Einleitung

 

 

 

Dieses Buch möchte den Interessierten auf eine Reise durch die Geschichte der westlichen Kunst des Zeichnens mitnehmen. Die verschiedenen Kapitel widmen sich der Entwicklung der westlichen Kunst vom späten Mittelalter bis zur Gegenwart. Für jedes Kapitel wurden andere, zum jeweiligen Jahrhundert passende künstlerische Standpunkte ausgewählt, darunter diejenigen der größten Meister ihrer Zeit. Die einzelnen Abschnitte beginnen mit dem Text eines zeitgenössischen Künstlers oder Kunsttheoretikers, um für die verschiedenen Auffassungen und Herangehensweisen an das Thema Kunst im Allgemeinen und an die Zeichnung im Besonderen in den Jahrhunderten ein besseres Verständnis zu entwickeln.

Unsere Geschichte der Zeichnung wird von einem Auszug aus John Ruskins (1819-1900) erstmals 1857 veröffentlichter Abhandlung The Elements of Drawing eingeleitet. Dabei liegt der Fokus des nachstehenden Abschnitts nicht auf dessen detaillierter Beschreibung der verschiedenen Kunstpraktiken und der Entstehung der Linien mit Bleistift oder Feder und der Farben und Schatten, sondern auf den Empfehlungen und Warnungen des Autors an all jene, die sich entschließen, Künstler zu werden.

Interessant daran ist vor allem, dass Ruskin als eine Art Vermittler zwischen Tradition und Moderne auftrat. Heute klingt er jedoch nicht mehr ganz so modern, weil seine strengen Empfehlungen den derzeitigen Ansichten über kreative Freiheit teilweise widersprechen. Obwohl Ruskin die Werte der traditionellen Kunst vertrat, war er zu einer Zeit, in der das noch sehr ungewöhnlich und eigentlich undenkbar war, auch ein Verfechter der modernen Künstler wie J. M. William Turner (1775-1851) und den Präraffaeliten.

Selbstverständlich sind dies lediglich Empfehlungen nur eines Kunsttheoretikers, aber Ruskin galt zu seiner Zeit als einer der wichtigsten. Für einen aufstrebenden Künstler war es daher interessant zu sehen, welche Künstler Ruskin bevorzugte, welche nicht und welche Literatur man seiner Meinung nach lesen sollte. Ruskin ist ein großartiges Beispiel dafür, denn er versetzt den Leser in eine Zeit, in der sich die strikten akademischen Regeln und Traditionen allmählich veränderten, und bereits hier finden sich die Wurzeln des heutigen Kunstverständnisses:

 

 

Vorwort

 

Vielleicht denkt man, dass in der Vorrede eines Handbuchs über die Zeichnung die Gründe, warum man das Zeichnen erlernen sollte, aufgezeigt würden, aber dagegen scheinen mir so viele und wichtige Gründe zu sprechen, dass es mir unmöglich ist, diese zu nennen und aufzuschreiben. Da dieses Themengebiet der Zeichnung bereits jetzt zu groß ist, werde ich, mit dem Einverständnis des Lesers, auf jegliche Diskussion über die Bedeutung dieser Thematik verzichten, und nur die Punkte näher ausführen, die für das Verständnis dieses Themas kontrovers erscheinen.

In erster Linie ist das Buch nicht für Kinder unter zwölf oder vierzehn Jahren geeignet. Denn ich glaube nicht, dass es ratsam ist, bereits ein Kind, ob freiwillig oder nicht, in die Praktiken der Kunst einzuweihen. Wenn es zeichnerisches Talent hat, wird es immer wieder auf Papier kritzeln, sobald es welches bekommt; diese Kritzeleien sollten ihm auf jeden Fall erlaubt werden, und durch Lob und Anerkennung sollten seine Bemühungen gefördert werden. Sobald es Sinn macht und das Kind es sich wünscht, sollte es die Möglichkeit bekommen, sich intensiv mit preiswerten Farben zu beschäftigen. Wenn es allerdings nur Schmierereien auf Papier bringt und lediglich unförmige Flecken malt, dann sollte man ihm die Farbpalette so schnell wie möglich wegnehmen, bis das Kind es besser weiß.

