6. KAPITEL

„Du kannst nur den Gedanken nicht ertragen, dass ein anderer Mann vom Potenzial meines Weingutes überzeugt ist“, fauchte Maddie.

„Ganz sicher ist er vom Potenzial überzeugt – nur nicht dem des Gutes. Wo trefft ihr euch?“

Sie errötete bis in die Haarspitzen, antwortete jedoch nicht und versuchte erneut, an Nic vorbeizukommen. Wieder hielt er sie fest, und sie biss die Zähne aufeinander, damit er nicht merkte, wie sehr die Berührung sie aufwühlte.

„Jetzt sag bloß nicht, du gehst auf sein Zimmer?“ Maddies Wangen färbten sich noch eine Spur dunkler. Nic explodierte. „Ich glaube es nicht! Du bist doch völlig unerfahren! Jemandem wie Morales bist du doch überhaupt nicht gewachsen. Er wird dich benutzen und dann fallen lassen.“

Wenn er wüsste, wie unerfahren ich wirklich bin! Sie warf ihr Haar zurück und hoffte, sie würde ebenso herablassend wirken wie Morales vorhin. „Meinst du, ich wäre noch nie Männern wie ihm begegnet? Ich kenne diesen Typ ganz genau. Man muss nur wissen, wie man mit ihnen umgeht.“

Nic ließ ihren Arm so abrupt los, als hätte er sich verbrannt. „Entschuldige, dass ich dir unterstellt habe, du würdest dich in eine Situation begeben, die dir über den Kopf wachsen könnte. Wenn Morales die Art Investor ist, nach der du suchst, und du bereit bist zu tun, was die Umstände erfordern, dann habe ich dich – und deinen Ehrgeiz – eindeutig unterschätzt.“ Brüsk wandte er sich ab und ließ sie stehen.

Ein Gefühl absoluter Einsamkeit ergriff sie. Was mag er damit gemeint haben, Morales sei nicht zu trauen? überlegte sie. Eine Gänsehaut überlief sie, als sie wieder an das aalglatte Lächeln des älteren Südamerikaners dachte. Wenn er mir zu nahe kommt, kann ich ja immer noch gehen, beruhigte sie sich.

Es gefiel ihr überhaupt nicht, das Bedürfnis verspürt zu haben, sich vor Nic rechtfertigen zu müssen. Ebenso wenig passte es ihr, dass er sich Sorgen um sie machte. Sie trug ihre Kämpfe alleine aus und war es nicht gewohnt, dass jemand sich um sie kümmerte. Der Einzige, der das je getan hatte, war ihr Bruder gewesen – und der war schon lange tot.

Plötzlich schrak sie auf. Sie stand immer noch gedankenverloren in dem leeren Salon. Zeit zu handeln! Sie sah auf ihre Armbanduhr. Ich muss mich beeilen! Entschlossen schob sie ihr ungutes Gefühl beiseite und lief zum Lift.

Nic stand mit ein paar Bekannten an der Bar, als er Maddie in den Aufzug steigen sah. Er konnte es nicht fassen, dass sie wirklich ihr Vorhaben durchziehen wollte. Offensichtlich hatte er sie tatsächlich unterschätzt. Hatte nicht mit dieser maßlosen Gier gerechnet. Damit, dass sie alles tun würde, um ihr Ziel zu erreichen. Er bemühte sich, den Tumult in seinem Innern zu ignorieren, aber schließlich gewann ein Gedanke die Oberhand: Könnte es sein, dass sie das nur tut, um sich vor mir keine Blöße zu geben? Rückblickend erschien ihm ihre Unbekümmertheit doch etwas sehr aufgesetzt. Nic stellte sein Glas ab und entschuldigte sich.

Er ließ sich Morales’ Zimmernummer geben und ging zum Lift. Und wenn ich sie jetzt doch völlig falsch eingeschätzt habe? Vielleicht passte sie ja ihr Verhalten der jeweiligen Situation – oder besser, dem jeweiligen Mann an. Vielleicht hatte sie ja auch nur mit ihm gespielt und ihn absichtlich manipuliert?

