Ich kann Malachi davon überzeugen, dass wir nur ein Stück gemeinsam U-Bahn fahren müssen, er aber gleich sitzen bleibt, da er nur ein paar Haltestellen weiter wohnt und es keinen Sinn ergibt, auszusteigen, um gleich wieder einzusteigen. Er möchte protestieren, das spüre ich, aber wir wissen beide, dass es Unsinn wäre, wenn er deshalb viel länger U-Bahn fahren müsste.
Das Lächeln, das er auf meine Lippen gezaubert hat, ist noch da, als ich nach Hause komme. «’Buela, ich bin da!»
Als sie mir mit gerunzelter Stirn entgegeneilt, verliert mein Lächeln den Halt.
«Was ist los, ’Buela? Babygirl?» Ich will zum Sofa, doch ’Buela versperrt mir den Weg.
«Wo warst du denn? Ich habe dich vor einer halben Stunde erwartet, und als ich dich angerufen habe, bin ich immer gleich auf der Mailbox gelandet», sagt sie.
Ich hole tief Luft. Was auch immer hier nicht stimmt, kann nicht so schlimm sein, wenn sie noch meckern kann.
Ich setze die Schultasche ab. «Tut mir leid. Ich habe mit Angelica und einem Freund noch ein Eis gegessen, und du weißt, wie schlecht der Handyempfang in der U-Bahn ist. Ich habe die Zeit ein wenig aus den Augen verloren.»
«Das kann man wohl sagen. Wieso hast du mir das nicht geschrieben? Ich hätte vor einer Viertelstunde zu einem Arzttermin gemusst.»
«Schon wieder? Geht es deiner Hand schlechter?» Das ist schon der zweite Arztbesuch in diesem Monat. Nach ihrem Arbeitsunfall vor ein paar Jahren war ’Buela sehr oft beim Arzt, aber so oft nun auch wieder nicht. ’Buela hat schon bei Macy’s auf der Walnut Street gearbeitet, bevor es überhaupt Macy’s hieß, damals, als der Laden noch zu Wanamaker’s gehörte. Sie war seit ihrer Ankunft in Philadelphia über dreißig Jahre dort in der Änderungsschneiderei tätig und hat mehrere Übernahmen des Geschäfts miterlebt, bis sie sich bei der Arbeit verletzt hat. Sie ist mit den Fingern ihrer rechten Hand in die Nähmaschine geraten und konnte die Hand selbst nach der Operation nicht mehr so gut gebrauchen wie vorher. Ich ging damals noch in die Grundschule, und an diesem Tag kam niemand, um mich abzuholen. Alle anderen Kinder waren bereits weg, als unsere Nachbarin Ms. Martinez kam und erklärte, ’Buela wäre mit der Notfallambulanz ins Krankenhaus gebracht worden. Ich hatte furchtbare Angst, weil ich von ’Buela mein Leben lang nur gehört hatte, Notarztwagen wären viel zu teuer und sie würde lieber ein Taxi nehmen, als einen zu rufen. Deshalb wusste ich, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen war.
Als ’Buela endlich aus dem Krankenhaus anrief, bemühte sie sich um einen normalen Tonfall und spielte ihre Verletzung herunter, obwohl sie so ernst war, dass die Wunde genäht werden musste. Sie hat nie mehr angestellt als Schneiderin gearbeitet. Und jetzt spielen mir meine Gedanken Worst-Case-Szenarien vor: Ihre Hand bereitet ihr Schmerzen, sie ist krank, schwerkrank und will es mir nicht sagen. Ich habe Angst vor der Antwort. Vermutlich ist es egoistisch, aber mein erster Gedanke ist: Was soll ich ohne ’Buela machen? Sie gibt mir Rückhalt, nur sie kann die Falten auf meiner Stirn glätten und mich im Arm halten, wenn ich glaube, dass ich gleich zusammenbreche. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen. Meine Gedanken spiegeln sich offenbar auf meinem Gesicht.