Aber sobald das Kind beginnt, Bilder von Soldaten in roten Mänteln, gestreifte Flaggen an Schiffen usw. zu malen, sollte es unbedingt so viele Farben wie möglich bekommen und seine Motive frei wählen ohne es einzuengen, [...] Es sollte bei seinen Versuchen zu zeichnen vorsichtig von den Eltern angeleitet werden, auf eine so kindliche Art, wie es die Dinge sieht, Vögel oder Schmetterlinge oder Blumen oder Früchte. In seinen späteren Jahren sollte es, nachdem sich Fortschritte bei seinen Zeichnungen mit dem Bleistift erkennen lassen, in den Genuss der Farbe nur noch als Belohnung kommen.

Für einen Jungen sollte eine begrenzte Anzahl guter und amüsanter Drucke immer zu erreichen sein. Während dieser Zeit kann er versuchen, einfache Märchen auf guten Holzschnitten zu produzieren, dies sollte ihn dann ermutigen, das zu kopieren, was ihm am besten gefällt; allerdings sollte dies fest auf ein paar Stiche und ein paar Bücher beschränkt werden.

Wenn das Kind viele Spielsachen hat, wird es ihrer sicherlich bald müde sein und sie zerbrechen wollen. Wenn ein Junge viele Drucke hat, wird er lediglich trödeln und auf ihnen herum kritzeln; von daher ist es wichtig die Anzahl der Drucke in seinem Besitz zu begrenzen, damit er weiterhin Freude an ihnen findet, sie perfektionieren möchte und all seine Aufmerksamkeit auf diese konzentriert. [...]

 

Appendix II: Dinge werden untersucht.

 

Bei Weitem die schlimmste Gefahr, der ein einsamer Student ausgesetzt sein kann, ist, dass er Zuneigung für Dinge empfindet, für die er keine empfinden sollte. Nicht so sehr seine eigenen Schwierigkeiten, sondern sein Geschmack spielen dabei eine Rolle: unter der Leitung eines Meisters entstehen viele Kunstwerke, die sehr aufschlussreich sein können, aber nur einige davon sind von herausragender Leistung (daher gehören die schlechten von den guten unterschieden). Diese Dinge geben ihm eine Absicherung, solange er allein studiert und erlauben es ihm, nur einige wenige Werke zu besitzen, die in ihrer Art frei von Fehlern sind, dass nichts, was er von ihnen kopiert, ihn ernsthaft irreleiten wird, und er sollte nur diejenigen Kunstwerke betrachten, von denen er weiß, dass sie entweder perfekt oder lehrreich in ihren Fehlern sind. Daher werde ich mich im Folgenden, angetrieben von einem wichtigen Auftrag, über die Namen der Meister äußern, die man getrost bewundern kann, und ein paar der Bücher, die man gewissenhaft besitzen kann.

In Zeiten der günstigen Beschaffung von Darstellungen besteht zumeist die Gefahr, eher zu viele als zu wenige von ihnen zu besitzen. Einige werden fragen, inwiefern der Blick auf schlechte Kunst den auf die guten Darstellungen beeinflusst, aber im Großen und Ganzen glaube ich, dass es am besten ist, nicht immer nur gesundes Essen zu sich zu nehmen, denn unsere Freude daran kann nur verstärkt werden, wenn wir auch schlechtes zu uns nehmen; somit kann es gut sein, dass man manchmal auch nicht Schmackhaftes probieren sollte, damit man auch das Schlechte erfährt.

Natürlich können die Werke der großen Meister nur dann auf den Schüler wirken, wenn er bereits erhebliche eigene Fortschritte gemacht hat. Es würde nur ihre Zeit verschwenden und ihre Gefühle abstumpfen lassen, wenn sich die jungen Menschen durch Bildergalerien quälen müssten; zumindest wenn sie sich wünschen, ganz bestimmte Kunstwerke zu betrachten. Generell beachten Jugendliche nur dann eine Bildergalerie, wenn sie die Möglichkeit haben, aus ihrem Alltag auszubrechen, um einmal durch die Räumlichkeiten zu rennen - und dies sollten sie doch besser im Garten davor machen.