Die Türen des Aufzugs öffneten sich vor ihm. Unschlüssig blieb er davor stehen. Soll ich ihr wirklich nachgehen und mich womöglich lächerlich machen? Er sah schon ihren verächtlichen Gesichtsausdruck vor sich, wenn sie die Tür von Morales’ Suite öffnete. Und was sollte er eigentlich sagen?

„Hier bist du! Ich habe dich schon überall gesucht! Du musst jetzt mitkommen und endlich Louis kennenlernen. Er kann es schon kaum erwarten.“

Nic sah in das strahlende Gesicht seiner Cousine. Immer noch zögerte er. Aber dann hatte ihn plötzlich die Realität wieder. Er hätte sich ohrfeigen können für seine sentimentale Anwandlung. Maddie gegenüber empfand er nichts als Misstrauen und Abneigung – abgesehen von dieser lästigen sexuellen Anziehung. Aber Estella liebte er bedingungslos. Wer sollte ihm also wichtiger sein?

Er lächelte sie an. „Dann bitte ich darum, dem Herrn vorgestellt zu werden.“ Estella zog ihn mit sich, und Nic schob entschlossen jeglichen Gedanken an diese schwarzhaarige Verführerin von sich. Maddie würde sich schon selbst zu helfen wissen.

Er ignorierte das leicht bedrohlich wirkende Geräusch, mit dem sich die Fahrstuhltüren in seinem Rücken schlossen.

Maddie zitterte wie Espenlaub. Das muss ein Albtraum sein! Sie hatte sich im Badezimmer eingesperrt und jegliches Zeitgefühl verloren. Aber wenigstens hatte Morales aufgehört, gegen die Badezimmertür zu hämmern und wüste Beschimpfungen auszustoßen.

Sie stand vom Boden auf, wo sie bis jetzt gekauert hatte, und trat ans Waschbecken. Im Spiegel sah sie ihr Gesicht. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Die Haare standen ab, ihr Kleid war an der Schulter zerrissen, und ihre Lippe blutete. Das ist nicht wahr! dachte sie wie betäubt.

Sie hätte schon gewarnt sein müssen, als Morales die Tür aufgemacht hatte. Er war ziemlich angetrunken gewesen, deutlich stärker als noch eben im Speisesaal. Zuerst verhielt er sich jedoch ebenso charmant wie zuvor – und vor allem interessiert. Das entwaffnete sie, und sie sagte sich, dass sie wohl zu empfindlich sei. Sie versuchte zu ignorieren, dass er leicht schwankte und kaum noch richtig sprechen konnte. Plötzlich setzte er sich jedoch neben sie und legte ihr die Hand aufs Knie. Erschreckt zuckte sie zurück, und plötzlich veränderte sich die Situation schlagartig. Morales verwandelte sich in ein Ungeheuer.

Er zerriss ihr Kleid und ohrfeigte sie, als sie sich wehrte. Irgendwie gelang es ihr, sich loszureißen. Der einzige Fluchtweg, der ihr offenstand, war jedoch das Bad. Dort verbarrikadierte sie sich. Er tobte und beschimpfte sie, aber dann war auf einmal alles still.

Sie presste ihr Ohr an die Tür und vernahm ein lautes Schnarchen. Mit hämmerndem Herzen schloss sie auf.

Morales lag auf der Couch und schlief mit weit geöffnetem Mund. Vor Erleichterung hätte Maddie am liebsten geweint, aber sie riss sich zusammen und schlich zur Tür. Mit bebenden Händen gelang es ihr, sie aufzubekommen. Endlich stand sie im Flur. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie während des Kampfes ihre Schuhe verloren hatte, aber um nichts auf der Welt wäre sie noch einmal zurückgegangen.

Ein einziger Gedanke beherrschte sie: Fort, nur fort von hier!

