Das 18. Jahrhundert

 

 

 

Höchstwahrscheinlich ist das beste Resümee der europäischen Aufklärung die erstmals 1751 von Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert veröffentlichte Encyclopédie. Die Encyclopédie ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich diese Epoche mit Hilfe von Wissenschaft und Vernunft Erkenntnisse aneignete. Verschiedene großartige Spezialisten schreiben darin zu den unterschiedlichen Themengebieten (darunter einige der bedeutendsten Intellektuellen jener Zeit). Die Encyclopédie ist somit eine Zusammenfassung des gesamten menschlichen Wissens, von der Philosophie bis zur Religion, von der Politik bis hin zu den Wissenschaften. In diesem Kontext ist es interessant zu sehen, welche Definitionen über Kunst im Allgemeinen und über die Zeichnung im Besonderen gegeben werden. Trotz der Veränderungen im menschlichen Denken ist auf dem Gebiet der visuellen Kunst die Theorie der Renaissance immer noch präsent:

 

ZEICHNUNG: Das Wort „Zeichnung“ wenn Sie diese als einen Teil der Malerei ansehen möchten, bedeutet zweierlei: zum einen die Herstellung eines Kunstwerks mithilfe eines Bleistifts. In einem allgemeineren Sinn [...] bedeutet dies die Kunst der Nachahmung der Objektformen vor den Augen, die durch die Linien dargestellt werden.

In einem verallgemeinerten Sinne kann die Zeichnung als ein wesentlicher Teil der Malerei betrachtet werden. Allerdings hat dies auch zu erbitterten Auseinandersetzungen über die höhere Wertigkeit der Farbe oder der Zeichnung geführt. Man kann leicht erraten, dass sowohl diejenigen, die den Schönheiten der Farbe mehr zugetan sind als denen der Zeichnung, als auch die Freunde der Koloristen den farbigen Teil der Malerei als Kunst vorziehen werden, während die anders fühlenden oder dem Kompromiss zugeneigten den Zeichner als Gegenpol unterstützen werden. [...] Die Nachahmung der Natur, die das Ziel in der Malerei ist, bemüht sich, die Form der menschlichen Körper und seine Farben zu imitieren. Um zu entscheiden, ob die Farbe oder die Zeichnung in der Malerei wichtiger ist, wäre wie der Versuch, festzustellen, ob es der Körper oder die Seele des Menschen ist, der am meisten zu seiner Existenz beiträgt.

„… Um gut zu zeichnen, muss man die Techniken präzise anwenden können und sie durch Gewohnheit formen, das heißt, man sollte sich so oft wie möglich Zeit zum Zeichnen nehmen. Die Zeichnung ist es, die einen in die Geheimnisse der Malerei einführt [...]. Die ersten Zeichnungen, die man nachahmt, sind in der Regel diese, die bereits ein erfahrener Meister von der Natur kopiert hat. Zuerst sollten Sie jeden einzelnen Teil des Körpers zeichnen, bevor Sie eine Zeichnung vom ganzen Körper anfertigen; und Sie sollten diese Teile groß zeichnen, so dass Sie die Details besser erkennen können. [...]

Diese ersten Anläufe sind es, von denen man eine präzisere und tiefere Idee der Formen erhalten kann, und es ist zu hoffen, dass junge Schüler die Knochen des menschlichen Körpers nach dem Vorbild guter Anatomen oder, noch besser, nach der Natur abzeichnen werden können. [...] Wenn der Künstler es geschafft hat, eine nackte Figur gut zu zeichnen, dann kann er sie auch bekleidet zeichnen, danach kann er sie in einer Gruppe mit anderen platzieren: Aber es ist notwendig, vor allem diese Übung mehrmals zu wiederholen, um einen guten Ruf zu erwerben und auch um das Gelernte nicht wieder zu verlieren.

Es ist mehr die kontinuierliche Nutzung der Natur, die die Vorliebe des Zeichners für die Wahrheit, die ihn instinktiv berührt, weckt als das Interesse des Betrachters. Durch die hohe Anzahl der menschlichen Körperteile und die Vielfalt der verschiedenen Bewegungen kann man zu viele Kombinationen bilden, als dass die Vorstellung oder die Erinnerung diese behalten würde. Und selbst wenn dies möglich wäre, würden andere Teile der Malerei neue Hindernisse mit sich bringen. Da die Malerei zur einen Hälfte aus Theorie und zur anderen aus Praxis besteht, dienen tiefe Gedanken und Argumente hauptsächlich dazu, ersteres zu erwerben, und die Gewohnheit, dabei hilft die Wiederholung, dient als Antriebskraft für Weiteres. [...]

Man kann verschiedene Möglichkeiten in Betracht ziehen für die Zeichnung, die alle gut sind, wenn sie das selbst gewählte Ziel erreichen. Sie können mit Rötel, mit schwarzer Kreide, mit Bleistift, mit Feder und Tusche zeichnen. Für die Schattierungen können Sie Pinsel und Schwämme verwenden. [...] Die Kunst des Zeichnens hat einen großen Umfang [...]: die Bewegung eines Muskels, das Körpergewicht, die perfekte Haltung, die Proportionen, die Linie, die Leidenschaft, die Gruppe. Was das Wort „skizzieren“ betrifft, [sind das] die Zeichnungen, die als erste Gedanken der Künstler bildlich manifestiert werden [...].“

 

Claude-Henri Watelet, Artikel geschrieben für die Encyclopédie, 1751