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Emma hatte ein Bild von Iselin auf dem Handy und zeigte es allen Passanten auf der Torggata, doch niemand hatte sie gesehen.

Sie blieb bei einem bärtigen Mann stehen, der Gratisausgaben der Zeitung Klassekampen verteilte.

»Haben Sie diese Frau gesehen?«, fragte Emma.

Der Mann beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. Schüttelte den Kopf.

»Wie lange stehen Sie hier schon?«, fragte sie ihn.

»Seit neun Uhr.«

»Die Frau auf dem Foto wurde möglicherweise entführt«, sagte Emma. »Hier«, fuhr sie fort und zeigte auf die Straße, auf der sie standen. »Irgendwann zwischen Viertel nach zehn und halb elf.«

Der Mann sah sie skeptisch an.

»Ist Ihnen etwas Außergewöhnliches aufgefallen?«, fragte Emma.

Eine Polizeisirene wurde lauter und kam näher. Emma wollte schon weitergehen, als der Mann sich noch einmal vorbeugte und das Bild studierte.

»Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht habe ich sie doch gesehen«, sagte er. »Ein Mann hielt sie am Arm, also so«, sagte er und demonstrierte es, indem er Emmas Arm nahm. »Ihr schien das nicht zu gefallen.«

»Wissen Sie noch, wie er ausgesehen hat?«

Der Mann dachte nach.

»War er groß, klein, dick oder dünn …?«

»Er war auf jeden Fall größer als sie«, sagte er. »Eine ganze Ecke größer.«

»Wie viel? Einen Kopf? Etwa so?«

»Ja, mindestens. Ich glaube, er hatte keinen Bart. Bärte kann ich mir immer merken.«

Er fuhr sich rasch mit der Hand über das Gesicht.

»Erinnern Sie sich noch an etwas anderes?«

Wieder gönnte er sich ein paar Sekunden Bedenkzeit.

»Ich glaube, er trug eine Lederjacke«, sagte er. »Eine schwarze. Aber da kann ich mich irren.«

Emma nickte.

»Haben Sie gesehen, wohin sie verschwunden sind?«

»Ich …« Er hielt inne. »Ich glaube, die sind in ein schwarzes Auto gestiegen, das da vorne stand.«

Er zeigte in eine Nebenstraße.

»Auf den Straßenbahnschienen?«, fragte Emma.

»Ja. Mir ist das aufgefallen, weil eine Straßenbahn kam und gehupt hat.«

Emma fluchte innerlich. Auch sie hatte die Straßenbahn hupen gehört. Sie hatte dasselbe Auto gesehen. Möglicherweise war das der Wagen, in dem Iselin gesessen hatte.

»Erinnern Sie sich noch, welche Straßenbahn das war?«

»Tut mir leid«, sagte der Mann. »Die fahren hier ja ständig vorbei.«

»Was haben Sie danach gemacht?«

Hege Valle sah zu Emma.

»Es wurde natürlich Großalarm ausgelöst. Blix ist zurück ins Präsidium gefahren. Ich habe auf eigene Faust weiter nach Iselin gesucht. Bin durch alle umliegenden Geschäfte gelaufen, die Blick auf die Domkirche haben, und habe die Angestellten gefragt, ob sie gegen 10.20 Uhr eine Straßenbahn hupen gehört haben. Niemandem ist mehr aufgefallen als der schwarze Wagen. Das Kennzeichen hatte sich keiner gemerkt. Aber vielleicht hatte der Straßenbahnfahrer es ja gesehen. Er war ja direkt hinter dem schwarzen Wagen gewesen und hatte reichlich Zeit, sich den genauer anzusehen. Ich habe die Verkehrsbetriebe angerufen und sie gebeten herauszufinden, welche Straßenbahn exakt um 10.20 Uhr an der Domkirche vorbeigefahren ist. Da kamen drei Bahnen in Frage. Jetzt musste ich nur noch die Telefonnummern der Fahrer ausfindig machen. Und die Verkehrsbetriebe waren auch da zum Glück hilfsbereit.«

»Sie haben alle drei angerufen?«

»Nein, nur zwei. Der Fahrer der Linie 13 konnte sich gut an den Vorfall erinnern. Er hatte sich sogar Teile der Nummer gemerkt, AV88 … mehr wusste er allerdings nicht. Das war aber genug, damit Blix und die anderen den Wagen auf diversen Überwachungskameras und an den Mautstationen lokalisieren konnten.«

»Und die Filme bestätigten, dass Iselin entführt wurde?«

Emma antwortete:

»Ich glaube, sie war auf keinem der Videos zu sehen. Aber das war zu diesem Zeitpunkt trotzdem die beste Spur.«