Nic bog um die Ecke, nachdem er Estelle zu ihrem Zimmer begleitet hatte, die sich köstlich über diese altmodische Geste amüsierte. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Erschreckt registrierte er, wer da auf ihn zukam. Der Moment des Erkennens durchfuhr ihn wie ein Blitz. Ihm war bewusst, dass er sich auf der Etage befand, wo Morales’ Suite lag. Habe ich tatsächlich gehofft, Maddie zu ertappen? Ob bewusst oder unbewusst – jedenfalls stand sie vor ihm.

Eine unbändige Wut erfasste ihn. Und noch ein anderes – weitaus stärkeres Gefühl: Eifersucht! Nie zuvor hatte er so etwas empfunden.

In diesem Moment hob Maddie den Blick – wie ein Reh im Scheinwerferlicht erstarrte sie. Sie gab einen Laut von sich, der wie ein ersticktes Schluchzen klang. Dann drehte sie sich abrupt um und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Weg von ihm!

Als Erstes fiel ihm ihre ruinierte Frisur auf. Dann entdeckte er ihre bloßen Füße. Der Anblick ihrer nackten Füße ließ sie seltsam verletzlich wirken. Dabei kam sie doch gerade aus … Ihm wurde fast schwarz vor Augen, und bevor er wusste, was er tat, eilte er ihr hinterher.

„Und? Hast du Morales geliefert, woran er interessiert war? Oder nur ein Appetithäppchen, damit er weiter am Ball bleibt?“, fragte er, als er auf Reichweite herangekommen war.

Maddie blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. „Lass mich einfach in Ruhe, Nic.“

Seine Wut steigerte sich noch. So kann sie mich nicht behandeln! Er packte sie bei der Schulter, riss sie herum – und starrte sie entsetzt an. „Maddie! Hat Morales dir das angetan?“

Nic hob ihr Kinn, um ihr Gesicht zu betrachten. Sie zuckte zurück. Ihr Gesicht war schneeweiß, und die Wunde an ihrer Lippe stach deutlich hervor.

„Los, sag es schon! Sag: Ich habe dich gewarnt.“ Sie rang um Fassung. Es war ihr unerträglich, dass Nic Zeuge ihrer Demütigung wurde. Nie zuvor hatte sie sich derart schwach und verletzlich gefühlt. Außerdem wollte sie sich nicht eingestehen, dass sie sich am liebsten an ihn geklammert hätte. Sie blickte zu Boden, um die Tränen in ihren Augen zu verbergen.

„Als ich dich vor Morales warnte, war das ein reines Bauchgefühl. Ich konnte ihn noch nie leiden, nicht zuletzt wegen seiner Geschäftspraktiken. Aber nie im Leben hätte ich ihm das zugetraut.“

„Offensichtlich kannst du dich auf dein Bauchgefühl verlassen.“

„Wann … wann hat er dir das angetan. Nachdem ihr …“

Maddie sah Nic mit fassungslosem Entsetzen an. Er glaubt, ich habe mit Morales geschlafen! Er hält mich offensichtlich für absolut verdorben! Ihr wurde übel. Gleich würde sie sich übergeben müssen. Aber letztendlich habe ich mir das selbst zuzuschreiben, sagte sie sich. Schließlich habe ich alles darangesetzt, als Frau von Welt zu wirken, der nichts Menschliches fremd ist.

Plötzlich verließ sie alle Kraft. Sie konnte nicht mehr kämpfen. Der Schock, der sie in eine Art Betäubung versetzt hatte, wich allmählich. Das Zittern ihrer Glieder verstärkte sich. „Ich habe nicht mit ihm geschlafen. Ich hatte nie vor, mit ihm zu schlafen.“ Sie schauderte. „Nie, nie könnte ich so etwas tun … mit einem Mann wie ihm, nur um mein Ziel zu erreichen. Vielleicht bin ich naiv, aber ich dachte wirklich, er wolle mit mir über das Weingut sprechen.“

Sie holte tief Luft und wich Nics Blick aus. „Er hat sich auf mich gestürzt … Es gab einfach kein Entrinnen. Er war betrunken … er zerriss mein Kleid, schlug mich.“

Zu ihrem eigenen Entsetzen begann sie, hemmungslos zu weinen. Das Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper, aber sie konnte einfach nicht aufhören. Ihr war eiskalt. Plötzlich fühlte sie zwei starke Arme um ihre Schultern, eine wohltuende Wärme, die sie umgab. Endlich war sie in Sicherheit.