Wenn sie aber keine wirkliche Freude beim Betrachten der Kunst haben und sie nur auf das eine oder andere schauen möchten, dann ist es ein wichtiger Punkt, sie niemals bei dem zu stören, was sie interessiert, und sie niemals dazu zu zwingen, auf das zu schauen, was sie nicht interessiert. Nichts wäre von geringerem Nutzen für junge Menschen (noch wäre dies von großem Nutzen für ältere Menschen).

Deshalb ist es von größter Wichtigkeit, ihnen ausschließlich großartige Kunst zu zeigen, auch wenn sie durch große Museen oder Galerien laufen, sollte ihnen erlaubt sein, nur darauf zu achten und zu schauen, was ihnen selbst gefällt: wenn es für sie als Kunst nicht nützlich ist, dann wird es das vielleicht auf eine andere Weise sein. Die gesündeste Art, sich für Kunst zu interessieren, ist, wenn sie diese nicht als Kunst betrachten, sondern weil sie diese an etwas erinnert, das sie in der Natur gern mögen.

Wenn ein Junge seinen Verstand durch das Leben großer Männer erweitert hat, dann geht er wissbegierig weiter zu einem Selbstporträt van Dycks, um zu sehen, wie dieser war. Dies ist der beste Weg, um die Porträtmalerei zu beginnen. Wenn er hingegen Berge liebt und vor einer Zeichnung Turners innehält, weil er in ihr Ähnlichkeiten zu einer Felsformation in Yorkshire oder zu einem Alpenpass erkennt, dann ist dies die erfolgreichste Weise, um ein Studium der Landschaftsmalerei zu beginnen; und wenn der Geist eines Mädchens mit Träumen von Engeln und Heiligen erfüllt ist und sie vor einem Gemälde von Angelico verweilt, da dieses für sie wie der bildlich gewordene Himmel erscheint, dann ist das der richtige Weg, um ein Studium der religiösen Kunst zu beginnen.

Wenn der Student sodann einige deutliche Fortschritte gemacht hat und jedes Bild für ihn einen richtigen oder auch falschen Leitfaden bei seiner eigenen Arbeit darstellt, dann ist es von großer Bedeutung, dass er niemals auch nur ansatzweise und mit möglicher Bewunderung schlechte Kunst betrachten sollte; und dann, wenn der Leser bereit ist, mir in dieser Sache zu vertrauen, werden die folgenden Hinweise sehr nützlich für ihn sein. [...]

Zum Ersten, in Gemäldegalerien:

1. Sie können größtes Vertrauen in die absolute Richtigkeit der künstlerischen Arbeiten von Meistern wie Tizian, Veronese, Tintoretto, Giorgione, Giovanni Bellini und Velázquez haben. Die Echtheit dieser Gemälde sollte durch die jeweilige Institution festgelegt sein.

2. Sie können mit Bewunderung die künstlerischen Arbeiten von van Eyck, Holbein, Perugino, Francia, Angelico, Leonardo da Vinci, Correggio, van Dyck, Rembrandt, Reynolds, Gainsborough, Turner und der modernen Präraffaeliten betrachten, sollten jedoch auch nach deren Richtigkeit und Fehlerhaftigkeit fragen. Am besten wäre es, wenn sie außer diesen keine Werke von anderen Malern betrachten, sonst laufen Sie Gefahr, vom richtigen Weg abzukommen und schwerwiegende Fehler zu begehen. Wenn Sie sich Werke anderer großer Meister anschauen wie Michelangelo, Raffael und Rubens und ihren Geschmack dadurch beschädigen, dass sie sich Werke von den grundlegenden Meistern anschauen wie Murillo, Salvator, Claude, Gaspard Poussin, Teniers und einigen anderen. Sie können diese betrachten als Beispiele der schlechten Malerei und sich der allgemeinen Missbilligung sicher sein, und dass alles schlecht ist, was sie bei Künstlern wie Domenichino, den Carracci, Bronzino und die Personenbilder von Salvator betrachten werden.

