Kapitel 70

An diesem Freitagabend war Katarina Hoff trotz des spektakulären Falls mit ihren Gedanken nicht bei der morgigen Ausgabe der Zeitung. Chefredakteur Pål Røed oder sie – einer von ihnen musste den Platz räumen. Sie würde auf jeden Fall um ihren kämpfen. Viele Jahre hatte sie hart dafür gearbeitet, den Posten der Nachrichtenchefin bei Nyhetsavisen zu bekommen. Freiwillig würde sie ihn nicht räumen. Jetzt galt es, ihre Allianzen zu stärken. Sie hatte vor einiger Zeit von Chefredakteur Røed den Segen für eine Umorganisation bekommen. Umorganisation bedeutete vor allem das Auswechseln der Ressortleiter. Sie würde »ihre« Leute so günstig wie möglich platzieren.

»Ich will Joakim für mein Investigativteam«, hatte sie an diesem Nachmittag verkündet.

»Er sollte gar nicht mehr hier arbeiten«, murmelte Røed.

»Ich denke, wir alle sind uns einig, dass der Fall Hans Adler Hellvik mit neuen Augen betrachtet werden muss«, erwiderte Hoff.

Røed drehte sich lediglich resigniert um, doch sie wusste, dass das einer Zustimmung gleichkam.

Gleich nach dem Gespräch bat sie Joakim, bei ihr vorbeizuschauen. Wenig später stand er verschwitzt, aber gut gelaunt in der Tür.

»Ich bin unglaublich stolz auf dich, Joakim.«

Er lächelte jetzt breiter. »Das ist nicht allein mein Verdienst. Agnes hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.«

»Ja, ja«, sagte Hoff und winkte ab. »Aber jetzt rede ich von dir. Setz dich. Ich weiß, dass ihr im Stress seid, es dauert auch nicht lange.«

Er setzte sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

Sie blickte einen Moment aus dem Fenster. »Es kommen neue Zeiten, härtere Zeiten«, sagte sie nachdenklich.

Joakim sah leicht desorientiert aus. Er schien keine Ahnung zu haben, worauf sie hinauswollte.

»Uns stehen Kürzungen bevor. Doch wenn es uns nicht gelingt, uns auch in schlechten Zeiten zu engagieren, können wir unserem Auftrag nicht gerecht werden. Wir werden vor allem unseren Kernbereich stärken, nämlich die Journalisten.«

»Ja?«

»Sverre Ekker hat gerade seinen Posten als Leiter der politischen Redaktion gekündigt.«

»Aha?«

»Er will etwas anderes machen.«

»Will er anfangen zu schreiben?«

»Nein, er wird die Zeitung ganz verlassen. Ihm ist ein Job in einem PR-Büro angeboten worden. Leif Ree, der Leiter des Investigativteams, wird die Leitung der politischen Redaktion übernehmen. Er hinterlässt eine Lücke, die wir rasch füllen müssen. Dafür brauchen wir einen Topjournalisten. Außerdem möchte ich das Team durch zwei Neuzugänge stärken. Es soll in diversen Bereichen recherchieren, Wirtschaft, Politik, Kriminalität. Und ich will, dass du die Abteilung leitest.«

»Warum?«, fragte Joakim verblüfft.

»Eigentlich geht es nur um eins, Joakim«, fuhr Hoff fort. »Alles andere ist Beiwerk. Ausbildung, Charakter, Fähigkeiten, Sprachgefühl – all das ist schön, wenn man es hat, doch es nützt einem Journalisten überhaupt nichts, wenn ihm das Allerwichtigste fehlt: der Biss. Und davon hast du mehr als genug. Du gibst nie auf, du arbeitest Tag und Nacht, wenn es sein muss, du tust, was getan werden muss, um einen Fall aufzuklären, und das ist in unserer Branche eine unbezahlbare Eigenschaft. Darüber hinaus hast du einen Spürsinn, wie ich ihn noch bei keinem Journalisten erlebt habe. Ich glaube, du hast genau das, was man braucht, um eine erfolgreiche Mannschaft aufzubauen.«

Joakim sah nachdenklich aus. »Ich muss an meinem persönlichen Projekt weiterarbeiten können.«

»Wie meinst du das?«

»Hans Adler Hellvik. Ich kann kein Investigativteam leiten, wenn ich ihn nicht zur Strecke bringen kann.«

»Darüber habe ich schon mit dem Chefredakteur gesprochen. In Anbetracht der Geschehnisse in den letzten Wochen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir Hellvik nicht laufen lassen dürfen. Du kannst deine Arbeit wiederaufnehmen.«

Joakim nickte stumm. Sie sah ihn forschend an.

»Was macht dir Sorgen?«, fragte sie.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Führungsqualitäten besitze. Andererseits reizt es mich mehr, andere zu führen, als geführt zu werden.«

»Das ist nicht der schlechteste Ausgangspunkt«, meinte Hoff lächelnd.

»Wer wird zur Abteilung gehören?«

»Wir müssen die Stellen im Internet ausschreiben. Du kannst anfangen, dir Gedanken zu machen, wen du gern hättest.«

»Agnes«, antwortete Joakim. »Agnes muss auf jeden Fall dabei sein.«

»Das denke ich mir schon«, meinte Hoff und lachte. »Das heißt also, du nimmst den Job an?«

Joakim nickte.