«Sie haben mich genommen!», kreischt Angelica ins Telefon. «Ich komme jetzt rüber! Du musst mir die E-Mail vorlesen. Ich brauche eine Zeugin, damit ich glaube, dass es wahr ist!»
Sie hat das Pratt Institute nicht buchstäblich erwähnt, aber wegen eines anderen College würde sie nicht so ausflippen, und außerdem stand sie nur dort auf der Warteliste. Offenbar hat sie es doch geschafft. Mein Girl geht weg, nach New York.
Ich schüttele mich, als mir auffällt, dass ich ein bisschen zu lange schweige. «Wie aufregend, Angelica! Komm! Ich kann es nicht erwarten, die Mail zu lesen.»
Ich lege auf. ’Buela macht nach einem ausgiebigen Frühstück ein Nickerchen auf dem Sofa.
Dann schlage ich den Roman zu, den ich für Englisch lese. Keine Ahnung, warum ich überhaupt noch etwas für die Schule mache. In vier Wochen ist das Schuljahr zu Ende, und sogar den Lehrern sind die Hausaufgaben mittlerweile ziemlich egal. Sie lassen uns schon nicht durchfallen. Einige waren sogar richtig «krank» in der letzten Zeit. In diesem Monat habe ich mehr Vertretungslehrer gesehen als im gesamten Schuljahr.
Es klopft drei Mal fest an die Tür, und ich öffne, ohne durch den Spion zu schauen.
«Angelica, ’Buela schläft, deshalb …» Aber es ist nicht Angelica.
Sondern Tyrone. Tyrone mit teurem Parfüm und Hundeblick. «Können wir reden? Ich möchte gerne etwas mit dir besprechen.»
Daraufhin trete ich auf die oberste Stufe hinaus und ziehe die Tür hinter mir zu. «Tyrone, du bist» – ich sehe auf die Uhr – «zwei Stunden zu früh. Babygirl ist noch nicht fertig.» Leider ist es sein Wochenende.
«Genau darüber wollte ich reden», sagt Tyrone. «Es gibt ein Update.»
«Gut, ich habe auch ein Update. Ich habe eine Zusage vom College, und ich date jemanden.»
Er kneift die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. «Du datest jemanden? Ich hatte so etwas gehört und gehofft, dass es nicht stimmt. Das gefällt mir nicht.»
Ich hole tief Luft. «Ich weiß, Tyrone, ich weiß. Und ich wollte es lange allen recht machen. Von dir verlange ich nur, dass du für deine Tochter da bist. Ich respektiere dich und würde sie mit niemandem bekannt machen, den ich nicht gut kenne oder der aus meiner Sicht keinen guten Einfluss auf sie hat. Aber ich habe nicht vor, mich vor der Welt zu verstecken. Ich höre nicht auf zu leben. Und ich werde mein Kind nicht dafür verantwortlich machen. Das wäre alles andere als eine gute Erziehung.»
Er schüttelt immer noch den Kopf. «Du hättest nicht nach Spanien fahren dürfen, ich wusste es. Da hast du dir diese verrückten Ideen in den Kopf gesetzt. Meine Mutter hat von Anfang an gesagt, dass du leicht zu beeinflussen bist.» Ich muss lächeln, denn als seine Mutter die Abtreibung bezahlen wollte, war ich ihren Aussagen zufolge alles andere, als «leicht zu beeinflussen».
Tyrone steckt die Hände in die Taschen und hört auf, die Stirn zu runzeln. Ich mustere ihn. Er sieht reifer aus, sein Hemd ist gebügelt, seine Frisur sitzt. Er wirkt selbstbewusster, als würde er sich nicht mehr nur auf seine Wortgewandtheit verlassen und als wäre er mit sich im Reinen. Keine Ahnung, wann das geschehen ist, aber die Entwicklung habe ich eindeutig verpasst.
«Ja, also, deswegen bin ich nicht hier. Das ist deine Sache. Du hast dich bisher gut um Emma gekümmert und auch wenn es mir nicht gefällt … ich werde einfach nicht darüber nachdenken, dass andere Typen bei der Mutter meines Babys und bei meiner Tochter sind.
Aber eigentlich wollte ich wegen Emma mit dir reden. Ich habe neuerdings einen Job und eine eigene Wohnung. Deshalb kann ich dir mehr Geld geben. Meine Mutter sagt die ganze Zeit, wie teuer Babys sind, und ich weiß, da ist bei mir noch Luft nach oben, was dich und Emma angeht. Auch wenn es zurzeit noch nicht viel ist, was ich dir anbieten kann.»
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Panzer Mrs. Palmer hat sich dafür eingesetzt, dass Tyrone mir Geld für Babygirl gibt? In dieser Welt ändert sich tatsächlich einiges. Aber Tyrone ist noch nicht fertig und hebt die Hand, als würde er gleich etwas sagen, was ich nicht so gern höre.
«Emoni, ich möchte meine Besuchszeiten verlängern. Von Freitagabend bis Montagmorgen. Ich finde, ich habe ein ganzes Wochenende verdient. Bisher habe ich mich immer gut um sie gekümmert, sie pünktlich abgeholt und zurückgebracht. Du kannst mich jederzeit erreichen. Außerdem würde ich sie gerne im Sommer für eine Woche mit in den Urlaub nehmen.»
Ich setze einen undurchdringlichen Gesichtsausdruck auf und halte meine Gefühle fest verschnürt wie eine Turnerin, die alles anspannt, wenn sie durch die Luft wirbelt. Doch genauso fühle ich mich – wie im freien Fall.
«Ich würde gern darüber nachdenken, Tyrone. Das ist eine große Veränderung.»
«Natürlich, ich weiß, dass das jetzt ein bisschen plötzlich kommt. Aber ich vermisse sie, wenn sie nicht bei mir ist. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, ist sie gewachsen und kann etwas Neues und … ich möchte nicht mehr so viel verpassen.»
Ich nicke. «Warte kurz, dann kannst du Babygirl gleich mitnehmen. Ist ja Unsinn, wenn du erst zurückfährst und dann wiederkommst.»
Und dasselbe versuche ich mir auch zu sagen: Man kann nur nach vorn blicken, alles andere macht keinen Sinn.