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Im Verhörraum gab es keine Fenster, nur graue Wände, drei Stühle und einen Tisch in der Mitte. Die Luft war feucht, drückend.

Alexander Blix hatte unzählige Stunden in allen möglichen Verhörräumen zugebracht, war aber noch nie hier im Kriminalamt gewesen und definitiv nie auf dieser Seite des Tisches.

Er fasste sich an die Stirn. An den Verband. Die Stiche pochten.

Beim Gedanken an Iselin schoss ihm ein stechender Schmerz vom Bauch in die Brust. Sein kleines, süßes Mädchen. Ihr panischer Blick, der regungslose Körper. Alles war so schnell gegangen. Zum Denken war keine Zeit gewesen.

Die Tür vor ihm ging auf.

»Tut mir leid, dass du warten musstest«, sagte der Mann, der in den Raum trat. »Es geht hier gerade drunter und drüber.«

Bjarne Brogeland war sicher eins neunzig groß, trotz seiner fast fünfzig Jahre gut durchtrainiert und sehr bedacht auf sein Äußeres und sein Auftreten. Kurze, dunkle Haare. Frisch rasiert, soweit Blix es von seinem Platz aus beurteilen konnte. Der maskuline Duft des Mannes bereitete Blix fast Übelkeit.

Brogeland machte einen Schritt nach vorn, während die Tür hinter ihm langsam und automatisch ins Schloss fiel. In der einen Hand hielt er ein Glas Wasser, in der anderen einen Stapel Papiere und einen Stift. Er legte die Unterlagen auf dem Tisch ab und musterte Blix von oben bis unten, als wollte er sich einen Überblick über die Verletzungen verschaffen und wie sie zustande gekommen waren.

Blix war viele Jahre mit Brogeland in einer Abteilung gewesen, allerdings hatten sie nur selten direkt zusammengearbeitet, da sie nie so recht miteinander harmoniert hatten. Blix war deshalb froh gewesen, als Brogeland als Sonderermittler zum Kriminalamt gegangen war.

»Wie geht es deiner Tochter?«, erkundigte sich Brogeland.

Blix atmete tief ein. Die furchtbaren Bilder waren mit einem Mal wieder da. Er sah das Seil, den Sturz, ihren leblosen Körper auf dem dreckigen Betonboden. Das Blut und die verdrehten Gliedmaßen.

»Ich weiß es nicht«, sagte er schwer atmend und kämpfte gegen die Tränen an. »Sie wollten sich melden, sobald sie mit der Operation fertig sind. Aber – ihr habt ja mein Handy einkassiert …«

»Du weißt doch, wie das ist«, sagte Brogeland und schaute zu Boden.

»Ja.«

»Ich habe gesagt, dass sofort jemand rüberkommen soll, sobald sie etwas hören.«

»Wer sind sie?«, fragte Blix.

»Die Kollegen im Haus. Die uns zusehen und zuhören.«

Er verwies mit einem Nicken auf die Kamera in der oberen linken Raumecke. Blix folgte der Kopfbewegung.

»Werdet ihr auch Emma verhören?«, wollte er wissen.

»Das kann ich dir nicht beantworten«, antwortete er. »Du weißt …«

»Aus taktischen Gründen«, sagte Blix.

Brogeland zog die Mundwinkel hoch, ohne weiter darauf einzugehen.

»Bist du wirklich sicher, dass du keinen Anwalt willst?«

»Ja.«

»Und du fühlst dich in der Lage, das hier durchzuziehen? Jetzt, wo …«

»Lass es uns so schnell wie möglich hinter uns bringen«, sagte Blix. »Damit ich zurück zu Iselin fahren kann.«

Brogeland musterte ihn durch zusammengekniffene Augen, als bezweifelte er, dass Blix das Haus überhaupt wieder würde verlassen dürfen.

Blix hielt seinem Blick stand. Der Sonderermittler rutschte auf dem Stuhl vor, trank einen Schluck Wasser und kontrollierte, dass die Videokamera eingeschaltet war, ehe er die Uhrzeit zu Protokoll gab, wer vor ihm saß und worum es ging.

»Die Prozedur ist dir bekannt, Blix«, sagte Brogeland. »Das bleibt uns leider nicht erspart.«

»Kein Problem.«

»Gut. Alter?«

»Achtundvierzig Jahre.«

»Personenstand?«

»Geschieden. Ich lebe allein.«

»Adresse?«

»Tøyengata 13 in Oslo.«

»Beruf?«

»Polizeikommissar, Mordkommission, Polizeibezirk Oslo.«

»Wie lange bist du schon dort?«

»Acht Jahre.«

»Und wie lange insgesamt bei der Polizei?«

»Einundzwanzig Jahre und bald sieben Monate.«

Blix antwortete, den Blick starr auf einen Punkt am Boden gerichtet. Es war drückend heiß. Er schwitzte, wischte sich den Schweiß aber nicht ab.

»Timo Polmar«, fuhr Brogeland fort. »Wer ist das?«

»Das …« Blix verschränkte die Finger. »Das weiß ich nicht.«

»Das weißt du nicht?«

»Nein.«

»Aber das ist der Mann, auf den du geschossen und den du getötet hast.«

Blix schnitt eine Grimasse. Dieses Aftershave …

»Möglich«, sagte er. »Aber ich kann es nicht sicher sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich … Weil ich den Mann heute zum ersten Mal gesehen habe. Und ich habe seine Personalien nicht überprüft, nachdem ich …«

Brogeland legte die Stirn in Falten und machte sich eine Notiz auf dem oberen Blatt des Stapels vor sich.

»Du hast … vier Schüsse auf ihn abgegeben?«

»Das wird wohl stimmen.«

»Warum vier?«

»Weil …«

Blix atmete tief ein.

»Weil es nötig war, um ihn zu stoppen.«

Brogeland betrachtete ihn einige Sekunden.

»Ich habe getan, was ich für notwendig hielt«, vertiefte Blix seine Aussage. »In der aktuellen Situation waren die Schüsse berechtigt. Es waren vier berechtigte Schüsse.«

Brogeland ließ den Satz unkommentiert.

»Kannst du mir erklären, wie wir hier gelandet sind?«, sagte er schließlich. »Wie es dazu gekommen ist, dass du heute Abend auf einen Mann geschossen und ihn getötet hast?«

Blix streckte sich ein wenig und legte die Fingerspitzen aneinander, sodass sie ein Dreieck bildeten.

»Ich kann es versuchen.«