Wie zart und zerbrechlich sie ist, dachte Nic erstaunt, als er ihren zitternden Körper in den Armen hielt. Es tat ihm unsagbar weh, sie in diesem Zustand zu sehen. Ein roter Nebel waberte vor seinen Augen. Sein Vater hatte seine Mutter oft geschlagen, und Nic konnte es einfach nicht ertragen, wenn ein Mann einer Frau Gewalt antat. Ein unglaublicher Hass auf Morales erfüllte ihn.

Und trotzdem fiel es ihm schwer, Maddie zu glauben. Kein Mensch konnte derart naiv sein. Schon gar nicht eine Frau mit Erfahrung. Vielleicht hatte sie einfach unterschätzt, wozu Morales fähig war?

Am stärksten war jedoch sein Schuldgefühl. Aus falsch verstandenem Stolz hatte er sie nicht beschützt.

Beruhigend streichelte er ihren Rücken, bis ihr Schluchzen verstummte. Plötzlich hatte er ein Déjà-vu-Erlebnis. Er hatte sie schon einmal in seinen Armen gehalten, als sie bitterlich weinte. Er wappnete sich gegen den Schmerz, der unweigerlich auf Erinnerungen dieser Art folgte – aber der Schmerz blieb aus. Zum ersten Mal.

Maddie hörte auf zu weinen und lag nun reglos in seinen Armen. Er spürte ihren Atem durch den dünnen Stoff seines Hemdes. Und plötzlich schwand sein Beschützerinstinkt, und es erfüllte ihn nur noch reines Begehren. Es fühlte sich so gut an, sie zu halten. Er biss die Zähne zusammen, konnte jedoch nicht verhindern, dass sein Körper reagierte. Plötzlich spürte er, wie ihr Rücken starr wurde, und er lockerte die Umarmung.

Ich bin in Nics Arme gesunken, wie die Heldin in einem kitschigen Liebesfilm, dachte Maddie entsetzt. Sie schämte sich unsäglich und entzog sich seiner Umarmung. Wieder schwankte der Boden unter ihr. „Du hast Blut auf deinem Hemd!“, stieß sie hervor.

„Das macht nichts.“

Die Berührung seiner Hand war auf einmal nicht mehr beruhigend … ganz im Gegenteil. Unmissverständlich registrierte sie ganz andere Regungen. Die Spitzen ihrer Brüste zogen sich zusammen, ihre Haut brannte … Sie wich zurück.

„Was ist? Wo willst du denn hin?“

Sie wollte nicht, dass er das Begehren in ihren Augen sah. „Ich sollte jetzt gehen – in mein Hotel. Ich will duschen … ich fühle mich so … so beschmutzt.“

Plötzlich gaben ihre Beine nach. Sie konnte sich einfach nicht mehr aufrecht halten.

Nic fing sie auf. „Du gehst nirgendwo hin! Du kommst mit mir.“

Maddie wollte protestieren, aber ihre Stimme versagte.

Sie registrierte kaum, wie Nic sie zum Aufzug brachte, wie sie ein paar Etagen weiter oben ausstiegen, den Korridor entlanggingen und er sie in eine unglaublich luxuriöse Suite brachte, von deren Fenster man die ganze Stadt überblicken konnte.

„Kann ich dich kurz alleine lassen?“, fragte er, nachdem er sie zum Sofa geführt hatte.

