21

Iselin spürte den Stahl der Pistolenmündung an ihrer Stirn, direkt über dem linken Auge. Hart und kalt. Um sie herum herrschte Stille.

Der Fahrer protestierte.

»Scheiße, Timo! Das kannst du nicht tun. Jedenfalls nicht hier.«

Iselin öffnete die Augen einen Spaltbreit, suchte den Blick des bewaffneten Mannes. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.

»Bitte …«, flüsterte sie.

Die Kiefer des Pistolenmannes mahlten. Der andere Mann tauchte hinter seinem Rücken auf, warf einen Blick auf Iselin. Fluchte erneut. Über ihnen zeichnete ein Flugzeug einen Kondensstreifen an den Himmel.

Der Druck über dem Auge lockerte sich, der Lauf rutschte über die Schläfe zum Ohr, wo er eine Weile verharrte, ehe er weiter zum Hals glitt und sich dort in den Muskel bohrte.

Jetzt konnte sie die Waffe nicht mehr sehen, spürte nur noch die Vibration des Stahls. Als würde die Hand, die sie hielt, zittern. Der Atem des Mannes ging angestrengt.

Adrenalin pumpte durch Iselins Adern. Es gelang ihr, das Bein ein wenig unter sich anzuwinkeln. Dann stieß sie sich ab und zog sich am Grabenrand hoch.

Der Mann zog die Pistole mit einer raschen Bewegung an sich.

»Schnapp sie dir!«, rief er dem anderen Mann zu.

»Ich …«, protestierte er.

»Schaff sie ins Auto«, fiel ihm der Mann mit der Pistole ins Wort. »Hier kann ich es nicht tun. Sie würden sie sofort finden.«

Er machte einen Schritt nach hinten.

»Wir haben hier jede Menge Spuren hinterlassen.«

»Können wir nicht einfach abhauen«, schlug der Fahrer vor, »und das Ganze vergessen?«

Der Pistolenmann schraubte den Schalldämpfer ab.

»Dafür ist es zu spät«, sagte er und schob die Waffe hinter dem Rücken in den Hosenbund. »Sie hat unsere Gesichter gesehen. Schaff sie ins Auto!«

Der Fahrer folgte ihr, packte sie und zog sie aus dem Graben. Er hatte Mundgeruch. Er zerrte sie mit sich, öffnete die hintere Tür des Kastenwagens und schubste sie hinein.

Der andere Mann warf ihnen ein paar weiße Kabelbinder hin, worauf der Fahrer ihr mit dem unnachgiebigen Plastik die Handgelenke zusammenschnürte. Das Gleiche tat er mit ihren Füßen, ohne dass Iselin eine Chance hatte, sich zu wehren. Sie war nur froh, dass sie noch lebte. Vorläufig.

Die Türen wurden zugeschlagen. Iselin lag auf dem Rücken. Sie hörte, wie die beiden vorne einstiegen. Der Motor sprang an, der Wagen fuhr los und beschleunigte. Ein Rad fuhr über ein Hindernis, ihr Kopf wurde nach oben geschleudert und knallte schmerzhaft wieder auf den Boden.

Kurz darauf bogen sie von dem Schotterweg auf eine asphaltierte Straße. Vorne wurde etwas gesagt, aber Iselin bekam nur Bruchstücke mit. Abgehackte, scharfe Worte.

Es ging um irgendeinen Auftrag.

Der Mann, der ihr die Pistole an den Kopf gehalten hatte, sollte sie eliminieren. Die Einwände des anderen wurden durch das eingeschaltete Radio abgewürgt.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis das Auto wieder hielt. Der Motor verstummte. Die vorderen Türen gingen auf. Stimmen. Jemand sagte, dass sie reingebracht werden sollte.

Der Fahrer öffnete die Tür zum Laderaum, packte sie an den Füßen und zog sie zur Öffnung. Das Einzige, was sie in der kurzen Zeit registrierte, die er brauchte, um sie ins Haus zu tragen, war, dass es angefangen hatte zu regnen.