«Mir geht’s gut, m’ija. Ich muss da nur mal kurz hin, zum Nachsehen. Kein Grund zur Sorge.» Sie tätschelt meinen Arm. «Ich war nur nervös, weil du zu spät gekommen bist und weil Julio angerufen hat. Du weißt, dass meine Nerven verrücktspielen, wenn ich mit ihm spreche.»
Obwohl ich mich näher nach ihren Arztterminen erkundigen will, entsteht eine kurze Pause in unserer Unterhaltung, als ’Buela von Julio spricht. Mein Vater ist Aktivist und organisiert in einer großen Gemeinde monatliche Versammlungen und Vorlesungen, die in seinem Friseurladen in San Juan stattfinden. Mit anderen Worten, er ist sehr beschäftigt, und doch hat er in dieser Woche nun schon zum zweiten Mal angerufen. Ich habe mich davor gedrückt, mit ihm zu sprechen, weil mir seine Art der Abreise Ende Juli nicht gepasst hat.
’Buela lässt ihre Hand sinken, und ich gehe ins Wohnzimmer, wo Babygirl wie die Bubble Guppies im Fernsehen herumhüpft.
«Ruf deinen Vater zurück, nena. Du weißt, wie sehr er sich ärgert, wenn du zu lange damit wartest.»
«Aber er hat nicht mich angerufen, sondern dich.» Ich beiße mir auf die Zunge, weil ich so weinerlich klinge, aber ’Buela lässt nicht locker.
«Komm mir nicht so, Emoni. Er ruft mich an, weil er mein Sohn ist. Und er hat um deinen Rückruf gebeten. Also rufst du ihn zurück, weil du seine Tochter bist.»
Ich gehe vor meinem eigenen Kind in die Hocke. «Hey, Babygirl, komm in meine Arme. Keine Angst, wenn du groß bist, rufen wir uns einfach gegenseitig an, und keiner zwingt uns, weil er meint, er wäre der König der Welt.» Mein Tonfall ist leicht und fröhlich, als ich die Arme nach ihr ausstrecke. Sofort kommt sie zu mir.
Mein Vater ist kein schlechter Mensch. Er hilft vielen Leuten. In seinem Friseurladen gibt es Kinderbücher, weil er die Kinder in seiner Gemeinde ermutigen will, zu lesen. Immerfort schleppt er Vortragsredner an, die über die Rechte der Puerto Ricaner und Gemeindebelange sprechen, und als ich mit Babygirl schwanger war, rief er ein Projekt ins Leben, das alleinerziehende Mütter mit Lebensmitteln versorgte. Aber seine Leidenschaft für solche Dinge verwirrt mich. Obwohl er Geld für seine Anliegen sammelt, schickt er uns nie etwas. Er kümmert sich um seine Gemeinde, aber seine eigene Familie lässt er am ausgestreckten Arm verhungern. Als wären seine besten Seiten Fremden vorbehalten. Und das bringt mich durcheinander wie einen schlecht gerührten Teig, in dem immer noch Klümpchen sind.
Ich zwinge mich, tief durchzuatmen. Babygirl duftet nach Baby und Seife, aber ihr Gesicht riecht irgendwie nach saurer Milch. Ich nehme ein Tuch aus ihrer Babytasche und wische ihre Wange sauber. Dann lasse ich sie wieder los, damit sie weitertanzen kann. Während ich versuche, meine Gefühle in den Griff zu bekommen, richte ich die Kissen und den Plastiküberwurf auf dem Sofa. Ein Blick zur Tür zeigt, dass ’Buela dort mit verschränkten Armen wartet.
Meine Haut juckt, wenn ich über Julio nachdenke. Am liebsten würde ich schreien, weil ich seinetwegen einen Kloß im Hals habe. Ich liebe meinen Vater, doch vielleicht bin ich trotzdem allergisch gegen ihn.
Als ich nichts sage, nimmt ’Buela ihre Handtasche von der Garderobe neben der Haustür. «Baby Emma hat ein bisschen was gegessen, aber sie bekommt bestimmt bald wieder Hunger. Du musst mir kein Abendessen aufheben, ich hole mir nach dem Termin etwas. Te quiero, nena.»
«Te quiero también, ’Buela», flüstere ich vor der geschlossenen Tür.