3. Unter denen, die für das Studium in Frage kommen, können Sie nicht oft genug die Werke von Angelico, Correggio, Reynolds, Turner und der Präraffaeliten betrachten; aber wenn Sie besonders gern einen von den anderen ansehen, hören sie auf, nach diesem zu schauen, denn Sie werden so den falschen Weg einschlagen. Wenn Sie beispielsweise anfangen, Rembrandt oder Leonardo zu bevorzugen, werden Sie ihr Gefühl für die Koloration verlieren; wenn Ihnen van Eyck oder Perugino besonders gut gefallen, müssen Sie sich dem unveränderlichen Detail hingeben; und wenn Sie van Dyck oder Gainsborough besonders mögen, werden Sie von zu viel vornehmer Fadenscheinigkeit angezogen.

Zum Zweiten, in Büchern publizierte oder anderweitig veröffentlichte Kunst.

Wenn Sie diese vielleicht in privaten Sammlungen oder in Geschäften zu sehen bekommen, sollten Werke der folgenden Meister darunter sein, die am begehrenswertesten sind, von Turner, Rembrandt und Dürer. Daher kann ich Ihnen folgende Publikationen empfehlen: Eine Ausgabe von Tennyson, veröffentlicht in letzter Zeit, enthält verschiedene Holzschnitte nach Zeichnungen von Rossetti und anderen Meistern der Präraffaeliten. Sie sind furchtbar angefertigt, und im Allgemeinen ist der eigentümliche Ausdruck dabei vollständig verloren gegangen; dennoch sind sie sehr lehrreich, auch wenn sie nicht allzu genau studiert werden können. Aber beachten Sie, dass sie diese Holzschnitte respektieren, denn, wenn Sie es gewohnt sind, viel schlechte Arbeit zu betrachten, in denen Stil, Handlung und Stimmung verloren oder zu künstlich sind, dann wird Sie sicherlich zunächst auch jede gute Arbeit in Ihrem Gefühl beleidigen.

Echte Kunst, die reine Kunst, wie die von Tizian oder Veronese, ist keinesfalls beleidigend, aber die Möglichkeit ist groß, dass Sie sich nicht dafür interessieren werden; aber authentische Kunst oder Gefühle, wie in ‚Maude oder ‚Aurora Leigh in der Dichtkunst oder die Entwicklungen der großen Präraffaeliten in der Malerei, wird Sie sicherlich anfangs beleidigen: und wenn Sie möglicherweise aufhören, hart zu arbeiten und verweilen bei der Betrachtung von schlechter und falscher Kunst, dann werden Sie auch weiterhin beleidigt bleiben.

Es ist nur dazu gut, dass Sie ein Beispiel für schlechte Kunst haben, um zu wissen, wogegen Sie sich abschirmen müssen. Ich meine, die Entwürfe Flaxmans zu Dante enthalten sowohl im Entwurf als auch in der Ausführung Beispiele für fast jede Art von Fehlern und Schwächen, die ein ausgebildeter Künstler, nicht basierend auf seinen Gedanken, durchaus begehen oder eingestehen kann. Ich benötige keine schwächer werdende Themenwahl, wie Sie ständig in Werken von Teniers und anderen niederländischen Malern zu finden ist, und hoffe, dass ich Sie davor warnen kann, denn Sie werden sich einfach angewidert davon abwenden; während schlechte oder schwache Zeichnungen diese Fehler nur einmal in jeder Richtung haben werden; aber ich kann Sie auch nicht auf eine spezielle Art von einem angelernten Trugschluss wieder abbringen.

In den Entwürfen von Flaxman erkennt man ein vornehmliches Gefühl und die guten Kenntnisse der Anatomie, auch die festen Abgrenzungen von Linien, die allerdings alle in einer denkbar schlechten und unklugen Weise angewandt wurden. Sie können kein besseres Beispiel für lehrreiche Fehler finden, liebenswürdig in seiner Bedeutung und mit einer ruhigen Hand schlecht gezeichnet. [...]