Sie nickte schwach. Ihr Blick folgte ihm, als er zum Telefon ging, die Fliege abnahm und das Jackett achtlos über einen Stuhl warf. Er öffnete den obersten Hemdknopf. Maddies Mund wurde trocken.

„Würden Sie bitte einen Erste-Hilfe-Koffer hochschicken?“, sagte er in den Hörer. Er legte auf und verschwand im Bad. Maddie hörte Wasser rauschen, dann kam er zurück und ging neben ihr in die Hocke. „Meinst du, du schaffst es unter die Dusche?“

Sie nickte, und Nic half ihr auf. „Im Bad ist ein Bademantel. Wenn du fertig bist, werde ich deine Lippe verarzten.“

Maddie ging in den von heißem Dampf erfüllten Raum, schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Sie war unendlich müde. Schließlich raffte sie sich auf, streifte ihre Kleider ab und stieg in die Dusche. Unendlich lange ließ sie den heißen Wasserstrahl auf sich herabprasseln, dann seifte sie sich ein – wieder und immer wieder. Endlich fühlte sie sich wieder rein und stellte das Wasser ab. Sie trocknete sich ab und schlüpfte in den Bademantel, der am Haken hing. Vorsichtig öffnete sie die Tür.

Nic stand mit dem Rücken zu ihr und blickte aus dem Fenster. Abrupt drehte er sich um, als er hörte, wie Maddie den Raum betrat. Er stellte das Glas in seiner Hand ab und kam auf sie zu. „Jetzt kümmern wir uns um die Verletzung.“

Unwillkürlich wanderten Maddies Finger zu ihrem Mund. Sie spürte, wie geschwollen ihre Lippe war. Nic hob ihr Kinn, um die Wunde genauer zu betrachten. Bei seiner Berührung erschauerte sie. Diese fürsorgliche Seite kannte sie nicht an ihm. Er griff zum Erste-Hilfe-Koffer und entnahm ihm Watte und ein Antiseptikum.

„Das kann jetzt wehtun.“ Er betupfte ihre Lippe. Maddie sog scharf die Luft ein. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie hielt still.

„Ich sehe, du hast Erfahrung“, versuchte sie zu scherzen.

Zu ihrer Überraschung verhärtete sich Nics Miene. „Kann man sagen.“

Plötzlich bemerkte sie, dass die Knöchel seiner Hand blutig waren. „Was ist passiert?“, stieß sie hervor.

Er versuchte, die Hand zurückzuziehen, aber sie hielt sie fest und sah ihm forschend ins Gesicht.

„Während du geduscht hast, habe ich Morales einen Besuch abgestattet.“

„Du hast ihn verprügelt!“

„Ich würde es so formulieren: Er kann sich glücklich schätzen, mit einem ‚blauen Auge‘ davongekommen zu sein.“

Überwältigt führte Maddie seine Hand an ihre Lippen und küsste sie. „Ich hasse Gewalt. Aber … ich danke dir.“

Nic sah sie an, und sie wünschte sich, in dem Blau seiner Augen versinken zu können. „Morales behauptet, du hättest mit ihm geschlafen.“ Seine Worte drangen zunächst gar nicht in ihr Bewusstsein. Dann wurde ihr schlecht.

„Du glaubst, ich lüge?“ Wie konnte ich auch nur eine Sekunde vergessen, dass Nic mich verachtet und nur das Schlechteste von mir annimmt? Es ging ihm gar nicht um mich! Für jede andere Frau hätte er dasselbe getan!

Eine unheilschwangere Stille breitete sich aus. Mein Wort gegen das von Morales, dachte Maddie. „Kann dir das nicht egal sein?“, sagte sie trotzig.

Nic fühlte sich, als hätte sich eine Zentnerlast auf seine Schultern gesenkt. Ich habe ihr geglaubt! Aber als Morales vorhin gelallt hatte: „Eifersüchtig, de Rojas? Weil sie mit mir geschlafen hat und nicht mit dir?“, hatte er nur noch rotgesehen und das Grinsen aus Morales’ Gesicht gewischt.

