sehen wir uns also auf dem Ball.“
Bevor sie auflegte, hörte sie noch, wie er so etwas wie „Trotzkopf“ murmelte. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Auf keinen Fall durfte sie sich noch einmal eine Blöße geben!
Als Maddie zwei Tage später verschwitzt und erschöpft in Buenos Aires ankam, fühlte sie sich wie gerädert. Sie hatte von Mendoza aus den Bus genommen und spürte immer noch jedes einzelne Schlagloch.
Sie packte ihren Koffer und machte sich auf den Weg zu dem billigsten Hotel in Nähe des Grand Palace Hotels, wo der Ball am Abend stattfinden sollte.
Als sie endlich die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte und im Bad in den Spiegel blickte, wurde ihr klar, dass eine Menge Arbeit vor ihr lag, wenn sie sich als Besitzerin eines erfolgreichen Weinguts präsentieren wollte.
Nic gefiel es ganz und gar nicht, wie nervös er war. Normalerweise besaß er immer und überall die absolute Kontrolle. Aber jetzt, da er nicht wusste, wo Maddie war …. Er war sogar versucht gewesen, bei ihr vorbeizufahren und sie zu zwingen, sein Angebot anzunehmen. In letzter Sekunde hatte er sich jedoch zurückgehalten, obwohl er sich fragte, wie sie es schaffen sollte hierherzukommen. Er wusste von dem Streik der Fluglotsen, deshalb hatte er ja auch seinen Privatjet beordert.
Plötzlich entdeckte er in der Menge ein bekanntes Gesicht. Er lächelte, dankbar für die Ablenkung.
Maddies Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie holte noch einmal tief Luft und betrat dann den Ballsaal. Im Schrank ihrer Mutter war sie erneut fündig geworden und hatte glücklicherweise ein Kleid entdeckt, das ihr tatsächlich passte. Das Abendkleid aus grün changierendem Seidenstoff war hochgeschlossen mit langen Ärmeln. Als sie sich jedoch im Spiegel von allen Seiten betrachtete, enthüllte ein Seitenschlitz ihr Bein bis zum Schenkel. Sie fluchte leise vor sich hin, aber was blieb ihr anderes übrig.
Sie hatte bereits das Kreditlimit ihrer Scheckkarte ausgereizt, indem sie sich Abendschuhe und einen Friseurbesuch geleistet hatte. Ihr Haar fiel ihr jetzt in weichen Wellen über die Schultern. Nun hoffte sie nur, dass niemand ihre Smaragdohrringe als Modeschmuck identifizieren würde.
Und dann sah sie Nic. Instinktiv umklammerte sie ihre Handtasche. Sie hasste sich selbst dafür, dass sein Anblick ihr Blut zum Kochen brachte. Er jedoch hatte sie noch nicht entdeckt, da er sich gerade mit einer hübschen Frau unterhielt.
Doch dann – als wären sie telepathisch verbunden – blickte er auf. Sein Lächeln erlosch. Die Frau folgte seinem Blick, und Maddie erkannte in ihr die attraktive Blondine, mit der er den Ball in Mendoza besucht hatte.
Ein Kellner ging mit einem Tablett Champagner vorbei, und Maddie griff sich ein Glas. Nic hatte seine Begleiterin bei der Hand genommen, und die beiden kamen auf sie zu. Maddie war unfähig, sich zu rühren. Dabei wusste sie genau – gleich würde er ihr seine Geliebte vorstellen, und sie würde sich fühlen wie ein Stück Dreck.
Unerbittlich kamen die beiden näher. Nics Gesichtsausdruck wirkte seltsam angespannt. Sie fühlte sich wie ein Reh, das von Scheinwerfern erfasst wurde und unfähig war zu flüchten. Nie zuvor hatte sie sich derart ausgeliefert gefühlt.
Ich hätte nicht kommen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass er die Gelegenheit nutzen würde, um mich zu demütigen.
„Maddie! Du bist wirklich gekommen! Ich verkneife mir jetzt taktvollerweise zu fragen, wie du das geschafft hast.“
Ihre Stimme schien ihr nicht gehorchen zu wollen. Sie fühlte den Blick der blonden Schönheit auf sich ruhen und wurde rot. Nie zuvor hatte sie sich in einer derartigen Situation befunden – nie zuvor hatte sie den Mann einer anderen Frau geküsst. Sie fühlte, wie sich eine eigenartige Enttäuschung in ihr ausbreitete. Nie hätte sie Nic ein derartiges Verhalten zugetraut.