Schlussendlich wird Ihr Urteil natürlich auch viel durch Ihren Geschmack in der Literatur beeinflusst. In der Tat kenne ich viele Personen, die einen guten literarischen Geschmack haben und doch einen schlechten Geschmack für Kunst, und dieses Phänomen verwirrt mich kein bisschen. Aber ich habe noch keinen kennengelernt, der einen schlechten Geschmack für Bücher und einen guten Geschmack für Kunstwerke hat. Es ist auch von größter Bedeutung für Sie, nicht nur um der Kunst willen, sondern aus vielerlei Gründen, in diesen Tagen der Bücherflut nur eine Auswahl an Literatur zu treffen, mit der Sie auf einer eigenen kleinen Insel mit nur einer Frischwasserquelle gut leben könnten. Ich kann natürlich nicht für Sie die Auswahl Ihrer Bibliothek treffen, denn unterschiedliche Köpfe brauchen unterschiedliche Bücher; aber es gibt einige Bücher, die wir alle benötigen. Und wahrlich, wenn Sie Homer, Platon, Aischylos, Herodot, Dante, Shakespeare und Spenser lesen, werden Sie keine großartige Erweiterung Ihres Bücherregals mehr benötigen.

Unter den modernen Büchern sollten Sie versuchen, Magazine und Buchrezensionen zu vermeiden. Manchmal kann eine Zusammenfassung oder eine gute Kritik nützlich sein, aber die Chancen stehen zehn zu eins, dass Sie entweder Ihre Zeit verschwenden oder irregeführt werden. Wenn Sie irgendein Thema verstehen wollen, sollten Sie am besten das Buch lesen und nicht eine Rezension dessen. Wenn Sie das erste Buch nicht mögen, suchen Sie sich ein anderes, aber hoffen Sie nicht immerzu, dass es einfacher sein wird, ein Thema mittels einer Rezension zu verstehen. Vermeiden Sie vor allem die Literatur mit einem zu verständlichen Ton. [...] Denn je mehr Sie die schwerfälligere Lektüre beherrschen und Sie Lyrik, Geschichte und Naturgeschichte reflektieren können sowie Drama und Fiktion aus dem Weg gehen, umso glücklicher wird Ihr Geist werden.

In der modernen Dichtung orientieren Sie sich an Scott, Wordsworth, Keats, Crabbe, Tennyson, den beiden Brownings, Thomas Hood, Lowell, Longfellow und Coventry Patmore, dessen ‚Angel in the House ein großartiges Stück Literatur ist und eine der schönsten Analysen, die wir von einem ruhigen, modernen und heimischen Gefühl besitzen, während Mrs. Brownings ‚Aurora Leigh, soweit ich weiß, das größte Gedicht des Jahrhunderts ist, das in dieser Sprache hervorgebracht wurde. Legen Sie den Entwurf Coleridges einmal beiseite, denn er ist krank und nutzlos; und Shelley ist so seicht und zu ausführlich; Byron, bis Ihr Geschmack voll ausgebildet ist, und Sie in der Lage sind, die Pracht in ihm zu erkennen. Lesen Sie weder schlechte oder gewöhnliche Dichtungen, noch schreiben Sie selbst Gedichte, da bereits eher zu viel als zu wenig in der Welt ist. Von der nachdenklichen Prosa lesen Sie vor allem Bacon, Johnson und Helps. Carlyle ist wohl kaum als Schriftsteller für „Einsteiger“ zu bezeichnen, weil seine Lehre, wenn auch für einige von uns durchaus notwendig, für andere verletzend ist. Wenn Sie ihn verstehen und mögen, lesen Sie ihn; wenn er Sie beleidigt, dann sind Sie noch nicht bereit für ihn und werden es vielleicht auch niemals sein; auf alle Fälle geben Sie ihn auf, so wie Sie auch das Baden im Meer aufgeben würden, wenn es Sie zu sehr schmerzen würde, bis Sie stärker sind. Von den fiktiven Büchern lesen Sie ‚Sir Charles Grandison, Scotts Romane, Miss Edgeworth, und, wenn Sie eine junge Frau sind, Madame de Genlis, die die französische Version der Miss Edgeworth ist; machen Sie diese zu Ihren ständigen Begleitern. Natürlich müssen Sie oder werden Sie auch ein- oder zweimal andere Bücher zur Unterhaltung lesen; aber Sie werden feststellen, dass die von mir empfohlenen ein Ewigkeitselement in sich tragen, das so in keinem anderen Werk von ihrer Art existiert; ihre eigentümliche Stille und ruhige Art ist eine große Bereicherung für Sie und kann sich auch auf Ihre Ansichten zur Kunst übertragen.“

 

John Ruskin, The Elements of Drawing, 1857