Und wenn er ihm nun Unrecht getan hatte? Als sie eben seine Hand genommen und seine blutigen Knöchel geküsst hatte, hätte er sich am liebsten in die grüne Tiefe ihrer Augen gestürzt. Dann stieg die Erinnerung in ihm hoch: Das letzte Mal, als ich dieser Frau vertraut habe, hat mich das fast vernichtet.

„Ich kann nicht ertragen, wenn ein Mann einer Frau Gewalt antut. Alles andere geht mich nichts an.“

Sein Misstrauen verletzte sie zutiefst. Aber sie hatte ihre Lektion gelernt: Man konnte einem Mann nicht vertrauen, auch nicht, wenn er einem half. „Richtig. Es geht dich nichts an.“ Sie stand auf, um ihre Kleider zu holen.

„Wo willst du hin?“

Sie drehte sich um. „Ich muss ins Hotel zurück. Der Bus nach Mendoza fährt um sechs Uhr ab.“

„Du gehst nirgendwo hin. Es ist viel zu spät. Außerdem kommst du mit mir! Auf keinen Fall machst du noch einmal eine sechzehnstündige Bustour.“

Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. Warum kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen! „Gerne hätte ich deine Fürsorge akzeptiert, wenn du mir nicht gerade eben unterstellt hättest, ich wäre bereit, mit einem Mann zu schlafen, nur um an mein Ziel zu kommen. Tut mir leid, ich gehe lieber in mein kakerlakenverseuchtes Hotel zurück, als bei so jemandem zu bleiben.“

„Verdammt noch mal! Ich schlafe auch in einem anderen Zimmer, aber du wirst dieses Hotel nicht verlassen! Und wenn ich dich einsperren muss! Und jetzt sagst du mir, wo du abgestiegen bist, damit ich deine Sachen holen lassen kann.“

Maddie stemmte die Hände in die Seiten. „Jetzt hörst du mir mal zu! Du hältst dich ja offensichtlich für absolut perfekt. Wie kannst du es wagen, mich zu behandeln, als sei ich eine dahergelaufene …?“

Mit einem Schritt war Nic bei ihr … ganz nah … viel zu nah. Maddies Herz fing an zu rasen. Sie trat erschreckt zurück, als sie seine Wut spürte. Plötzlich wurde ihr jedoch bewusst, dass die Wut nicht ihr galt.

„Dein Hotel! Deine Zimmernummer!“

„Hotel Esmeralda. Zimmer 410.“

Als Nic zurückkam, buchte er für sich ein anderes Zimmer. Er brauchte Abstand. Er musste nachdenken.

Er glaubte eigentlich nicht, dass sie mit Morales geschlafen hatte. Er wusste selbst nicht, warum er sie mit dieser Unterstellung konfrontiert hatte. Den Koffer in der Hand, der erbärmlich leicht war, stand er vor der Tür ihrer Suite. Normalerweise reisten Frauen mit Tonnen von Gepäck – aber natürlich nicht Maddie!

Er betrat das Zimmer. Alles war still. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie ihm wie eine Furie ins Gesicht springen würde. Vorsichtig trat er näher – und da sah er sie: Sie lag zusammengerollt auf der Couch wie ein kleines verlorenes Kind. Der Kopf ruhte auf den Armen, und die rabenschwarzen Haare fielen ihr über die Schulter.

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er stellte den Koffer ab und trat näher. Maddie bewegte sich nicht. Nics Kehle wurde eng. Er kniete nieder und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Wie blass sie ist! Der Riss in ihrer Lippe hob sich deutlich von der weißen Haut ab. Aus einer undefinierbaren Regung heraus küsste er ihre Stirn.

Maddie hatte einen unglaublich schönen Traum. Sie fühlte sich sicher und aufgehoben – und außerdem durchströmte sie noch ein ganz anderes Gefühl: Eine unglaubliche Wärme überflutete sie … Hitze stieg in ihr auf … Lust! Sie träumte, dass Nics Lippen ihren Mund berührten … zart, aber intensiv.