„… möchte dir gern vorstellen“, drang es an ihr Ohr wie durch eine Watteschicht hindurch. Es gelang ihr, ein höfliches Lächeln aufzusetzen. Die Blondine war viel jünger, als sie gedacht hatte – höchstens zwanzig. Ihr wurde fast übel. Als weitaus schlimmer empfand sie jedoch das unstillbare Bedürfnis, dieser Frau die Augen auszukratzen.
„Das ist Estella, meine Cousine. Eigentlich solltet ihr euch schon bei der Weinprobe kennenlernen, aber sie hatte einen Model-Job. Sie ist im Moment heiß begehrt. Außerdem bekommt sie unglücklicherweise immer Ausschlag, wenn sie mehr als einen Tag auf dem Land verbringen soll.“
Die junge Frau boxte Nics Arm. „Also, wirklich! Du musst immer übertreiben.“
Erst jetzt drang in ihr Bewusstsein, dass Nic sie als „Cousine“ vorgestellt hatte.
Maddie unterdrückte die Erleichterung, die sie durchströmte. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Estella.“
„Ich freue mich auch, Maddie.“ Sie wandte sich Nic zu. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt zu meinem Begleiter zurückkehre, sonst sendet er noch einen Suchtrupp aus.“
„Ich bitte doch inständig, dem jungen Mann noch vorgestellt zu werden! Er wird natürlich so tun, als würde er heute Nacht nicht dein Hotelzimmer teilen.“
Maddie registrierte, dass Nic seine Cousine gespielt streng ansah. Estelle rollte die Augen. „Okay, Nic. Aber bitte kein Kreuzverhör. Er ist wirklich ein netter Kerl.“
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf Nics Wange. Dann verschwand sie in der Menge.
Maddie beobachtete, wie weich Nics Züge waren, als er seiner Cousine nachblickte. Als er sich jetzt ihr zuwandte, wurde sein Gesichtsausdruck merklich kühler. „Ihr Vater war der Bruder meiner Mutter. Er starb, als Estelle noch ein Baby war. Ich bin sozusagen eine Art Vaterfigur für sie.“
Ein unerklärlicher Schmerz durchzuckte Maddie, als er so liebevoll von seiner Cousine sprach. „Sie scheint sehr nett zu sein“, sagte sie in gezwungenem Ton.
Jemand rempelte Maddie an, und sie zuckte heftig zusammen. Ihr tat immer noch jeder Knochen weh von der langen und holprigen Fahrt.
„Was ist?“
Die Besorgnis in Nics Stimme überraschte sie. „Nichts, ich fühle mich nur etwas …“ Sie brach abrupt ab, als sie den Ausdruck in Nics Augen sah.
„Du bist mit dem Bus gekommen, richtig?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Ich glaube es nicht! Wie kann ein Mensch derart stur sein. Wie lang dauert die Fahrt? Vierzehn Stunden?“
„Sechzehn“, gestand Maddie kleinlaut. „Wir hatten eine Reifenpanne.“
Wieder schüttelte Nic den Kopf. „Ich nehme an, du bist hier, um einen Investor zu finden.“
Maddie errötete. „Mir bleibt keine andere Wahl. Sonst verliere ich alles.“
„Du könntest eine sehr reiche Frau sein.“
Es tat ihr in der Seele weh, zu spüren, wie sehr er sich offensichtlich wünschte, dass sie verschwände. „Kannst du es nicht in deinen Dickschädel bekommen, dass es mir nicht ums Geld geht? Ich liebe unser Weingut und will es wieder aufbauen.“
Nic öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber in diesem Augenblick ertönte der Gong, der das Galadiner für eröffnet erklärte. Maddie nutzte die Gelegenheit, um zu flüchten. Sie hatte vor, jeden potenziellen Investor anzusprechen … aber einer gewissen Person würde sie ganz sicher den Rest des Abends aus dem Weg gehen.
