Ich komme aus einem Viertel von Philadelphia, das mich immer an ein Buch von Charles Dickens erinnert, das wir im Englischunterricht gelesen haben. Eine Geschichte aus zwei Städten spielt in Paris und London während und nach der Französischen Revolution. Aber mein Viertel ist von Europa weit entfernt. Ich komme aus Fairhill. Hört sich gut an, oder? Aber für viele Außenstehende ist der Name das einzige Hübsche daran.
Die meisten Leute, die hier wohnen, stammen aus Puerto Rico. Julio behauptet, nirgendwo außerhalb der Insel würden mehr Puerto Ricaner leben als in unserer Hood. Keine Ahnung, warum. Es sieht überhaupt nicht so aus wie auf den Bildern, die ich von der Insel gesehen habe. Ein Häuserblock von zweistöckigen Reihenhäusern neben dem anderen, Beton, eingezäunte Hinterhöfe und brachliegende Grundstücke, so sieht’s hier aus. Die Leute haben alle eine Meinung über unsere Gegend, aber ich finde, sie sollten sich besser raushalten. Dieser Teil von North Philly hat eine der höchsten Kriminalitätsraten der ganzen Stadt, das behaupten zumindest die Zeitungen. Sie schlagen uns den Badlands zu, aber wenn man hier lebt, weiß man, dass es hier viel mehr Gutes gibt, als die Nachrichten zeigen.
Stimmt, die Gangs bekämpfen sich hier zum Soundtrack von Schüssen, aber wir haben auch Tanzgruppen, die bei den Häuserblock-Partys im Sommer auftreten. Wir haben el Centro de Oro, eine Häuserreihe von puerto-ricanischen Geschäften, deren Angebot von überdimensionierten Fahnen über Gewürze von der Insel bis zum handgeschnitzten Mörser mit Stößel reicht. Wir haben kleine Läden an jeder Ecke, die an Halloween Süßigkeiten verteilen, und den Friseur in unserem Block, der im Sommer einen gekühlten Trinkwasserspender vor die Tür stellt. Wir haben das Gemeinschaftshaus, in dem die meisten von uns jahrelang ihre Hausaufgaben gemacht haben, wo ich an einem Kurs für Teenager-Eltern teilgenommen habe und während meiner Schwangerschaft beraten wurde. Außerdem gibt es ein paar Blocks weiter das Kulturzentrum, in dem Kunst-Workshops und Gratis-Englischunterricht angeboten werden und wo sogar Live-Bands auftreten.
Vielleicht ist es mehr als eine Geschichte von zwei Städten und eher eine Geschichte von zwei Stadtvierteln. Einerseits haben die Leute Angst, herzukommen, weil dieser Teil der Stadt als gefährlich und «rückständig» verschrien ist, und ich denke, meinetwegen, dann bleibt doch weg. Andererseits wissen alle, dass sich die guten Dinge wie der Bauernmarkt, gut sortierte Lebensmittelgeschäfte und regelmäßige Müllabfuhr nur halten können, wenn Leute von außerhalb herziehen. Und wenn es noch so sehr so aussieht, als wäre unser Viertel in Vergessenheit geraten, ist der Wandel erkennbar. Es gibt immer mehr Baustellen und viele Häuser mit einem VERKAUFT-SCHILD, und mehr Weiße als je zuvor steigen an meiner Haltestelle aus, essen bei Freddy & Tony, stellen ihre schicken Collegepullover zur Schau oder sehen aus, als wären sie leicht unruhig auf dem Weg nach Hause. Zu Hause. Der Ort, wo ich herkomme, ist süß wie eine frische Beere und sauer wie geronnene Milch. Hier träumen wir davon, wegzuziehen und in einer Villa zu wohnen, und können uns doch nicht vorstellen, woanders aufgewachsen zu sein. Manche Leute fragen sich, warum ich immer so schnell gehe und fremden Menschen nur selten ein Lächeln schenke, warum ich eine böse Miene aufsetze und Steinchen wie Kleingeld in der Tasche trage.
Alle in Philadelphia stehen wie ich für ihre Stadtviertel. Wenn man jemanden kennenlernt, fragt man zuerst, wo er wohnt. Unsere Herkunft prägt uns ganz und gar, und wenn man einen Ort richtig einschätzen kann, erfährt man ein wenig mehr darüber, wer jemand ist.
Und ich? Ich bin Fairhill in Person, aber ich trage auch mehr als eine Stadt und ein Viertel in mir. Und wer mehr über mich wissen will, muss die Vielfalt der Skylines schätzen lernen.