Ihre Lider hoben sich – und sie blickte geradewegs in Nics strahlendblaue Augen. Träume ich immer noch?

Das Gefühl seiner Lippen auf ihrem Mund hielt an. Unwillkürlich erwiderte sie den Kuss. Plötzlich konnte sie die Intensität seiner Augen nicht mehr ertragen und schloss erneut die Lider. Der Kuss wurde immer intensiver, und ein leises Stöhnen stieg in ihrer Kehle auf.

Nic vergrub die Hände in ihrem Haar und küsste sie mit einer Leidenschaft, die sie zu verzehren drohte.

Wenn das ein Traum ist, will ich nie, nie mehr aufwachen, dachte sie und ließ den Kopf in den Nacken sinken, als Nic jetzt ihre Kehle küsste, den Kragen des Bademantels beiseiteschob und ihre Brüste liebkoste. Instinktiv legte sie die Arme um seinen Nacken.

Sie hob den Kopf und blickte auf sein dichtes Haar. Er streichelte zart die Spitzen ihrer Brust, dann spürte sie seine Lippen auf ihrer Haut. Sie grub die Finger in seine Schulter und bog sich ihm entgegen.

Nie zuvor hatte sie eine solche Begierde, solch ein unstillbares Verlangen verspürt. Zumindest nicht seit … seit damals … seit diesem unglückseligen …

Nics Küsse wurden fordernder. Er schob den Saum ihres Bademantels nach oben und streichelte ihre Schenkel. Er küsste sie leidenschaftlich. Offensichtlich hatte er vergessen, dass sie verletzt war. Der Schmerz durchfuhr sie wie ein glühender Blitz.

Sie schrie auf, und Nic zuckte zurück. Eine kalte Dusche hätte nicht effektiver sein können. Sie legte die Hand an den Mund und spürte das warme Blut. Voller Panik sprang sie auf. Wie konnte ich nur! Was habe ich getan!

Sie erhaschte einen kurzen Blick auf Nics entsetzte Miene, bevor sie ins Bad stürzte und in den Spiegel blickte. Eigentlich blutete die Wunde gar nicht so stark. Sie versuchte, tief durchzuatmen, befeuchtete einen Waschlappen und hielt ihn an den Mund. Aber nicht nur dort verspürte sie die Hitze ihres Blutes. Sie presste die Schenkel zusammen. Wie warm seine Hand gewesen ist Es durfte nicht sein!

Als sie sich einigermaßen sicher war, ihre Gefühle unter Kontrolle zu haben, verließ sie das Bad. Nic stand regungslos mitten im Raum. Er blickte ihr entgegen.

„Ich glaube, ich möchte jetzt allein sein.“

Ein ungezügelter, wilder Ausdruck huschte über sein Gesicht. Mit zwei Schritten stand er vor ihr. „Tu doch nicht so, Maddie! Du wolltest es ebenso sehr wie ich.“

Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Ich habe geschlafen! dachte sie trotzig. Okay, ich hätte ihn zurückstoßen können, gestand sie sich ein, aber ich wollte nicht. Und – ich habe seinen Kuss erwidert!

Aber sie konnte es nicht verwinden, dass er eine derart schlechte Meinung von ihr hatte. Es geht ihm doch nur um Sex. Er hat ja sogar geglaubt, dass ich ein paar Stunden vorher mit einem anderen Mann geschlafen habe.

Nic streckte die Hand nach ihr aus, und sie zuckte zusammen. „Lass mich! Geh einfach!“

Er sah sie lange an. Seine Wangenmuskeln spielten heftig. Schließlich trat er zurück. „Acht Uhr morgen früh. Sei bitte fertig, wenn ich komme.“

Sie nickte stumm.

Nic wendete sich ab und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Wir sind noch nicht fertig miteinander, Maddie. Noch lange nicht!“