Während des gesamten Dinners konnte Nic sich nicht konzentrieren. Madalena saß ihm schräg gegenüber neben Alex Morales, einem der erfolgreichsten Weingutbesitzer ganz Südamerikas. Nic mochte ihn nicht, ohne je darüber nachgedacht zu haben, weshalb eigentlich. Es war einfach ein Bauchgefühl … und das wurde von Minute zu Minute stärker.
Die Gespräche am Tisch rauschten an ihm vorüber. Das Einzige, wofür er Augen hatte, war Maddie, die diesen Morales anhimmelte. Es kostete ihn seine gesamte Willensanstrengung, sie nicht einfach in die Arme zu reißen und sie weit, weit weg zu tragen.
Ungläubig sah Maddie ihren Tischnachbarn an. „Sie wären wirklich bereit, über meine Vorschläge ernsthaft nachzudenken?“
„Aber selbstverständlich, meine Liebe.“ Der Mann zwinkerte ihr charmant zu.
Für Maddies Geschmack wirkte er ein bisschen zu schmierig, aber natürlich würde sie einen potenziellen Investor nicht verprellen, nur weil er ihr Unbehagen bereitete.
Sie konnte ihr Glück kaum fassen, als sie feststellte, dass sie ausgerechnet neben Alex Morales saß – und dass dieser tatsächlich an ihrem Weingut interessiert war. Womöglich würde das all ihre Probleme lösen. Wenn sie Morales wirklich dazu bewegen könnte, in ihr Weingut zu investieren, wäre sie auf einen Schlag von Nic unabhängig.
Den ganzen Abend spürte sie dessen Blick auf sich ruhen. Sie bemühte sich, ihn zu ignorieren, konnte jedoch nicht verhindern, selbst hin und wieder verstohlen hinzublicken – und jedes Mal trafen sich ihre Augen. Er wirkte so ungehalten. Unwillkürlich musste sie lächeln, und der grimmige Ausdruck in seinem Gesicht verstärkte sich. Wahrscheinlich war es kindisch, aber angesichts der Möglichkeit, ihre Probleme könnten womöglich vorüber sein, ergriff sie eine gewisse Euphorie.
Nach und nach verließen die Menschen die Tafel und strömten in den Ballsaal. Morales nahm Maddies Hand. Sie unterdrückte ihr plötzliches Unbehagen.
Jetzt verbeugte er sich auf reizend altmodische Art. „Wenn Sie mich entschuldigen wollen? Ich muss einen wichtigen Anruf tätigen. Aber ich werde bald zurück sein, und dann würde ich gerne das Gespräch mit Ihnen fortführen.“
„Sehr gern, Mr Morales“, erwiderte Maddie. Sie schaffte es nicht ganz, ihren Eifer zu verbergen.
„Bitte …“, er lächelte sie strahlend an, „nennen Sie mich doch Alex. Warum kommen Sie nicht in meine Suite … sagen wir, in einer halben Stunde?“
Er nannte seine Zimmernummer und wandte sich ab. In Maddie stieg eine unerklärliche Panik auf. Das Gespräch hatte eine Wendung angenommen, die ihr ganz und gar nicht behagte. Sie fasste seinen Arm, und Morales sah sich erstaunt um. „Ja, bitte?“
Maddie kam sich plötzlich unglaublich linkisch vor. „Entschuldigung, aber wäre es nicht einfacher, wenn wir uns hier unten in der Bar träfen?“
Morales lächelte, diesmal jedoch etwas herablassend. „Ich muss das Telefonat von meiner Suite aus führen, deshalb wäre es wirklich praktischer, wenn wir unser Gespräch dort fortführten. In der Bar wird es unerträglich laut sein … aber wenn es nicht so wichtig sein sollte, was Sie mit mir besprechen wollen …“
Maddie verstand die Andeutung sofort und sah ihre Chancen schwinden. „Natürlich“, sagte sie schnell. „Sie haben recht. Ihre Suite ist dafür sehr viel besser geeignet.“
Er nickte kurz und eilte davon. An seine Stelle trat sofort eine Gestalt, die Maddie noch sehr viel mehr in Unruhe versetzte. Sie wollte Nic ausweichen, aber er versperrte ihr den Weg. Wütend sah sie ihn an. „Was ist?“
In seinem Blick lag eine unaussprechliche, unterdrückte Leidenschaft … und tiefe Besorgnis. „Ich traue diesem Mann nicht über den Weg.“